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Franz Schultz und das „Wissenschaftliche Institut der Elsaß-Lothringer im Reich“ an der Universität Frankfurt

Von Hannah Maria Alfter

Bevor er die Professur in Frankfurt erhielt, lehrte der Neugermanist Franz Schultz in der Zeit von 1910 bis 1919 an der Universität Straßburg Neuere deutsche Literaturgeschichte. Seine Jahre im Elsaß beeinflussten auch seine Forschungsschwerpunkte: So setzte sich Schultz im Verlauf seiner wissenschaftlichen Laufbahn etwa intensiv mit der deutschsprachigen Dichtung und Kultur Elsaß-Lothringens auseinander. In seinen Arbeiten zu diesem Thema wird ein sehr starker Rückbezug auf das Deutschsprachige der elsässischen Literatur deutlich, der aus heutiger Sicht durch seine ideologisch geprägte Wortwahl und Darstellungsweise eine befremdliche Wirkung hervorruft.

 

Gründung des "Wissenschaftlichen Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich"

 Als nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ca. 140 000 Menschen das Gebiet Elsaß-Lothringen verließen, war es deren Wunsch, die Erinnerungen an ihre Kultur aufrechtzuerhalten. Es wurde eine Universität nahe der französischen Grenze gesucht, die die Gründung eines wissenschaftlichen Instituts als „überörtliche, gelehrte Repräsentation“ mit einem solchen Schwerpunkt gewähren würde (Hammerstein: Goethe-Universität, S. 70).  Die Universität Frankfurt erklärte sich schließlich bereit, dem Institut, das in seiner Satzung die „Pflege der gemeinsamen wissenschaftlichen und kulturellen Interessen der Elsaß-Lothringer im Reich unter Ausschluß politischer Bestrebungen“ betonte (zitiert nach Hammerstein: Goethe-Universität, S.70), die „erwünschte Gastfreundschaft zu gewähren“ (ebd.).  

Das „Wissenschaftliche Institut der Elsaß-Lothringer im Reich“ an der Universität Frankfurt wurde im November 1921 gegründet. Generalsekretär im Bereich der wissenschaftlichen und der geschäftlichen Leitung war Georg Wolfram, der zuvor lange Jahre Direktor der Straßburger Landes- und Universitätsbibliothek gewesen war. Franz Schultz hielt als Vorstandsmitglied bei der Institutseröffnung am 12. November 1921 eine Ansprache mit dem Titel „Der deutsche Charakter der elsässischen Literatur“. In dieser Eröffnungsrede gibt Schultz einen Überblick über die deutschsprachige Literatur im Elsaß vom Ausgang des Mittelalters bis zum 18. bzw. 19. Jahrhundert. Schultz schließt seinen Vortrag mit den folgenden Worten ab:

Eine allgemeine Erkenntnis aber ist wichtiger: die elsässische Literatur in ihrer klassischen Zeit vom Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert hat es in ihren Haupterscheinungen vermocht, dem Geist und Stil ganzer Epochen einen gesammelten, konzentrierten, gesteigerten, letzten Ausdruck zu geben, ja manchmal beinahe einen exzessiven und übersteigerten. Sie hat es so zu einigen potentiellen Höchstleistungen der deutschen Literatur gebracht. Wir müßten uns, wollten wir diese Leistungen und Taten aus der Entwicklung des deutschen Geistes wegdenken, streckenweise der reichstausgestalteten Offenbarungen des deutschen Schrifttums berauben. Und das Land selber würde, wenn es je seinen Zusammenhang mit der deutschen Literatur zu verleugnen möchte, die Beziehung zu den Werten verlieren, die seine geistige Existenz und Wesenheit durch die Jahrhunderte ausmachten. (Schultz: Der deutsche Charakter der elsässischen Literatur, S. 158)

 

Zielsetzungen des "Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich"

Es mag zunächst irritierend erscheinen, wie häufig das Adjektiv „deutsch“ Verwendung findet, vor allem auch, wenn speziell der „deutsche Charakter“ der Literatur Elsaß-Lothringens betont wird. Jedoch wird im Rahmen der Eröffnungsfeier des Instituts von Albert Ehrhard hervorgehoben, dass das Institut gerade keine „politischen Ziele anstreben“ wolle und dass den Wissenschaftlern nichts ferner liege, „als [sich] in die politischen Verhältnisse des Landes einmischen zu wollen, das [sie] verlassen haben“ (Ehrhard: Ziel und Aufgabe, S. 1ff.). Notker Hammerstein schreibt in seiner Studie zur Universitätsgeschichte, dass es mehrfach zu „diplomatischen […] Interventionen“ durch Frankreich gekommen sei, das Institut sich jedoch durch „politische Seriosität“ ausgezeichnet habe und zudem eine „Achtung […] der französischen Kultur“ hervorzuheben sei (Hammerstein: Goethe-Universität, S. 70f.). Diese Verbundenheit des Instituts mit Straßburg habe sich immer wieder gezeigt: So kam es zum Beispiel zu einer Erneuerung der Doktordiplome der geschlossenen Straßburger Universität; Studierender und Dozenten, die im Rahmen des Ersten Weltkriegs gefallen waren, wurde gedacht und ein großer Anteil der Bibliotheksbestände zur Literatur Elsaß-Lothringens aus Straßburg durch Georg Wolfram in Frankfurt erneut zusammengestellt (vgl. Hammerstein: Goethe-Universität, S. 71). Diese Bibliothek sollte zu weiteren wissenschaftlichen Arbeiten anregen und ging später nach dem Zweiten Weltkrieg in den Bestand der Goethe-Universität über (vgl. ebd., S. 71 sowie S. 663). In einem Werbeblatt des Instituts heißt es zudem, dass es „Träger der kulturellen und wissenschaftlichen Interessen werden [wollte], welche die Elsaß-Lothringer geistig und seelisch untereinander und mit den deutschen Ländern allezeit verbunden haben und auch weiterhin verbinden sollen“ (zitiert nach Kluke: Stiftungsuniversität, S. 419).

 

Forschungsschwerpunkte des "Insituts der Elsaß-Lothringer"    

Die Themenschwerpunkte des Instituts lagen im Bereich der „Volkskunde“ sowie der „Heimatkunst des Elsaß“, außerdem in der besonderen Verbindung von Straßburg zu Frankfurt, im Bereich der Epoche des Reformationszeitalters als auch der Betrachtung der Spuren Goethes im Elsaß. Außerdem rückten Straßburger Autoren der Frühen Neuzeit wie zum Beispiel Sebastian Brant, Thomas Murner oder Johann Fischart in das Blickfeld des Instituts (vgl. Kluke: Stiftungsuniversität, S. 421). Auch Franz Schultz hat sich mit den ersten beiden der genannten Autoren beschäftigt und deren Werke herausgegeben.

 

Interdisziplinäre Vorlesungsreihe "Frankreich und der Rhein" 

Im Wintersemester 1923/24 veranstaltete das Institut an der Frankfurter Universität eine interdisziplinäre Vorlesungsreihe mit dem Titel „Frankreich und der Rhein“, an der auch der Literarhistoriker Schultz beteiligt war. Diese öffentlichen Vorträge beschäftigten sich durchaus mit einem brisanten Thema, da sie sich mit der „Frage nach der Zugehörigkeit des linken Rheingebietes“ auseinandersetzten (Frankreich und der Rhein, S. 4, Kommentar zu Inhalt und Drucklegung / Veröffentlichung siehe nebenstehendes Titelblatt). Schultz verwendet auch in diesem Vortrag eine vergleichbare Wortwahl wie in dem zuvor zitierten Beitrag und gibt einen literaturgeschichtlichen Überblick über die Literatur, die im Rheinland verfasste wurde oder sich auf das Gebiet bezieht (vgl.: Schultz: Der nationale Charakter der rheinischen Literatur, S. 108-122). Er spricht zunächst von den Schwierigkeiten bei der Beschäftigung mit diesem Thema und hält Folgendes fest: „[…] die Literatur ist, gleichviel in welcher Sprache sie hervorgebracht wird, die Trägerin von Ideen, die über die nationale Bestimmtheit hinausgreifen, wie sie durch die Sprache geboten wird“ (ebd., S.108). Im Folgenden wolle er nun, schreibt Schultz, die Behauptungen, dass es „rheinische Dichtung“ gebe, in der „trotz ihrer deutschen Form Ideen walten, die ihren Grenz- und Mischcharakter bekunden“, überprüfen (ebd.). Er hebt zudem hervor, dass in der Literatur nicht die gleiche „Abwehrposition“ herrschen müsse wie sie aus der Sicht politischer Historiker im Bereich der „Rheinfrage mit gutem Grunde“ eingenommen werde und betont das „wenig einheitliche Gebilde“ der deutschen Literatur in ihrer „älteren Entwicklung“ (ebd., S.109). Er fasst seine Position schließlich folgendermaßen zusammen:

Das rheinische Schrifttum der Gegenwart ist unter dem Einbruche der Besetzung zu einem berechtigten Selbstgefühl und zur Besinnlichkeit auf seine deutschen Grundkräfte erwacht. So ergibt diese Übersicht über die Entwicklung des rheinischen Schrifttums, indem sie vielfach nur an Bekanntes zu gemahnen braucht, die von den älteren Zeiten bis heute unverlorene und unverlierbare Verschmolzenheit mit einer deutschen Seelenhaltung, die seit den Zeiten, da sie sich bedroht fühlte, eine besonders starke, vielleicht manchmal übertriebene Akzentuierung gewonnen hat. (ebd., S. 122)

Die Darstellungsweise in diesen Publikationen zur Region und Literatur Elsaß-Lothringens gehört gewiss zu der „unmittelbar politisch verwertbaren“ (Estelmann/Müller: Angepaßter Alltag, S. 35). Aus der heutigen Perspektive erweisen sich die Wortwahl und die Ausdrucksweise von Schultz vielfach als irritierend. Ein genauerer Vergleich seiner Schriften vor und nach 1933 wäre hinsichtlich der Art der Darstellung interessant, zumal das „Institut der Elsaß-Lothringer“ nach 1933 mit dem Anspruch aufgetreten sei, „den deutschen Charakter dieser Gebiete wissenschaftlich nachzuweisen und somit indirekt eine erneute Annexion im voraus zu legitimieren“ (ebd.). 

 

Weitere Beschäftigung mit den Themen des Instituts bis in die 1940er Jahren durch Schultz       

 Schultz selbst beschäftigte sich noch bis in die 1940er Jahre mit diesem Themengebiet und veröffentlichte 1942 eine „eher peinliche Anthologie“ mit dem Titel „Elsässische und lothringische Dichter der jüngsten Vergangenheit“, die, auch wenn sie im Vorwort oder in anderen Anteilen keine direkt hervorzuhebenden sprachlichen antisemitischen oder nationalsozialistischen Äußerungen enthält, doch als ein von ihm „politisch durchaus opportunes Werk“ zu betrachten sei, da er ansonsten immer wieder eine Distanz zum Nationalsozialismus reklamiert habe (ebd., S. 35f.).

 

Das "Wissenschaftliche Institut der Elsaß-Lothringer im Reich" nach dem Zweiten Weltkrieg  

Das Institut existierte bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges und wurde 1963 in die Erwin-von-Steinbach-Stiftung umgewandelt. Diese beschreibt ihren Zweck in „de[m] Zusammenschluß und de[m] persönlichen Kontakt von Menschen, die den deutsch-französischen Kulturaustausch im westeuropäischen Kulturraum, vor allem im Elsaß und in Lothringen, zu fördern wünschen“ (vgl. Satzung der Stiftung; online; für den link siehe unter "Literatur"), und schließt, eine Betätigung im politischen, wirtschaftlichen oder konfessionellen Bereich aus. Das „Wissenschaftliche Institut der Elsaß-Lothringer im Reich“ hatte das ursprünglich ebenfalls in seiner Satzung stehen.

Empfohlene Zitierweise

Hannah Maria Alfter: Franz Schultz und das "Wissenschaftliche Institut der Elsaß-Lothringer im Reich" an der Universität Frankfurt. In: Frankfurter Literaturwissenschaftler 1914-1945, hg. von Frank Estelmann und Bernd Zegowitz. 2014. Onlinefassung. URL: http://use.uni-frankfurt.de/literaturwissenschaftler/schultz/alfter.


Frankreich und der Rhein. Beiträge zur Geschichte und geistigen Kultur des Rheinlandes. Hrsg. von Rudolf Kautzsch u.a. Frankfurt/Main 1925, Titelblatt; Bild: Privatarchiv Hannah Maria Alfter


Literatur

Ehrhard, Albert: Ziel und Aufgabe des Wissenschaftlichen Instituts der Elsaß-Lothringer im Reiche. Rede bei der Eröffnung des Instituts am 12. November 1921 in Frankfurt am Main. In: Elsaß-Lothringisches Jahrbuch 1 (1922), S. 1-11

Estelmann, Frank/Müller, Olaf: Angepaßter Alltag in der Frankfurter Germanistik und Romanistik: Franz Schultz und Erhard Lommatzsch im Nationalsozialismus. In: Frankfurter Wissenschaftler zwischen 1933 und 1945. Hg. von Jörn Kobes und Jan-Otmar Hesse. Göttingen 2008, S. 33-59

Frankreich und der Rhein. Beiträge zur Geschichte und geistigen Kultur des Rheinlandes. Hg. von Rudolf Kautzsch u.a. Frankfurt am Main 1925, S. 4

Hammerstein, Notker: Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule. Band 1: 1914-1950. Neuwied, Frankfurt am Main 1989

Informationen zur 1963 gegründeten Erwin-von-Steinbach-Stiftung: http://gesellschaft-elsass-und-lothringen.de/index.html (letzter Zugriff am 15.3.2014)

Kluke, Paul: Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main. 1914-1932. Frankfurt am Main 1972

Schultz, Franz: Der deutsche Charakter der elsässischen Literatur. Ansprache, gehalten bei der Eröffnung des Wissenschaftlichen Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich in Frankfurt am Main den 12. November 1921. In: Elsaß-Lothringisches Jahrbuch 1 (1922), S. 147-158

Schultz, Franz: Der nationale Charakter der rheinischen Literatur. In: Frankreich und der Rhein. Beiträge zur Geschichte und geistigen Kultur des Rheinlandes. Hg. von Rudolf Kautzsch u.a. Frankfurt am Main 1925, S. 108-122

Velten, Hans Rudolf: Franz Schulz, In: Internationales Germanistenlexikon 1800-1950. Hg. und eingeleitet von Christoph König. Berlin, New York 2003 (CD-Rom)