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Hennig Brinkmann – ordentlicher Professor an der Universität Istanbul

Von Yeliz Gecgel

Als 1933 die Universität Istanbul neu gegründet wurde, trat im nationalsozialistischen Deutschland das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ in Kraft, das zur Folge hatte, dass viele verbeamtete Hochschullehrer ihrer Position enthoben wurden und gezwungen waren, in die Emigration zu gehen. Die Türkei wurde für einige von ihnen zum Refugium. Warum aber wurde auch der überzeugte Nationalsozialist Hennig Brinkmann 1943 als ordentlicher Professor an die Universität Istanbul berufen?

1922/23 fand in der Türkei die Revolution Mustafa Kemal Atatürks statt, die das Reich der Osmanen durch eine Türkische Republik ersetzte. Dort sollte ein Hochschulsystem aufgebaut werden, das sich an westlichen Standards orientierte. Dafür griff die türkische Regierung auf deutsche Emigranten zurück, die gezielt rekrutiert wurden. Im Rahmen einer Hochschulreform sollten sie die Fakultäten nach europäischem Vorbild umstrukturieren und neu organisieren. Eine ihrer Hauptaufgaben bestand darin, Forschungseinrichtungen für Studenten aufzubauen und geeignete türkische Nachfolger in genügender Zahl auszubilden. Die Türkei bot also den Verfolgten des Naziregimes Zuflucht und Arbeit und im Gegenzug fand ein beachtlicher Aufschwung der türkischen Wissenschaft statt. Man könnte sogar sagen, dass ausgerechnet die von Hitler geschaffenen Umstände es der türkischen Regierung ermöglichten, eine große Zahl angesehener Persönlichkeiten des wissenschaftlichen und kulturellen Lebens in Deutschland in die Türkei zu holen.

Der Aus- und Aufbau des türkischen Hochschulwesens wurde von 1933 an mit Hilfe von Albert Malche – Professor für Pädagogik an der Genfer Universität, der von Atatürk mit der Überprüfung der türkischen Hochschulen hinsichtlich  Reformnotwendigkeiten und -möglichkeiten beauftragt wurde – sorgfältig geplant. Malche sah in den Entlassungen in Deutschland eine einzigartige Chance und erhielt von Atatürk sogar eine Vollmacht, um flüchtige Gelehrte in die Türkei berufen zu können. Die Verträge wurden im Namen der türkischen Regierung in der neutralen Schweiz abgeschlossen.

Allerdings gab es in dieser Zeit in der Türkei auch Wissenschaftler, die wie Brinkmann keine Emigranten waren.  In Deutschland blieb nämlich der Boom von Exilanten in der Türkei längst nicht unbemerkt. Man wollte die Geschehnisse im Auge behalten, ohne eine zwischenstaatliche Krise auszulösen. Unter dem Vorwand der offiziellen Entsendung deutscher (Reichs)Professoren auf türkischen Wunsch hin, beauftragte das Reichserziehungsministerium Herbert Scurla mit der Kontrolle sowohl der entsandten als auch der emigrierten Wissenschaftler. Er sollte deren Arbeit inspizieren, darüber berichten und sogar versuchen, Einfluss auf diese zu nehmen. Aus seinem Bericht geht u.a. hervor, wie deutsche Professoren in der Zeit des Dritten Reiches als beurlaubte Beamte im Ausland tätig waren und von Berlin aus politisch unter Kontrolle gehalten wurden.

Brinkmann wurde auf Empfehlung Scurlas auf eine neue Professur für Deutsche Philologie an die Universität Istanbul berufen und die Nationalsozialisten profitierten von seiner Bereitschaft, den Ruf anzunehmen, denn nun bedienten sie sich seiner zu ‚Inspektionszwecken’, wie das folgende Beispiel zeigt: Von besonderem Interesse war das Sprachinstitut der Universität Istanbul, dessen Leitung bei Erich Auerbach lag und in dem viele Emigranten arbeiteten. In einem Brief an den Rektor der Universität Frankfurt vom 1. Mai 1943 erklärte Brinkmann, dass man „dem empirischen Juden Professor Auerbach, den Auftrag erteilt habe, für einen Germanisten zu sorgen“ (Personalakte Hennig Brinkmann, Frankfurter Universitätsarchiv). Auerbach, der 1936 in die Türkei emigriert war, habe sich an die Schweiz gewandt und nach einigen Absagen eine Liste mit vorgeschlagenen Professoren erhalten, auf der Brinkmann an zweiter Stelle stand. Brinkmann weiter:

"In der Fakultätssitzung vom 3. März haben die deutschen Emigranten Professor Peters und Professor Auerbach sich heftig gegen Sache und Person gewendet. Sie meinten, dass deutsche Professoren doch nur als Propagandisten des Nationalsozialismus kommen würden. Das löste bei türkischen Kollegen die Bemerkung aus, es sei seltsam, dass ausgerechnet sie den Rassestandpunkt verträten. Sie selber trieben Politik, und es sei ungehörig, dass sie sich als Gast in einem fremden Land so verhielten."

Es entstand also ein Interessenskonflikt zwischen den Reformern der türkischen Hochschulen, den deutschen Emigranten und den nationalsozialistischen Repräsentanten in Istanbul, und es ist paradox und auch sicher kurios, dass ausgerechnet die deutschen Emigranten und die Nationalsozialisten an der Gründung der modernen türkischen Hochschulen maßgeblich beteiligt waren.

Im selben Brief erläutert Brinkmann die Maßnahmen, die in seinen Augen für die Errichtung eines germanistischen Lehrstuhls nach europäischem Vorbild getätigt werden mussten. Ein tiefgreifender Wandel an der Universität Istanbul war für ihn nur durch lange Arbeit und nicht durch eine ‚Hauruckrevolution’ zu bewerkstelligen. Er hatte große Pläne und sprach von einer „völligen Neubegründung“ (ebd.), weil der wissenschaftliche Betrieb in seinen Augen noch nicht funktionierte und abgesehen davon auch bei den Studierenden keine ausreichende Kenntnis der deutschen Sprache und deutschen Literatur vorlag.  Vordergründig sollte es um die Errichtung eines großen Instituts gehen, welches nach außen hin den Anschein wahren sollte, als ob es lediglich für das germanistische Studium bestimmt war: „In Wirklichkeit muss es als deutsches Kulturinstitut aufgebaut werden, in der Anlage ähnlich den Deutschen wissenschaftlichen Instituten, die das Reich im Ausland unterhält, aber angepasst der besonderen Lage und Aufgabe in der Türkei.“ (ebd.)

Zu all dem kam es nicht mehr, auch weil die neutrale Türkei im Februar 1945 Deutschland den Krieg erklärte. Brinkmann war zu diesem Zeitpunkt wieder einmal von seinen Frankfurter Lehrverpflichtungen beurlaubt: Er unterrichtete an der Universität Agram/Zagreb.

Empfohlene Zitierweise

Yeliz Gecgel: Hennig Brinkmann - ordentlicher Professor an der Universität Istanbul. In: Frankfurter Literaturwissenschaftler 1914-1945, hg. von Frank Estelmann und Bernd Zegowitz. 2014. Onlinefassung. URL: http://use.uni-frankfurt.de/literaturwissenschaftler/brinkmann/gecgel/.


Literatur

Neumark, Fritz: Zuflucht am Bosporus. Deutsche Gelehrte, Politiker und Künstler in der Emigration 1933-1953. Frankfurt am Main 1980

Scurla, Herbert: Die Tätigkeit deutscher Hochschullehrer an türkischen wissenschaftlichen Hochschulen, In: Sen, Faruk und Dirk Halm (Hg.): Exil unter Halbmond und Stern. Essen 2007, S. 31-92

Stauth, Georg und Faruk Birtek (Hg.): Istanbul. Geistige Wanderung aus der „Welt in Scheiben”. Bielefeld 2007