Der Gründungsprozess - Erste Phase (1895-1909): Die geographische und institutionelle Zusammenfassung
von Pascal Balló
Adickes selbst datiert seinen „ersten amtlichen Universitätsgedanken“ auf den 28.05.1895, an dem er ein vertrauliches Schreiben an den Magistrat aufsetzte. In diesem Schreiben hob er hervor, dass die Hoffnung, in Frankfurt eine Universität zu gründen vorerst unrealistisch wäre, da die Unterhaltung einer solchen Hochschule die finanziellen Mittel der Stadtgemeinde bei weitem übersteigen würden. Das gölte umso mehr, da sich der Staat nicht an den entstehenden Kosten beteiligen würde. [Anm. 1] Neben dieser Feststellung forderte er jedoch den Magistrat ausdrücklich auf, jede Chance zu ergreifen, um das Fernziel einer Universitätsgründung irgendwann umsetzen zu können: „Andererseits bleibt für das hiesige geistige und wissenschaftliche Leben die Notwendigkeit bestehen, jede Gelegenheit zur Heranziehung geistiger Capazitäten und zur Begründung entwicklungsfähiger wissenschaftlicher Institute zu benutzen.“ [Anm. 2] Eine solche erste Gelegenheit ergab sich noch im selben Jahr als der preußische Ministerialdirektor Friedrich Althoff an Adickes herantrat, um die Chancen einer Institutsgründung für Serumforschung und experimentelle Therapie in Frankfurt am Main auszuloten. Nach langen Verhandlungen konnte das Institut am 10.10.1899 unter der Leitung des Mediziners Paul Ehrlich in Frankfurt seine Arbeit aufnehmen. [Anm. 3] Entscheidend war jedoch, dass das Institut nicht im luftleeren Raum stehen, sondern mit den schon vorhandenen medizinischen Instituten verbunden werden sollte. [Anm. 4] Fortan arbeitete Adickes daran, durch die Neugründung weiterer Stiftungen die Grundlage zur Errichtung einer Universität zu schaffen. [Anm. 5]
Mit Wilhelm Mertons Institut für Gemeinwohl errichtete die Stadt Frankfurt 1901 die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften. Die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften wurde von der Stadt Frankfurt und Mertons Institut für Gemeinwohl in Höhe von jeweils 30.000 Mark finanziert. Die Polytechnische Gesellschaft und die Handelskammer steuerten jeweils 5.000 Mark dazu. [Anm. 6] Die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften intendierte die sozialwissenschaftliche Ausbildung von Beamten und von Personen, die in Konzernen o. ä. arbeiteten. Gleichzeitig sollten wirtschaftliche Fortbildungskurse für Kaufleute und Industrielle angeboten werden. [Anm. 7] Resultierend aus einer Denkschrift von Adickes, in der er die Gründung einer philosophischen Fakultät in Hinblick für eine spätere Universitätsgründung forderte, gründeten die jüdischen Bankiers Georg und Franziska Speyer die mit 1.000.000 Mark dotierte Georg und Franziska Speyer-Studienstiftung. [Anm. 8] Mit diesen Erträgen sollte u. a. ein Lehrstuhl für Geographie sowie für neuere Sprachen an der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften unterhalten werden. [Anm. 9] Die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften entwickelte sich – wie von Adickes erwünscht – im Sinne einer Universität, sodass diese zu Recht als das „Fundament“ [Anm. 10] oder als die „Urzelle“ [Anm. 11] der späteren Stiftungsuniversität bezeichnet werden kann. [Anm. 12]
Schon bald litt die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften unter Raumnot, da sie weitere Stiftungen verzeichnen konnte. [Anm. 13]
Mit dem testamentarischen Nachlass von Carl Franz und Friedrich Martin August Jügel, der ein weiterer wichtiger Schritt zur Universität darstellte, sollte dem Abhilfe geleistet werden. [Anm. 14] Allerdings war die Einsetzung des Jügel-Testamentes, das beachtliche 2.000.000 Mark umfasste, für akademische Zwecke nur gegen massiven Widerstand durchzusetzen. Der Verwendungszweck der Jügel-Brüder, der der Stadt zur Auflage machte, die Stiftung nach ihrem Vater Carl Christian Jügel zu benennen, war nämlich allgemein formuliert. Demnach sollte die zu begründende Carl Christian Jügel-Stiftung „einen einzigen Zweck verfolgen und zwar, sei es im Gebiete der öffentlichen Armen- und Krankenpflege, sei es im Gebiete des Schul- und Unterrichtswesens, zur Errichtung entweder eines allgemein städtischen Krankenhauses oder einer allgemein öffentlichen höheren Unterrichtsanstalt dienen.“ [Anm. 15] Während große Teile der Frankfurter Öffentlichkeit mit dem Geld ein Altersheim begründet sehen wollten, wollte Adickes, der die Universitätsgründung vor Augen hatte, die mit 2.000.000 Mark dotierte Carl Christian Jügel-Stiftung zu akademischen Zwecken verwenden. [Anm. 16] Er setzte sich nach heftigen Diskussionen mit einer knappen Entscheidung durch, sodass die Carl Christian Jügel-Stiftung beschloss, ein für akademische Zwecken zu verwendendes sogenanntes Jügel-Haus zu bauen, in dem Vorlesungen „auf dem Gebiete der Geschichte, der Philosophie und der deutschen Sprache, sowie der Literatur“ [Anm. 17] gehalten werden sollten. [Anm. 18] In § 7 der Stiftungssatzung – wohl eine etwaige Universitätsgründung im Blick – wurde die Möglichkeit schriftlich festgehalten, sich mit anderen wissenschaftlichen Stiftungen zusammenzuschließen. [Anm. 19]
Hinsichtlich des Grundstücks, auf dem das noch zu bauende Jügel-Hauses entstehen sollte, wollte sich der Vorstand der Carl Christian Jügel-Stiftung an die Stadt wenden. Der Frankfurter Oberbürgermeister nahm dies zum Anlass, das Jügel-Haus, die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften sowie die auch unter Raumnot leidende Dr. Senckenbergische Stiftung, die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft und den Physikalischen Verein geographisch und institutionell zusammenzufassen. [Anm. 20]
In mehrjährigen Verhandlungen schaffte es Adickes, die Gebäude der Carl Christian Jügel-Stiftung, der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften, der Dr. Senckenbergische Stiftung, der Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft und des Physikalischen Vereins nah beieinander anzusiedeln. [Anm. 21] Darüber hinaus wurden diese Stiftungen institutionell lose miteinander verbunden. Hierfür wurden Verträge zwischen den einzelnen Stiftungen geschlossen, in denen u. a. die gegenseitige Nutzung der Räumlichkeiten, die Eigentumsverhältnisse und die Finanzierung bestimmter Bauvorhaben sowie des Lehrbetriebes vereinbart wurden. [Anm. 22] So litt bspw. die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften nicht mehr unter Raumnot, da ihre Dozenten nun auch in dem Jügel-Haus lehren konnten. [Anm. 23]
Parallel zur Zusammenfassung der genannten Stiftungen wurde in Frankfurt 1904 die Errichtung einer Akademie für praktische Medizin diskutiert. Hierfür baute bspw. die Dr. Senckenbergische Stiftung ihr hygienisches Institut aus und errichtete ein pathologisches Institut. Das Herzstück dieser medizinischen Akademie sollte das von der Witwe Georg Speyers 1904 versprochene Georg Speyer-Haus sein, das als ein Forschungsinstitut für Chemotherapie fungieren sollte. Zwar scheiterte der Plan, eine Akademie für praktische Medizin zu errichten, am Widerstand der Stadtverordnetenversammlung, doch konnte die medizinische Fakultät der späteren Frankfurter Universität von den hierfür gegründeten medizinischen Kliniken profitieren. Hierunter ist insbesondere das im Jahr 1906 gegründete Georg Speyer-Haus zu nennen. [Anm. 24] Die Witwe Georg Speyers stattete das Georg Speyer-Haus, das über die Georg und Franziska Speyer-Studienstiftung finanziert wurde, mit 1.000.000 Mark aus und ernannte Ehrlich als den Leiter dieses Hauses. [Anm. 25]
Zwei Jahre später wurde gemäß des Testamentes Georg Speyers und durch eine Subvention in Höhe von 100.000 Mark durch seine Ehefrau die Georg Speyer-Stiftung gegründet, deren Zweckbestimmung „die Förderung der Wissenschaft und des höheren wissenschaftlichen Unterrichts durch Vermittlung der in Frankfurt am Main bestehenden Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften, bezw. der etwa später an deren Stelle tretenden wissenschaftlichen Anstalt in Frankfurt am Main“ [Anm. 26]war. Am Beispiel der Satzung der Georg Speyer-Stiftung wird die Intention deutlich, das Fundament zu schaffen, um die in Frankfurt bestehenden Institute zu einer Universität zusammenzuschließen. [Anm. 27]
Die Grundlagen waren nunmehr geschaffen: Die maßgeblichen Stiftungen lagen nah beieinander und waren durch Verträge institutionell – ohne ihrer rechtlichen Zweckbestimmungen entfremdet worden zu sein – lose miteinander verbunden. Der testamentarische Nachlass des Speyer-Ehepaares Ende 1909 leitete nun die zweite Phase des Gründungsprozesses ein.
Anmerkungen
[1] Vgl. Adickes, Persönliche Erinnerungen, S. 23.
[2] Zitiert nach ebd., S. 23.
[3] Vgl. Wachsmuth, Gründung, S. 38f.
[4] Vgl. Heilbrunn, Gründung, S. 59.
[5] Vgl. Kluke, Stiftungsuniversität, S. 51.
[6] Vgl. Heilbrunn, Gründung, S. 21; vgl. auch Wachsmuth, Gründung, S. 13ff. Im Jahr 1907 erhöhte Merton die Subventionen auf 70.000 Mark. Vgl. ebd., S. 15.
[7] Vgl. Wolf, Wilhelm Merton, S. 358.
[8] Die Denkschrift von Adickes ist bei Wachsmuth, Gründung, Anlage 8, S. 138-142 abgedruckt.
[9] Vgl. Schiebler, Hauptteil, S. 88.
[10] Kluke, Stiftungsuniversität, S. 57.
[11] Müller, Stiftungen, S. 148.
[12] Vgl. Kluke, Stiftungsuniversität, S. 60. Ferner basierte die Verwaltungsstruktur der späteren Stiftungsuniversität auf der Satzung der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften. Vgl. Wachsmuth, Gründung, S. 13; Heilbrunn, Gründung, S. 39. Die Satzung der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften ist bei Wachsmuth, Gründung, Anlage 6 und 7, S. 132-138 abgedruckt.
[13] Auch der Mitgründer, Eugen Lucius, der Farbwerke Höchst AG gründete – für philosophische Vorlesungen – die Dr. Lucius-und-Meister‘sche Studienstiftung in Höhe von 500.000 Mark. Vgl. Müller, Stiftungen, S. 149.
[14] Vgl. ebd., S. 149f.
[15] Zitiert nach Wachsmuth, Gründung, S. 27.
[16] Müller, Stiftungen, S. 149f; vgl. auch Heilbrunn, Gründung, S. 38-42. Adickes war Vorsitzender der Testamentskommission, vgl. Kluke, Stiftungsuniversität, S. 58.
[17] § 1 der Carl Christian Jügel-Stiftung. Die für den Gründungsprozess relevanten Paragraphen sind bei Wachsmuth, Gründung, Anlage 9, S. 142 abgedruckt.
[18] Vgl. ebd., S. 27f.
[19] Vgl. § 7 der Stiftungssatzung bei ebd., Anlage 9, S. 142.
[20] Vgl. ebd., S. 28.
[21] Wachsmuth und Heilbrunn haben diese Zusammenführung ausführlicher geschildert, vgl. ebd., S. 28-36; vgl. auch Heilbrunn, Gründung, S. 43-53.
[22] Die Verträge sind bei Wachsmuth, Gründung, Anlagen 10-15, S. 143-153 abgedruckt.
[23] Vgl. ebd., Anlage 15, S. 152f.
[24] Gerhard Schiebler gibt das Gründungsjahr mit 1907 an, vgl. hierzu Schiebler, Hauptteil, S. 66.
[25] Vgl. Schembs, Speyer, S. 42f. Ausführlicher sind die Darstellungen bei Wachsmuth, Gründung, S. 37-46 und bei Heilbrunn, Gründung, S. 57-74.
[26] Das Testament ist zu finden im IfS: Georg und Franziska Speyer’sche Forschungsstiftung, Stiftungsabteilung 450. Ausführlicher zur Entstehung der Speyer-Stiftung, vgl. Schembs, Speyer, S. 46; vgl. auch Heilbrunn, Gründung, S. 52f.
[27] Vgl. ebd., S. 53.
Pascal Balló, Der Gründungsprozess - Erste Phase (1895-1909): Die geographische und institutionelle Zusammenfassung [Teilabschnitt aus: Pascal Balló, Die Gründung der Universität Frankfurt und ihre Stifter jüdischer Herkunft], in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 15.08.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/36stifter/ballo/stiftungstradition/gruendung-phase1/.