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Arnold Hirsch

…die Einbußen deutscher Wissenschaft durch den Nationalsozialismus

Durch die Machtergreifung Hitlers wurden viele jüdische Wissenschaftler ihrer Arbeitsstelle und häufig ihrer vollständigen Existenz beraubt. Nach der Machtergreifung emigrierten zwischen 250 000 und 280 000 Menschen und viele davon waren bis dahin in akademischen oder künstlerischen Berufen tätig gewesen. Etwa ein Drittel des Bestandes an habilitierten Lehrkräften wurde entlassen. Dies hatte verheerende Auswirkungen auf die verschiedensten Bereiche der Universitäten. Nicht nur die Studenten konnten in bestimmten Studiengängen nur noch eine qualitativ verminderte Ausbildung erhalten, manche Studiengänge oder Forschungsbereiche wurden komplett geschlossen. Auf diese Weise wurde ein gehegtes, vieljährig aufgebautes geistiges Vermächtnis Deutschlands ausgelöscht. Wichtige Personen, die zum Zeitpunkt der Vertreibung schon Ansehen genossen, aber auch solche, die erst später bekannt wurden, fielen der nationalsozialistischen Ideologie zum Opfer: Personen wie Albert Einstein, Otto Stern und Erwin Schrödinger in der Physik, Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der Sozialphilosophie, Sigmund Freud und Erich Fromm, die maßgeblich die Psychoanalyse veränderten, und nicht zu vergessen der Literaturkritiker und Philosoph Walter Benjamin. Führende Persönlichkeiten wurden vertrieben und so die Qualität des akademischen Unterrichts, die durch bloße Lektüre der Schriften (falls diese nicht vernichtet wurden) nicht erreicht werden konnte, erheblich gemindert. Auf diese Weise wurde das wissenschaftliche Nachwuchspotential schwer geschädigt. Fast jeder Emigrierte war unter 30 Jahre alt und hatte seine Karriere und das wissenschaftliche Potential noch nicht ausgeschöpft. Viele der Emigrierten konnten in ihren Zufluchtsländern, hatten sie noch keinen Bekanntheitsgrad erlangt, häufig nicht an ihre vorherige Forschung oder Tätigkeit anknüpfen. Auf diese Weise wurden viele Forschungszweige aufgelöst. Bereits anerkannte Persönlichkeiten wie Albert Einstein stellten ihre Fähigkeiten nun den Zufluchtsländern zur Verfügung.

Arnold Hirsch war in den 1930er Jahren ein aufsteigender Wissenschaftler mit großem Potential. Er war einer der ersten, der die Literaturwissenschaft mit soziologischen Methoden verbinden wollte. Gerhard Sauder schreibt, dass Hirsch „in seiner hoffnungsvollen, wissenschaftlichen Laufbahn ein Opfer der politischen Verhältnisse“ (Sauder: Der Germanist Arnold Hirsch, S. 451) wurde und bezeichnet ihn als einen der begabtesten Germanisten der Weimarer Republik. Leider sollte ihm die angestrebte Laufbahn nicht vergönnt sein. Versuchte er zunächst noch, seiner wissenschaftlichen Karriere auch in Frankreich nachzugehen, veranlasste ihn die Deportation seiner Familienmitglieder zum Eintritt in die Résistance. Die letzten Jahre seines Lebens arbeitete er als Lektor und nahm seine Arbeit teilweise wieder auf. Er korrigierte ausgewählte Aufsätze seiner Habilitationsschrift und begann eine neue Studie über Thomas Mann, die er jedoch nicht beenden konnte.

Sauder formuliert treffend: „Die harten Jahre der Emigrationszeit in Paris, bei der Fremdenlegion und im Maquis haben die Entfaltung eines originellen Oeuvres verhindert“ (Sauder: Hirsch, S. 755) Das weite Feld der Literatursoziologie wurde in Deutschland nicht weiter bearbeitet. Was aber hätte Hirsch geleistet, wäre seine Habilitation nicht verhindert und somit seine Karriere vorzeitig beendet worden?

 

 

Literatur

Pross, Helge: Die geistige Enthauptung Deutschlands. Verluste durch Emigration. In: Universitätstage 1966. Nationalsozialismus und die deutsche Universität. Berlin 1996, S. 143-155

Sauder, Gerhard: Hirsch, Arnold. In: König, Christoph (Hg.): Internationales Germanistenlexikon 1800-1950. Berlin 2003, S. 754-755

Sauder, Gerhard: Der Germanist Arnold Hirsch (1901-1954) – eine Erinnerung: In: Béhar, Pierre (Hg.): Médiation et conviction. Paris 2007, S. 459-461

Strauss, Herbert A.: Wissenschaftler in der Emigration. In: Tröger, Jörg (Hg.): Hochschule und Wissenschaft im Dritten Reich. Frankfurt am Main 1984, S. 53-64