Die mediale Kommunikation der RAF - erläutert am Beispiel der Berichterstattung nach dem Anschlag auf das IG Farben-Haus am 11. Mai 1972

von Maurice Heizmann

„Terrorismus ist primär eine Kommunikationsstrategie“ [Anm. 1], so der Soziologe Peter Waldmann. Diese Aussage zeigt, welche Bedeutung die Kommunikation für terroristische Vereinigungen hat. Um die Gesellschaft zu erreichen, um mit ihr zu kommunizieren, braucht der Terrorismus eine Plattform, die möglichst viele Menschen erreicht: Massenmedien wie Zeitungen. Der Terrorismus benötigt folglich die Medien, um seine Botschaft in die Gesellschaft zu tragen. Wie dies im Falle des Anschlags der Roten Armee Fraktion (RAF) auf das Hauptquartier des V. Korps der US-amerikanischen Streitkräfte in Frankfurt am 11. Mai 1972 geschah, soll im Folgenden erklärt werden.

Der Anschlag auf das Hauptquartier des V. Korps der US-amerikanischen Streitkräfte in Frankfurt

Die RAF war eine linksterroristische Vereinigung, welche ihre Wurzeln in der Studentenbewegung der späten 1960er Jahre hatte, und für zahlreiche politisch motivierte Morde, Anschläge und Entführungen verantwortlich war. In die Anfangsphase der RAF fiel auch der Anschlag auf das Hauptquartier des V. Korps der US-amerikanischen Streitkräfte in Frankfurt. Er war Teil der sogenannten Mai-Offensive der RAF, die am 11. Mai 1972 mit dem Anschlag in Frankfurt begann. Insgesamt umfasste die Mai-Offensive sechs Anschläge innerhalb weniger Tage. [Anm. 2]

Sie war eine im Nachkriegsdeutschland noch nie dagewesene Reihe von terroristischen Attentaten. Durch diese Besonderheit bekam die RAF eine große Medienpräsenz. Alle Massenmedien, wie Zeitungen, TV und Hörfunk, berichteten über die Anschlagsserie und boten der RAF so eine Plattform. Die Gründe für die Anschläge waren verschieden. Allen gemein ist die ideologische Begründung. Nur direkte Feinde der Ideologie der RAF sollten Ziele von Anschlägen sein. Während die Anschläge auf US-amerikanische Einrichtungen mit der antiimperialistischen und antiamerikanistischen Haltung der RAF begründet wurden, wurde ein Bombenattentat auf das Springer-Verlagshaus mit der antikommunistischen Haltung des Springer-Verlags gerechtfertigt. Die Anschläge auf Polizei und Richter begründete die RAF mit deren Aktivität für die, von der RAF verhassten, Staatsmacht. [Anm. 3]

Das Hauptquartier des V. Korps der US-amerikanischen Streitkräfte mit Sitz im IG-Farben-Haus stellte am 11. Mai 1972 das Ziel des ersten Bombenanschlags der Mai-Offensive dar. Am frühen Abend wurden insgesamt drei Bomben auf dem Gelände gezündet. Zwei Bomben waren im Foyer des Hauptquartiergebäudes platziert, die dritte Bombe am Eingang des Terrace Club. Durch die Detonationen wurden der US-amerikanische Oberstleutnant Paul A. Bloomquist getötet und 17 weitere verletzt. [Anm. 4] Drei Tage später bekannte sich die RAF mittels einer Kommandoerklärung zu dem Anschlag. [Anm. 5]

Als Grund für den Anschlag nannten die Verfasser der Kommandoerklärung die US-amerikanischen „Verbrechen am vietnamesischen Volke“ [Anm. 6], genauer die „Bombenblockade der US-Imperialisten gegen Nordvietnam“[Anm. 7] . Gemeint ist die Operation Linebacker im Rahmen des Vietnamkriegs seitens der US-amerikanischen Streitkräfte als Reaktion auf die Oster-Offensive der Vietnamesischen Volksarmee. [Anm. 8] Am Tag des Anschlags befahl US-Präsident Richard Nixon eine Seeblockade gegen Nordvietnam und eine Verminung der Häfen. Dies stellte die erste große US-amerikanische Offensive seit 1968 dar. Die RAF wollte mit dem Anschlag zeigen, dass sie einerseits die Politik der USA verachten und andererseits diese Verachtung durch Anschläge kundtun.

Informationen zur Veranstaltung

Blick auf das IG-Hochhaus

Dozent: Dr. des. Markus Häfner
Veranstaltungsart: Übung
Semester: SoSe 2014
Fachbereich / Institut: Philosophie und Geschichtswissenschaften (FB 08), Historisches Seminar

Die mediale Kommunikation der RAF

Für terroristische Vereinigungen wie die RAF sind drei Schritte entscheidend, um erfolgreich über die Massenmedien zu kommunizieren. [Anm. 9] Um die Aufmerksamkeit der Massenmedien zu erreichen, müssen die Taten der terroristischen Vereinigung, in diesem Fall die der RAF, „so spektakulär, grausam oder ungewöhnlich sein, dass die Öffentlichkeit sie nicht ignorieren kann.“ [Anm. 10] Dies traf auf den Anschlag der RAF auf das Hauptquartier des V. Korps der US-amerikanischen Streitkräfte in Frankfurt zu. Somit stellte diese Tat an sich schon eine Form der Kommunikation dar und ist der erste Schritt der genannten Strategie. Durch den Anschlag wurden die Massenmedien und über diese ein großes Publikum auf die terroristische Vereinigung und ihre Ziele aufmerksam. Im Falle des Anschlags der RAF in Frankfurt lässt sich dies an den Titelseiten der FAZ, FR und FNP erkennen. [Anm. 11] Alle drei Zeitungen berichteten ausführlich über das Ereignis.

Ist eine mediale Präsenz geschaffen, folgt der zweite Schritt. Die Gruppe muss sich zu der Tat bekennen oder anderweitig verdeutlichen, dass sie sie verübt hat. Im dritten Schritt erklärt die Gruppe, was sie mit der Tat beabsichtigt, indem sie ein Bekennerschrieben oder ähnliches veröffentlicht. [Anm. 12] Der zweite und dritte Schritt fielen beim Anschlag der RAF am 11. Mai 1972 zusammen. Bis zum Erhalt des Bekennerschreibens war den Zeitungen und somit auch der Öffentlichkeit unbekannt, wer die Täter waren und welche Motive sie hatten. Diese Unklarheit beseitigte dann das Bekennerschreiben der RAF. Dieses wurde sowohl in der FAZ, als auch in FR und FNP abgedruckt. [Anm. 13] Dieser Fakt war für die Kommunikationsstrategie der RAF als großer Erfolg zu werten. Durch die Veröffentlichung der Kommandoerklärung im exakten Wortlaut der RAF konnte diese ihre Gründe für die Tat verbalisieren und dem Leser nennen, ohne dass diese durch die Presse verändert werden konnten. Im Hinblick auf die gewünschte Publizität war der Anschlag vom 11. Mai 1972 für die Terroristen ein großer Erfolg.

Massenmedien und Terrorismus – Eine symbiotische Beziehung?

Während Terrorgruppen folglich auf die Berichterstattung der Massenmedien über ihre Taten angewiesen sind, ziehen auch die Massenmedien ihren Nutzen aus den zahlreichen Berichten über die Taten, die Opfer und Ziele der terroristischen Vereinigung. Die Massenmedien erhoffen sich durch die Berichterstattung eine höhere Auflage beziehungsweise Quote. So ergibt sich eine symbiotische Beziehung zwischen Terrorgruppen und Massenmedien, in der jeder Teil den anderen nährt, aber auch gleichzeitig ausbeutet. [Anm. 14]

Durch die Auswahl von Anschlagszielen und die Durchführung des Anschlags haben Terroristen, wie die der RAF zwar einen großen Einfluss darauf, dass über sie in den Massenmedien berichtet wird. Wie ihre Taten allerdings bewertet werden, können die Terroristen nur indirekt beeinflussen. [Anm. 15]

Adressaten der medialen Kommunikation terroristischer Vereinigungen

Allgemein versucht eine terroristische Vereinigung durch die externe Kommunikation verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Zielen zu erreichen. [Anm. 16] Wichtig ist in diesem Rahmen der „interessierte Dritte“. Er steht der terroristischen Aktion neutral bis wohlwollend gegenüber und soll durch die Tat als Sympathisant beziehungsweise Unterstützer gewonnen werden. Weitere Gruppen sind der Feind, dem durch die Taten seine Verletzlichkeit aufgezeigt werden soll, die breite Öffentlichkeit, die Zweifel an der Schutzmacht des Staates bekommen soll und die Mitglieder beziehungsweise Sympathisanten und Unterstützer, die für ihre Haltung Bestätigung erfahren sollen.

Fazit

Der Anschlag der RAF auf das Hauptquartier des V. Korps der US-amerikanischen Streitkräfte in Frankfurt am 11. Mai 1972 kann im Hinblick auf die gewünschte Publizität der Terroristen als ein großer Erfolg gewertet werden. Durch den medienwirksamen Anschlag zog die RAF die Aufmerksamkeit der Zeitungen FAZ, FR und FNP auf sich und ihre Ziele. Mit dem Anschlag erreichte die RAF einhergehend mit der Publizität auch das Abdrucken ihrer Kommandoerklärung in FAZ, FR und FNP. Negativ auf die Ziele der Kommunikationsstrategie der RAF wirkten sich die Verletzten und Todesopfer der Mai-Offensive aus. Die Inkaufnahme von zivilen Opfern seitens der RAF wurde von der Öffentlichkeit abgelehnt. Das Ziel der Kommunikationsstrategie, neue Unterstützer oder Mitglieder zu gewinnen wurde folglich nicht erreicht. Sogar das Gegenteil trat ein: Viele Sympathisanten distanzierten sich von der RAF. Die Öffentlichkeit nahm sie aufgrund der gewalttätigen Anschläge im Rahmen der Mai-Offensive als kriminelle Vereinigung wahr. Die RAF war politisch isoliert und viele RAF-Terroristen wurden in den Wochen nach den Anschlägen gefasst. [Anm. 17]

1 Waldmann, Peter: Terrorismus. Provokation der Macht, München 2001, S. 13.

2 Linke, Vera: Der Terrorismus der Roten Armee Fraktion [Diplomarbeit: Frankfurt 2004], S. 56f.

3 Ebd., S. 57.

4 Kirkpatrick, Charles: Das I.G. Farben-Gebäude als Sitz der Amerikaner. 1945-1995, in: Der Poelzig-Bau. Vom I.-G.-Farben-Haus zur Goethe-Universität, hg. v. Werner Meißner, Dieter Rebentisch und Wilfried Wang, Frankfurt 1999, S. 104-120, hier S. 115.

5 Pflieger, Klaus: Die-Rote-Armee-Fraktion: RAF. 14.5.1970 bis 20.4.1998, Baden-Baden 2004, S. 31.

6 FR v. 16.5.1972: [o.T. / Abdruck der Kommandoerklärung der RAF], S.1.

7 Ebd.

8 Frey, Marc: Geschichte des Vietnamkriegs: Die Tragödie in Asien und das Ende des amerikanischen Traums, München 2010, S. 206.

9 Elter, Andreas: Die RAF und die Medien, in: Die RAF und der linke Terrorismus. Bd. 2, hg. v. Wolfgang Kraushaar, Hamburg 2006, S. 1060-1074, hier S. 1064f.

10 Ebd., S. 1064.

11 FAZ vom 12.5.1972: Anschlag auf amerikanisches Hauptquartier, S.1; FR vom 12.5.1972: Bombenanschlag auf US-Hauptquartier in Frankfurt – Ein Toter, S.1; FNP vom 12.5.1972: Bomben-Terror in Frankfurt, S.1.

12 Elter (2006), hier S. 1064f.

13 FAZ vom 16.5.1972, [o.T. / Abdruck des Bekennerschreibens], S.7; FR vom 16.5.1972, [o.T. / Abdruck des Bekennerschreibens], S.1; FNP vom 16.5.1972, Die „Rote Armee Fraktion“ bekennt sich zu Attentat, S.3.

14 Hoffman, Bruce: Terrorismus – Der unerklärte Krieg: Neue Gefahren politischer Gewalt, Frankfurt 1999, S. 188.

15 Elter (2006), hier S. 1068

16 Ebd., S. 1066; im Folgenden vgl. ebd.

17 Elter, Andreas: Propaganda der Tat: Die RAF und die Medien, Frankfurt 2008, S. 129f.

Maurice Heizmann, Die mediale Kommunikation der RAF - erläutert am Beispiel der Berichterstattung nach dem Anschlag auf das IG Farben-Haus am 11. Mai 1972, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 14.10.2014, URL: https://use.uni-frankfurt.de/igf/heizmann/.

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