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Helmut A. Hatzfeld

...Literatur als Mittel zur Völkerverständigung

Helmut A. Hatzfeld kämpfte im Ersten Weltkrieg als Frontkämpfer. Zuvor hatte er sich, mit dem durch die Promotion abgeschlossenen Studium der Romanistik, bereits intensiv für die Sprache und Literatur des ‚Feindes’ Frankreich interessiert. Er hatte zudem durch Auslandsaufenthalte in Frankreich und Großbritannien während seiner Studienzeit bereits Erfahrung darin gesammelt, sich in anderen Kulturen zu bewegen und sich dem politischen Zeitgeschehen aus anderer als deutscher Perspektive zu widmen. Insofern waren die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs für Hatzfeld einschneidend, und zwar im Sinne einer Bewusstwerdung der gesellschaftlichen Verantwortung eines 'Kulturvermittlers'. Dieser Einfluss lässt sich leicht in seinen akademischen Schriften der Weimarer Republik nachvollziehen, als er in Frankfurt am Main universitäre Karriere machte.

Geistigkeit im Eindruck des Ersten Weltkriegs: Rolland und Claudel 

Nach dem Kriegsende beschäftigte sich Hatzfeld beispielsweise mit den französischen Intellektuellen und Literaten Paul Claudel und Romain Rolland. Rolland, der 1915/1916 – nach der Publikation von Au-dessus de la mêlée (dt. Über dem Schlachtgetümmel), in dem er das Kriegstreiben aller beteiligter Nationen angeprangert hatte – den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte, war bekannt dafür, sich auch nach dem Krieg politisch für Frieden, Kosmopolitismus und die Einheit einer europäischen Kultur einzusetzen. Entsprechend befürwortend sind auch die Abschnitte, die Hatzfeld ihm als als Protagonisten der deutsch-französischen Verständigung in seiner Abhandlung Paul Claudel und Romain Rolland: Neufranzösische Geistigkeit (1921) widmet.

Überraschender ist, dass Claudel als Vertreter der französischen ‚Geistigkeit’, für die Hatzfeld bekanntermaßen ein Spezialist war, gemeinsam mit Rolland gewürdigt wird. Aus Hatzfelds Sicht aber stehen beide für die zwei Eigenschaften, die er an der Figur des französischen Intellektuellen schätzte: das übernationale Engagement für die europäische Idee (verkörpert vom internationalistischen Sozialisten Rolland) und die aneignende Hinwendung zum geistigen Erbe des romanischen, d.h. katholischen, Frankreich (personifiziert von Claudel als Vertreter des renouveau catholique).

Hatzfeld musste bewusst gewesen sein, dass er damit gerade Claudel für die Sache der Völkerverständigung in Anspruch nahm, die diesem selbst vermutlich zumindest auf diese Weise nicht gepasst hätte. Klar war jedenfalls, dass die Tatsache, dass Hatzfeld mit seiner Vision eines neuen Europa unter der geistigen Führung der Intellektuellen quasi unweigerlich zwei französische Literaten auch als Vorreiter der deutschen Entwicklung in Anspruch nahm; damit musste er in Deutschland selbst anecken. Bereits während des Verfassens seines 160-seitigen Bandes ahnte er: "Sie [Claudel und Rolland] haben aber nicht nur Frankreich, sondern auch Europa mancherlei zu sagen, und wer in Deutschland Anstoß daran nehmen sollte, sie zu hören, der möge sich in Gottes Namen sagen, daß man auch vom Feind etwas lernen kann." (Hatzfeld 1921: 7)

Hatzfeld und der europäische Neuaufbau

Barrieren abbauen, das gegenseitige Verständnis stärken und die Deutschen an der Neuentstehung Europas teilhaben lassen: In diesen Dienst stellte Hatzfeld sein wissenschaftliches Tun immer wieder, auch wenn er mit der Stilistik und der Bedeutungslehre schon bald seine einflussreichsten Themengebiete außerhalb jener akademischen Felder erschloss, die gesellschaftspolitisch unmittelbar relevant waren.

Der schmale Band Paul Claudel und Romain Rolland: Neufranzösische Geistigkeit stellte insofern nicht nur den idealen Zugang zu zwei Intellektuellen dar, die Hatzfeld mit biographischen und bibliographischen Übersichten darzustellen beabsichtigte – das Buch war über den Umweg der Darlegung ‚fremden’ Gedankenguts auch einer der Beiträge für die europäische Sache eines auf internationale Verständigung abzielenden Komparatisten.

Dass Hatzfeld diesen persönlich motivierten Bildungsauftrag auch inneruniversitär ernst nahm, wird schließlich unmissverständlich deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass er, mittlerweile Privatdozent an der Universität Frankfurt, im Wintersemester 1925 die Veranstaltung "Geistige Strömungen im heutigen Frankreich" leitete – unmittelbar nach der Konferenz von Locarno.

 

Literatur

Christmann, Hans Helmut (1989): Deutsche und österreichische Romanisten als Verfolgte des Nationalsozialismus. Tübingen (Romanica et comparatistica, Band 10)

Hatzfeld, Helmut A. (1921): Paul Claudel und Romain Rolland. Neufranzösische Geistigkeit, München (Philosophische Reihe, Band 30)

"The Nobel Prize in Literature 1915". Nobelprize.org. Nobel Media AB 2013. Web. 
http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/literature/laureates/1915/ Eingesehen am 23. März 2014

Universität Frankfurt am Main (1925): Verzeichnis der Vorlesungen, Frankfurt am Main

Paul Claudel (1927); Quelle: wikimedia commons

Romain Rolland (1915); Quelle: wikimedia commons