Begrüßungsveranstaltungen für Studienanfänger: Von der Immatrikulationsfeier zur „unistart: Begrüßung | Messe | Party“

von Janine Aures

Ein Schwur, eine Unterschrift, ein Händedruck. Was heute wie der sprichwörtliche Pakt mit dem Teufel klingt, war bis 1966 die Aufnahmezeremonie der Studierenden in die akademische Gemeinschaft, die Immatrikulationsfeier. Als Forum für Selbstdarstellung nach außen und Selbstvergewisserung nach innen ist ihre Geschichte Abbild des sich wandelnden Selbstverständnisses der Universität im Spiegel ihrer Repräsentation. Aber es ist auch eine Geschichte, die von Umdeutungen und wechselseitigen Aneignungen eines Rituals erzählt. 

Sie lässt sich in drei Phasen unterteilen. Von der Gründung der Universität 1914 bis zum hessischen Hochschulgesetz von 1966 gab es zu Beginn jedes Semesters eine in der Ausführung weitgehend gleichbleibende, universitätsweite akademische Immatrikulationsfeier, bei der der Rektor jeden Studenten mit Handschlag begrüßte. Aufgrund des starken Anstiegs der Studierendenzahlen konnte sie jedoch in der Folge nicht mehr weitergeführt werden. Begrüßungsveranstaltungen der Fachbereiche, Fächer und Fachschaften traten an ihre Stelle. Seit dem Wintersemester 2004 gibt es mit „unistart: Begrüßung - Messe - Party“ erstmals wieder eine universitätsweite Begrüßungsfeier. [Anm. 1] Sie wird nicht von der Universität selbst organisiert, sondern von einer Tochtergesellschaft, der CampuService GmbH.

Zum Erinnerungsort wurde die Immatrikulationsfeier erst im Zuge der Studentenbewegung, nachdem sie bereits abgeschafft worden war. Zum ersten Mal wurde rückblickend auf sie selbst als Symbol Bezug genommen. Gemeinsam mit dem Talar wurde sie zur Projektionsfläche von Ablehnung. Im Zentrum der Kritik stand ihr als autoritär bezeichneter Charakter, der nicht zu einer demokratischen Institution passe. [Anm. 2]

Später wurde sie auch ein Symbol von Sehnsüchten nach einer Willkommensgeste, die die Anonymität der ersten Zeit an der Universität durchbrechen helfen sollte. In dieser Lesart stand sie für ein klares Profil der Institution und die Geborgenheit des einzelnen in der universitären communitas. So blieb sie - unterschiedlich konnotiert - ein Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses.

Die Voraussetzung dafür, dass die akademische Immatrikulationsfeier zum Erinnerungsort werden konnte, lag also zunächst darin, dass es nach ihrer Abschaffung keinen Ersatz gab, der ihre wichtigste Funktion übernommen hätte: Sie hatte die sozial gesetzte, kontingente Grenze zwischen „drinnen“ und „draußen“, zwischen Student und Nicht-Student klar markiert und damit als naturgegeben erscheinen lassen. [Anm. 3] Als ihr symbolischer Gehalt Gegenstand von Auseinandersetzung wurde, konnte das Ritual nicht mehr unbemerkt und unbeobachtet wirksam sein. Dies führt zur Aufweichung jener sozialen Grenze, und verunsichert viele Studienanfänger Vielleicht trägt es sogar dazu bei, dass manche ihr Studium abbrechen, noch bevor sie richtig damit begonnen haben. [Anm. 4]

Mit der „unistart“ gibt es seit 2004 wieder eine Begrüßungsfeier der Universität für ihre Studi-enanfänger. Auch wenn die Veranstaltung nicht ausdrücklich an die abgebrochene Tradition der Immatrikulationsfeier anknüpft, steht sie dennoch nicht ganz im luftleeren Raum, denn sie übernimmt Elemente der Immatrikulationsfeier wie die gemeinsame Begrüßung. Damit kann sie als Ausdruck einer Zeit gelten, in der die Universität ihre Rückumwandlung in eine Stiftung in zahlreichen Publikationen mit Bildern einer optimistischen Gründerzeit umgibt.

Wenn auch die Immatrikulationsfeier heute kein so starkes Symbol mehr darstellt wie in der Zeit der Studentenbewegung, als direkt auf sie Bezug genommen wurde, ist sie doch unausge-sprochen im rituellen Rahmen von unistart noch präsent.

Janine Aures, Begrüßungsveranstaltungen für Studienanfänger: Von der Immatrikulationsfeier zur „unistart: Begrüßung | Messe | Party“, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 08.06.2014, URL: use.uni-frankfurt.de/erinnerungsort/aures/.

Studierende unistart 2014
Bild: CAMPUSERVICE

Informationen zur Veranstaltung

Dozentin: PD Dr. Barbara Wolbring
Veranstaltungsart: Seminar
Semester: SoSe 2013
Fachbereich / Institut: Philosophie und Geschichtswissenschaften (FB 08), Historisches Seminar


Anmerkungen

[1] UniReport, unistart: Begrüßung – Messe – Party. Universität begrüßt Erstsemester, in: UniReport, Jahrgang 37, 17.11.2004, 2. (http://www.unireport.info/36065955/unireport_04_06.pdf?, 21.07.2013).

[2] Wolfgang Kraushaar, Symbolzertrümmerung. Der Angriff der Studentenbewegung auf die Insignien der universitären Macht, in: Bretschneider, Falk/Pasternack, Peer (Hrsg.), Akademische Rituale. Symbolische Praxis an Hochschulen. (Hochschule Ost Jg. 8, Quartal 3./4) Leipzig 1999, 47–57: „Die Initiationsriten einer solchen Institution sind ebenso wie ihre Rechts- und Verwaltungspraxis versteckte Zeugen von Herrschaftsgeschichte“.

[3] Pierre Bourdieu, Les rites comme actes d'institution, in: Actes de la recherche en sciences sociales 43, 1982, 58.

[4] Barbara Friebertshäuser, Übergangsphase Studienbeginn. Eine Feldstudie über Riten der Initiation in eine studentische Fachkultur. Materialien. Weinheim 1992, 19 f., 39.

Beitrag in Forschung Frankfurt

Nadine Aures hat im Heft Forschung Frankfurt 1/2014 ebenfalls einen Beitrag verfasst: 
Von der akademischen Immatrikulationsfeier zum »unistart« | » Beitrag lesen [PDF, Link auf die Homepage der Goethe-Universität]