Das Besatzungsstatut für die westlichen Besatzungszonen bzw. für die Bundesrepublik Deutschland
von Lisa Fissel
Seit 1947 wurde in Deutschland der rechtliche Status des Landes zunehmend diskutiert. Man war sich parteiübergreifend einig, dass eine Definition der rechtlichen Beziehungen zwischen Deutschland und den Besatzungsmächten notwendig sei und forderte ein Besatzungsstatut. Dieses sollte jedoch nicht nur die rechtlichen Beziehungen definieren, sondern außerdem die Funktion einer vorübergehenden Verfassung bis zur Unterzeichnung eines Friedensvertrages erfüllen bzw. eine solche erlassen werden, bevor eine neue staatsrechtliche Form Deutschlands geschaffen werden sollte. Von deutscher Seite wurden verschiedene Vorschläge für ein solches Besatzungsstatut erarbeitet, es war jedoch Aufgabe der Alliierten, das Besatzungsstatut auszuarbeiten und zu erlassen. [Anm. 1]
Am 1. Juli 1948 verkündeten die Militärgouverneure der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone im Rahmen der Dokumente zur künftigen politischen Entwicklung (West-)Deutschlands, den sogenannten Frankfurter Dokumenten, Grundzüge eines Besatzungsstatuts (Dokument Nr. III). Diese entsprachen jedoch kaum den deutschen Vorstellungen. Zwar wurden der künftigen deutschen Regierung Befugnisse der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung gewährt, gleichzeitig behielten sich die Militärgouverneure zahlreiche Zuständigkeiten vor, wodurch die Selbstverwaltung (West-)Deutschlands erheblich eingeschränkt wurde.
Die Grundsätze, auf denen das Besatzungsstatut beruhen sollte, definierten die Militärgouverneure als
A. Selbstverwaltung mit Einschränkung,
B. Wiederaufnahme der alliierten Machtbefugnisse im Falle eines Sicherheitsnotstandes und
C. Verfahren zur Kontrolle der Aktivitäten der Bundesregierung.
Informationen zur Veranstaltung
Dozent: Dr. des. Markus Häfner
Veranstaltungsart: Übung
Semester: SoSe 2014
Fachbereich / Institut: Philosophie und Geschichtswissenschaften (FB 08), Historisches Seminar
Grundsatz A gestand der künftigen deutschen Regierung „Befugnisse der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung“ [Anm. 2] unter dem Vorbehalt verschiedener Zuständigkeiten zu. Diese Zuständigkeiten betrafen a) Deutschlands Beziehungen zu anderen Staaten, b) Kontrolle des deutschen Außenhandels inklusive Kontrolle der entsprechenden innenpolitischen Richtlinien und Maßnahmen, c) Kontrolle über die Internationale Ruhrbehörde, Reparationen, Stand der Industrie, Dekartellisierung, Abrüstung und Entmilitarisierung sowie über bestimmte Gebiete der Forschung, d) Belange der Besatzungsstreitkräfte, e) die Einhaltung der zu genehmigenden Verfassung. Gleichzeitig sicherten die Militärgouverneure der Bundesregierung sowie den Länderregierungen Beobachtung, Beratung und Unterstützung bei der Demokratisierung des Landes in politischer und sozialer Hinsicht zu. [Anm. 3]
Die Alliierten erwarteten von den deutschen Ministerpräsidenten eine Stellungnahme zu den Dokumenten, weshalb die Ministerpräsidenten vom 8. bis zum 10. Juli 1948 in Koblenz zusammenkamen, um über diese zu diskutieren. [Anm. 4] Die Diskussion zu Dokument Nr. III war geprägt von der Enttäuschung über geringen Spielraum der künftigen deutschen Regierung, [Anm. 5] von der Überzeugung, ein Besatzungsstatut müsse vor einer neuen Verfassung erlassen werden, und von dem Wunsch, das Besatzungsstatut bringe in Bezug auf die Gründung eines Weststaats den Willen der Westmächte zum Ausdruck. [Anm. 6] Das Ergebnis dieser Diskussion waren „Leitsätze für ein Besatzungsstatut“, in denen die Ministerpräsidenten detaillierte Gegenvorschläge ausgearbeitet hatten. [Anm. 7]
Eine solche Antwort hatten die Militärgouverneure nicht erwartet. Während der amerikanische Militärgouverneur General Clay außer sich war vor Wut, da er seine Bemühungen um die deutsche Souveränität scheitern sah, war es genau das, was den französischen Militärgouverneur, General Koenig, erfreute. Den deutschen Ministerpräsidenten war im Vorfeld ihrer Besprechungen jedoch nicht klar gewesen, welche Tragweite die Frankfurter Dokumente und ihre darauf verfasste Antwort hatten. Erst zu diesem Zeitpunkt erfuhren sie, dass die Frankfurter Dokumente nicht zur Diskussion standen und ihre Stellungnahme keinerlei Forderungscharakter haben sollte. [Anm. 8] Der britische Militärgouverneur, General Robertson, der zwischen den alliierten Beschlüssen und der deutschen Antwort zu vermitteln suchte, machte klar, im Falle des Besatzungsstatuts seien keine Änderungen oder Kompromisse möglich. Es könne auf keinen Fall vor den Beratungen über eine neue deutsche Verfassung verkündet werden. [Anm. 9]
Die deutschen Beratungen über das Grundgesetz und dessen Ausarbeitung dauerten bis zum Mai des folgenden Jahres. Am 12. Mai 1949 wurde das Grundgesetz von den Militärgouverneuren Clay, Robertson und Koenig genehmigt. Gleichzeitig verkündeten sie das Besatzungsstatut, das in Kraft treten sollte, sobald die erste Bundesregierung gewählt wurde. Die Befürchtungen von deutscher Seite bestätigten sich nicht, das Besatzungsstatut war weit weniger beschränkend, als es im Jahr zuvor den Anschein hatte. [Anm. 10]
Die Beratungen, die zum Besatzungsstatut auf alliierter Seite geführt wurden, waren schwierig und langwierig. Erst im April 1949 konnten sich die Alliierten in Washington auf den endgültigen Wortlaut des Besatzungsstatuts einigen. [Anm. 11] Darin sicherten sie Deutschland 1. volle gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Gewalt, unter Vorbehalt der in 2. genannten Zuständigkeiten. Diese betrafen a) Entwaffnung und Entmilitarisierung, b) die Kontrolle über die Ruhr, Restitutionen, Reparationen, Dekartellisierung, Dezentralisation, Ausschluss von Diskriminierungen in Handelsangelegenheiten sowie die ausländischen Interessen in und die Ansprüche gegen Deutschland, c) die Außenbeziehungen Deutschlands, d) Flüchtlinge und verschleppte Personen, e) Belange der Alliierten Streitkräfte und ihrer Angehörigen, f) die Beachtung des Grundgesetzes und der Länderverfassungen, g) Überwachung des Außenhandels und der Devisenwirtschaft, h) die Überwachung der Innenpolitik Deutschlands, i) die Überwachung deutscher Gefangener, die von den Alliierten angeklagt bzw. verurteilt wurden. Gleichzeitig betonten die Alliierten, dass sie die Regierungsgeschäfte der Bundesrepublik nur auf den genannten Gebieten übernehmen wollten, sich jedoch das Recht vorbehielten, im Notfall jegliche Machtbefugnisse ganz oder teilweise wieder aufzunehmen. [Anm. 12]
Die Militärgouverneure hatten ihre Arbeit getan und wurden von der neu gegründeten Alliierten Hohen Kommission abgelöst. Diese überwachte und kontrollierte die Arbeit der Bundesregierung, bis die Bundesrepublik Deutschland 1955 im Rahmen der Pariser Verträge ein vollwertiger souveräner Staat und NATO-Mitglied wurde. [Anm. 13]
1 Vgl. Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle. Band 1: Vorgeschichte. Bearbeitet von Johannes Volker Wagner, Boppard 1975, S. LXIXf.
2 Ebd., S. 33.
3 Vgl. ebd., S. 33ff.
4 Vgl. Benz, Wolfgang: Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949 (= Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte 22). Zehnte, völlig neu bearbeitete Auflage, Stuttgart 2009, S. 189f.
5 Die Deutschen empfanden die Grundzüge des Besatzungsstatuts als demütigenden Rückschritt in den Beziehungen zwischen Deutschland und den Alliierten, vgl. Der Parlamentarische Rat 1948-1949, S. LXX.
6 Vgl. Blank, Bettina: Die westdeutschen Länder und die Entstehung der Bundesrepublik. Zur Auseinandersetzung um die Frankfurter Dokumente vom Juli 1948 (= Studien zur Zeitgeschichte 44), München 1995, S. 42.
7 Der Parlamentarische Rat 1948-1949, S. 148ff.; vgl. Benz: Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949, S. 190-193; Blank: Die westdeutschen Länder und die Entstehung der Bundesrepublik, S. 44f.
8 Vgl. Benz: Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949, S. 193f; Blank: Die westdeutschen Länder und die Entstehung der Bundesrepublik, S. 35f.
9 Parlamentarischer Rat.
10 Vgl. Benz: Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949, S. 206f.
11 Vgl. Blank: Die westdeutschen Länder und die Entstehung der Bundesrepublik, S. 58.
12 Vgl. Amtsblatt der Hohen Alliierten Kommission in Deutschland, Nr. 1 v. 23.9.1949, S. 13-15.
13 Vgl. Benz, Wolfgang: Die Gründung der Bundesrepublik. Von der Bizone zum souveränen Staat, 5. Aufl., München 1999, S. 156.
Lisa Fissel, Das Besatzungsstatut für die westlichen Besatzungszonen bzw. für die Bundesrepublik Deutschland, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 14.10.2014, URL: https://use.uni-frankfurt.de/igf/fissel/.