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Ernst Erich Noth – Studienzeit in Frankfurt

von Luise Mieder

„Akademische Gründe waren für meine Wahl Frankfurts als Universitätsstadt nicht unmittelbar ausschlaggebend gewesen. Allerdings hätte ich es in dieser Hinsicht woanders kaum besser treffen können“ (Noth: Erinnerungen, S. 244).

Studienbedingungen

Die Bedingungen, unter denen Ernst Erich Noth in Frankfurt studierte, waren nicht ideal. Die wachsende Arbeitslosigkeit zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg führte zu einer Überschwemmung der Hochschulen, doch absolvierten viele ein „Verlegenheitsstudium“ (Noth: Erinnerungen, S. 335), da die Zeit der Erwerbslosigkeit als nicht völlig vertan gelten sollte:

"So glichen die Universitäten immer mehr großen Wartesälen, wo eine Jugend, die um ihre Zukunft betrogen schien, weil sie nicht mehr mit ihrer Einverleibung in einen normalen Produktionsprozeß und damit auf eine sinnvolle gesellschaftsnützliche Funktion rechnen konnte, erst sehnsüchtig, dann resigniert und bald aufs höchste verbittert auf die Abfahrt von Zügen in Richtung ‚Arbeit und Brot’ wartete [...]". (Noth: Erinnerungen, S. 335)

Wie viele andere Studierende in der Zeit der Weimarer Republik war Noth ein so genannter Werkstudent, d.h. er finanzierte seinen Lebensunterhalt durch eine zusätzliche Tätigkeit. Als Schreibkraft im Büro des Archivs für Privatfürsorge arbeitete er täglich sechs Stunden - und zwar abends, bevor er nach einigen Semestern ein Stipendium des Deutschen Studentenwerks erhielt. Aus seiner Studentenakte im Universitätsarchiv geht allerdings hervor, dass er zwischen 1929 und 1930 noch Unterstützungsgelder für Studierende erbitten muss, die er auch in Höhe von 150 Mark genehmigt bekam.

Erste journalistische Erfahrungen

Während seiner Studienzeit sammelte Noth erste journalistische Erfahrungen bei der Frankfurter Zeitung. Mit der Veröffentlichung seines Romans Die Mietskaserne konnte Noth sich „eigentlich nicht mehr ganz zum akademischen Proletariat zählen“ (Noth: Erinnerungen, S. 247). Zusehends verbesserte sich seine Wohnsituation: Von einem Bodenverschlag im Frankfurter Stadtteil Bockenheim zog er in ein Zimmer in der Kuhwaldsiedlung nahe der Leipziger Straße und schließlich in eine verwahrloste Villa im Westend, die er als „ostentativ und kollektiv sturmfrei“ (Noth: Erinnerungen, S. 247) bezeichnete. Zuletzt bezog der Student eine Wohnung in der Freiherr-vom-Stein-Straße ebenfalls im Frankfurter Westend, das schon zur damaligen Zeit als vornehmere Wohngegend galt.

Politisches Engagement während der Studienzeit

Ab 1932 begann er, sich in der Roten Studentengruppe und der Eisernen Front zu engagieren. Die Rote Studentengruppe (RSG) war ein Bündnis von Mitgliedern der Studentengruppe der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD), der Kommunistischen Partei Opposition (KPO) und der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) und wurde 1931 an der Frankfurter Universität gegründet.[1] Die Studentengruppe Eiserne Front wurde ebenfalls 1931 gegründet und bestand aus Angehörigen des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold sowie dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB), dem Allgemeinen freien Angestelltenbund (Afa-Bund), der SPD und dem Arbeiter Turn- und Sportbund (ATSB). Beide Gruppierungen standen in Opposition zu dem immer stärker werdenden Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund, der 1927 erstmals den Vorsitzenden für den Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) stellte. Was dies für die Zukunft der Universität bedeutete, beschrieb Noth u. a. anhand eines Ereignisses aus dem Frühling 1932. Kurz bevor die Universität ihren heutigen Namen erhalten sollte, „drangen unter der Führung uniformierter Nazistudenten Scharen von mit Schlagringen und Totschlägern bewaffneten SA-Männern in die Hallen ein und verprügelten Andersdenkende, Juden und Ausländer […]“ (Noth: Erinnerungen, S. 255).

Während große Teile der Studentenschaft immer weiter nach rechts abdrifteten, setzte Noth sein Engagement in linken Studentengruppen bis kurz vor Hitlers Kanzlerschaft fort. Wegen seiner kritischen Publikationen nahmen ihn die nationalsozialistischen Machthaber schnell ins Visier. Die Wohnung von Noth wurde durchsucht, sämtliche Bücher und Schriftstücke wurden beschlagnahmt. Der Gesuchte befand sich wegen eines glücklichen Zufalls zum Zeitpunkt des Zugriffs nicht in seiner Wohnung, sondern im westfälischen Hagen. Trotzdem geriet er auch dort in das Fahndungsnetz der Gestapo, wurde verhört, aber wieder entlassen. Als er die Wache verließ, pfiff der zuständige Kommissar die Melodie des alten Volksliedes Nun ade, du mein lieb Heimatland. Noth verstand den Hinweis und überschritt noch in derselben Nacht die deutsch-französische Grenze im Saargebiet als „einer der ersten eines bald endlosen Heeres von Heimatlosen“ (Noth: Erinnerungen, S. 344). Zu dieser Zeit entwickelte sich für ihn die Heimatlosigkeit von einer geistigen Bedrängung, der er durch Zugehörigkeit zu politischen Gruppen zu entkommen suchte, zu einer realen, physischen Bedrohung.

Studienfächer und abgebrochene Promotion

In Frankfurt studierte Noth Germanistik im Hauptfach und Philosophie und Geschichte im Nebenfach. Soziologie und Psychologie kamen später als Wahlfächer hinzu. In seiner Studienzeit konnte er „noch gleichsam bis Toresschluß am Besten teilhaben“ (Noth: Erinnerungen, S. 259), was die Universität zu dem Zeitpunkt bieten konnte. Er besuchte Veranstaltungen (in Philosophie) bei Paul Tillich und Kurt Riezler, (in Soziologie) bei Karl Mannheim und (in Sozialphilosophie) bei Max Horkheimer. Die vier Professoren gingen wie ihr Student ins Exil: „Die besten Lehrer und bedeutendsten Professoren fielen später natürlich der Naziverfolgung zum Opfer“ (Noth: Erinnerungen, S. 258).

Seine Promotion konnte Noth nicht mehr an der Universität Frankfurt abschließen - sein Abgangszeugnis ist auf den 2. November 1933 datiert. Tatsächlich erfolgte seine Relegation bereits am 27. Juli, wie in der Studentenakte des Universitätsarchivs Frankfurt zu lesen ist.[2] Seine Dissertation, Die Gestalt des jungen Menschen im deutschen Roman der Nachkriegszeit, wurde von Franz Schultz und Hans Naumann noch begutachtet und mit dem „höchstmögliche[n] lobende[n] Prädikat“ (Noth: Erinnerungen, S. 257) ausgezeichnet, das Promotionsverfahren aber wurde wegen Noths Relegation unterbrochen. Die Begründung lautete wie folgt:

"Paul Krantz ist vom Akademischen Senat am 27. Juli 1933 wegen Betätigung im kommunistischen Sinne von dem weiteren Universitätsstudium entsprechend § 29, Ziffer 7 der Vorschriften für die Studierenden vom 1. Oktober 1914 und dem Erlass vom 29. Juni 1933 U I Nr. 21890 ausgeschlossen worden. Frankfurt a. M., den 22. August 1933."[3]

Empfohlene Zitierweise

Luise Mieder: "Ernst Erich Noth – Studienzeit in Frankfurt". In: Frankfurter Literaturwissenschaftler 1914-1945, hg. von Frank Estelmann und Bernd Zegowitz. 2014. Onlinefassung. URL: http://use.uni-frankfurt.de/literaturwissenschaftler/noth/mieder.


Endnoten

[1] Vgl. Maaser, Michael: Frankfurter Studenten zwischen 1914 und 1959. Das Wechselvolle des Politischen, in: Forschung Frankfurt 22 (2004), Heft 3-4, S. 84-88, hier S. 86.

[2] Aus der Studentenakte von Paul Krantz (Universitätsarchiv Frankfurt).

[3] Aus der Studentenakte von Paul Krantz (Universitätsarchiv Frankfurt).


Literatur

Maaser, Michael: Frankfurter Studenten zwischen 1914 und 1959. Das Wechselvolle des Politischen, in: Forschung Frankfurt 22 (2004), Heft 3-4, S. 84-88

Noth, Ernst-Erich: Die Mietskaserne. Frankfurt am Main 1931

Noth, Ernst-Erich: Erinnerungen eines Deutschen. Erstes Buch: Die deutschen Jahre. Lothar Glotzbach (Hg.). Frankfurt am Main 2009