Logo Frankfurter Literaturwissenschaftler 1914-1945

Franz Schultz

Im Blick der Nachwelt

Zwischen 1921 und 1950 betreute Franz Schultz 216 DoktorandInnen im Fach Germanistik (vgl. Estelmann/ Müller: Angepaßter Alltag, S. 37). Karl Korn, einer von Schultz' Schülern und späterer Journalist, sprach in seiner Autobiographie „Lange Lehrzeit“ von einer „germanistische[n] Doktorfabrik“, die der „allemal freundliche Professor“ unterhalten habe (Korn: Lange Lehrzeit, S.116). Korn, der eigentlich ein Schüler Hans Naumanns war, äußerte sich über die Vorlesungen von Naumann und Schultz folgendermaßen:

Ich habe wie in einem Glücksrausch studiert. […] Ich habe selbst Vorlesungen über die erste und zweite Lautverschiebung, kurzum sprachwissenschaftliche Kollegs, in denen ein Mann brillierte, der mir später zum akademischen Ziehvater wurde, Hans Naumann, keineswegs als öden Paukkram empfunden. Eher schon waren Franz Schultz' allzu stoffreiche, mit allerlei Sekundärbildung und Zierat aufgeputzte Vorlesungen über die Literatur der deutschen Romantik ermüdend, weil sie kaum geistige Originalität erkennen oder erahnen ließen. Das zu bekritteln kam aber kaum jemand in den Sinn. Die ungeheure akademische Autorität des Professors war noch so gut wie unangefochten. (Korn: Lange Lehrzeit, S. 127)


Hermann Gumbel, ein weiterer Schüler von Schultz und späterer Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Universität Frankfurt, der sich dem Nationalsozialismus verschrieb, lobte Schultz' gründliche Arbeitsweise in einem für den NS-Dozentenbund verfassten Gutachten:

Schultz sei „ein bedeutender, sehr gediegener, zuverlässiger und gründlicher Wissenschaftler, der es sich bei seiner Forschung nicht billig leicht macht und nie zu blenden" versuche. Er sei „sachenvoll und verantwortungsbewußt in seiner Arbeit“, produziere langsam und lasse ausreifen (zitiert nach Estelmann/Müller: Angepaßter Alltag, S. 38). Gumbel hob außerdem das gute Verhältnis zu den Studenten und die große Schülerzahl von Schultz hervor. Zudem schätzte er Schultz' „Neigung, gelten zu lassen, sein Fingerspitzengefühl, das Besondere der geistigen Wesenheiten zu fassen“ (zitiert nach Hammerstein: Goethe-Universität, S. 106).

Vor allem über Schultz' politische Haltung sollte Gumbel in dem vom NS-Dozentenbund geforderten Gutachten, das „mehrfach von den örtlichen oder auch dem Gau-Dozentenbund variiert“ wurde, Stellung nehmen (Hammerstein: Goethe-Universität, S. 106):

Eine politische Kampfnatur war und ist Sch. nicht. Er neigt zu einer Anpassung, die doch nicht ohne innere Auseinandersetzung und frei ist von öffentlicher Konjunkturreiterei. Er dürfte sich früher hier und da linksgerichteten Studenten zugewendet haben, ohne daß er Marxist irgendeiner Form war und ohne nationale Grundhaltung zu entbehren. Es ist manches an ihm und in ihm, was einer liberalen Grundhaltung entspricht. (zitiert nach ebd.)

Notker Hammerstein kommentiert diese Aussage Gumbels wie folgt:

Schultz habe sich „nie politisch im Sinne der Nationalsozialisten engagiert, sieht man davon ab, daß er ab 1933 förderndes Mitglied der SS wurde, weil er sich wie viele andere, von diesem Schritt Schutz vor weiteren Parteiansinnen versprach. Von Grund auf liberal, war Schultz für Jahrzehnte einer der untadeligen, wenn auch nicht sehr profilierten Gelehrten der Universität.“ (Hammerstein: Goethe-Universität, S. 106)


Ernst Erich Noth, auch ein Schüler von Schultz und später Professor of Modern Languages and Comparative Literature an der University of Oklahoma at Norman und der Marquette University at Milwaukee/Wisconsin, äußerte sich über Schultz auf folgende Weise:

Und Franz Schultz war immerhin Autor eines noch beachtenswerten Werks über "Deutsche Klassik und Romantik" und hatte sich auch über das "Schicksal der deutschen Literaturgeschichte" einige anregende und mitunter beherzigenswerte Gedanken gemacht. Als Doktorvater fand ich ihn höchst kulant; schon daß er mein gewagtes Thema überhaupt guthieß, das schließlich bedenklich zeitverhaftet war und kaum Anspruch auf historische Distanz erheben konnte, bewies eine tolerante Aufgeschlossenheit, und sogar einigen Mut, da er es gegen die Naumann-Gruppe zu verteidigen hatte. Daß er in der Wahl seiner Anzüge, und noch mehr in derjenigen seiner recht auffälligen Krawatten eitel wie ein Pfau war und gut aussehende Studentinnen besonders reizvoll fand, machte ihn eigentlich nur menschlicher: an einem deutschen Professor entdeckt man solche Züge recht gern. (Noth: Erinnerungen, S. 261)

Zu Noths Bewertung von Schultz´ politischer Haltung hinsichtlich seiner Anpassung während des Nationalsozialismus siehe: Überanpassung und Wandlungsfähigkeit: Schultz in der Zeit zwischen 1933 und 1945.

Literatur

Estelmann, Frank/Müller, Olaf: Angepaßter Alltag in der Frankfurter Germanistik und Romanistik: Franz Schultz und Erhard Lommatzsch im Nationalsozialismus. In: Frankfurter Wissenschaftler zwischen 1933 und 1945. Hg. von Jörn Kobes und Jan-Otmar Hesse. Göttingen 2008, S. 33-59

Korn, Karl: Lange Lehrzeit. Ein deutsches Leben. Frankfurt am Main 1975

Hammerstein, Notker: Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule. Bd. 1. 1914-1950. Neuwied, Frankfurt am Main 1989

Noth, Ernst Erich: Erinnerungen eines Deutschen. Die deutschen Jahre. Frankfurt am Main 2009

Velten, Hans Rudolf: Franz Schulz. In: Internationales Germanistenlexikon 1800-1950. Hg. und eingeleitet von Christoph König. Berlin, New York 2003 (CD-Rom)

Lange, Thomas: Ernst Erich Noth. In: Internationales Germanistenlexikon 1800-1950. Hg. und eingeleitet von Christoph König. Berlin, New York 2003, S. 1338-1340

[Redaktion:] Gumbel, Hermann. In: Internationales Germanistenlexikon 1800-1950. Hg. und eingeleitet von Christoph König. Berlin, New York 2003, S. 637-638