Studieren an der Goethe-Universität
Zeitzeugenprojekt am Historischen Seminar zur Geschichte des Studiums und der Studierenden an der Goethe-Universität
Die Universität ist ein Ort der Studierenden. Viele Generationen haben in den vergangenen einhundert Jahren unter sehr verschiedenen Bedingungen an der Goethe-Universität studiert. Dabei ist über sie nicht viel bekannt. Ihr Studienalltag, ihr Leben außerhalb der Universität, die Hoffnungen und Erwartungen, die mit einem Studium verbunden waren - all das kommt in den Akten der Archive kaum vor und ist damit für Historiker nur schwer zugänglich.
Anlässlich des Universitätsjubiläums haben Frankfurter Geschichtsstudierende sich für diesen Aspekt der Universitätsgeschichte interessiert und sich in einem Zeitzeugenprojekt dem Studium und Studienalltag früherer Zeiten angenähert. In Videointerviews geben frühere Studierende Auskunft über ihre Wege an die Universität, ihre Erfahrungen im Hörsaal und auf dem Campus, über ihren damaligen Alltag, ihr fachliches und politisches Engagement.
Die Interviews erlauben auch einen Blick in die jeweilige Zeitgeschichte: die Hoffnungen und Erwartungen von Studenten in den Gründerjahre der Demokratie Anfang der fünfziger Jahre; die Aufbruchsstimmung und die zunehmende Politisierung seit den 1960er Jahren mit Demonstrationen, Hausbesetzungen, der Auseinandersetzung um die Startbahn West des Frankfurter Flughafens, das Erschrecken angesichts überfüllter Riesenvorlesungen und die Unzufriedenheit mit den Studienbedingungen und später den Studentenstreiks. Der Umzug der Geisteswissenschaften ins Westend und der Protest gegen Studiengebühren 2006 waren wichtige Prägungen für Studierende der Jahrtausendwende.
1950er
1960er
1970er
1980er
1990er
2000er
Das Projekt
Dr. Peter Gorzolla, apl. Prof. Dr. Barbara Wolbring
Laufzeit des Projektes: November 2012 bis März 2015
Studierende erhielten die Gelegenheit, ein Forschungsprojekt zum Universitätsjubiläum selbst (mit-)zugestalten und durchzuführen. Basierend auf dem Konzept des Forschenden Lernens sollten sie alle Schritte des Forschungsprozesses kennenlernen und begleitet durch die Lehrenden die Teilschritte selbständig ausführen.
Lehrkonzept und Projektentwicklung
Fragestellung und Forschungsthema wurden im Wintersemester 2012/13 entwickelt. In offenen Veranstaltungen, zu denen mit Plakaten eingeladen wurde, konnten Studierende ihre Interessen einbringen. Mit der Methode des Open Space wurden diese gesammelt und strukturiert. Begleitet von den Lehrenden konnten sie daraus im Rahmen einer Studiengruppe im Sommersemester 2013 eine wissenschaftlich relevante und forschungspraktisch operationalisierbare Fragestellung entwickeln. Das Interesse am Studienalltag früherer Studentengenerationen wurde so weiterentwickelt zu dem Projekt, ehemalige Studierende zu finden und sie als Zeitzeugen ihrer Studienzeit in Videointerviews zu befragen, diese Interviews als Quellen auszuwerten und Ergebnisse über ein Online-Portal zu veröffentlichen.
Im Sommersemester 2013 haben die Studierenden zudem mit einem selbstverfassten Zeitzeugenaufruf die Suche nach geeigneten Interviewpartnern begonnen. Auch wurden erste Kontakte zu dem ZDF-Projekt "Gedächtnis der Nation e.V." (seit 2017 als "Zeitzeugen-Portal.de" Teil des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: www.zeitzeugen-portal.de), geknüpft, dessen Geschäftsführer Jörg von Bilavsky der Studiengruppe erste Hinweise geben konnte.
In einem Hauptseminar im Wintersemester 2013/14 hat sich die Gruppe in die theoretisch-methodischen Grundlagen eingearbeitet. Methodische Konzeptionen und theoretische Zugänge, die mit den Begriffen "soziales Gedächtnis", "Erinnerung" und "Oral History" verbunden sind, haben die Studierenden anhand grundlegender programmatischer Texte kennengelernt und für das Projekt fruchtbar gemacht. Bei der Erarbeitung eines Leitfadens für die Interviewfragen wurde deutlich, dass es für das Führen eines kompetenten Interviews erforderlich ist, den zeitgeschichtlichen Kontext der im Interview angesprochenen Zeit zu überblicken. Die Studierenden haben daher Arbeitsgruppen zu den verschiedenen Zeitabschnitten der Studentengeschichte Frankfurts gebildet, sich das historische Kontextwissen erarbeitet und auf dieser Grundlage die Interviews inhaltlich vorbereitet. Probeinterviews im Seminar gaben die Gelegenheit, die Interviewsituation durchzuspielen und mögliche (sowohl technische als auch inhaltliche) Schwierigkeiten zu antizipieren.
Mit diesem Wissen und dem Leitfragenkatalog wurde von jedem Seminarteilnehmer in diesem Wintersemester ein Interview mit einem selbstgewählten Interviewpartner selbständig geführt. Alle haben weiterhin in einem Forschungsexposé Leitfragen für die Analyse ihres jeweiligen Interviews erarbeitet. Die Hausarbeiten haben diese Analyse dann ausgeführt. Hier war die Gelegenheit, den Quellenwert mündlicher selbsterhobener Quellen methodisch reflektiert zu diskutieren und das Interview historisch zu analysieren.
Die Aufbereitung der Interviews für eine wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Publikation stand im Zentrum der Arbeit im Sommersemester 2014: Zur Einführung in die technischen und inhaltlichen Aspekte von Videobearbeitung und Schnitt hat die Gruppe Impulse gesammelt bei einem Besuch in den Redaktionsräumen von "Gedächtnis der Nation" in Mainz. Am eigenen Material galt es, in den Interviews die für eine Veröffentlichung interessanten Passagen zu identifizieren, inhaltlich und vom Umfang her passende Schnitte zu setzen und zusammenfassende Einführungstexte zu verfassen, die das Videomaterial begleiten, die Ergebnisse in begleiteten Feedbackprozessen reflektiert und weiterentwickelt. Auch die zusammenfassenden Einführungstexte für das Online-Portal wurden in mehreren Überarbeitungsphasen erstellt. Erste Ergebnisse konnten von den Studierenden beim Studienkongress "UNIversal" am 15.07.2014 präsentiert werden. An diesem Tag war der Studiobus von "Gedächtnis der Nation" auf dem Campus Westend zu Gast, so dass die Gelegenheit bestand, weitere Interviews zu führen.
Projektphasen
Entwicklung des Projekts und Projektplanung (WS 2012/13)
- Erarbeitung theoretischer und methodischer Grundlagen von Gedächtnisgeschichte und Oral History
- Entwicklung des Projekts mit der Methode Open Space
- Suche nach Zeitzeugen: Zeitzeugenaufruf, erste Kontaktaufnahmen
Führen der Interviews und Studienkongress (SoSe 2014)
- Kontaktaufnahme zum ZDF-Projekt „Gedächtnis der Nation e.V.“
- Interviews in Kleingruppen
- Vorstellung des Projekts auf dem Studienkongress UNIversal
Bearbeitung der Interviews durch die Studierenden (WiSe 2014/15)
- Rohschnitt der Interviews
- Schreiben und Überarbeiten der Texte
Postproduktion (seit SoSe 2015)
- Entwicklung des Webportals mit dem CMS Typo3
- Redaktionelle Bearbeitung von Schnitt und Texten
Veröffentlichung: April 2018
Nachweis der Bildrechte auf dieser Seite
© Barbara Wolbring, Markus Häfner, Peter Gorzolla, Sophie Opitz
Projektteilnehmer
Leitung:
- Dr. Peter Gorzolla
- apl. Prof. Dr. Barbara Wolbring
Redaktion:
- Leonardo Dalessandro
- Juliette Heinikel
- Svenja Schäfer
Schnitt & Postproduktion:
- Leonardo Dalessandro
- Sophie Opitz
Web:
- Leonardo Dalessandro
- Felix Machka
Studentische Teilnehmer:
- Elena Appel
- Henrike Blaum
- Pia Bonk
- Leonardo Dalessandro
- Silas Noé Demel
- Kerstin Erlen
- Isabelle Fischer
- Yohana Gebrihiwet
- Juliette Heinikel
- Malinka Jamin
- Şükran Karadaş
- Carina Kaufmann
- Andreas Kern
- Hannah Leusch
- Diana Maudj
- Carla Reitter
- Svenja Schäfer
- Jacqueline Schieferstein
- Elena Schunk
- Bertan Tufan
- Martin van Kampen
- Julia Weigl
- David Wiegandt
- Marcel Woznica
Zeitzeugen
Friedrich Albrecht
Studium 1980-1987 (Sonder- und Heilpädagogik, Lehramt an Sonderschulen)
Anna-Maria Birk
Studium 1979-1985 (Rechtswissenschaften)
Olaf Cunitz
Studium 1990-1996 (Mittlere und Neuere Geschichte und Politologie)
Stephanie Dreyfürst
Studium 1998-2004 (Germanistik, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft)
Eckhard Glöckner
Studium 1965-1977 (Haupt- und Realschullehramt, Promotion in Pädagogik, Realschullehramt und Gymnasiallehramt Geschichte)
Notker Hammerstein
Studium 1949-1956 (Geschichte, Philosophie und Anglistik)
Fred Heppenheimer
Studium 1969-1974 (Anglistik, Politikwissenschaften)
Bettina Herold
Studium 2000-2012 (Romanistik, Philosophie)
Jürgen Herrlein
Studium 1982-1990 (Rechtswissenschaften)
Veit Holle
Studium 1957-1962 (Geschichte, Politik und Germanistik)
Jens-Holger Lorenz
Studium 1966-1970 (Mathematik, Physik)
Petra Lueken
Studium 1963-1966 (Lehramt für Haupt- und Realschulen), 1989-1993 (Pädagogik), 2005-2009 (Ethnologie)
Ernst Neubronner
Studium 1959-1964 (Betriebswirtschaftslehre)
Kurt-Heinz Neubronner
Studium 1947-1950 (Pharmazie)
Werner Neumann
Studium 1972-1978 (Physik)
Dietrich Werner Peuckert
Studium 1960-1966 (Wirtschaftswissenschaften)
Hermann Roth
Studium 1973-1980 (Medizin)
Dorothea Schlegel-Hentrich
Studium 1968-1975 (Geschichte, Geographie, Politikwissenschaften auf Lehramt, anschl. Pädagogik)
Literatur
Didaktisches Konzept: Forschendes Lernen
Wolfang Deicke/Christopher Gess/Julie Rueß, Forschendes Lernen und forschungsbezogene Lehre – empirisch gestützte Systematisierung des Forschungsbezugs hochschulischer Lehre, in: Zeitschrift für Hochschulentwicklung 11 (2016), H. 2, S. 23–43.
Ludwig Huber, Warum Forschendes Lernen nötig und möglich ist, in: Ludwig Huber/Julia Hellmer/Friederike Schnieder (Hrsg.), Forschendes Lernen im Studium. Aktuelle Konzepte und Erfahrungen, Bielefeld 2009, S. 9–35.
Alan Jenkins/Mick Healey, Research-based Learning. A Collection of Case Studies in Different Disciplines, in: Isa Jahnke (Hrsg.), Fachbezogene und fachübergreifende Hochschuldidaktik, Bielefeld 2011, S. 37–46.
Alan Jenkins/Rosanna Breen/Roger Lindsay/Angela Brew, Reshaping Teaching in Higher Education. A Guide to Linking Teaching with Research, Abingdon, Oxon 2002.
Harrison Owen: Expanding our Now, deutsch: Die Erweiterung des Möglichen - Die Entdeckung von Open Space. Stuttgart 2001.
Theoretisch-methodische Grundlagen: Erinnerung, Erinnerungskultur, Oral History
Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006.
Jan Assmann, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Jan Assmann (Hrsg.), Kultur und Gedächtnis, Frankfurt am Main 1988, S. 9–19.
Christoph Cornelißen, Erinnerungskulturen. Version 2.0, in: Docupedia Zeitgeschichte http://docupedia.de/zg/Erinnerungskulturen_Version_2.0_Christoph_Corneli.C3.9Fen?oldid=84892 (28.03.2018).
Christof Dejung, Oral History und kollektives Gedächtnis. Für eine sozialhistorische Erweiterung der Erinnerungsgeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 34 (2008), 96–115.
Julia Obertreis (Hrsg.), Oral History, Stuttgart 2011.
Astrid Erll/Sara B. Young (Hrsg.), A Companion to Cultural Memory Studies, Berlin u. a. 2010.
Dorothee Wierling, Oral History, in: Michael Maurer (Hrsg.): Neue Themen und Methoden der Geschichtswissenschaft (Universal-Bibliothek, Bd. 17033), Stuttgart 2003, S. 83–151.
Universitätsgeschichte
Christoph Führ/Carl-Ludwig Furck (Hrsg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. VI: 1945 bis zur Gegenwart. Erster Teilband: Bundesrepublik Deutschland, München 1998.
Notker Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Band II: Nachkriegszeit und Bundesrepublik 1945 - 1972, Göttingen 2012.
Konrad Jarausch, Deutsche Studenten 1800 – 1970, Frankfurt 1984.
Anne Rohstock, Von der "Ordinarienuniversität" zur "Revolutionszentrale"? Hochschulreform und Hochschulrevolte in Bayern und Hessen 1957-1976, München 2010.
Walter Rüegg (Hrsg.), Geschichte der Universität in Europa. Band IV: Vom Zweiten Weltkrieg bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, München 2010.
Axel Schildt/Detlef Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik. 1945 bis zur Gegenwart, München 2009.
Zur Arbeit mit Zeitzeugen
Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Portal zur Geschichte von Demokratie und Diktatur nach 1945, https://www.zeitzeugenbuero.de (28.03.2018).
Almut Leh, Forschungsethische Probleme in der Zeitzeugenforschung, in: BIOS: Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History 13 (2000), H. 1, S. 64–76.
Metaversa e.V. (Verein für Medien, Bildung und Kultur), zeitzeugengeschichte.de. Ein Leitfaden zur Durchführung von Interviews mit ZeitzeugInnen (2007). http://metaversa.de/web/projekte/zeitzeuginnen/zeitzeugengeschichte-de (24.09.2019).
Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Zeitzeugenportal, www.zeitzeugen-portal.de (28.03.2018).
Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", Zwangsarbeit 1939-1945, http://www.zwangsarbeit-archiv.de (28.03.2018).
SPIEGEL ONLINE GmbH, einestages, http://www.spiegel.de/einestages (28.03.2018).
Thematischer Zugang
In den Interviews werden viele Themen von mehreren Zeitzeugen angesprochen. Der thematische Zugang fasst diese unter einem Schlagwort zusammen und bietet eine Übersicht über alle Clips, in denen das entsprechende Schlagwort eine Rolle spielt. Auf diese Weise werden die wichtigsten Themen über die Epochen hinweg aus ganz verschiedenen, individuellen Perspektiven erschlossen.