Franz Schultz
Überanpassung und Wandlungsfähigkeit: Franz Schultz in der Zeit zwischen 1933 und 1945
Vor 1933:
Schultz´ politische Haltung vor 1933 sei als liberal zu beschreiben und er habe einen großen Freundes- und Bekanntenkreis im Bereich des jüdischen Bürgertums Frankfurt gepflegt
Nach Estelmann/Müller: Angepaßter Alltag, S. 43
1933:
Schultz wird „förderndes Mitglied der SS“ und verspricht sich dadurch scheinbar Schutz vor weiteren Parteianfragen (vgl. Hammerstein: Goethe-Universität, S.106)
Eine eindeutige Rekonstruktion und Beurteilung von Schultz´ Verhalten direkt nach der Machtübernahme erweist sich als schwierig, da es zu Unstimmigkeiten hinsichtlich verschiedener Zeitzeugenberichte kommt (vgl. Estelmann/Müller: Angepaßter Alltag, S. 40)
Noth hat in seinen „Erinnerungen eines Deutschen“ folgende Aussagen über Schultz getroffen:
Er zählt Schultz zu den „Märzgefallenen“ und beschreibt, dass dieser „in seiner ersten Vorlesung unter dem Naziregime Gott dafür [gedankt habe], daß mit einer kläglichen geschichtlichen Periode eine ebenso klägliche literarische zum Abschluß gekommen“ sei. (Noth: Erinnerungen, S. 256f.)
Schultz habe zudem im Talar an der von Studienorganisationen durchgeführten Bücherverbrennung im Mai 1933 teilgenommen (vgl. Noth: Erinnerungen, S. 257)
Estelmann/Müller verweisen in ihrem Aufsatz darauf, dass Noths Einordnung von Schultz als „Märzgefallener“ falsch sei, da Schultz „weder der Partei noch einer ihrer Untergliederungen angehört“ habe (zitiert nach Estelmann/Müller: Angepaßter Alltag, S. 42). Unter „Märzgefallenen“ seien eben solche Personen zu verstehen gewesen, die unmittelbar nach dem Wahlsieg der NSDAP im März 1933 durch einen Parteieintritt eine politische Kehrtwende vollzogen haben (vgl. ebd.).
Ob Schultz tatsächlich an der Bücherverbrennung teilgenommen hat, lässt sich nicht eindeutig sagen, da Noth zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr in Deutschland war und er somit kein unmittelbarer Augenzeuge gewesen sein kann (vgl. ebd., S. 43)
Schriftliche Belege über Schultz´ Teilnahme an der Bücherverbrennung aus Frankfurter Tageszeitungen aus diesem Zeitraum liegen nicht vor (vgl. ebd., S. 41)
Die Zeitzeugin Dorothea Hölscher-Lohmeyer war bei Schultz´ Vorlesungen im Frühjahr 1933 vor Ort und erinnert sich an dem Nationalsozialismus konforme und antisemitische Aussagen des Professors (ebd., S. 43). Gleichzeitig glaubt sie jedoch nicht, dass Schultz an einer solchen Bücherverbrennung teilgenommen hätte und äußert, dass sie nichts davon gehört habe und meint zudem auch, dass sich eine solche an der Universität herumgesprochen hätte (Estelmann/Müller: Angepaßter Alltag, S. 44, Zeitzeugengespräch mit der Germanistin Dorothea Hölscher-Lohmeyer vom 18. März 2005)
1933/1934:
Schultz hielt als einziges im Wintersemester 1933/34 eine Vorlesung mit dem Titel „Volk und Erde jüngster deutscher Dichtung“ im Rahmen der als Studium-generale konzipierten Reihe „Volk, Staat und Politik“, die die Studierenden NS-politisch bilden sollte. Da nach diesem Wintersemester keine weiteren solcher Veranstaltungen von Schultz angeboten wurden, lasse sich von einer übereilten Anpassung ausgehen. Auch hinsichtlich der Themenwahl in den von Schultz betreuten Doktorarbeiten während des Nationalsozialismus, seien, vergleicht man diese mit denen seiner übrigen Amtszeit, keine markanten politischen Auffälligkeiten nachzuweisen
Vgl. Estelmann/Müller: Angepaßter Alltag, S. 36f.
1937:
Begleitschreiben von Gutachten des Frankfurter NS-Dozentenbundes über Schultz hinsichtlich seiner (Nicht-)Eignung für eine Neubesetzung eines Lehrstuhls in München:
Schultz sei „in der alten Richtung aufgewachsen, und wenn er auch im allgemeinen guten Sinnes ist, in ihr geblieben ist. Wenn Sie einen alten Mann haben wollten, der charakterlich in Ordnung und wissenschaftlich hochqualifiziert ist, dann dürfte Schultz geeignet sein, wird aber nicht mehr, auch wenn er hier und da Ansätze gezeigt hat, imstande sein, nationalsozialistische Wissenschaft zu betreiben“ (Personalakte Franz Schultz, UAF Abt. 14, Nr. 26, Bl. 13, zitiert nach Estelmann/Müller: Angepaßter Alltag, S. 38f.).
Anonyme Denunziation bei der Universitätsleitung: Schultz pflege „einen eifrigen Kontakt mit dem Juden Rudof Strauß, Weinhändler, Liebigstraße 33“. Die beiden seien regelmäßig gemeinsam im Grüneburgpark spazieren gegangen. (Personalakte Franz Schultz, UAF Abt. 141 Nr. 457, Bl. 113, zitiert nach Estelmann/Müller: Angepaßter Alltag, S. 44). Aus der Dokumentation des Gesprächs von Schultz mit dem Kurator der Universität, August Wisser, ergebe sich ein nicht besonders couragiertes Verhalten von Schultz, jedoch habe er entgegnet, dass er „geglaubt habe, den 70 jährigen Mann nicht durch schroffe Ablehnung verletzen zu sollen“ (Personalakte Franz Schultz, Schreiben von Wisser vom 9.4.1937 an die Kreisleitung der NSDAP in der Gutleutstraße 12, UAF, Abt. 141, Nr. 457, Bl. 114, zitiert nach Estelmann/Müller: Angepaßter Alltag, S. 38f.).
Zitiert nach Estelmann/Müller: Angepaßter Alltag, S. 38f.
1940:
Trotz seiner als liberal geltenden Grundhaltung weist Schultz in manchen seiner Schriften eine gewisse Anfälligkeit für antisemitische Wendungen oder sprachliche Zugeständnisse zum Nationalsozialismus in diesem Zeitraum auf, so zum Beispiel in einer kleinen Einführung in die Deutsche Romantik. Schultz schreibt, dass die „aufkommende jüdische Emanzipation leichtes Spiel“ mit dem jungen Friedrich Schlegel gehabt habe „und er den klugen Berechnungen seiner Freundin und späteren Gattin Dorothea, der Tochter des Moses Mendelsohn, unterlag“
Schultz: Die deutsche Romantik, Köln 1940, S. 23f.
1942:
Schultz ist der Herausgeber der Anthologie „Elsässische und lothringische Dichter der jüngsten Vergangenheit“. Im Gegensatz zu seinen anderen Publikationen ist dieses als „politisch opportunes Werk“ zu betrachten, das eine deutliche geringere Distanz zum Nationalsozialismus aufweist
Zitiert nach Estelmann/Müller: Angepaßter Alltag, S. 36
1945:
Auch hier zeigt sich die Wandlungsfähigkeit von Schultz: Er hält eine für ihn in seiner Lehrtätigkeit einzig im Wintersemester 1945/46 vorkommende Vorlesung mit dem Titel „Die deutsche Literatur des vorgoethischen Jahrhunderts, insbesondere in ihren Beziehungen zur englischen und französischen Literatur“ sowie ein Seminar zu „Heinrich Heine“
Nach 1945:
Schultz galt nach 1945 als offiziell unbelastet:
Im Urteil zur Entnazifizierung der Philosophischen Fakultät im September 1945 wurde folgendes über Schultz geäußert: „Eine engere Verbindung mit dem Nationalsozialismus kam für [Schultz] nicht in Frage, da er bis 1933 in einem anderen Lager stand, insbesondere auch in jüdischen Kreisen verkehrte. Er hatte sich darum gefährdet und suchte Anstoß zu vermeiden, wurde aber vom Kurator Wisser wegen Verkehrs mit Juden verwarnt. Sein inneres Verhältnis zum Nationalsozialismus änderte sich nicht. Als er 1942 die Altersgrenze erreichte, beantragte die Fakultät die Verlängerung seiner Lehrtätigkeit, um zu verhüten, daß ein Kandidat des NS-Dozentenbundes auf diese wichtige Professur gesetzt werde. Es gelang dem Rektor, einen Einspruch des Dozentenbundführers zu verhindern.“
Personalakte Franz Schultz, UAF, Abt. 4, Nr. 1698, Bl. 30, zitiert nach Estelmann/Müller: Angepaßter Alltag, S. 40
Literatur
Estelmann, Frank/Müller, Olaf: Angepaßter Alltag in der Frankfurter Germanistik und Romanistik: Franz Schultz und Erhard Lommatzsch im Nationalsozialismus. In: Frankfurter Wissenschaftler zwischen 1933 und 1945. Hg. von Jörn Kobes und Jan-Otmar Hesse. Göttingen 2008, S. 33-59
Hammerstein, Notker: Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule. Bd. 1. 1914-1950. Neuwied, Frankfurt am Main 1989
Noth, Ernst Erich: Erinnerungen eines Deutschen. Die deutschen Jahre. Frankfurt am Main 2009
Schultz, Franz: Die deutsche Romantik. Köln 1940