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Matthias Friedwagner

...Romanistik im Frankfurter Universitätskalender von 1924/25

Bei der Buchhandlung Franz Benjamin Auffarth auf der Frankfurter Zeil konnten Studenten und die interessierte Öffentlichkeit den sogenannten Frankfurter Universitätskalender erwerben. Für das Studienjahr 1924/25 findet sich in diesem Taschenbuch neben allerhand Werbung für Tanzschulen, Ausgehlokale und Zigarettenmarken, einem herausnehmbaren Stundenplan und dem eigentlichen Kalendarium ein anschaulicher Artikel Friedwagners, der für das Studium der Romanischen Philologie begeistern möchte.

Welche Fragestellungen sind bei der Betrachtung von Sprache zentral? Welche bei der Betrachtung von Literatur? Welche sind die Methoden, die der Romanist bei seinen Untersuchungen anwendet? Und: wozu überhaupt das Studium der Romanischen Philologie?... So oder so ähnlich mögen Fragen gelautet haben, auf die Matthias Friedwagner während eines Ferienaufenthaltes Anfang der 1920er Jahre zu antworten suchte. Das Resultat seiner Beschäftigung findet sich unter der Überschrift „Romanische Philologie. Wege und Ziele“.

Folgt man Friedwagner hier, so hat die Wissenschaft von der Romanischen Philologie „zeitlich, räumlich und inhaltlich ein fast unübersehbares Gebiet zu bewältigen“: Zeitlich knüpfe sie an das Römerreich an, räumlich reiche ihr Arbeitsfeld vom Schwarzen und Ägäischen Meer bis nach Chile, Kalifornien und Texas, inhaltlich gelte es zehn romanische Sprachen und drei Weltliteraturen zu erforschen. „Die Romanen“ sieht Friedwagner als eines der größten Völker der Erde, zusammen mit der germanischen Kultur nehme die romanische „den ersten Rang ein“. Vorteile bei der Romanischen Sprachbetrachtung sieht der Autor zum einen in der Komparatistik, zum anderen in der Möglichkeit des Vergleiches mit der „Ursprache“, dem Vulgärlatein (Friedwagner 1924: 55).

Erste Versuche des wissenschaftlichen Umgangs mit romanischen Sprachen erkennt Friedwagner schon in den theoretischen Texten Dantes aus dem beginnenden 14. Jahrhundert. Als Begründer einer eigentlichen Romanischen Wissenschaft versteht er aber den Autor der „Grammatik der romanischen Sprachen“ und des „Etymologischen Wörterbuchs der romanischen Sprachen“, Friedrich Diez (1794-1876). Dessen Wirken ordnet Friedwagner in eine erste von drei Entwicklungsphasen der Romanistik ein – in jene Zeit, in welcher sich romanistische Arbeitsweisen an denen der Klassischen Philologie orientierten, in welcher es vor allem um die Erforschung, Herausgabe und Auswertung (mittelalterlicher) Sprach- und Literaturdenkmäler ging, aber sprachwissenschaftliche Interessen bereits eine große Rolle spielten. „Philologie“, so heißt es in diesem Zusammenhang weiter, „wurde mehr und mehr zu einem Gesamtnamen für sprach-, literatur- und kulturwissenschaftliche Arbeit auf romanischem Gebiete“ (Friedwagner 1924: 56). „Wie eine üppig grünende Wiese schien sich nach der pergamentenen Zeit nun das tätige Leben der gesprochenen Sprachen mit allen ihren Spielarten vor dem Forscher auszubreiten“ – eine zweite Phase der Romanistik lasse sich durch die Abkehr von der Literatursprache und die Hinwendung zu den Mundarten begründen. Erste Sprachatlanten, wie Gilliérons „Atlas Linguistique de la France“, zählen zu den Errungenschaften dieser Zeit: Als Sammlungen von Sprachkarten eines Gebietes, auf denen beispielsweise die Verbreitung von Lauten eingezeichnet ist, geben sie Auskunft über die Verbreitung von Dialekten, deren Sprechergruppen und phonologische Realisierungen (Friedwagner 1924: 57f.).

Im Bruch mit den Lautgesetzen, die sich während des ersten Jahrhunderts der Romanischen Philologie etablierten, sieht Friedwagner den Beginn einer letzten Phase, die er den „Expressionismus der Gegenwart“ nennt. Hierbei scheint die Annahme von der „Willkür des Individuums“, von der Ungebundenheit der Sprache besonders wichtig, denn um diese kreise der „Methodenstreit“, den Friedwagner als Fortschritt innerhalb seiner Wissenschaft preist (Friedwagner 1924: 62f.). Für ihn ist das Studium der Romanischen Philologie nicht allein ein rein geisteswissenschaftliches, da er der Phonetik einen naturwissenschaftlichen Charakter beimisst. Trotzdem sei „nicht einmal der Lautwandel von der menschlichen Psyche zu lösen“ (Friedwagner 1924: 66). Dass das Studium der Romanischen Philologie auch die literaturgeschichtliche Beschäftigung mit romanischen Texten implizierte, ist für Friedwagner, der sich gleichermaßen als Sprach- und Literaturwissenschaftler verstanden haben dürfte, selbstverständlich. „Es lebe das Leben!“ – dass aber auch innerhalb dieser Disziplin, wie bei sprachwissenschaftlichen Fragestellungen, eine Wendung von mittelalterlichen Werken hin zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit jüngerer Literatur zu verzeichnen sei, kennzeichnet Friedwagner abschließend als Wandel (Friedwagner 1924: 70).

Literatur

Frankfurter Universitätskalender 1924/25, hg. von Dr. E. Lennhoff. Frankfurt am Main 1924