Arnold Hirsch
- beantragte im Herbst 1932 seine Habilitation und die Zulassung als Privatdozent in Frankfurt am Main, die er aufgrund seiner Religionszugehörigkeit 1933 zurückziehen musste
- Literatursoziologe mit dem Spezialgebiet der Entstehung des bürgerlichen Romans im Spätbarock
- Schüler von Franz Schultz und Julius Schwietering // Kollege von Leo Löwenthal
- war an der Uni Frankfurt mit Wilhelm Emrich, Martin Sommerfeld, Ernst Erich Noth, Matthias Friedwagner, Helmut Hatzfeld, Erhard Lommatzsch und Hellmuth Petriconi
Arnold Hirsch wurde am 3. Juli 1901 in Weinheim an der Bergstraße als Sohn des jüdischen Fabrikantenehepaars Julius und Maria Hirsch geboren. Nach dem Abitur in Weinheim begann er Studien in verschiedenen deutschen Städten, die er mit der Promotion in Frankfurt am Main abschloss. Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin arbeitete Hirsch drei Monate an der Heidelberger Universitätsbibliothek. 1933 emigrierte er nach Frankreich. Dort war er an der „Freien Hochschule Paris“ tätig und heiratete Lux (Lucinde) Hauser. Nachdem Ende 1938 Hirschs Vater, sein Bruder und dessen Söhne in das KZ Dachau deportiert und erst im Dezember des Jahres als „Auswanderungswillige“ entlassen wurden, trat Hirsch 1940 in die Fremdenlegion ein. Nach der Aberkennung seiner deutschen Staatsbürgerschaft im Jahre 1942 entkam Hirsch einer Erfassung von jüdischen Arbeitern, schloss sich der Résistance an und kämpfte fast zwei Jahre im Widerstand. Ende 1944 kehrte Hirsch nach Paris zurück und beantragte eine Aufenthaltsgenehmigung. Am 30. September 1954 starb er in Paris.
WS 1921/22 bis WS 1926/27 | Literaturstudium in Freiburg, München, Frankfurt am Main, Heidelberg, Frankfurt am Main |
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Sept. 1928 | Promotion in Frankfurt am Main mit Der Gattungsbegriff „Novelle“ unter der Aufsicht von Franz Schultz mit der Benotung sehr gut |
August 1932 | Antrag der Zulassung als Privatdozent für deutsche Philologie (NdL) an der Universität Frankfurt am Main |
Herbst 1932 | Habilitationsgesuch an der Universität Frankfurt am Main mit der Schrift „Das Spätbarock und die Anfänge des bürgerlichen Romans“ unter Schultz und Schwietering |
April 1933 | Rückzug des Habilitationsgesuchs |
1934-1940 | Tätigkeiten in Paris: Deutschunterricht, Korrekturarbeiten, gelegentliche Vorträge und Übungen an der „Freien Deutschen Hochschule“ |
1935-1944 | eingeschränkte oder keine Tätigkeiten aufgrund der politischen Lage Arnold Hirsch schließt sich der Résistance an |
1945-1954 | Lektor für Deutsch an der „École Normale Supérieure“ |
Monographien
- Der Gattungsbegriff "Novelle". Berlin 1928
- Bürgertum und Barock im deutschen Roman. Eine Untersuchung über die Entstehung des modernen Weltbildes. Frankfurt am Main 1934
Aufsätze
- Soziologie und Literaturgeschichte. In: Euphorion 29 (1928), S. 74-82
- Barockroman und Aufklärungsroman. In: Études Germaniques 9 (1954), S. 97-111
- Die Leiden des jungen Werthers. Ein bürgerliches Schicksal im absolutistischen Staat. In: Études Germaniques 13 (1958), S. 229-250
- „Politischer“ Roman und "politische" Lebensführung. Der politische Roman Christian Weises. In: Alewyn, Richard (Hg.): Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. 4. Aufl., Köln 1965, S. 205-226
- Die Entstehung der modernen Seelenlage im Schäferroman. In: Garber, Klaus (Hg.): Europäische Bukolik und Georgik. Darmstadt 1976, S. 306-328
- Die Polemik gegen die höfischen Tugenden in Stockfleths "Macarie". In: Garber, Klaus (Hg.): Europäische Bukolik und Georgik. Darmstadt 1976, S. 329-346
Arnold Hirsch war nicht in der Lehre in Frankfurt am Main tätig.
Arnold Hirsch; Bild: mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Weinheim
Arnold Hirsch – Die Vertreibung eines außergewöhnlichen Wissenschaftlers
Arnold Hirsch war vielfältig interessiert, neugierig und unkonventionell. Auch aus diesem Grund studierte er an unterschiedlichen Universitäten. Er versuchte in seinen Forschungen die soziologische mit der literaturwissenschaftlichen Perspektive zu verbinden und kann auf diese Weise, insbesondere zusammen mit Leo Löwenthal, als einer der Frankfurter Wegbereiter der Literatursoziologie gelten. Seine wissenschaftliche Karriere in Deutschland fand 1933 mit der Emigration nach Frankreich ein Ende.
...Bürgertum und Barock
Unter dem Titel „Das Spätbarock und die Anfänge des bürgerlichen Romans“ reichte Arnold Hirsch im Herbst 1932 seine Habilitationsschrift ein. Es sollte ein Werk über den beginnenden sozialen Wandel im ausgehenden 17. Jahrhundert sein, eines, mit dem Hirsch neue Ansätze in der Barockforschung etablieren wollte. Die 240 Seiten umfassende Studie wurde 1934 trotz allem unter dem Titel „Bürgertum und Barock im deutschen Roman – Eine Untersuchung über die Entstehung des modernen Weltbildes“ veröffentlicht und wird bis heute „in allen Forschungsgebieten über Studien zum Barockroman als Pionierleistung gewürdigt“. [Weiterlesen]
…Rückzug der Habilitation
Nach seiner Promotion lebte Arnold Hirsch in Berlin, um dort Seminare bei Julius Petersen zu besuchen und seine Habilitation vorzubereiten. Im Sommer 1932 kehrte er allerdings nach Frankfurt zurück, um die Zulassung als Privatdozent für deutsche Philologie zu erhalten. Sein Ziel war die Habilitation, die er im Herbst desselben Jahres beantragte. Julius Schwietering und Franz Schultz wurden als Gutachter der Habilschrift bestimmt. Als Hirsch am 9. April 1933 sein Habilitationsgesuch auf Anraten des Dekans Erhard Lommatzsch zurückzog, lag jedoch noch keine Beurteilung der Arbeit vor. [Weiterlesen]
…die Einbußen deutscher Wissenschaft durch den Nationalsozialismus
Durch die Machtergreifung Hitlers wurden viele jüdische Wissenschaftler ihrer Arbeitsstelle und häufig ihrer vollständigen Existenz beraubt. Nach der Machtergreifung emigrierten zwischen 250 000 und 280 000 Menschen und viele davon waren bis dahin in akademischen oder künstlerischen Berufen tätig gewesen. Etwa ein Drittel des Bestandes an habilitierten Lehrkräften wurde entlassen. Dies hatte verheerende Auswirkungen auf die verschiedensten Bereiche der Universitäten. Nicht nur die Studenten konnten in bestimmten Studiengängen nur noch eine qualitativ verminderte Ausbildung erhalten, manche Studiengänge oder Forschungsbereiche wurden komplett geschlossen. Auf diese Weise wurde ein gehegtes, vieljährig aufgebautes geistiges Vermächtnis Deutschlands ausgelöscht. [Weiterlesen]
Im Blick der Nachwelt
Seine Untersuchungen vor allem zum Pikaroman [sic.] – mit der griffigen Formel die „Verbürgerlichung des Pikaro“ – haben in der Forschung großen Anklang gefunden.
Florian Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer - Romaneskes Erzählen zwischen Thomasius und Wieland. Tübingen 2007, S. 29-34
Par sa compétence, sa probité intellectuelle, son inépuisable dévouement, il gagna promptement à la fois l’estime et l’affection de tous. […] Sa mort prématurée, douloureusement ressentie par tous ceux qui eurent l’occasion de le connaître, laisse un grand vide dans la germanistique française.
Claude David: Nécrologie. Arnold Hirsch (1901-1954). In : Études Germaniques 10 (1955), S. 95
Seine literatursoziologisch begründete Methode stieß nach seinem Tode auf großes Interesse, der „Werther“-Aufsatz zählt zu den Paradigmen dieses Interpretationsansatzes. Die harten Jahre der Emigrationszeit in Paris, bei der Fremdenlegion und im Maquis haben die Entfaltung eines originellen Oeuvres behindert.
Gerhard Sauder: Hirsch, Arnold. In: König, Christoph (Hg.): Internationales Germanistenlexikon 1800-1950. Berlin 2003, S. 754-755
Essay
Hirschs literatursoziologischer Ansatz: „Die Leiden des jungen Werthers“ –
ein bürgerliches Schicksal im absolutistischen Staat
von Henrieke Wichert
„Die Leiden des jungen Werthers“ von Johann Wolfgang von Goethe ist ein viel gelesener, häufig interpretierter und literaturwissenschaftlich gut aufgearbeiteter Roman. Seine Veröffentlichung im Jahre 1774 hatte eine nachhaltige und erschütternde Wirkung. Der Roman erlangte durch seine neuartige Darstellung einer liebenden Figur schnell europäische Geltung, die Goethe in einem solchem Maße nicht erahnt hatte. Im Laufe der Zeit wurde der Text sprachlich und stilistisch analysiert, gattungsgeschichtlich eingeordnet sowie etwa autobiographisch und psychologisch interpretiert. [Weiterlesen]
Das Porträt von Arnold Hirsch wurde zusammengestellt von Katharina Maurer und Henrieke Wichert