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Helmut A. Hatzfeld

...Stilistik und Cervantes' "Don Quijote"

von Nathalie Graßmuck
 

„Jeder (…) wird feststellen, daß sich die Don-Quijote-Forschung qua
Don-Quijote-Deutung in einer neuen ernsten Diskussion befindet und
respektable Einsichten zutage gefördert hat.

(Hatzfeld 1968:9; zuerst publiziert 1927)
 

Im Roman El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha von Miguel de Cervantes (1547-1616) geht es bekanntlich um einen verarmten, jungen Mann, der nach exzessivem Konsum von Ritterromanen die darin beschriebenen Abenteuer selbst erleben möchte und kurzerhand beschließt aufzubrechen. Seine ritterlichen Erlebnisse werden allerdings nur in seiner lebhaften Phantasie stattfinden. Auf diese Weise gilt der Don Quijote, in dem die beliebten Ritterromane parodiert und deren exzessive Lektüre parodiert werden, als erster moderner Roman, der auch einen großen Einfluss, insbesondere auf die Literatur, aber auch auf die Kunst (zum Beispiel bei Salvador Dalí) und die Musik (beispielsweise Richard Strauß) ausgeübt hat.

Don Quijote in der Lehre

Helmut Hatzfeld beschäftigte sich in seinen Seminaren der Universität Frankfurt der 1920er Jahre sowohl mit dem Don Quijote – „Cervantes und sein Don Quijote“ im Wintersemester 1923/24 und „Cervantes´ Don Quijote II“ im Sommersemester 1924 seien als Beispiele genannt – als auch mit der stilistischen Interpretation von Texten, wie es beispielsweise die Veranstaltungen „Stilistische Übungen (Französisch)“ (im Sommersemester 1924) und „Vergleichende Stilistik und Semantik der romanischen Hauptsprachen“ (im Sommersemester 1927) erkennen lassen.

Die Stilistik (oder auch: Stilforschung) ist eine Unterkategorie der Literaturwissenschaft und beschäftigt sich mit der Erforschung von literarischen Ausdrucksweisen sowie deren Analysen. Durch die Untersuchung der Syntax lassen sich beispielsweise verschiedene Schreibstile kategorisieren. Hatzfeld veröffentlichte 1975 eine Sammlung von Aufsätzen zur Romanistischen Stilforschung; diese Forschungs-Anthologie beinhaltet Texte, die innerhalb der Stilforschung verschiedene Aspekte vertiefen.

Hatzfelds Frankfurter Quijote-Monographie von 1927

Im Jahr 1927, während seiner Zeit als Lehrender an der Universität in Frankfurt am Main, publizierte Hatzfeld die Monographie Don Quijote als Wortkunstwerk, in welcher zwei seiner Interessengebiete – die Stilforschung und eben der Don Quijote – zusammengeführt werden. Als Besonderheit gilt die Fixierung auf die im Werk verwendeten stilistischen Mittel. Während viele Studien dieser Zeit sich auf die Handlung des Romans konzentrierten oder die geschichtlichen Umstände Spaniens im 16. Jahrhundert zum Gegenstand hatten, konzentriert sich das Werk von Helmut Hatzfeld ausschließlich auf die im Don Quijote verwendeten Stilmittel. Hatzfeld selbst bezeichnet im Schlusswort seines Werkes die Untersuchung der Stilelemente als „objektive Würdigung der Dichtung als Kunstwerk, (die) zur wissenschaftlichen Erkenntnis ihres ästhetischen Wertes“ (Hatzfeld 1927: 287) entscheidend beiträgt. Tatsächlich konzentriert sich Hatzfeld uneingeschränkt auf die Untersuchung der verschiedenen Stilmittel und deren Interpretation, von denen er unter anderem der epischen Technik, der Ideengestaltung und der Weltanschauung im Don Quijote größere Aufmerksamkeit widmet.

Hatzfeld beschreibt dabei in Don Quijote als Wortkunstwerk die verschiedenen Motive, die im Roman Cervantes’ zu finden sind. Die Kapitel seines Werks sind wie folgt aufgebaut: Der Gegenstand eines Kapitels wird zuerst kurz erläutert, auch anhand des aktuellen Forschungsstandes; daraufhin werden die stilistischen Details dargelegt. Charakteristisch für die Stilforschung ist hier vor allem die intensive Verwendung von Zitaten aus dem Don Quijote, an denen sich der Interpret orientiert.

So beschreibt Hatzfeld im Kapitel zur epischen Technik als zentrale Merkmale des Don Quijote die traditionellen, volkstümlichen Vergleiche, denen sich Cervantes in seinem Roman bedient. Sie durchziehen den gesamten Roman und treten in unterschiedlichen Variationen auf. Allen voran beziehen diese Vergleiche sich auf die Thematiken der Tier- und Pflanzenwelt. Die Besonderheit, die Hatzfeld im Don Quijote auffällt ist, ist dabei die Art der Verwendung der spanischen Sprache: Anstelle bloßer Aneinanderreihungen solcher Vergleiche, wandelt Cervantes sie ab und lässt sie neu entstehen. 

Oskar Walzels Stilforschung im Vergleich

Der Dank Hatzfelds im Vorwort seines Don Quijote als Wortkunstwerk an Leo Spitzer, Oskar Walzel und Karl Vossler verdeutlicht die methodische Nähe, die Hatzfeld zu diesen Literaturwissenschaftlern sah.

Oskar Walzel veröffentlichte 1936 beispielweise eine Monographie mit dem ähnlichen, aber allgemeiner gehaltenen Titel Das Wortkunstwerk. Diese Studie widmet sich im Unterschied zu Hatzfelds Don Quijote als Wortkunstwerk jedoch nicht nur einem literarischen Werk im Speziellen (bei Walzel sind dies die Dramen Shakespeares), sondern beschreibt und analysiert zunächst die Wortkunst im Allgemeinen.

Im Vergleich mit Helmut Hatzfeld stellt Oskar Walzel verschiedene Aspekte von dichterischen Formen und besonderen Darstellungsweisen einander gegenüber, gibt also einen ausführlichen Überblick über die allgemein literarische Bedeutung von Stilmitteln; Hatzfeld beschränkt sich ja ausschließlich auf einen Roman. Walzel diskutiert auch stärker als Hatzfeld die methodischen Aspekte der Stilforschung und gibt dem außertextuellen Kontext ein größeres Gewicht. Die ausschließliche Fixierung auf die stilistischen Mittel im literarischen Text, ohne auf die äußeren Umstände bei dessen Entstehung einzugehen, erweist sich in diesem Vergleich als Eigenart von Hatzfelds Arbeit. Darin wird weder die politische Situation Spaniens im 16. Jahrhundert noch die persönliche Situation von Miguel de Cervantes oder eine andere Komponente mit in die Analyse einbezogen, welche nicht direkt aus dem Text abgeleitet ist.
 


von Ines Jäger

 
Wie es seit der Cervantes-Rezeption in der Romantik üblich geworden war, untersuchte auch Hatzfeld in seiner Studie Don Quijote als Wortkunstwerk die Verwendung der Ironie im Don Quijote: „Por toda su concepción como sátira de las novelas caballerescas, por todo su desarollo con las parodias constantes de las situaciones, usos, ademanes y frases caballerescas, es Don Quijote una obra de sonrisa suelta, obra típica de la ironía.“(1) Für Hatzfeld wollte Cervantes also auf ironische Weise aufzeigen, was passiert, wenn man die imaginierten Abenteuer in den Ritterromanen als Wirklichkeit begreift und nicht mehr zwischen Realität und Literatur unterscheiden kann.

Die drei Formen der Ironie im Don Quijote

Dabei unterteilt Hatzfeld den Begriff der Ironie in drei Kategorien: in die verbale Ironie, die strukturelle Ironie und in die Hyperbel.

Verbale Ironie

Die verbale Ironie beschreibt Hatzfeld als die gesprochene Form der Ironie. Beispielsweise sagt man etwas und meint eigentlich das Gegenteil. Ein von Hatzfeld angeführtes Beispiel aus dem Don Quijote, in dem dieses Stilmittel sehr oft Verwendung findet, lautet folgendermaßen: „Cuando se dice del miserable Rocinante: ‚era la mejor pieza que comía pan en el mundo(2). Die Konsequenz aus der häufiger auftretenden Form dieses ironischen Sprachgebrauchs ist es, dass der Text zu weiten Teilen aus Mehrdeutigkeiten besteht. Allerdings kann der Leser an einem gewissen Punkt nicht mehr genau erfassen, inwiefern der Erzähler nun wirklich das Gesagte meint oder das Gegenteil des Gesagten.

Strukturelle Ironie

Im Vergleich dazu stellt Hatzfeld im Don Quijote eine Form der strukturellen Ironie fest. Eigentlich mit der Ironie von Dingen assoziiert, die kein Bewusstsein haben, wie zum Beispiel der Welt oder des Schicksals („Ironie des Schicksals“), befasst sich diese Form der Ironie mit der Struktur des Gesagten. Im Don Quijote bezieht sie sich hauptsächlich auf die romanesken Charaktere und Situationen. Besonders Don Quijote selbst wird in dieser Hinsicht ironisch dargestellt. Er wird durchgehend als doppel- oder mehrdeutiger Charakter gezeigt, wobei die Ironie tragische Züge annehmen kann, etwa, weil der arme Junker immerzu nur getäuscht wird. Hatzfeld bringt allerdings das folgende Beispiel, das von der Figur des Don Quijote selbst stammt: „Parece que se me ablandan los cascos o se me derriten los secos“(3). Don Quijote merkt also gleichwohl, dass er von allen Anderen nicht ernst genommen wird, kann aber nicht nachvollziehen, warum dies so ist. Er am eigenen Todesbett ist er bekanntlich fähig, zwischen Ideal und Realität zu unterscheiden.

Hyperbel

Schließlich führt Hatzfeld in seiner Analyse über die Ironie im Don Quijote noch die Hyperbel auf. Sie entspricht einer vollkommenen Übertreibung. Hatzfeld schreibt in diesem Zusammenhang: „Podría añadirse para el Quijote que el humor genuino tiene siempre algo de alegre, de plenitud temperamental e imaginativa. Sus objetos de atención se le presentan aumentados y sublimados por los sentimientos. Su expresión se convierte, por tanto, en exageración, en híperbole.“(4) Hyperbeln werden bevorzugt bei dramatischen Personencharakterisationen benutzt, wobei es hier erneut der Protagonist selbst ist, der als Vorzeigecharakter einer hyperbolisch-ironischen Personendarstellung gekennzeichnet wird. Denn keine andere Figur im Roman wird von Cervantes so übertrieben in seiner Art und Ausdrucksweise dargestellte als Don Quijote selbst. Der Protagonist lotet dabei sogar, so Hatzfeld, die Grenzen der Ausdrucksfähigkeit im Spanischen aus: „Pero la híperbole en boca de Don Quijote está siempre, y de hecho, al máximo."(5)

 

Endnoten

(1) Die 1927 veröffentlichte Studie Hatzfelds, Don Quijote als Wortkunstwerk, wurde 12 Jahre später erstmals ins Spanische übersetzt. Auf die zweite Ausgabe dieser Übersetzung beziehen sich die folgenden Angaben. Vgl. Hatzfeld, Helmut (1972): El „Quijote“ como obra de arte del lenguaje. Segunda ed. española. Madrid, S. 185.

(2) Ebd., S. 186.

(3) Ebd., S. 191.

(4) Ebd., S. 195.

(5) Ebd., S. 196.

 
Empfohlene Zitierweise

Nathalie Graßmuck & Ines Jäger: Helmut A. Hatzfelds Stilistik und Cervantes' Don Quijote. In: Frankfurter Literaturwissenschaftler 1914-1945, hg. von Frank Estelmann und Bernd Zegowitz. 2014. Onlinefassung. URL: http://use.uni-frankfurt.de/Graßmuck&Jäger


Wohnsitz Hatzfelds zwischen 1926 und 1932 in der Corneliusstraße 11 in Frankfurt am Main; Bild: Jana Stupperich und Ines Jäger

Literatur

Hatzfeld, Helmut (1927): Don Quijote als Wortkunstwerk. Die einzelnen Stilmittel und ihr Sinn, Leipzig/Berlin (Teubners spanische und hispano-amerikanische Studienbücherei)

Hatzfeld, Helmut (Hg.) (1968): Don Quijote. Forschung und Kritik, Darmstadt (Wege der Forschung, CLX)

Hatzfeld, Helmut (1972): El „Quijote“ como obra de arte del lenguaje. Segunda ed. española. Madrid

Hatzfeld, Helmut (Hg.) (1975): Romanistische Stilforschung, Darmstadt

Walzel, Oskar (Hg.) (1923): Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters, Berlin/ Neubabelsberg (Handbuch der Literaturwissenschaft, 3)

Walzel, Oskar (1926): Das Wortkunstwerk. Mittel seiner Erforschung, Leipzig