Die Universitätsgründung und ihre jüdischen Stifter (1911-1914)

von Pascal Balló

Die Grundlagen für eine Universitätsgründung waren geschaffen: Die Stiftungsvorstände standen mit der Stadt hinsichtlich der Zusammenführung ihrer wissenschaftlichen Institute zu einer Universität in Verhandlungen. Der Staat hatte eine Genehmigung der zu gründenden Universität in Aussicht gestellt, sofern sich die Stiftungen und die Stadt verbindlich einigten und die finanziellen Voraussetzungen als ausreichend erachtet würden. Die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung genehmigte am 22.04.1912 den ausgehandelten Stiftungsvertrag und wollte diesen ratifizieren, sobald die fehlende Finanzierungslücke aufgebracht worden war. [Anm. 1]

Die für die Finanzierungslücke akquirierten Stiftungen und Schenkungen flossen zu den sich zur Universität zusammenschließenden Stiftungen. Im folgenden Unterkapitel soll zuerst die Stiftungsbereitschaft soziologisch begründet werden. Im Anschluss daran soll die soziologische Begründung in den zeithistorischen Kontext der Juden gestellt werden. Denn nur so wird die intensive Stiftungsbereitschaft der jüdischen Minderheit für die Frankfurter Universität verständlich.

Pierre Bourdieu reflektiert in seinem Aufsatz „Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital“ [Anm. 2] über das Wesen dieser drei Kapitale, inwieweit diese miteinander korrelieren und inwiefern ökonomisches in kulturelles oder soziales Kapital getauscht werden könne. [Anm. 3] Hinsichtlich des kulturellen Kapitals unterscheidet Bourdieu zwischen inkorporiertes, objektiviertes und institutionalisiertes Kulturkapital. Von Interesse für diese Arbeit ist das Bourdieu‘sche Verständnis vom objektivierten Kulturkapital. [Anm. 4] Hierunter ist bspw. der Erwerb von Kunstwerken, Maschinen oder Büchern zu verstehen. Dieses kulturelle Kapital kann durch ökonomisches Kapital, also Geld, erworben werden. [Anm. 5] Demzufolge können Menschen ihr ökonomisches in (objektiviert-) kulturelles Kapital tauschen.

Bei sozialem Kapital handelt es sich, Bourdieu zufolge, um „Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen.[Anm. 6] Der Zugang zu einer solchen sozialen Gruppe sei jedoch ohne weiteres nicht möglich, da jedes neue Gruppenmitglied die bisherige Gruppenidentifikation durcheinander bringen könne. Der Beitritt zu einer sozialen Gruppe könne nicht immer mithilfe von ökonomischem Kapital erfolgen. Vielmehr bedürfe es bspw. von ehrenamtlichen Tätigkeiten oder Engagement im sozialen oder kulturellen Bereich. [Anm. 7]

Zum besseren Verständnis dieses Tauschverhältnisses von ökonomischem in kulturelles und soziales Kapital, ist eine zeithistorische Einordnung, d. h. in den Emanzipationsprozess der Juden und deren Konsequenzen für das jüdische Mäzenatentum, unerlässlich.

Das jüdische Mäzenatentum im Kaiserreich ist nur dürftig erforscht. Es finden sich nur wenige Studien über jüdisches Mäzenatentum in einigen deutschen Großstädten. Nimmt man diese Studien als Grundlage, so ist festzustellen, dass die Juden überproportional ihrem Bevölkerungsanteil mäzenatisch aktiv waren. [Anm. 8] In der historischen Forschung werden hierfür viele und auch unterschiedliche Stiftungsmotive für die Juden im Kaiserreich genannt. [Anm. 9] Für die Stiftungsbereitschaft waren im Wesentlichen zwei Faktoren bedeutend: das Assimilations- und Integrationsbedürfnis der jüdischen Minderheit, dem viele nichtjüdische Deutsche ablehnend gegenüberstanden, und die im Judentum liegende Stiftungsverpflichtung, die Zedaka. [Anm. 10]

Zedaka – aus dem Hebräischen: Wohltätigkeit [Anm. 11] – verpflichtete Juden zur Mildtätigkeit gegenüber ihren Glaubensgenossen. Demnach waren die finanziell gut situierten Juden dazu verpflichtet, als religiöses Gebot, „Armen und Mittellosen“ Unterstützung zu gewähren. Die Zedaka beschränkte sich  nicht nur auf Arme, sondern auch auf Mittellose, wie bspw. Studenten, Gelehrte oder Künstler – ein entscheidender Unterschied zur christlichen Wohlfahrtspflege. [Anm. 12] Die Juden waren demnach dazu angehalten, „Hilfe zur Selbsttätigkeit[Anm. 13] zu leisten. Der aus dem Assimilationsprozess resultierende Wandel  „der sozialen und gesellschaftlichen Gegebenheiten sowie das Entstehen einer bürgerlichen Gesellschaft erforderte neue, zusätzliche Formen der Wohltätigkeit.[Anm. 14] Zudem war die Zedaka Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr in den Maßen früherer Zeiten nötig. Zwar kamen die Wohltätigkeitsstiftungen in den Genuss weiterer hoher Spenden, doch suchte „der einzelne, der jüdische Bürger, nach neuen Möglichkeiten der Identifikation im weitesten Sinne. Neben der verinnerlichten sozialen und zunehmend säkularisierten Zedaka trat die kulturelle Zedaka, das Engagement von Juden in Wissenschaft, Kultur und Kunst.[Anm. 15]

Diese dem Judentum inhärente Stiftungsbereitschaft konnte angesichts der restriktiven Gesetzgebung und Diskriminierung der Juden durch die christliche Mehrheitsgesellschaft bis ca. Mitte des 19. Jahrhunderts nur der eigenen Minderheit zugutekommen. [Anm. 16] Durch die endgültige rechtliche Gleichstellung der Juden im Kaiserreich im Jahr 1871 konnten und wollten sie ihre Stiftungsaktivitäten für die Allgemeinheit verwenden. [Anm. 17] Hiermit wäre der zweite wesentliche Faktor, in den Fokus zu rücken, der ebenfalls auf der Zedaka fußte: der Assimilations- und Integrationsprozess. In der historischen Forschung werden oft die seinerzeit noch vorhandenen Ressentiments der nichtjüdischen Bürgergesellschaft gegenüber ihrem jüdischen Pendant als Motivation genannt. Demnach wollten die Juden die latente Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft durch ein ausgiebiges Mäzenatentum kompensieren. [Anm. 18] Die Aversionen in Großteilen der nichtjüdischen Bevölkerung, aber auch in der Bürokratie und Beamtentum, werden insbesondere in den Wissenschaften deutlich. Die von Gneist postulierte „Umkehrung der Verfassung durch die Verwaltung[Anm. 19] trifft insbesondere auf den Zustand an den deutschen Universitäten zu, denn Juden war es kaum möglich, an deutschen Universitäten zu Professoren ernannt zu werden. [Anm. 20] Mit ihren finanziellen Zuwendungen wollten sie wohl diesen Missstand beheben. [Anm. 21]

Die Stiftungsmotivation der Juden im Kaiserreich trifft auch auf jene in Frankfurt zu. Allerdings steht die historische Forschung in Frankfurt vor der Problematik, dass es „zu wenig unmittelbare Zeugnisse über die Haltung, das Lebensgefühl, die wirtschaftliche Position, die politischen Anschauungen und Einflüsse möglichst vieler Angehöriger des Frankfurter Judentums in seiner letzten freien und blühenden Zeit in den drei Jahrzehnten vor dem Ausgelöschtwerden [gibt], um allgemeinverbindliche Aussagen darüber machen zu können.[Anm. 22] Daher lassen sich für die Stiftungsmotivation der Frankfurter Juden im Ganzen nicht immer valide Thesen, sondern oftmals nur plausible Vermutungen aufstellen.

Von den im Jahr 1910 200 existierenden Stiftungen waren 59 von Juden gegründet worden. [Anm. 23] Bei einem 6,3%igen jüdischen Bevölkerungsanteil 1910 stellten sie somit knapp 29,5% sämtlicher in Frankfurt verzeichneten Stiftungen. [Anm. 24]

Auch für den Großteil der Frankfurter Juden ist anzunehmen, dass sie aus Gründen der Zedaka stifteten. [Anm. 25] Allerdings war „die Taufbewegung und der Abfall vom Judentum in Frankfurt a. M. groß[Anm. 26], sodass zu vermuten ist, dass ein Großteil der Frankfurter Juden aus einer säkularisiert-kulturellen Zedaka heraus großzügig stifteten. [Anm. 27]

Der Wunsch der Frankfurter Juden als loyale deutsche Staatsbürger akzeptiert zu werden, manifestierte sich auch in den vergebenen Titeln für ihr mäzenatisches Handeln. So wurde bis 1909 in Frankfurt der Titel „Kommerzienrat“ zu ca. 36% und der des „Geheimen Kommerzienrat“ zu ca. 50% an jüdische Unternehmer verliehen. [Anm. 28]

Auch die Zuwendungen des jüdischen Frankfurter Bürgertums für die Wissenschaft lassen sich als Versuch werten, sich völlig in die Stadt zu integrieren und der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft die schon weit gediehene, wenn nicht sogar abgeschlossene, Assimilation deutlich zu machen. Die wissenschaftlichen Stiftungen sollten auch den Frankfurter Mitbürgern ein „höheres Bildungsniveau“ ermöglichen, in der Hoffnung, dies würde „zu mehr Offenheit und Toleranz gegenüber den anderen, den Fremden, führen“. [Anm. 29]

Im Zuge des Gründungsprozesses wurde die „Umkehrung der Verfassung durch die Verwaltung“ ausgiebig diskutiert. [Anm. 30] Neben den schon skizzierten Artikeln aus der Zeitschrift „im deutschen Reich“, in denen die tatsächliche Gleichberechtigung der Juden an der künftigen Universität gefordert wurde, ist auf die Frankfurter Ortsgruppe des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens einzugehen. Zu den Versammlungen der Frankfurter Ortsgruppe kamen in der Regel weit mehr als hundert Teilnehmer. Selbstverständlich wurde das Vorhaben, eine Universität in Frankfurt zu gründen, aufmerksam verfolgt und ebenso diskutiert. Der Vorsitzende Max Mainzer verlangte in einer Rede vom Frühjahr 1912, dass die Juden „‚im Interesse ihrer Ehre dafür sorgen, daß daraus nicht ein Institut werde, an dem die Juden in genau derselben Weise in ihren Rechten gekränkt und zurückgesetzt würden wie an den übrigen deutschen Universitäten.‘“ [Anm. 31]

Die publizistischen und öffentlichen Diskussionen in der Frankfurter Ortsgruppe des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens zeigen deutlich, dass der an den deutschen Universitäten zum Nachteil der Juden praktizierte Berufungsmodus ein Missstand war, den die Juden zumindest an der Stiftungsuniversität in Frankfurt behoben sehen wollten.

Die historischen Umstände der Juden in Frankfurt lassen sich mit der soziologischen Theorie von Bourdieu anschaulich miteinander in Einklang bringen.

Die Zedaka und der Assimilationsprozess erklären das große Engagement der Frankfurter Juden in mäzenatischer und in gesellschaftlicher Hinsicht mit. [Anm. 32] Die Ablehnung jüdischer Dozenten an der Universität führte dazu, dass wohl viele Juden mit ihren finanziellen Zuwendungen für die Wissenschaft, diesen Missstand beheben wollten.

Konkret für die Universitätsgründung hieße das, dass die jüdischen Stifter ihr ökonomisches Kapital in soziales Kapital tauschten. Als weitere Investition in soziales Kapital kann das Engagement vieler Juden für die Universitätsgründung genannt werden, indem sie bspw. bei den entsprechenden Verhandlungen anwesend waren. In diesem Zusammenhang muss insbesondere auf Gans und Merton verwiesen werden.

Zudem tauschten die jüdischen Stifter ihr ökonomisches Kapital in (objektiviert-) kulturelles Kapital, das sich in der freien und liberalen Konstituierung der Universität manifestierte. Und so sind die Stiftungen und Schenkungen für die Universität Frankfurt als ein Tauschgeschäft zu verstehen: Die Universität Frankfurt am Main bekommt das von den Juden zur Verfügung gestellte ökonomische Kapital, um die finanzielle Grundlage zur Eröffnung des Universitätsbetriebes zu schaffen. Die jüdischen Stifter hingegen erhalten im Gegenzug eine freie und liberale sich konstituierende Universität, an der auch jüdische Dozenten lehren dürfen. Dies soll anhand der Stifterliste von 1911-1914 aufgezeigt werden.

Anmerkungen

[1] Vgl. Heilbrunn, Gründung, S. 182; vgl. Kluke, Stiftungsuniversität, S. 102.

[2] Bourdieu, Ökonomisches Kapital, S. 49-79.

[3] Ebd., S. 70ff.

[4] Zur Definition des inkorporierten und institutionalisierten Kulturkapitals, vgl. ebd., S. 55-59 und S. 61-63.

[5] Vgl. ebd., S. 59-61.

[6] Ebd., S. 63.

[7] Vgl. ebd., S. 66ff.

[8] Vgl. Kraus, Jüdisches Mäzenatentum, S. 39.

[9] Kraus weist zu Recht darauf hin, dass die jüdische Stiftungsbereitschaft nicht „monokausal aus der ethnischen Herkunft oder der religiösen Orientierung, aus der Form des Gelderwerbs oder aus dem sozialen Status abzuleiten“ sei. Vgl. ebd., S. 48.

[10] Frey sieht in der „Kurzformel“ Tradition und Integration die wesentlichen Stiftungsmotive der Juden anschaulich auf den Punkt gebracht. Vgl. Frey, Macht und Moral, S. 101.

[11] Vgl. Heuberger, Jüdisches Mäzenatentum, S. 66.

[12] Vgl. ebd., S. 66.

[13] Ludwig/Schilde, Jüdisches Mäzenatentum, S. 16.

[14] Heuberger, Jüdisches Mäzenatentum, S. 67.

[15] Ebd., S. 69.

[16] Natürlich fehlte für die Juden auch jegliche Motivation, Christen an ihren Stiftungen partizipieren zu lassen, wurden sie doch von ebenjenen diskriminiert. Vgl. Treue, Jüdisches Mäzenatentum, S. 286.

[17] Vgl. Roth, Aufstieg und Krise, S. 123.

[18] Vgl. Roth, ‚Der Toten Nachruhm‘, S. 117f; vgl. auch Henning, Soziales Verhalten, S. 260; Heuberger, Jüdisches Mäzenatentum, S. 69.

[19] Zitiert nach Volkov, Juden in Deutschland, S. 55.

[20] Vgl. ebd., S. 55. Vgl. auch Roth, ‚Der Toten Nachruhm‘, S. 118.

[21] Vgl. Lingelbach, Private Wissenschaftsförderung, S. 46. Roth geht einen Schritt weiter und sieht in den jüdischen Stiftungen für die Wissenschaft den Versuch „von der Kommune aus, den Benachteiligungen des jüdischen Bildungsbürgertums in Preußen entgegenzuwirken.“ Vgl. Roth, Aufstieg und Krise, S. 125.

[22] Kluke, Stiftungsuniversität, S. 53, S. 77; vgl. auch Arnsberg, Frankfurter Juden. Bd. III, S. 8; Hopp, Jüdisches Bürgertum, S. 9.

[23] Vgl. Klötzer, Über das Stiften, S. 25. Zu derselben Schätzung kommt auch Schembs, Jüdische Mäzene, S. 24.

[24] Zum jüdischen Bevölkerungsanteil, vgl. Hopp, Zur Konstituierung, S. 127. In Berlin ergibt sich ein höheres Verhältnis: Die Juden machten 5% der Bevölkerung aus, aber gleichzeitig stellten sie 38% der Berliner Stiftungen. Vgl. Kraus, Jüdisches Mäzenatentum, S. 40.

[25] Vgl. Kluke, Stiftungsuniversität, S. 54.

[26] Arnsberg, Frankfurter Juden. Bd. III, S. 9; vgl. auch Kluke, Stiftungsuniversität, S. 77.

[27] Vgl. ebd., S. 54.

[28] Vgl. Henning, Soziales Verhalten, S. 261.

[29] Vgl. Heuberger, Jüdisches Mäzenatentum, S. 69.

[30] Vgl. Heilbrunn, Gründung, S. 98, S. 103f, S. 114, S. 167, S. 179, S. 185; vgl. auch Kluke, Stiftungsuniversität, S. 84f, S. 120f.

[31] Zitiert nach ebd., S. 121.

[32] Auch Roth konstatiert: „Diese bemerkenswerten Aufsteiger [die Frankfurter Juden, Anm. d. Verf.] investierten erhebliche Mittel in soziales und kulturelles Kapital und trugen in großem Maßstab zum Ausbau der Vereins- und Stiftungsnetzwerke bei.“ Vgl. Roth, Jüdische Stiftungsaktivitäten, S. 161f.

Pascal Balló, Die Universitätsgründung und ihre jüdischen Stifter (1911-1914) [Teilabschnitt aus: Pascal Balló, Die Gründung der Universität Frankfurt und ihre Stifter jüdischer Herkunft], in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 15.08.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/36stifter/ballo/universitaetsgruendung/.

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