Die Architektur des IG Farben-Hauses

von Johannes Ahrens

Die Architektur des IG Farben-Hauses ist ein hart umkämpfter Erinnerungsort. In universitären Debatten beanspruchen zwei Gruppen jeweils die Deutungshoheit für sich: auf der einen Seite steht ein politisch aktiver Teil der Studierenden, auf der anderen Seite die Universitätsleitung.

Die Ansicht der Studierenden lässt sich am besten an Beiträgen in der Zeitung des AStA festmachen. In der Ausgabe 01/13 [Anm. 1] kritisieren verschiedene Autoren, die Universitätsleitung gehe unangemessen um mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des IG Farben-Konzerns, der Bauherr und erster Eigentümer des Verwaltungsgebäudes war. Eher nebenbei erwähnen sie in den Zeitungsartikeln über das IG-Hochhaus dessen Architektur und bezeichnen sie als unangemessen herrschaftlich, monumental oder sogar hässlich. So wird bei denjenigen Studierenden, deren Meinung in der AStA-Zeitung zum Ausdruck kommt, der Blick auf die Architektur von anderen Aspekten überlagert.

Ganz anders positioniert sich die Universitätsleitung. Sie betont die ästhetischen Vorzüge der Architektur des IG Farben-Hauses und des neuen Campusareals insgesamt. In einem Video zeigt sie andere Studierende, die beschreiben, wie schön und gelungen das Äußere des Gebäudes sei. Dessen Geschichte teilte der ehemalige Präsident Werner Meißner in zwei gleichwertige Phasen auf. Die Verknüpfung der IG Farben mit den Verbrechen der NS-Zeit ist dabei die erste und die spätere Nutzung des IG-Hochhauses durch die USA die zweite Phase. [Anm. 2] Wie die Universitätsleitung Architektur und Geschichte des Gebäudes bewertet, zeigt sich auch daran, dass sie vor dem Einzug der Universität den Namen „Poelzig-Bau“, nach dem Architekten des Gebäudes, statt der heutigen Variante „IG Farben-Haus“ anstrebte.

Als das Gebäude 1931 fertiggestellt wurde, war es das größte Bürogebäude Europas. Der Architekt Hans Poelzig hatte es in jeder Hinsicht auf die ursprünglichen Aufgaben als Verwaltungs- und Repräsentationssitz der Interessengemeinschaft Farben ausgerichtet. Es bietet auf seinen 250 Metern Länge einerseits Funktionalität, zum Beispiel dadurch, dass es zweckmäßig in einzelne Bürotrakte aufgeteilt ist. Andererseits ist die äußere Gestalt des Gebäudes imposant und herrschaftlich, vor allem, weil sie von wuchtigen geometrischen Grundformen geprägt ist, die sich kompromisslos aneinanderreihen. Auch die auffällige Verkleidung mit dem gelblichen Naturstein Travertin und die nach oben hin subtil geringer werdende Höhe der Etagen verstärken das imposante Bild.

Das Gebäude war bis 1945 Eigentum der IG Farben. Dieser ursprünglich auf Forschung und Entwicklung ausgerichtete Chemie-Großkonzern wurde während der 12 Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft zu einem militarisierten Industrieorgan des Hitler-Regimes umgewandelt. Auch vom IG Farben-Haus aus wurde das Ausbeuten und Vernichten von Menschen während des Nationalsozialismus verwaltet.

Von 1945 bis zur Gründung der Bundesrepublik nutzte die amerikanische Militärregierung das Gebäude, sie traf dort für Nachkriegsdeutschland wichtige Entscheidungen. Bis 1994 war das IG Farben-Haus Hauptsitz der amerikanischen Streitkräfte in Europa. Für die Studierenden treten diese Ereignisse aus der Geschichte des IG Gebäudes allerdings in den Hintergrund, sie nehmen vor allem wahr, dass es mit der NS-Zeit verknüpft ist.

Obwohl die Positionen von Universitätsleitung und Teilen der Studierenden gegenüber dem IG so weit voneinander abweichen, zeichnet sich immer wieder Bereitschaft ab, sich zu versöhnen. Schon 2001, zum Einzug der Universität in das Gebäude, mahnte der damalige AStA-Vorsitzende Wulfila Walter in einer Rede an, dass Erinnerungen an den Holocaust nicht als lästig empfunden werden dürften. Die spätere Kritik von Studierenden am Umgang mit dieser Erinnerung durch die Universitätsleitung weitet sich oft zu einer allgemeinen Kritik an den heutigen Studienbedingungen aus. Es gibt jedoch auch konkrete Vorschläge. Ein Beispiel ist ein von der Initiative Studierender am IG Farben-Campus [Anm. 3] veröffentlichter „Vorschlag zur Güte“: Die Universitätsleitung solle eine Ausstellung über die eigene nationalsozialistische Vergangenheit der Universität unterstützen. Wichtig ist der Initiative dabei, dass eine solche Ausstellung von der Universitätsleitung selbst in die Hand genommen wird und nicht, wie im Fall der Namensgebung oder des Norbert-Wollheim-Memorials, auf Druck von Studierenden, Lehrenden oder der Öffentlichkeit hin.

Durch solche Symbole würde den Studierenden Geschichtsbewusstsein und ernsthaftes Auseinandersetzen mit der Vergangenheit demonstriert. Ihnen würde so gezeigt, dass die Universitätsleitung es ausdrücklich wünscht und unterstützt, wenn sie sich persönlich und wissenschaftlich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen. Die Vergangenheit aufzuarbeiten würde auf diese Weise nicht mehr Abgrenzung von der Institution Universität bedeuten. Stattdessen könnte dies zu einem Teil des Indentifikations- und Vergemeinschaftungsprozesses im Studium werden und damit Identifikation mit Universität bedeuten.

Vor allem für die im IG Farben-Haus studierenden GeisteswissenschaftlerInnen könnte das Gebäude – und die Architektur als dessen Verkörperung – zu einem der wirkmächtigsten Erinnerungsorte der Goethe-Universität werden.

Blick auf das IG Farben-Haus
Foto und Bearbeitung: Johannes Ahrens

Informationen zur Veranstaltung

Dozentin: PD Dr. Barbara Wolbring
Veranstaltungsart: Seminar
Semester: SoSe 2013
Fachbereich / Institut: Philosophie und Geschichtswissenschaften (FB 08), Historisches Seminar


1 Mitgliederzeitung der verfassten Studierendenschaft der Universität Frankfurt a.M., 01/2013, „Themenschwerpunkt: Umzug“.

2 Meissner, Werner, Die Zukunft der Goethe-Universität, in: Der Poelzig-Bau. Vom I.-G.-Farben-Haus zur Goethe-Universität, hrsg. v. Werner Meissner, Frankfurt am Main 1999, 147-158.

3 Initiative Studierender am IG Farben Campus (2013): "Ein Vorschlag zur Güte". In: Diskus - Frankfurter Student_innenzeitschrift 52 (Nr. 1.13), S. 41.

Johannes Ahrens, Die Architektur des IG Farben-Hauses, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 21.03.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/erinnerungsort/ahrens/.