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Der Romanist Helmut Anthony Hatzfeld: Ein Essay über seine Würdigung des "Don Quijote" am Beispiel der Stilmittel im Dienste der Ideengestaltung

von Nicole Buchalik

Wie viele Literaturwissenschaftler der Vergangenheit und seiner eigenen Zeit, setzte sich auch der Romanist Helmut Anthony Hatzfeld in seiner 1927 veröffentlichten Studie Don Quijote als Wortkunstwerk intensiv mit Cervantes´ Roman El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha (1605-1615), kurz Don Quijote, auseinander, der zu den bekanntesten Werken der spanischen Literaturgeschichte zählt. In dieser Studie legt Hatzfeld großen Wert darauf, den Don Quijote im Hinblick auf die darin verwendete sprachlichen Mittel zu würdigen. Er erfasst und deutet dazu die im Roman anzutreffenden typischen Stil- und Kompositionsmittel.

Gegensatz der Protagonisten

Zu Beginn seiner Arbeit kommt Hatzfeld auf die Gegensätzlichkeit der Protagonisten Don Quijote und Sancho Panza zu sprechen. Seiner Auffassung nach bilde gerade dieser Kontrast zwischen den Figuren die Voraussetzung für eine ständige, bis ins Kleinste durchgeführte Antithese mit fortgesetztem Wechsel zwischen einer realistischen Sprache und einer ironisierend schwülstigen humorvollen Nachahmung ritterromanhaften Jargons, zwischen Beschreibung und Dialog, Handlung und Betrachtung, romantischem Andeuten und naturalistischen Ausmalungen. Hatzfeld argumentiert dabei wie folgt: „Alle diese Gegensätze vereint aber wieder das tief menschliche, wohlwollend verständige Fühlen des Cervantes. Der Dichter befindet sich mitten im Werk und verbindet die schwunghaften Perioden im Munde des Ritters von der traurigen Gestalt, mit der anakoluthischen Unbeholfenheit der Gassenweisheit Sanchos“ (Hatzfeld 1927: 1).

Überdies hat Hatzfeld die Beobachtung gemacht, dass Cervantes´ Roman sich stilistisch betrachtet an Werken der jüngeren Literatur orientiert. So stammten der sprachliche Realismus des Don Quijote größtenteils aus der Celestina, die Antithese aus dem Caballero Cifar, die Natur- und Personenschilderung aus der Diana des Montemayor, die Sittenschilderung aus dem Schelmenroman und der „Caballero andante“-Ton aus Amadis und Palmerin. Außerhalb dieser spanischer Referenzen seien die rhythmisierten Satzgebilde ciceronianischen Baues, welche zickzackartig die schlichte Darstellungsprosa durchziehen, auf Boccaccio zurückzuführen (Hatzfeld 1927: 1-2).

Der Kampf gegen Unbill und Einäugige

Im ersten Unterkapitel der Studie, die den Stilmitteln im Dienste der Ideengestaltung gewidmet ist, setzt sich Hatzfeld intensiv mit den Leitmotiven des Werks auseinander. Seiner Auffassung nach ist die am deutlichsten im Vordergrund stehende Idee des Romans das ideale Bewusstsein des Don Quijote in dessen Rittermission, das sich in allen möglichen Formen durch die beiden Teile des Romans hindurch zieht. „Don Quijote hat die Aufgabe die Unbilden zu beseitigen, das Unrecht zu beheben oder genauer und im einzelnen: Witwen und Waisen zu helfen, die Jungfrauen zu beschützen, die Bedrängten zu unterstützen“ (Hatzfeld 1927: 5). Hatzfeld betont, dass das Motiv der Rittermission mit Anlehnung an die Phraseologie der Ritterromane bei Cervantes aus einzelnen Motivgliedern zum großen variierten Thema der Wortkunst anwächst.

Ihm zufolge kommt das Motiv beispielsweise zur Geltung, wenn Don Quijote dem von ihm verwundeten Baccalaureus Alonso López sagt: „[…] es mi oficio… andar por el mundo enderezando tuertos y desfaciendo agravios“ (für Absatz Hatzfeld 1927: 6). Sprachspielerisch wird aus dem Kampf gegen "entuertos" (Unbill) der Kampf gegen "tuertos" (Einäugige). Der Baccalaureus wiederum greife das Motiv auf, variiere es und 'biege' es in ein Scherzoso um: „[…] de derecho me habéis vuelto tuerto dejándome una pierna quebrada… y el agravio que en mí habéis deshecho ha sido dejarme agraviado“. Zudem erwähnt Hatzfeld in diesem Zusammenhang ein Textbeispiel, in dem Sancho zu Beginn der dritten Ausfahrt ruft: „Si mi señor tomase mi consejo, ya habíamos de estar en esas campañas deshaciendo agravios y enderezando tuertos“. Auch im nächsten Beispiel, in dem Doña Rodríguez Don Quijote auffordert, die Ehre ihrer Tochter zu retten, streicht Hatzfeld die sprachspielerische Variation des Grundmotivs heraus: „Querría […] que Ud. tomase a cargo el deshacer este agravio […]; vuestra merced nació [ …] para deshacerlos y para enderezar los tuertos“.

Dulcinea als Preis des Ritters

Ein weiteres durchgehendes Leitmotiv im Don Quijote ist für Hatzfeld das Dulcinea-Preis-Motiv. Seiner Auffassung nach ist Dulcinea „die ideale Urheberin all der Taten, die der Ritter zu vollbringen wähnt, die Minnedame, die ihm allein die nötige Kraft zu seinen Leistungen gewährt, sie ist ihm der Inbegriff der Schönheit und der Macht“ (Hatzfeld 1927: 10). Doch Hatzfeld weist darauf hin, dass Cervantes den Preis der Dulcinea, den Quijote zu erlangen hofft, mit seiner steten Wiederkehr im strengen motivischen Rahmen hält. Zum Lob ihrer Schönheit dient ihm so der Ausdruck „la sin par“-Dulcinea, der aus dem Amadís übernommen worden sei. Um den Preis ihrer Hoheit und Würde auszudrücken, beobachtet Hatzfeld, dass der Erzähler sich an Titeln wie „señora“, „doña“, „princesa“, „reina“ etc. bedient, und zwar in beliebiger Steigerung und entsprechend der Emphase des Preismoments, was im Falle Dulcineas durchgängig gestalterisch genutzt werde. Während Sancho dazu neige, das Motiv „komisch übertrieben“ zu verwenden („reina y princesa y duquesa de la hermosura“), greife Don Quijote das Hoheitspreis-Motivglied in ähnlicher, allerdings ernster Variation wieder auf („o princesa y señora universal del Toboso“) (Hatzfeld 1927: 10-11).

Im Hinblick auf die Leitmotive äußert Helmut Hatzfeld: „So verschieden diese […] betrachteten Motive unter sich sind, […] sie stehen alle im Dienste einer künstlerischen Absicht, im Dienste der leitenden Ideen des Romans, mithin im Dienste der Komposition des Don Quijote.“ (Hatzfeld 1927: 20) Während Forscher wie Vicente de los Ríos (Análisis del Quijote, 1776) oder Juan Valera (Sobre el Quijote y sobre las diferentes maneras de comentarle y juzgarle, 1864) das Überwiegen des Gedanklichen und Stimmungsmäßigen innerhalb des Werks zum Nachteil der eigentlichen „Handlung“ betonen, gehen Hatzfeld ebenso wie Américo Castro (El pensamiento de Cervantes, 1925) von einer strengeren Einheit der Handlung im Don Quijote aus:

„Die […] durch den Roman gelegten Motivketten geben dem Don Quijote ohne Zweifel […] eine greifbare Form, die ihn scharf von der losen Aneinanderreihung der Erlebnisse und Episoden der Schelmenromane wie von der ziellosen Situationsverwirklichung der Schäferromane unterscheidet. So scheint mir denn durch die Erhärtung und Begründung von Motiven im Don Quijote eine hinreichend wichtige ästhetische Erkenntnis für die künstlerische Verbindung von Idee, Stil und Handlung im Don Quijote gegeben, eine Erkenntnis, die dazu geeignet sein mag, das Märchen von der kompositionellen Unbekümmertheit des Romans zu erschüttern und seine literarhistorische Bedeutung auch nach der rein formalen Seite hin stärker zu stützen“ (Hatzfeld 1927: 20).

Antithese als Stilmittel

Für Hatzfeld steht auch das Stilmittel der Antithese im Dienste der Ideengestaltung im Don Quijote. Die Quijote-Forschung habe zwar von jeher auf die makrokosmische Ausdeutungsmöglichkeit des Gegensatzes Don Quijote-Sancho hingewiesen und darin die Gegensätze von Ideal und Wirklichkeit, Gott und Welt, Geist und Fleisch, Dichtung und Wahrheit u.a. festgestellt. Hatzfeld aber weist auf die Nuancen hin, die die sprachliche Ausgestaltung der Antithese, des Haupt- und Grundkontrasts, im Laufe des Romans erfährt. Für ihn ist Sancho trotz seines offenkundigen Gegensatzes zu Don Quijote auch dessen harmonische Ergänzung: „[…] weil Cervantes diesen Gegensatz so empfindet, ist auch seine stilistische Formung der Antithese Quijote – Sancho, soweit er sie subjektiv, als Autor und Betrachter gibt, milde, d.h. der gedankliche Gegensatz ist sprachlich verwischt, ein strenger Parallelismus der Glieder, jede rhetorische Note ist vermieden, der Gegensatz wird vielmehr unaufdringlich, oft chiastisch, meist mit Verwischung des gegensätzlichen Parallelismus erzielt“ (Hatzfeld 1927: 21). Zur Veranschaulichung seiner Behauptung dienen ihm die Beispiele wie „(s)e partieron los dos […] Don Quijote desarmado y de camino, Sancho a pie por ir el rucio cargado con las armas“ oder auch „Don Quijote con intrépido corazón se estuvo quedo, y Sancho Panza se escudó con las ancas de Rocinante“. Für Hatzfeld liefern solche Textstellen den Nachweis dafür, dass Don Quijote und Sancho in einer milden Form der Antithese dargestellt werden, bei der einzelne Glieder kaum noch als Kontrast empfunden werden können (Hatzfeld 1927: 22).

Hatzfeld analysiert in Don Quijote als Wortkunstwerk auf diese Weise sehr detailliert die im Don Quijote anzutreffenden Stilmittel und deren Sinn und führt dabei einige Beobachtungen zusammen, die er bereits zwischen 1924 und 1927 in Einzelaufsätzen publiziert hatte. Seine Studie macht sich dabei die neueren Forschungsmethode der stilistisch ausgerichteten Literaturwissenschaft zunutze, die durch Oskar Walzel, Karl Vossler und Leo Spitzer verkörpert wurde (vgl. Hatzfeld 1927: Vorwort).

Stilforschung im Rückblick der 1970er Jahre

In der Einleitung des von ihm beinahe 50 Jahre später, also Mitte der 1970er Jahre, herausgegebenen Sammelbandes zur Stilforschung, der ältere Beiträge versammelt, hielt sich Hatzfeld das Wirken dieser Protagonisten der literaturwissenschaftlichen Stilforschung noch einmal vor Augen. Vossler habe als erster die Komplexität des modernen Stilproblems erkannt und die Auffassung geteilt, dass die Erforschung der Sprachkunst mindestens ebenso wichtig sei wie die Erforschung der Dialekte. Er gilt daher als Begründer der modernen Stilforschung. Eugen Lerch, der ebenso wie Hatzfeld ein Schüler von Vossler war, habe sich mit dem stilistisch-psychologischen Sinn der syntaktischen Tempora sowie Modi beschäftigt und sich vor allem darum bemüht, die verschiedenen Möglichkeiten der Wortstellung in der Literatursprache zu analysieren. Er habe dabei anhand von lateinischen und romanischen (besonders französischem Material) sieben Typen der Wortstellung unterschieden und mentalistisch interpretiert. Zu den größten modernen Stilforschern der 1920er Jahre zählt Hatzfeld schließlich Leo Spitzer. Spitzer sei von der stilistischen Idiomatologie der Nationalsprachen angetan gewesen, und unter diesen besonders von der des Spanischen. Spitzers Beitrag zur „Fait-Accompli-Darstellung im Spanischen“ (ursprünglich 1927) druckte Hatzfeld entsprechend in diesem Sammelband ab. Für Spitzer sei die utopische, quijoteske Vorwegnahme einer zukünftigen, möglichen oder sogar unwahrscheinlichen Handlung durch die grammatische Zeit typisch für das Spanische (vgl. für den Absatz Hatzfeld 1975: Einleitung).

Deutlich wird in diesem Band, dass für Hatzfeld insbesondere mit den Studien von Eugen Lerch, Leo Spitzer und ihm selbst die romanistische Stilforschung in den 1920er Jahren erste hochqualitative Forschungsbeiträge im Hinblick auf die literarischen Variationen des sprachlichen Ausdrucks zur Verfügung stellte und auf diese Weise auch Einfluss auf die methodische Entwicklung der romanistischen Literaturwissenschaft in den darauffolgenden Jahrzehnte nahm.

Empfohlene Zitierweise

Nicole Buchalik: Der Romanist Helmut Anthony Hatzfeld: Ein Essay über seine Würdigung des "Don Quijote" am Beispiel der Stilmittel im Dienste der Ideengestaltung. In: Frankfurter Literaturwissenschaftler 1914-1945, hg. von Frank Estelmann und Bernd Zegowitz. 2014. Onlinefassung. URL: http://use.uni-frankfurt.de/literaturwissenschaftler/hatzfeld/buchalik.


Literatur

Castro, A. (1925): El pensamiento de Cervantes. Madrid

De los Ríos, V. (1776): Análisis del Quijote. Impresa en la edición académica del Quijote de 1780

Hatzfeld, Helmut (1927): Don Quijote als Wortkunstwerk. Die einzelnen Stilmittel und ihr Sinn. Leipzig, Berlin

Hatzfeld, Helmut (Hg.) (1968): Don Quijote. Forschung und Kritik. Darmstadt

Hatzfeld, H. (1975) (Hg.): Romanistische Stilforschung. Darmstadt

Spitzer, Leo (1928): „Fait-Accompli-Darstellung im Spanischen. Ein Versuch der Erfassung von Wesenszügen eines Sprachstils“, in: Hatzfeld 1975

Strosetzki, C. (1991): Miguel de Cervantes. Epoche – Werk – Wirkung. München

Valera, J. (1864): Sobre el Quijote y sobre las diferentes maneras de comentarle y juzgarle. Madrid