Die Stellung der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in der Gründungsgeschichte der Universität Frankfurt bis 1914

von Gabi Perabo

Die Frankfurter Universität war die erste deutsche Universität, die bei ihrer Gründung zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften einrichtete. Üblich waren bis dahin die Fakultäten Jura, Medizin, Philosophie und Theologie. In der folgenden Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, welche Stellung die „fünfte Fakultät“ (die Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) innerhalb der neu gegründeten Universität Frankfurt eingenommen hat. Die Kombination der beiden Fächer stellte auch insofern ein Novum dar, als die Sozialwissenschaften im Universitätswesen sonst den Rechtswissenschaften bzw. der Philosophie zugeordnet waren (vgl. Calmes 1964, S.83).

Für den Gründungsprozess der Universität sind (insbesondere mit Blick auf die fünfte Fakultät) das Institut für Gemeinwohl und die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften und deren jeweilige Strukturen bedeutsam. Diese stellen gleichsam Vorformen der universitären Gestalt bzw. Etappenschritte dar.

Informationen zur Veranstaltung

Leitung:
Prof. Dr. Klaus Lichtblau
Veranstaltungsart: Seminar
Semester: SoSe 2012
Fachbereich / Institut: Gesellschaftswissenschaften (FB03), Institut für Soziologie, Soziologie mit dem Schwerpunkt Geschichte und Systematik sozialwissenschaftlicher Theoriebildung
Studentischer Beitrag: Stellung der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ...

Es ergibt sich also eine Betrachtung, die die Struktur, Entwicklung und Finanzierung der drei Institutionen: Institut für Gemeinwohl, Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften und der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (der fünften Fakultät) untersuchen möchte. Dieser Betrachtung vorangestellt sind zwei kurze historische Abschnitte zu historischen Konstellation Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland und in Frankfurt. Sie sollen den Kontext erschließen, in dem sich die Gründung der Universität vollzog.

Bei der vorliegenden Hausarbeit handelte es sich um eine erste Annäherung zum Thema "Gründungsgeschichte der Universität Frankfurt". Aktuelle Forschungen weisen darauf hin, dass sowohl die Stellung der Sozialwissenschaften bei der Universitätsgründung, als auch die Gründung selbst eventuell unter anderen Aspekten betrachtet werden muss. Darauf geht die Autorin in ihrer Diplomarbeit unter dem Titel "Die Gründung der Universität Frankfurt in ihrem zeithistorischen Kontext" ein, die Mitte 2014 fertig gestellt sein wird.

1. Historischer Hintergrund

1.1 Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts

Im 19. Jahrhundert entstehen mit und durch die Industrialisierung die beiden neuen Großgruppen der Industriearbeiter und der Unternehmer. Zwischen diesen kommt es zu spezifischen Konflikten, die auch von der Wissenschaft bearbeitet werden. Zum Teil geht es auf theoretisch abstraktem Niveau um die Stellung der beiden Gruppen zueinander, also um das Verhältnis von Arbeit und Kapital und die kapitalistische Produktionsweise (bspw. bei Karl Marx). Zum anderen aber um die konkrete soziale Situation der Arbeiter, bspw. in den Verhandlungen zu Beginn der Entstehung der Sozialversicherung. Auch die Einführung der Sozialversicherungsgesetze (ab 1883) schafft das Elend breiter Bevölkerungsschichten nicht endgültig ab und löst die Konflikte zwischen den beiden Großgruppen nicht auf.

Insgesamt steht das 19. Jahrhundert, in Deutschland insbesondere die zweite Hälfte, für schnelle und vehemente Umbrüche, die unter dem Schlagwort ‚Modernisierung’ gefasst werden können. Der Wandel von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft und damit einhergehend die Auflösung der Ständegesellschaft habe neue Freiheiten, aber auch (soziale) Unsicherheiten gebracht. Für Deutschland kann als spezifisch angesehen werden, dass die (konstitutionelle) Monarchie bis 1918 andauerte. Die im 19. Jahrhundert immer mehr an Bedeutung gewinnende Gruppe des Bürgertums konnte diesen Bedeutungszuwachs nur sehr begrenzt in Mitspracherechte in den politischen Apparaten ummünzen (vgl. Reulecke 2006). Als Betätigungsfeld nutzte diese Gruppe so eher den gesellschaftlichen und kulturellen Bereich. 

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1.2. Frankfurt Ende des 19. Jahrhunderts

Frankfurt hatte 1866 seinen Status als freie Reichsstadt verloren und war in das Königreich Preußen eingemeindet worden. Weitere (Ansehens-) Verluste folgten: Verlust des Bundestags, der Bedeutungsverlust der Börse, der Wegzug der Banken nach Berlin (vgl. Wachsmuth 1929, S.161). Diese Entwicklungen hätten zu einem wirtschaftlichen und politischen Bedeutungsverlust geführt, der am Selbstbewusstsein der Frankfurter Bürger genagt habe. Einige von diesen hätten über erhebliche finanzielle Mittel verfügt (ebd.), die einzusetzen sie zur Hebung des Ansehens der Stadt bereit waren.

Wachsmuth hält dies auch für eine von Oberbürgermeister Adickes strategischen Überlegungen im Vorfeld.

"Adickes Erwägungen waren folgende: In mehrfacher Hinsicht hatte die von ihm betreute Stadt in den letzten Jahrzehnten Einbuße gelitten. Sie hatte ihre Selbstständigkeit als freie Reichsstadt verloren. Ihre führende Stellung auf dem Geldmarkt war durch das Anwachsen der Reichshauptstadt geschmälert. Der Regierungspräsident saß in Wiesbaden, der Oberpräsident in Kassel. Auch wirtschaftlich war die an der Provinz Hessen-Nassau gelegene Stadt nicht mehr Mittelpunkt. Um Frankfurts Ansehen gegenüber den von Staat und Reich mehr begünstigten Nachbarstädten zu heben und ihm dadurch eine neue Anziehungskraft zu verschaffen, war es das Bestreben des Oberbürgermeisters, die großen hier vorhandenen Ansätze von Kunst und Wissenschaft zu ergänzen und zusammenzufassen. Zugleich sollte dem Wesen der Stadt hierdurch ein neues belebendes Kulturelement hinzugefügt werden." (Wachsmuth, 1929 S.3)

Eine bedeutende Gruppe unter den Stiftern sei die der Juden gewesen. Für die Frankfurter Juden habe die Eingliederung in den preußischen Staat einen Fortschritt in der bürgerlichen Gleichberechtigung bedeutet. Darüber hinaus könne bei der Unterstützung der Errichtung der Frankfurter Universität der Gedanke eine Rolle gespielt haben, dort die gängige Diskriminierung für Juden, die sonst in den gehobenen Positionen des deutschen Reiches üblich war, aufzuheben (Hammerstein, 1989, S.22).

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2. Zur Geschichte der Gründung und den Vorgängerinstitutionen

Um die Geschichte, die zur Gründung der Universität Frankfurt geführt hat, angemessen zu beschreiben, muss auf die Vorläufer der Institution eingegangen werden. So gibt es inhaltliche, personelle und institutionelle Kontinuitäten, die sich von der Gründung des Instituts für Gemeinwohl 1891, über die Gründung der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften 1901, bis zur Gründung der Frankfurter Universität 1914 strecken. Entscheidende Akteure in diesem Prozess waren der Unternehmer Wilhelm Merton und der Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt, Franz Adickes.

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2.1. Das Institut für Gemeinwohl

2.1.1 Institutionelle Ebene

Das Institut für Gemeinwohl wurde am 07.08.1890 auf die Initiative von Wilhelm Merton durch Nathanael Brückner gegründet (vgl. Lichtblau/Herrschaft 2010, S.509). Die Gründung basierte auf einem Vertrag zwischen Brückner und Merton. Erst 1892 sei die Namensgebung erfolgt (vgl. Achinger 1965 S.108).

Gerichtlich eingetragen wurde das Institut als 'Institut für Gemeinwohl GmbH', 1896 (Achinger 1964, S.22). Die Grundlage war ein Gesellschaftsvertrag, an dem einige Änderungen vorgenommen wurden (vgl. Achinger 1965, S.104), Geschäftsführer des Instituts war Andreas Voigt (1896-1903). Nach der Darstellung Achingers traf Wilhelm Merton jedoch seine Entscheidungen weitgehend alleine. Auch wenn es durch die "Streuung kleiner Beteiligungen" (ebd., S.106) auch eine Gruppe von Gesellschaftern gab, kam jenen keine Entscheidungsmacht zu. Die Stimmenanzahl war von der Geldeinlage abhängig und Merton hatte den größten Teil aller Stammeinlagen in Besitz (ebd. S.105ff.).

Das Kapital wurde also von Merton gestellt und eine Verfügung darüber hing von seiner Einwilligung ab: "Verfügungen über die Kapitalsubstanz des 'Instituts für Gemeinwohl G.m.b.H [bedürfen] meiner Zustimmung und Mitwirkung" (ebd. S.105). Für ihre Stammeinlagen mussten die Gesellschafter des Instituts nur einen symbolischen Betrag zahlen. Es handelte sich also eigentlich um Kapitalübertragungen von Merton an die Gesellschafter. Die Gesellschafter setzten sich zusammen aus ehemaligen Mitarbeitern des Instituts und wohlhabenden Frankfurter Bürgern (ebd.).

Nach Achinger habe Merton das System der Beteilungen vor allem geschaffen, um Verantwortliche, in seinem Sinne handelnde Nachlassverwalter anzubinden. Aus diesem Grund sei später auch die Stadt Frankfurt beteiligt worden (ebd. S.106, Wachsmuth 1929, S.14). Der Plan, auch einen wissenschaftlichen Beirat einzusetzen, wurde nicht umgesetzt (Achinger 1965 S.107).

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2.1.2. Die Gründungen/Beteiligungen des Instituts

Von dem Institut für Gemeinwohl sind zahlreiche Gründungen von Einrichtungen, Instituten und Projekten ausgegangen, bzw. beteiligte es sich an bereits bestehenden. Hier eine Liste der Nennungen, die Achinger (1965, S.99-214) in seiner Biographie Mertons macht: 

  • die Auskunftsstelle für Arbeiterangelegenheiten (Gründung 1895, Beteiligung bzw. Übernahme durch die Stadt 1907);
  • die Fachzeitschrift "Soziale Praxis, Centralblatt für Sozialpolitik" (erstmals erschienen 1893, bis 1896 ganz im Besitz des Instituts, danach Umwandlung in eine GmbH mit Beteiligung des Instituts für Gemeinwohl);
  • verschiedene Veröffentlichungen, bspw. Brückner (1892);
  • das Referat für Wohnungswesen (Gründungsdatum und Bestandsdauer unklar);
  • das Institut für Gewerbehygiene (1907-1918, danach Umwandlung in Deutsche Gesellschaft für Gewerbehygiene);
  • die Zentrale für das Bergwesen (ca. 1903-1912);
  • die Gesellschaft für Wohlfahrtseinrichtungen (ca. 1891-1920);
  • die Centrale für private Fürsorge (1900-1937);
  • das soziale Museum (Gründungsdatum und Bestandsdauer unklar);
  • das Berliner Büro (Beteiligung ab 1896 an der Abteilung für Armenpflege und Wohltätigkeit/Beteiligung am Büro für Sozialpolitik ab Gründung 1903);
  • die Gesellschaft für wirtschaftliche Ausbildung (Gründung 1902, Betrieb ab 1901);
  • die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften (Eröffnung 1901, geht 1914 in der Universität auf);
  • die Frankfurter Universität ( 1914-heute).

Merton kann für das Institut und seine zahlreichen Gründungen, Beteiligungen etc. als 'Strippenzieher' angesehen werden. Sowohl die Gründung des Instituts für Gemeinwohl als auch die weiteren Beteiligungen/Gründungen sind als Reaktionen auf konkrete soziale Problemstellungen zu verstehen, denen wissenschaftlich und praktisch begegnet werden sollte, wie es Hans Achinger am Beispiel des Instituts für Gewerbehygiene nahelegt:

"Der Gedanke, dass das Industriezeitalter überhaupt noch nicht bekannte Gefahren für Leib und Leben gebracht hätte blieb (...) für ihn [Merton] bedrückend. Wie Merton denn überhaupt (...) durchaus dazu neigte, jeden Einzelfall als das Paradigma für einen allgemeinen Zusammenhang zu betrachten, was doch wohl als die Vorstufe theoretischer Arbeit überhaupt angesehen werden kann."(Achinger 1965, S.140)

Jedoch waren diese Reaktionen auf konkrete Problemstellungen nicht unbedingt auf Dauerhaftigkeit angelegt. So habe Merton die jeweiligen Einrichtungen in ihrer Notwendigkeit ständig auch auf die Frage ihres Überflüssigwerdens hin geprüft (vgl. ebd., S.123).

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2.1.3. Inhaltliche Ebene

Der Gründer des Instituts Wilhelm Merton war ein begüterter und sozial engagierter Frankfurter Bürger. Ein Anlass für die Gründung des Instituts sei für ihn gewesen, dass er zunehmend Bittschriften um finanzielle Unterstützung erhalten, ihm aber die Zeit gefehlt habe, die Gesuche zu prüfen. Dies war eine der Aufgaben, die das Institut übernehmen sollte (vgl. Wachsmuth 1926, S.7). Laut Kluke (1972, S.33) habe das Institut bis zu seiner Umwandlung in eine GmbH (1896) mehr den Charakter eines "Privatbüro zur Erledigung der anschwellenden Flut von Bittgesuchen" gehabt.

Der eigentliche Anspruch aber ging weit über diese 'Fallbearbeitung' hinaus. So habe Merton den Anspruch gehabt, am Institut die soziale Frage wissenschaftlich zu bearbeiten (ebd.) und die Ergebnisse dieser Untersuchung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (Achinger 1964, S.23). Das Institut sollte partei- und konfessionsunabhängig sein (Kluke 1972, S.34). Im Vorwort der 1892 veröffentlichten Arbeit von Nathanael Brückner gibt Merton einen Ausblick auf die zukünftigen Aufgaben des Instituts. Gleichzeitig entwirft er ein Zeitbild, das die Notwendigkeit seiner Einrichtung begründen soll (Merton in Brückner 1892, S.III-VIII). Es geht ihm bei seinen Reformvorschlägen insbesondere um die bessere Zusammenarbeit zwischen staatlicher und privater Fürsorge und um Reformen innerhalb des Vereins- und Stiftungswesens, bzw. auch darum, allgemein gültige Normen zu finden (ebd. S.IV), also auch um die Verwissenschaftlichung der Fürsorge. Nach der Schilderung der damaligen Situation im Stiftungswesen, der er vor allem Intransparenz, Unprofessionalität (Mangel in der Organisationsstruktur, geringe Zugänglichkeit/zu geringe Verbreitung von Informationen, keine systematische Sammlung und Veröffentlichung von Informationen) vorwirft, schildert er die zukünftigen Aufgaben des Instituts wie folgt:

"Gegenüber der Regellosigkeit und Stümperhaftigkeit, die nur gar zu leicht bei der Entwicklung einer Thätigkeit [der Wohltätigkeit, G.P.], deren Ursprung und Ziele so vielfältig sind, ihr Spiel treiben, vermögen nur solche Einrichtungen zu helfen, welche ordnend und aufklärend einwirken. Das allgemeine Verständnis kann erst kommen mit der Gelegenheit einer fortlaufenden, unschwierigen Orientierung über die bisherigen Erfahrungen und deren Zusammenhang mit anderen Erscheinungen. Von ihm allein ist ein dauerhafter heilsamer Einfluss auf die Art und das Mass der Bethätigung zu erwarten. Regelmässige Veröffentlichungen, richtig begründete Anregungen, die von einer Stelle ausgehen, die in diesem Sinne wirkt und sich eine unbefangene eingehende Prüfung angelegen sein lässt, vermögen sowohl eine grössere und intensivere freiwillige Mitwirkung der Wohlhabenden, als ein harmonisches Zusammenarbeiten mit der öffentlichen Fürsorge herbeizuführen.
Nur gelegentliche Arbeiten können hierfür nicht genügen, sondern es bedarf Einrichtungen, die derartig ausgestattet sind, dass sie von Dauer sein können, deren Geschäfte nicht unähnlich jenen von wissenschaftlichen Instituten, Handelskammern, landwirtschaftlichen und gewerblichen Vereinen unter Zuhülfenahme von Arbeitskräften, die gegen Entgelt ihre volle Thätigkeit einzusetzen haben, geführt werden. Die Heranziehung, praktische Ausbildung und Beschäftigung staats- und volkswirtschaftlich gebildeter Persönlichkeiten ist schon deswegen unumgänglich, weil bei der freiwilligen privaten Thätigkeit und dem Vereins- und Stiftungswesen nur wenig herauskommen kann, wenn nicht die jeweilige wirtschaftliche Lage und der sich daraus ergebende allgemeine und besondere Bedürfnisstand, wie auch die öffentlichen Einrichtungen, Gesetze und Verwaltungsordnungen welche, hierauf Bezug haben, genau beobachtet werden. Verfolgen doch Wohltätigkeit und Gemeinsinn das gleiche Ziel wie Staat und Gemeinde, soweit die Fürsorge für die Volksklassen, die besonderen Schutzes bedürfen, in Betracht kommt. Auch kann nicht ohne Kenntnis und eingehende Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der handarbeitenden Bevölkerung, der Anforderungen, welche an ihre Leistungsfähigkeit gestellt werden, und der Anschauungen, die bei ihr herrschen, geleistet werden. Aus diesen Erwägungen ist das unterzeichnete Institut hervorgegangen, und es hat seine Thätigkeit begonnen, indem es Hrn. Brückner mit der Aufgabe betraute, Material über die in hiesiger Stadt vorhandenen Anstalten und Einrichtungen zu sammeln, es einer Prüfung zu unterziehen und damit eine Untersuchung des besonderen und allgemeinen Bedürfnisstandes und der in Fachkreisen in Bezug auf die betreffenden Fragen geltenden Ansichten, unter Aufführung der bestehenden staatlichen und communalen Vorkehrungen zu verbinden" (ebd. S.VII f.).

Es ging also um die Reformierung des privaten Fürsorgewesens, seine 'Verwissenschaftlichung' (Sammlung, Strukturierung und Veröffentlichung von Informationen und Erkenntnissen) und die Organisation nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben. Darüber hinaus klingt hier aber auch schon die Forderung nach spezifisch ausgebildetem Personal zur Führung dieser neu strukturierten Organisationen an.

Der Gesellschaftszweck wird von dem Geschäftsführer des Instituts für Gemeinwohl, Andreas Voigt, 1896 wie folgt (re-)formuliert:

"Der Zweck des Unternehmens ist, dem Gemeinwohl dienende Einrichtungen in's Leben zu rufen bzw. zu fördern, und zwar auf Grund wissenschaftlicher Untersuchungen der sozialen und volkswirtschaftlichen Vorgänge im engen Anschluss an die Praxis"(Voigt 1896 nach Achinger 1965, S.103)

Was dieses Gemeinwohl meint, lässt sich dann wohl eher an der Gesamtheit der von Merton initiierten und angestoßenen Projekte und den verschiedenen Äußerungen von ihm und seinen Mitarbeitern ablesen. Zum einen ging es ihm im Bereich der Fürsorge um die wissenschaftliche Untersuchung des Bereichs, auf deren Grundlage dann eine bessere und eine eher betriebswirtschaftliche Organisierung der privaten sozialen Unternehmungen stattfinden sollte. Auf der anderen Seite ging es ihm aber darum, einerseits Beamte, andererseits Industrielle und Techniker wieder näher an konkrete soziale Situationen heranzuführen, was auch durch die von ihm gegründeten Institutionen verwirklicht werden sollte.

"Der gerade Weg zum Ziele des Instituts ist die Heranbildung sozial und wirtschaftlich geschulter Männer, die in ihrem Berufe in erster Linie praktisch, dann aber durch Wort und Schrift daran arbeiten, dass unsere Gewerbetreibenden sozial, unsre Sozialpolitiker ökonomisch denken lernen." (Philipp Stein, zit. nach Wachsmuth 1929, S.8)

Achinger bezeichnet Merton auch als "Reformator der akademischen Ausbildung" (1965, S.199) und führt dies insbesondere auf die tragende Rolle zurück, die Merton bei der Schaffung der Institutionen "Gesellschaft für wirtschaftliche Ausbildung", "Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften" und der Universität Frankfurt gespielt hat.

Zu der Frage der Auffassung des Verhältnisses von privatem und staatlichem Engagement von Merton und seinen Mitarbeitern bleiben viele Fragen offen.

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3. Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften

3.1. Die Gründung der Akademie

In verschiedenen Texten wird beschrieben, dass es Ende des 19. Jahrhunderts ein starkes Interesse an volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Themen gegeben habe, so dass von verschiedenen Institutionen Vorträge dazu angeboten wurden (vgl. Achinger 1964, S.24f.; Wachsmuth 1929, S.5). Ebenso wurde die Errichtung einer Handelshochschule in der Presse und in Fachkreisen diskutiert (ebd.).

Die Idee der wirtschaftlichen und sozialen Schulung der gesellschaftlichen Elite zum Wohle der Gesellschaft fand bspw. in Mertons Gründung der Gesellschaft für wirtschaftliche Ausbildung ihre Verwirklichung. Dort sollten regelmäßig Kurse zu volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Themen für "Staats- und Kommunalbeamte, Juristen, Techniker und Geschäftsleute" (Achinger 1964, S.24) angeboten werden. In der Gesellschaft für wirtschaftliche Ausbildung seien fertig ausgebildete, bereits im Beruf stehende Personen die Zielgruppe gewesen. Ein Mittel der Fortbildung sei die Vergabe von Stipendien gewesen (ebd., S. 25f.). Selbige Gründe hätten auch zur Einrichtung der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften geführt.

Im Vorfeld der Gründung der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften hatte es Gespräche zwischen Merton und Adickes gegeben, in denen Merton in Aussicht gestellt hatte, dass das Institut für Gemeinwohl 20.000 Mark jährlich für die Akademie zu Verfügung stellen würde, wenn die Stadt 10.000 Mark und die Räumlichkeiten bereit stelle. Die Pläne wurden dem Frankfurter Magistrat und Mitgliedern der preußischen Staatsregierung (Miquel und Althoff) vorgestellt. Sie wurden dort positiv aufgenommen. Darüber hinaus liefen auch Verhandlungen mit der Handelskammer (vgl. Wachsmuth 1929, S.9ff.). Die Unterschiede in der Prioritätensetzung zwischen Institut für Gemeinwohl (Merton) und der Handelskammer seien auch dem Konstrukt geschuldet gewesen, dass die Akademie "einerseits als Handelshochschule andererseits als Akademie für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften gedacht war" (ebd., S.11). Merton habe die sozialwissenschaftlichen Aspekte stärker betont, insbesondere wollte er die Schulung höherer technischer Beamter und Industrieller berücksichtigt wissen. Die Akademie pendelte somit auch zwischen Fort- und Ausbildung:

"Die zu gründende Akademie sollte - wie Merton selbst mit Recht definierte - drei verschiedene Ziele zu vereinigen suchen, die Handelshochschule, eine wirtschaftliche Fortbildungsschule für Industrielle, höhere technische Beamte, höhere Staats- und Kommunalbeamte und eine sozialpolitische Fortbildungsschule für die gleichen Kreise" (ebd. S.13).

Die rechtliche Grundlage der Akademie für Sozial und Handelswissenschaften war ein Vertrag zwischen der Stadt Frankfurt und dem Institut für Gemeinwohl (vgl. ebd., S.132ff.). In der Satzung des Vertrags wird auch die Finanzierung der Akademie festgelegt, so verpflichteten sich Stadt und Institut zu einer jährlichen Zahlung von 30.000 Mark (diese Zahlungen werden im Laufe der Jahre wesentlich erhöht, vgl. ebd. S.15), Polytechnische Gesellschaft und Handelskammer trugen jeweils mit 5000 Mark jährlich dazu bei (vgl. Wachsmuth 1929, S.132ff.).

Die staatliche Genehmigung erfolgte 1901. Im Vorhinein gingen die Protagonisten davon aus, einer solchen gar nicht zu bedürfen. Die staatliche Genehmigung war mit verschiedenen Auflagen des Preußischen Staates verbunden (gezeichnet war der Erlass von den Ministern der Ministerien: Preußisches Ministerium der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, Ministerium des Inneren, Ministerium für Handel und Gewerbe). Inhalt des Erlasses war die Festlegung einer ständigen Vertretung eines Mitglieds der Staatsregierung im Großen Rat und im Verwaltungsausschuss, die Anstellung von hauptamtlichen Lehrkräften nur mit staatlicher Zustimmung und weitere umfassende staatliche Regulierungen (vgl. ebd., S.18).

Die Anstellungen konnten somit zwar nur mit staatlicher Zustimmung erfolgen, die Auswahl wurde jedoch durch den großen Rat getroffen (ebd. S.18). Schon die ersten Anstellungen der Akademie zeigen, dass es bereits zu Beginn Ansätze gab, die über den Themenbereich der Handels- und Sozialwissenschaften hinausgingen, bspw. der Unterricht für englische und französische Sprache und Literatur (ebd., S.19).

Das Lehrpersonal bestand zu Beginn neben acht hauptamtlichen Lehrkräften aus zahlreichen Weiteren aus Nachbaruniversitäten, aus dem Institut für Gemeinwohl, aus dem physikalischen Verein und aus Privatgelehrten aus Frankfurt (ebd., 19f.). Die Akademie habe sich jedoch zu einer Ausbildungsanstalt entwickelt, auch wenn es viele Gasthörer gab und auch wenn gemeinsam mit der Gesellschaft für wirtschaftliche Ausbildung Fortbildungskurse organisiert worden seien:

"Die Ausbildung bereits Berufstätiger war mit der Akademie nicht zu erreichen, wie sich bei der endgültigen Aufstellung des Akademieplans herausstellte. Es setzte sich der Plan durch, Schulabsolventen einen neuen Bildungsweg zu eröffnen. Für die Zwecke der Erwachsenenbildung konnte die Gesellschaft für wirtschaftliche Ausbildung einen gewissen Ersatz bilden" (Achinger 1964, S.28).

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3.2. Institutioneller Aufbau

Die Organe der Akademie gliederten sich in Großer Rat, Verwaltungsausschuss und den Lehrkörper.

Der große Rat sollte, gemäß der Satzung, im wesentlichen aus dem Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt, zwei vom Magistrat gewählten Mitgliedern, drei von der Stadtverordnetenversammlung gewählten Personen, sechs Mitgliedern des Instituts für Gemeinwohl, zwei von der Handelskammer zu wählenden Mitgliedern und einem Mitglied aus der polytechnischen Gesellschaft bestehen. Die Aufgaben des großen Rates waren die Aufstellung des Haushaltes, die Wahl des Verwaltungsausschusses, die Bestimmung von Zulassungsfragen sowie der Beschluss über die Organisation des Lehrkörpers (vgl. Wachsmuth, S.132ff.) .

Der Verwaltungsausschuss sollte sich aus einem Mitglied aus dem Lehrkörper, drei aus den städtischen Behörden und drei Mitarbeitern des Instituts für Gemeinwohl zusammensetzen. Die Aufgaben des Verwaltungsausschusses bestand in der Führung der Verwaltung entsprechend dem vom großen Rat aufgestellten Haushaltsplan, in der Ausführung der Beschlüsse des großen Rates, der Berufung und Anstellung von Lehrkräften, in der Feststellung des Lehr- und Unterrichtsplans sowie in der Erstellung eines Verwaltungsberichtes (vgl. ebd.). Er stellte gewissermaßen die Exekutive dar.

Die Rektorwahl geschah durch die ordentlichen Dozenten (vgl. ebd., S.20).

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3.3. Ansätze einer philosophischen Fakultät und der Ausbau zur Universität

Bereits 1900 formuliert Adickes den Gedanken der Einrichtung einer philosophischen Fakultät mit Blick auf die Gründung einer Universität in einer Denkschrift (vgl. ebd., S.21). Er tat dies auch vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Stiftungen und Gesellschaften mit ihren Instituten (insbesondere der Senckenbergischen Stiftung und Institute, der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft und dem Physikalischen Verein).

Der Ausbau zur Universität ist weiterhin in einen Ausbau des Fächerkanons und einen Ausbau bzw. eine räumliche Zusammenführung der wissenschaftlichen Institutionen aufzuteilen. Der Ausbau des Fächerkanons ist nicht denkbar ohne die zahlreichen Stiftungen, Schenkungen und Vermächtnisse, die zur Entwicklung der Akademie getätigt wurden.

Wachsmuth listet die Stiftungen auf, die wesentlich gewesen seien für die Ausgestaltung einer philosophischen Fakultät, darunter nennt er: Carl Christian Jügel Stiftung, die Dr. Lucius- Meister'sche Studienstiftung, ein Komplex von Stiftungen die auf Georg und Franziska Speyer zurückgehen, Dr. Ludwig Braunfels Stiftung, Otto und Ida Braunfels Stiftung, Eugen Tornow Stiftung, Arthur von Weinberg Stiftung (vgl. ebd., S.22ff.). Zum Teil förderten diese jedoch auch naturwissenschaftliche Bereiche. Als finanziell am Bedeutsamsten sind die Jügel Stiftung und die Speyerstiftung hervorzuheben.

Unter den Stiftungen, die eine philosophische Fakultät avisierten, steht sicher die Carl Christian Jügel Stiftung im Zentrum, die dann direkt diesem Zweck verschrieben wurde:

"Die Stiftungsverwaltung beschloß, das Stiftungsvermögen zur Errichtung einer akademischen Unterrichtsanstalt für die Gebiete der Geschichte, Philosophie, sowie der deutschen Sprache und Literatur (...) zu bestimmen, und, soweit die Zinsen des Kapitals nicht zum Kauf des Geländes und Bau des Stiftungsgebäudes verbraucht wären, aus ihnen die Kosten der Verwaltung und Unterhaltung des Jügelhauses, außerdem aber die Gehälter von vier für die genannten Gebiete zu berufenden Dozenten zu bestreiten" (ebd. S.28).

Die großen Stiftungen erhielten einen Sitz im großen Rat. In Bezug auf die Möglichkeit der Einflussnahme der Stifter auf die zu besetzenden Lehrstühle seien z.T. "in manchen Stiftungsbriefen besondere Vorbehalte gemacht" worden (ebd., S.23). Die Stiftungen hätten entweder eine "eigene Rechtspersönlichkeit" (ebd.) gehabt, oder die Stadt sei als Treuhänder bestellt worden (beispielsweise bei der Lucius Meister Stiftung).

Der Plan einer räumlichen Zusammenführung der verschiedenen wissenschaftlichen Frankfurter Institutionen hatte sicher auch eine tiefere institutionelle Bindung im Blick.

Adickes setzte seinen Plan der räumlichen Zusammenführung der Akademie mit den Senckenbergischen Gesellschaften und Instituten (abgesehen von dem medizinischen) und der Jügelstiftung in Bockenheim um (vgl. ebd., S.22). Die Eröffnung der (Neu-)Bauten, die gleichzeitig eine Zusammenführung der oben genannten Institutionen bedeutete, fand 1906 (Jügelhaus), 1907 (Senckenbergischen Gesellschaft) und 1908 (Physikalischer Verein) statt (vgl. ebd., S.34ff.). Auch bei der räumlichen Zusammenführung hatte Adickes eine historisch günstige Ausgangslage genutzt.

Die Senckenbergische Stiftung und Institute und die daraus entstanden Gesellschaften (Senckenbergische naturforschende Gesellschaft (1817) und der Physikalischer Verein (1824)) hatten ihren Sitz bis zum Umzug nach Bockenheim in der Innenstadt (Bleichstraße, Stiftstraße, Radgasse) gehabt. Diese Stiftungen und Gesellschaften litten unter Raummangel. Um Platz zu schaffen entstand der Plan, das von Senckenberg gegründete Krankenhaus zu verlegen. Die Stadt Frankfurt wollte ein neues Grundstück für das Krankenhaus kostenlos zur Verfügung stellen.

Bei Adickes entstand die Idee, das durch die Verlegung des Krankenhauses freiwerdende Gelände zusätzlich für die Akademie nutzen, und damit eine Zusammenlegung der verschiedenen wissenschaftlichen Anstalten im Stadtzentrum zu verwirklichen. Der Plan zerschlug sich, das ganze Gelände wurde verkauft. Vom Erlös wurde das Gelände am Stadtrand in Bockenheim gekauft. Neubauten und Jügelhaus sollten dort errichtet werden. Die Akademie sollte im Jügelhaus untergebracht werden. Der Plan, eine philosophische Fakultät zu errichten, sei damit noch nicht verwirklicht gewesen, dies sei erst durch ein weiteres Vermächtnis von Franziska Speyer (1909) möglich geworden (vgl. ebd., S.61)

Die Senckenbergische Stiftung, die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft (mit ihrem Museum) und der physikalische Verein waren schließlich einverstanden mit dem Umzug und der räumlichen Zusammenfassung der verschiedenen Institutionen in Bockenheim (vgl. ebd. S.31f.)

Eine wichtige Grundlage für diese Entwicklung bildete ein Vertrag zwischen Stadt und der Senckenbergischen Stiftung. Die Stadt übernahm die Veräußerung des Geländes der Senckenbergstiftung im Stadtzentrum und verpflichtete sich vertraglich auf die Zahlung eines im Vorhinein festgelegten Verkaufserlöses an die Senckenbergstiftung. Gleichzeitig übergab die Stadt ein festgelegtes Baugrundstück in Bockenheim zu einem ebenfalls festgelegten Betrag an die Senckenbergische Stiftung (ebd., S. 143f.). Weiterhin sollten von Seiten der Stadt Grundstücke für den Botanischen Garten (in der Nähe des Palmengartens) und das Bürgerhospital (an der Nibelungenallee) zu Verfügung gestellt werden. Die Senckenbergische Stiftung verpflichtete sich ihren (Schwester-)Gesellschaften und Instituten festgelegte Summen für Neubauten zur Verfügung zu stellen (vgl. ebd.).

Eine weitere Grundlage bildete der Vertrag zwischen der Senckenbergischen und Jügel'schen Stiftung, der eine Übereignung des ihr von der Stadt zur Verfügung gestellten Geländes in Bockenheim zum Zweck des Baues eine Hörsaalgebäudes für die Jügelstiftung für das sie auch Nutzungsrechte beanspruchte beinhaltete (vgl. ebd. S.151). In dem neu errichteten Jügelhaus sollte auch die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften, die bis dahin in der Börsenstraße untergebracht war einen neuen Ort finden. Grundlage dieser gemeinsamen Nutzung war ein Vertrag zwischen Jügel Stiftung und der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften (ebd., S.152f.). Die neuen Lehrstühle der Jügelstiftung sollten in Anschluss an die der Akademie errichtet werden und von beiden Institutionen gezeichnet werden (ebd., S.35f.). Vor der räumlichen Zusammenführung gab es jedoch auch schon andere institutionelle Überschneidungen (zumindest mit dem Physikalischen Verein), bspw. durch die Einrichtung von Lehrstühlen für Chemie und Physik (ebd., S.48).

Ein weiterer Wendepunkt, so Wachsmuth, sei 1909 eingetreten, als das Vermächtnis von Franziska Speyer an die Stadt fiel. Aus diesen Mitteln sollten, so forderte die Speyersche Studienstiftung (deren Vorsitz Adickes innehatte), "die für die Begründung einer juristischen und philosophischen Fakultät noch erforderlichen Lehrstühle" errichtet werden "und gleichzeitig die Begründung einer Universität" betrieben werden (ebd., S.61). Gleichzeitig sei mit der Stadtverwaltung wegen eines Platzes für einen Ergänzungsbau zu verhandeln, die Senckenbergstiftung wegen der fehlenden naturwissenschaftlichen Fächer zu kontaktieren und die Kosten für eine medizinische Fakultät zu ermitteln. Diese Aufgabe der Kostenermittlung sollte z.T. vom Dozentenkollegium, z.T. vom Magistrat erledigt werden (ebd., S.62).

Ebenfalls 1909 stellt Adickes den Plan der Errichtung einer "Stiftungsuniversität" im Großen Rat vor (ebd., S.63). Deren Vorteile seien eine selbstständige Vermögensverwaltung und die Mitbestimmung der Verwaltungsorgane bei der Besetzung von Lehrstühlen (vgl. ebd., S.63f.). Eine von Adickes angefertigte Denkschrift fand die Zustimmung der Beteiligten. Diese waren: "Magistrat und Institut für Gemeinwohl, Verwaltungsausschuss und Rektor der Akademie, Georg und Franziska Speyersche Studienstiftung, Dr. Senckenbergische Stiftung, C.Chr. Jügelstiftung, Senckenbergische naturforschende Gesellschaft und Physikalischer Verein, Th. Sternsches Medizinisches Institut, Neurologisches Institut, Carolinum" (ebd., S.66). Nach der Denkschrift sollte es sich bei der zukünftigen Stiftungsuniversität "um eine, staatlicher Genehmigung bedürfende Begründung einer privilegierten Korporation oder Stiftung, deren Mittel der Unterhaltung und dem Betriebe einer Universität nebst Handelshochschule zu dienen bestimmt sind" (aus der Denkschrift, zit. nach ebd., S.66) handeln.

Rechtliche Grundlage sollte ein Vertrag zwischen der Stadtverwaltung und den verschiedenen privaten Stiftungen, Gesellschaften und Vereinen sein (vgl. ebd.). Wieder folgten Kostenaufstellungen der verschiedenen Akteure zur Errichtung der zukünftigen Fakultäten. Die Anstalten, die die verschiedenen Institutionen für den Universitätsbetrieb zu Verfügung stellen sollten, sollten jedoch im Eigentum der Gesellschaften und Vereine verbleiben, abgesehen von der Akademie die in der Universität aufgehen sollte (ebd., S.64). Die Institutionelle Form (Verfassung und Organisation) sollte weitgehend die der Akademie bleiben (ebd., S.66). Der Aspekt der Fortbildung sollte jedoch beibehalten werden (ebd., S.67). Die Denkschrift wurde 1911 in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht. Die Stadtversammlung stimmte grundsätzlich zu, stellte jedoch die endgültige Zustimmung erst nach Nachweis der Kostendeckung in Aussicht. Ab 1911 begannen auch die Gespräche mit dem Ministerium (ebd., S.71). Das preußische Ministerium verlangte ebenfalls einen Nachweis der Kostendeckung (Achinger 1964, S.33). Es erfolgte die Formulierung eines Gründungsvertrages, in dem die Vertragsschließenden sich zu bestimmten Leistungen verpflichten. Im Stiftungsvertrag wurden auch die zu errichtenden Fakultäten genannt. Einen besonderen Platz habe dabei die sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Fakultät eingenommen, es sei "die Errichtung einer besonderen Sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der künftigen Universität in Aussicht zu nehmen. In diesem Vorschlag erblickt das Kollegium zugleich die beste und einfachste Lösung der Frage, wie künftig das Verhältnis der Handelshochschule zur Universität sich gestalten soll" (aus dem Schreiben des Rektors an den Großen Rat, zit. nach Wachsmuth 1929, S.74).

Der Stiftungsvertrag wurde 1912 von allen Beteiligten unterschrieben (ebd., S.81). Die neuen Verwaltungsgremien der Universität sollten der Große Rat und das Kuratorium sein.

Die Bedingung des Kostennachweises für Stadtparlament und Abgeordnetenhaus wurden erfüllt, das preußische Abgeordnetenhaus war somit zufrieden gestellt. Eine andere Schilderung davon gibt allerdings Kluke, der den Widerstand des Abgeordnetenhauses beschreibt:

"Der Widerstand des preußischen Abgeordnetenhauses wurde nicht überwunden, sondern umgangen. Die wenig demokratische Verfassung Preußens erlaubte es der Regierung, unabhängig von parlamentarischen Mehrheiten in königlichen Namen zu handeln" (Hammerstein, 1989, S.25).

Schließlich wurde eine Satzung für die Universität aufgestellt, die (zukünftigen) Fakultäten arbeiteten ihre Promotionsordnungen aus und die vom Ministerium geforderten Neubauten wurden mit einem Zeitplan ihrer Fertigstellung vorgelegt (Wachsmuth 1929, S.82ff.). 1914 erfolgte die kaiserliche Genehmigung zur Errichtung und Eröffnung der Frankfurter Universität (Hammerstein 1989, S.25).

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3.4. Institutionelle Form der Universität (Verwaltungsapparat)

Der 'Große Rat' sollte eine Vertretung der Stifter darstellen, also die Stadt, das Institut für Gemeinwohl, die Handelskammer, die Polytechnische Gesellschaft, die großen Stiftungen und Gesellschaften, zusätzlich Rektor und Prorektor. Deren Aufgaben seien die Feststellung eines Haushaltsplans, der An- und Verkauf von Grundstücken sowie die Wahlen zum Kuratorium.

Die Mitglieder des Kuratoriums wurden vom Großen Rat gewählt (mit Ausnahme derer, die qua Amt dort einen Sitz hatten). Seine Aufgabe sei die Verwaltung der Universität in Vermögensangelegenheiten und verschiedene andere Aufgaben der Verwaltung, der Berichterstattung und der Beratung. Darüber hinaus wurden die Berufungsvorschläge der Fakultäten über das Kuratorium, dem damit die Möglichkeit der Kommentierung gegeben war, an den Minister weitergereicht (Wachsmuth 1929, S.240). Dem Kuratorium oblag die Umsetzung der Beschlüsse. Es stellte somit eine Art Exekutive dar (vgl. Hammerstein, 1989, S.26). Der Oberbürgermeister habe in beiden Gremien den Vorsitz inne gehabt (vgl. Wachsmuth 1929, S.238ff.).

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4. Sonderstellung Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Die Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften war also die erste der Fakultäten der Frankfurter Universität, die bei der Eröffnung quasi schon fertig war, da sie aus dem Erbe der Akademie hervorging. Was auch nach dem Übergang erhalten blieb, war die starke Bezugnahme auf die Idee einer (integrierten) Handelshochschule (vgl. Kluke 1972, S. 190) und der starke sozialwissenschaftliche Bezug (ebd., S.191). Die Verbindung von Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und ihre Herauslösung zu einer eigenen Fakultät waren bisher an deutschen Universitäten nicht üblich. Darüber hinaus wurden, die sonst thematisch an den Handelshochschulen angesiedelten Wirtschaftswissenschaften, gab es eigentlich bis dahin auch noch nicht Bemerkung Merton als Begründer der Wirtschaftswissenschaften (bzw. in Kombination mit Fachblatt Text Achinger 2004) in den Universitätskanon aufgenommen:

"Die Gründung einer Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät, der 'fünften Fakultät', wie sie genannt wurde, war ein Novum. Denn bis dahin waren die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften entweder in der Philosophischen Fakultät, so z.B. in Berlin, oder in der Rechtsfakultät, so z.B. in Paris und Zürich, untergebracht worden. In den 13 Jahren ihres Bestehens hatte die Akademie ihr Lehrprogramm immer weiter ausgedehnt, dergestalt, dass bei der Gründung der Universität die Rechtswissenschaftliche und die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät in ihrem Schoß schon vorhanden waren. Daneben bestanden auch in den Vorlesungen über Philosophie, Geschichte, Philologie, Mathematik und Naturwissenschaften die Ansätze der drei anderen Fakultäten. Und so wurde die Fakultät das Kernstück, um das sich die Fakultäten gruppierten" (Calmes 1964, S.83).

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5. Fazit

Die Frankfurter Universität hat in ihrer Geschichte und Vorgeschichte starke sozialwissenschaftliche Wurzeln. So ist als grundlegend das soziale Engagement Wilhelm Mertons zu nennen, dass er in institutionelle Formen brachte und für das er auch eine wissenschaftliche Bearbeitung vorantrieb. Dies alles geschah vor dem Hintergrund der Diskussionen um die soziale Frage in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wilhelm Merton war es auch, der den sozialpolitischen Themenbereich mit wirtschaftlichen Überlegungen kombinierte. Dies bedeutete nicht nur die Überlegung der wirtschaftlichen Gestaltung von sozialen Unternehmungen anzuregen, sondern auch das Verhältnis von ‚Arbeit und Kapital’ ins Auge zu fassen.

Bei der Entstehung der Frankfurter Universität ist sicher auch die Bündelung von Interessen, die insbesondere von Adickes betrieben wurde, interessant. Auch weil die unterschiedlichen Interessen und ihre Verhandlung vor dem Hintergrund eines historischen Ereignisses (der Gründung der Universität) die Situation der letzten 20 Jahre des Kaiserreichs beleuchten. In der Beschreibung wird deutlich, dass es bis zur Gründung immer einen starken Bezug auf die konkrete soziale und wirtschaftliche Situation gab. Zum anderen lässt sich auch ein Wechselspiel zwischen der Kommune Frankfurt und dem preußischen Staat ablesen. Adickes erscheint als Jongleur zwischen den Interessen. Grundsätzlich konnte er aber auf das Wohlwollen, auch das des Frankfurter Stadtparlaments, bauen, da der Bedeutungsgewinn für die Stadt erheblich war.

Weiterhin augenfällig ist die Kontinuität in den institutionellen Formen von der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften zur Universität. Gewissermaßen traditionell mitgetragen wurde auch der Aspekt der Fortbildung, der theoretischen Bearbeitung der sozialen Frage im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Verhältnissen und der Aspekt der Vermittlung an die Öffentlichkeit.  Der Aspekt der Selbstrepräsentation und Selbstverwirklichung des Bürgertums in der Errichtung einer Universität, korrespondiert mit der historischen Situation der mangelnden politischen Mitbestimmungsrechte in Deutschland (s.o.)

Eine Einschätzung Heinz Steinerts zur Gründung der Frankfurter Universität ist sicher zutreffend. Sie sei „bürgerlich und kommunal entstanden, aus privaten Stiftungen, die kommunalpolitisch gebündelt wurden“ (Steinert 1989, S.17)

 

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  • Achinger, Hans (1964): Die Entstehungsgeschichte der Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät, in: Bertram Schefold (Hg.): Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler in Frankfurt am Main, Marburg 2004, S.21-42.
  • Achinger, Hans (1965): Wilhelm Merton in seiner Zeit, Frankfurt a.M.
  • Brückner, Nathanael (1892), Die öffentliche und private Fürsorge. Gemeinnützige Thätigkeit und Armenwesen mit besonderer Beziehung auf Frankfurt am Main Frankfurt a.M.
  • Calmes, Albert (1964): Von der Akademie zur Universität, in: Freunde und Förderer der Johann Wolfgang Goethe-Universität (Hg.): Die Johann Wolfgang Goethe-Universität. Jahrbuch 1964, Frankfurt a.M., S. 81-83.
  • Hammerstein, Notker (1989): Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Neuwied/Frankfurt a.M.
  • Herrschaft, Felicia/Lichtblau, Klaus (Hg.) (2010): Soziologie in Frankfurt. Eine Zwischenbilanz, Wiesbaden.
  • Kluke, Paul (1972): Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main 1914-1932, Frankfurt a.M.
  • Reulecke, Jürgen (2006): Vom Wiener Kongress bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs (1814-1914), in: Kleine deutsche Geschichte, Stuttgart, S. 265-335.
  • Steinert, Heinz (1989): Die fünfte Fakultät: Strömungen in der Geschichte der Sozialwissenschaften an der Universität Frankfurt, in: ders. (Hg.): Die (mindestens) zwei Sozialwissenschaften in Frankfurt und ihre Geschichte, Frankfurt a.M., S. 17-36.
  • Wachsmuth, Richard (1926): Die Errichtung der Akademie und ihre Entwicklung zur Universität. Rede zur Feier des 25. Jahrestages der Eröffnung der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M.
  • Wachsmuth, Richard (1929): Die Gründung der Universität Frankfurt, Frankfurt a.M.

Gabi Perabo, Die Stellung der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in der Gründungsgeschichte der Universität Frankfurt bis 1914, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 29.12.2013, URL: http://use.uni-frankfurt.de/gruendung/perabo/.

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