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Hermann August Korff

...im Einflussbereich der deutschen Bewegung

Obwohl sich innerhalb der Zeit der Weimarer Republik die Zahl der Universitätsgermanisten mehr als verdoppelte, fühlte sich die deutsche Germanistik nach 1919 zunehmend bedroht, was sie mit einem konstruierten Geltungs-und Sendungsbewusstsein aufzuwiegen versuchte.[1] Die Deutschkunde, deren Anliegen eine Erziehung der deutschen Jugend im Sinne des Völkischen war, gab diesem Bestreben eine scheinbar objektive Berechtigung. Forschungsgegenstand dieser Bewegung war alles, was ihrem Ermessen nach dem Deutschtum zugewiesen oder von welchem dieses abgeleitet werden konnte. Ziel war eine Stärkung des nationalen Bewusstseins durch die Vergegenwärtigung scheinbarer historischer Kontinuitäten.

Auch Hermann August Korff, Literarhistoriker und Vertreter der Geistesgeschichte, ist in diesen Prozess einzuordnen, und zwar nicht nur aufgrund der Tatsache, dass er von 1926 bis 1933 Mitherausgeber der "Zeitschrift für Deutschkunde" (ZfDk) war. Ausschlaggebend für die nun folgende Einordnung sind die Aufsätze Korffs, welche er zwischen 1920 und 1933 in der ZfDk veröffentlicht hat. Anhand dieser Texte kann ein Entwicklungsprozess aufgezeigt werden, der von objektiver Auseinandersetzung mit den behandelten Themen im Rahmen seines Faches über moderate Anpassungen an den völkischen Zeitgeist bis hin zu einer Neubewertung des wissenschaftlichen Ethos im nationalsozialistischen Sinne führt.

So ist der erste von Korff in der ZfDk im Jahre 1920 veröffentlichte Aufsatz eine Besprechung Josef Nadlers dreibändiger "Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften".[2] Auch wenn Korff sehr wohl Nadlers Ansatz als etwas Neues würdigt, distanziert er sich doch ausgesprochen von diesem Werk, indem er Nadlers Anspruch, mit seiner Literaturgeschichte alle übrigen ersetzen zu wollen, kritisiert und verwirft. Auch problematisiert er Nadlers Theorie in dem Sinne, dass sie sich gegen die allgemeine literaturgeschichtliche Tendenz stellt, deutsche Literaturgeschichte im Zusammenhang der allgemeinen europäischen darzustellen.[3] Dies hervorzuheben ist besonders wichtig, da Korffs Einstellung zwar nicht ganz die Funktion eines Alleinstellungsmerkmals in der geistesgeschichtlichen Germanistik innehat, aber sehr wohl weit davon entfernt ist, Deutschland nicht als Teil Europas, sondern lediglich in Abgrenzung zu diesem zu erfassen.[4]

Während Anfang der zwanziger Jahre Korffs Beiträge zur Deutschkunde eher spärlich sind, steigert sich doch ihre Anzahl, sobald er 1926 zum Mitherausgeber der Zeitschrift avanciert. Ebenfalls ist darauf hinzuweisen, dass der 1926 erschienenen Ausgabe ein Artikel von Walther Linden vorangestellt ist, welcher "Die geistigen Grundlagen der Deutschkunde und das Programm der Zeitschrift" definiert,[5] was in vorausgegangenen Jahrgängen durchaus nicht üblich war: "Deutschkunde nennen wir die Wissenschaft von dem jahrtausendalten Leben dieser großen und Daseinsträchtigen Schicksalsgemeinschaft. […] [Sie] empfängt ihren Sinn aus dem inneren Zusammenhange alles dessen, was deutsch war und deutsch ist."[6] Signifikant ist hier auch die Wortwahl "Schicksalsgemeinschaft". Diese Bezeichnung, welche zum einen dazu dient, die nach 1919 festgelegten staatlichen Grenzen zu durchlaufen, und zum anderen, dazu, die aktuelle Verfassung der deutschen Gesellschaft in ein apokalyptisches Licht zu rücken, ist unter den führenden Vertretern dieser Anschauung keine Seltenheit.

Korffs vollkommener Verzicht auf Begriffe dieser Art und auf derartige semantische Bezüge, streicht erneut seine Distanziertheit zu dieser Ausformung der nationalen Bewegung heraus. Auch findet sich in Lindens Einleitung ein Angriff auf die Literaturgeschichte, welche er als dem nationalen Ziele unzureichend unterworfen empfindet. Dies sieht Linden darin begründet, dass die Wissenschaft Angst habe, "ihre sachliche Forschung dem Dienste nationaler Vorurteile und politischer Zwecke zu unterwerfen", was er aber mit der Feststellung abtut, dass „die [Grenzen der] Wesenszüge der Volksart […] doch mit denen ihres Faches zusammenfallen und also der Wissenschaft gemäß sind"[7]. Der unmittelbar an diesen anschließende Artikel Korffs, "Das Wesen der klassischen Form",[8] dient zum einen der Rechtfertigung seines theoretischen Ansatzes in seinem Buch "Geist der Goethezeit", stellt aber ebenso heraus, dass in verschiedenen Epochen von verschiedenen "Art[en] der dichterischen Intention"[9] ausgegangen werden muss.

Auch in den Artikeln der nächsten Jahre präsentiert sich Korff distanziert wissenschaftlich. So hält er sich an einen wissenschaftlichen, weitestgehend neutralen Duktus, wenn er sein Forschungsgebiet in seinen geschichtlichen Dimensionen begreift und daraus weder Definitionen des völkischen Wesens abzuleiten sucht noch es einer 'Idee des deutschen Vorfahrentums' unterordnet. Im Gegenteil: In seinen Anschauungen verweist Korff immer wieder auf ein generelles Humanitätsideal sowie auf innereuropäische Zusammenhänge.[10]

Auffallend sind erst die im Jahrgang 1930 abgedruckten "Zwei Vorlesungen über Richard Wagner",[11] in denen zum ersten Mal semantisch fragwürdig geladene Begriffe wie 'Entartung' und 'Kult' auftauchen. Diese Ansätze konkretisieren sich in "Deutschlands Anteil an der Weltdichtung" aus dem Jahr 1931.[12] Plötzlich ist die Rede von "dem Geist jener Kernschicht unseres völkischen Wesens"[13], welcher im "Nibelungenlied" begründet ist. Korff sieht den deutschen Beitrag zum Epos vor allem in diesem und in Nietzsches "Zarathustra": "das erstere das hohe Lied des lebenstrotzigen heidnisch-germanischen Reckentums, das letztere die Botschaft vom wieder heidnisch gewordenen Übermenschen, der auf einer unendlich verfeinerten Höhe des Geistes denselben lachenden Lebenstrotz des Germanentums noch einmal wieder verkündet."[14] Korff betrachtet Deutschland analog zum damaligen Afrika; so sei der deutsche Mensch vom Wesen her atheistisch, die christliche Religion sei etwas von außen Herangebrachtes und demnach seien alle deutschen Bestrebungen in der Geschichte darauf gerichtet, dieses zu überwinden.[15] Ferner diagnostiziert er in Abgrenzung zu den romanischen Völkern das deutsche Wesen, welches "nur auf dem Umwege mancherlei Irrtümer" seine Persönlichkeit zu entwickeln imstande sei, als "unsozialen Menschentypus"[16]. Auch in allen weiteren Betrachtungen der einzelnen Gattungen verfällt Korff immer wieder in diese Deutungsweisen: "Und wieder hören wir […] die Stimme des germanischen Blutes: den Lebenstrotz trotzalledem … ohne metaphysische Illusionen und bei voller Einsicht in die ganze Fragwürdigkeit unserer naturgebundenen Existenz … den Lebenstrotz des Helden, der seinen ganzen Stolz darein setzt, dem Leben durch die Kraft seiner Persönlichkeit überlegen zu sein."[17]

1933 schließlich erfolgte die bis heute viel beachtete Begrüßung des Nationalsozialismus in Form seines Aufsatzes "Die Forderung des Tages".[18] Ist der Anfang doch recht befremdlich und von pathetischen Bildern überladen ("die Nacht ist von uns gewichen, und wie wir uns in der Helle umsehen, wissen wir: eine neue Epoche der deutschen Geschichte ist angebrochen"[19]), erkennt man recht schnell das eigentliche Ziel dieses Aufsatzes: Die Deutschkunde ihrer rechtmäßigen Bedeutung zuzuführen. So gibt Korff sich und die Deutschkunde als geistige Wegbereiter des Nationalsozialismus aus, durch den nun die geistige Idee "historisch im großen Stile fruchtbar"[20] sein kann. Weiter werde die Deutschkunde durch die politischen Ereignisse „aus ihrem besinnlichen Zustand" herausgeholt und erst jetzt „den rechten Mut bekommen, sich als [praktische Wissenschaft] zu bekennen" und vollkommen in der Aufgabe der „Volkserziehung und Volksgestaltung" aufzugehen.[21] "Deutschkunde […] ist Politik […], eine politische Wissenschaft […], deren Methode und Wertsystem von ihrem politischen Ziele her bestimmt werden muß."[22] Auch distanziert sich Korff hier von seiner abermals ausgeprägten wissenschaftlichen Objektivität: "Diese Kunde [Deutschkunde] muß durchflutet sein von einem leidenschaftlichen Gefühl – und darum leidenschaftliches Gefühl erregen".[23] Sie ist "nicht wertfreie Wissenschaft, sondern Wissenschaft, die all ihr objektives Wissen in den Dienst einer subjektiven Wertung stellt."[24] Ferner habe der Wissenschaftler „nicht das Recht zu jeder, sondern nur zu ehrfürchtiger Kritik […], die sich nicht anmaßt, Leben und Gott in ihren letzten Gründen zu 'richten'"[25]. Denn der Gegenstand der Deutschkunde sei "letzten Grundes ein Heiligtum", deshalb sei der "frevlen Neugier, [aber] auch dem ernsten Forschen bestimmte biologische Grenzen" gesetzt.[26] Ganz am Schluss kehrt Korff wieder zu seinem eigentlichen Anliegen zurück, indem er die "Deutschkunde als das selbstverständliche Kerngebiet deutscher Bildung" und sie als "gegebene[n] Boden" bezeichnet, „auf dem sich der Bau der 'politischen' Schule und Hochschule erheben wird".[27]

Vergleicht man die eben zitierten Äußerungen mit seiner noch 1929 in der Zfdk erschienene Abhandlung über "Lessing",[28] in welcher dieser als Wegbereiter der modernen Wissenschaft und Befreier des deutschen Geistes von jeglichem Dogmatismus gefeiert wird, kommt die in wenigen Jahren vollzogene Wandlung  deutlich zum Ausdruck. Entgegen der vorherrschenden Meinung, Korffs "Forderung des Tages" sei eine Entgleisung, die sich nicht in sein übriges Werk eingliedern lasse,[29] hofft die Verfasserin, eine stetige Entwicklung des Korffschen Gedankenguts bis 1933 aufgezeigt zu haben. Wie sich diese auf sein Gesamtwerk ausgewirkt hat, soll hier nicht weiter erörtert werden, da meine Betrachtung sich, wie bereits erwähnt, lediglich auf seine Publikationen in der ZfDk bezieht. Nach 1933 schrieb er keine Artikel mehr für die völlig im Nationalsozialismus aufgegangene Zeitschrift und fungierte ab 1934 nicht mehr als deren Herausgeber.

Von 1929 an, also mit dem Einsetzen der Wirtschaftskrise, ist in der gesamten Germanistik eine Radikalisierung der nationalen Gesinnung zu beobachten. Das Fach entwickelt sich immer mehr zur 'artbewussten Deutschkunde', apokalyptische Gegenwartsbezüge nehmen Überhand, der Idee der Volksbildung wird wieder verstärkt nachgegangen.[30] Dies zeigt sich auch in den ab 1929 in der ZfDk publizierten Artikeln Hermann August Korffs. (Lotta Zipp)

Endnoten

[1] Vgl. Hermand, Jost: Geschichte der Germanistik, Hamburg 1994, S. 95ff.

[2] Korff, Hermann August: Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften. In: Zeitschrift für Deutschkunde 34 (1920), S. 401-408.

[3] Vgl. ebd., S. 403ff.

[4] Auch sein 1921 in der ZfDk erschienener Aufsatz befasst sich lediglich mit dem damaligen Stand der literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Goethes "Iphigenie", ohne diesem Thema völkische oder aktuelle Bezüge abzuringen.

[5] Linden, Walther: Die geistigen Grundlagen der Deutschkunde und das Programm der Zeitschrift. In: Zeitschrift für Deutschkunde 40 (1926), S. 1-9.

[6] Ebd., S. 3.

[7] Ebd., S. 7.

[8] Korff, Hermann August: Das Wesen der klassischen Form. In: Zeitschrift für Deutschkunde 40 (1926), S. 9-21.

[9] Ebd., S.10.

[10] Vgl. hierzu: Korff, Hermann August: Goethe und die bildende Kunst. In: Zeitschrift für Deutschkunde 41 (1927), S. 657-673; Ders.: Aufriß der deutschen Literaturgeschichte. In: Zeitschrift für Deutschkunde 42 (1928), S. 625-647;  Ders.: Lessing. Zeitschrift für Deutschkunde 43 (1929), S. 177-192.

[11] Korff, Hermann August: Zwei Vorlesungen über Richard Wagner. In: Zeitschrift für Deutschkunde 44 (1930), S. 713-727, S. 777-793.

[12] Korff, Hermann August: Deutschlands Anteil an der Weltdichtung. In: Zeitschrift für Deutschkunde 45 (1931), S. 433-450.

[13] Ebd., S. 433.

[14] Ebd., S. 439.

[15] Ebd., S. 437.

[16] Ebd., S. 441.

[17] Ebd., S. 447.

[18] Korff, Hermann August: Die Forderung des Tages. In: Zeitschrift für Deutschkunde 47 (1933), S. 341-345. Auf eine genauere Darstellung des 1932 in der ZfDk erschienenen Artikels "Goethe. Drei Betrachtungen über sein Verhältnis zu Freiheit und Gesetz" (S. 129-167) soll hier aus Platzgründen verzichtet werden. Angemerkt sei lediglich, dass anhand des dichterischen Werkes eine Infragestellung der Allgemeingültigkeit von Gesetzen vorgenommen wird, deren Fazit sehr wohl auch auf die aktuelle Zeit des Verfassers bezogen wird ("Egmont": volksfremde Gesetzgebung, "Götz": totes Gesetz). Auch relativiert Korff hier seinen Individualitätsbegriff aus dem Jahr 1931, wenn er aus Goethes Schriften folgert, dass der deutsche Mensch letztlich doch nur in der Gesellschaft seine Bestimmung fände. Anzumerken ist auch die Interpretation des Faust als „berechtigter Verbrecher“ (S. 164), dessen letzte Befriedigung die „Schaffung eines neuen Bodens, eines neuen Reiches“ (S. 165) sei und der trotz seines 'dunklen Dranges' in den Augen Gottes ein guter Mensch sei.

[19] Korff: Forderung, S. 341.

[20] Ebd., S. 342.

[21] Ebd.

[22] Ebd., S. 343.

[23] Ebd., S. 344.

[24] Ebd.

[25] Ebd., S. 344 f.

[26] Ebd., S. 344.

[27] Ebd., S. 345.

[28] Korff, Hermann August: Lessing. In: Zeitschrift für Deutschkunde 43 (1929), S. 177-192.

[29] Vgl. u.a. Träger, Claus: Hermann August Korff. In: Karl-Marx-Universität Leipzig (Hg.): Namhafte Hochschullehrer der Karl-Marx-Universität Leipzig. Bd. 3. Leipzig 1983, S. 66.

[30] Vgl. Hermand: Germanistik, S. 94ff.