Rückkehr zu den Wurzeln? Der Stiftungsstatus der Goethe-Universität als Erinnerungsort

von Svenja Schäfer

Sie ist etwas Besonderes: Die letzte Universität, die im Kaiserreich entstand, ist gleichzeitig die erste Stiftungsuniversität Deutschlands. 

Durch ihre Spenden ermöglichten wohlhabende Bürger und die Stadt Frankfurt, dass 1914 eine Universität entstand, die keine staatlichen Gelder benötigte. Hundert Jahre später ist diese Besonderheit für die Identität der Hochschule noch immer so relevant, dass es sich bei dem Status „Stiftungsuniversität“ um einen Erinnerungsort der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt handelt.

Dabei war die Goethe-Universität nicht immer Stiftungsuniversität. Die Gründung, die von Oberbürgermeister Franz Adickes und dem Unternehmer Wilhelm Merton vorangetrieben wurde, fand zu einem ungünstigen Zeitpunkt statt. Die beiden Weltkriege strapazierten die junge Hochschule und verzehrten das gesamte Stiftungsvermögen. [Anm. 1] Schon 1924 wurde die Universität vom Land und von der Stadt Frankfurt finanziert. Im Jahr 1967 wurde sie dann auch offiziell Landesuniversität. [Anm. 2] Trotzdem knüpfte die Universität auch nach 1945 und auch, nachdem sie bereits Landesuniversität war, an den Gründungsstatus als Stiftung an. In seiner Rede zum 40jährigen Universitätsjubiläum berief sich der damalige Rektors Oscar Gans 1954 auf die Stiftungstradition, wenn er sagte: „Jener Geist, der die Männer beseelte, denen wir die Entstehung unserer Universität verdanken, jener Geist hat sich auch hier wiederum als unbesiegbar erwiesen.“ [Anm. 3] Zehn Jahre später schlug Rektor Alfred Rammelmeyer ähnliche Töne an, als er sagte, dass es nicht die Leistungen seien, die die Universität berechtigten, ihr Bestehen zu feiern, sondern „der besondere Charakter dieser Hochschule, der ihr mit der Geburt eingestiftet ist.“ [Anm. 4] Nicht so sehr die Organisationsform der Stiftung war also identitätsstiftend, sondern die Idee einer freieren und moderneren Universität, die sich damit verband. Der Stiftungsstatus bildete so gerade dann einen Erinnerungsort für die Mitglieder der Hochschule, als er gefährdet war.

Mittlerweile hat sich die Goethe-Universität in veränderter Form ihren alten Status zurückerobert: Seit dem 1. Januar 2008 ist sie eine Stiftung öffentlichen Rechts und bestreitet gut ein Drittel ihres Gesamtetats aus Stiftungsmitteln. [Anm. 5] Wenn aber - wie Pierre Nora sagt [Anm. 6] - ein Erinnerungsort entsteht, weil das, woran er erinnern soll, nicht mehr gelebt wird, heißt das dann im Umkehrschluss, dass der Stiftungsstatus seit 2008 kein Erinnerungsort mehr sein kann, weil er wieder gelebt wird?

Die Verantwortlichen der Umwandlung betonten, dass es sich um eine Rückkehr der Universität „zu ihren Wurzeln“ [Anm. 7] handele. Die besondere Gründung von 1914 diente damit der Legitimation der Neuordnung von 2008. Die Rückwandlung ist daher weniger ein Zeichen für eine Wiederbelebung des alten Stiftungscharakters, sondern ein Indiz für die Indienstnahme der Erinnerung für gegenwärtige Ziele und Interessen.

Auch im Jubiläumsjahr wird die Erinnerung an die Stiftertradition hochgehalten. Ein Ziel des Jubiläums lautete in der Planungsphase, „der Stadt und ihren Stiftern danken“ [Anm. 8]. Interessant dabei ist, dass verschiedene beteiligte Gruppen den Stiftungscharakter aufgreifen, obwohl das Jubiläum nicht zentral geplant wird. Es zeigt sich also, dass der Stiftungsstatus zu einem gemeinsamen Kristallisationspunkt universitärer Erinnerung geworden ist. Er ist ein Erinnerungsort der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

1 Vgl. Notker Hammerstein, 90 Jahre Universität Frankfurt am Main, in: Michael Maaser (Hg.): Stadt, Universität, Archiv, Göttingen 2009, S. 13-23, 15.

2 Vgl. ebd. S. 21.

3 Oscar Gans, Begrüßungsrede des Akademischen Festaktes am 25. Juni 1954, in: Ders. (Hg.), Überreichung des Paul-Ehrlich-Preises, Immatrikulationsrede, Vierzigjahrfeier und Universitätsfest (= Frankfurter Universitätsreden 11), Frankfurt/Main 1954, S. 21-28, 24.

4 Alfred Rammelmeyer, Festrede. Fünfzig Jahre Universität Frankfurt am Main, in: Universität Frankfurt am Main (Hg.), Ansprachen, Ehrungen und Glückwünsche bei der Jubiläumsfeier 1914-1964 (= Frankfurter Universitätsreden 33), Frankfurt/Main 1965, S. 20-44, 20.

5 Vgl. Rudolf Steinberg, Die Rückkehr zur Stiftungsuniversität, in: Ders. (Hg.), Die neue Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ihr Neubau und ihre Rückkehr zur Stiftungsuniversität, Frankfurt/Main 2013, S. 23-67, 34.

6 Vgl. Pierre Nora, Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Frankfurt/Main 1998, S. 22.

7 Johann Wolfgang Goethe-Stiftungsuniversität Frankfurt am Main. Diskussionspapier des Präsidiums, in: Rudolf Steinberg (Hg.), Die neue Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ihr Neubau und ihre Rückkehr zur Stiftungsuniversität, Frankfurt/Main 2013, S. 131-163, 131.

8 Seite des Jubiläumsprojektes GU100 der Goethe-Universität in der Planungsphase: www2.uni-frankfurt.de/42997252/ziele; Zugriff: 13.08.2013, 15:05. Mittlerweile ist diese Seite offline. (Stand März 2014).

Svenja Schäfer, Rückkehr zu den Wurzeln? Der Stiftungsstatus der Goethe-Universität als Erinnerungsort, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 02.04.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/erinnerungsort/schaefer/.

Schmuckblatt der Stiftungsurkunde
Foto: Universitätsarchiv Frankfurt

Informationen zur Veranstaltung

Dozentin: PD Dr. Barbara Wolbring
Veranstaltungsart: Seminar
Semester: SoSe 2013
Fachbereich / Institut: Philosophie und Geschichtswissenschaften (FB 08), Historisches Seminar