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Matthias Friedwagner

..."einige Worte an Sie, liebe Kommilitonen"

Am 2. Dezember 1910 richtete Matthias Friedwagner das Wort an seine Studenten: in seiner Funktion als Rektor nutzte er auf einer öffentlichen Feier „die einzige Gelegenheit, zu der Studentenschaft anders als durch das Schwarze Brett zu sprechen“ (Friedwagner 1910: 4). Auch wenn diese Inaugurationsrede an der Czernowitzer Universität abgehalten wurde, und sich Friedwagner nicht an die Frankfurter Studentenschaft wandte, ist anzunehmen, dass die hier getroffenen Aussagen seine Vorstellungen vom guten Studium im Allgemeinen vermitteln und dass diese auch während seiner Frankfurter Zeit noch Gültigkeit besaßen. Wahrscheinlich ist, dass die Veröffentlichung dieser Ansprache dem eigentlichen Vortragsthema (der Volksdichtung der Bukowiner Rumänen) zu verdanken ist.

Friedwagner appelliert in dieser Rede an die Studentenschaft, sich trotz der Zahlung von Kollegiengeldern, hohen Prüfungsumfangs und nationaler Interessen nicht ausschließlich auf das Fachstudium zu beschränken. Nicht allein der höheren allgemeinen Bildung und der Erweiterung von Fachkenntnissen, sondern vor allem der Verankerung des eigenen Faches unter anderen Disziplinen erkennt Friedwagner einen hohen Stellenwert für das Studium zu. Dieses Interesse für andere Fachkulturen sei unabdingbar, damit das Fachstudium nicht „zu einer Art Handwerk“ werde, dem der „ideale Antrieb“ fehle, damit die Universitas auf diese Weise nicht „in lauter gesonderte, benachbarte, aber nicht organisch verbundene Parzellen“ zerfalle (Friedwagner 1910: 5).

Die Wissenschaft solle auch nicht „ganz abgesondert von der Kunst leben“, die Friedwagner als das höchste menschlicher Begabung wertet. Weiter spricht er sich für wissenschaftliche und humanitäre Verbindungen, die Unternehmung von Reisen und die Gründung von Gesangs- und Sportvereinen aus; „[es] müssen Vereinigungen geschaffen werden, wo rein wissenschaftliche oder künstlerische Fragen, oder doch Angelegenheiten des körperlichen Wohlseins gesellig und gemeinsam beraten werden können“ (Friedwagner 1910: 5).

„Hoch über Genie und Tugend steht die Gesinnung!“ – Universität versteht Friedwagner nicht als bloßes Fachinstitut, sondern gleichsam als Ort persönlicher Charakterbildung. So appelliert er in seiner Ansprache auch an die Verantwortung der akademischen Lehrer, ihren Studenten Werte und den Glauben an Ideale zu vermitteln, damit nicht „in ungewöhnlichen Lebenslagen Alles ins Wanken“ gerate (Friedwagner 1910: 6). Der Romanistikprofessor wollte der akademischen Jugend selbst ein Vorbild charakterlicher Haltung sein und scheint ihr deshalb stets als „humangesinnter Berater und freundlicher Helfer“ zur Seite gestanden zu haben (Lommatzsch 1941: 49).

Audiodatei (in 2 Teilen)

Ausschnitt aus Friedwagners Inaugurationsrede an der Universität Czernowitz, gelesen im nach einem Entwurf von Hermann Senf 1928 erbauten Mahnmal für die Opfer des Ersten Weltkriegs auf dem Frankfurter Hauptfriedhof.

Sprecher: Raphael Fahz

Teil 1 (ca. 5 Min.)
Teil 2 (ca. 5 Min.)

 

In der Rede (Audiodatei) zeigt sich sehr deutlich, wie sehr Friedwagners Denken auf der Ansicht beruhte, die Relevanz nationaler Grenzen in Wort und Tat relativieren zu können. Dabei war es auf die Utopie einer geistigen Idealität als gesellschaftlicher Orientierungsgröße verpflichtet, die in einer Zeit verschärfter nationaler Konflikte weitgehend verhallte.


Literatur

Friedwagner, Matthias: Über die Volksdichtung der Bukowiner Rumänen. Inaugurationsrede, gehalten am 2. Dezember 1910. Czernowitz 1911

Lommatzsch, Erhard: Zur Erinnerung an Matthias Friedwagner. In: Zeitschrift für Romanische Philologie 61 (1941), S. 45-62