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Josef Kunz - Ein Grenzgänger auf Wanderschaft

Ein biografischer Essay von Tobias Chriske

Kindheit, Schüler und Student

Josef Kunz wurde 1906 als Sohn des Mittelschulrektors Peter Kunz in Frankfurt am Main geboren. Der Vater nahm von 1914 bis 1918 am Ersten Weltkrieg teil und Berta Kunz zog die Söhne Josef und Walther in den Wirren des Krieges alleine groß. Nach Kriegsende zog die Familie nach Hofheim am Taunus, weil Peter Kunz als Leiter der vereinigten Volks- und Realschule dorthin versetzt wurde. Josef Kunz besuchte das Lessing-Gymnasium in Frankfurt bis 1919, wechselte an das Humanistische Gymnasium in Höchst und machte dort 1924 seine Reifeprüfung. Er ging er zunächst an die philosophisch-theologische Lehranstalt Fulda, um katholische Theologie und Philosophie zu studieren, brach das Studium jedoch wegen „Schwierigkeiten grundsätzlicher Art“ (Hammerstein: Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, S. 84) nach zwei Semestern ab. 1925 schrieb er sich an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg für ein Philologie-Studium ein. Er belegte die Fächer Latein, Französisch und Deutsch. Wie ein Großteil der Studenten dieser Jahre strebte Kunz eine typische Laufbahn als Lehrer im höheren Schuldienst an. Mit 20 Jahren zog es ihn zurück nach Frankfurt und er immatrikulierte sich an der hiesigen Philosophischen Fakultät. Seine Leidenschaft galt nun der Romanistik. In seinem Lebenslauf gibt er als seine Wegbereiter die Lehrenden Erhard Lommatzsch, Helmut A. Hatzfeld und Hellmuth Petriconi an. Er war vier Jahre Mitglied des Romanischen Seminars und erprobte die methodischen Möglichkeiten der Textinterpretation an altfranzösischer und altprovenzalischer Literatur. (Personalakte Josef Kunz, Nr. 307) Daneben studierte er Klassische Philologie bei Walter F. Otto, Karl Reinhardt und Franz Altheim und besuchte Vorlesungen in Germanistik bei Franz Schultz, Hans Nau­mann, Hermann Gumbel und Martin Sommerfeld. Durch Walter F. Otto fand er in religionswissenschaftlichen Seminaren Zugang zur Religion der Antike und arbeitete neben dem Studium für die Zeitschrift „Die Schildgenossen“, die von Romano Guardini herausgegeben wurde. 1928 ging er für ein Semester an die Sorbonne nach Paris und hörte dort auch Vorlesungen bei den Professoren für Literatur und Deutsche Philologie Victor Basch und Henri Lichtenberger. Welche Veranstaltungen er in der Romanistik besuchte sind nicht bekannt. Zurück in Frankfurt bestand Kunz im Oktober 1931 das Staatsexamen mit der Fächerkombination Französisch, Latein und Griechisch; jedoch nur mit der Note „genügend“. 

Promotionsversuch, Schuldienst und erneute Studien 

Der erste Promotionsversuch bei Hatzfeld und Tillich erfolgte 1932 mit einer soziologischen Untersuchung der Novellen Maupassants, die aber nicht abgeschlossen werden konnte, weil Tillich 1933 aus dem Staatsdienst entlassen wurde und in die USA emigrierte. Hatzfeld musste ebenso nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen. Kunz begann daraufhin ein Studium der Pädagogik, der Philosophie und der Religionswissenschaften und trat nach der Pädagogischen Prüfung und dem Assessorexamen 1933 in den Schuldienst ein.          

Wie der Vater Peter Kunz, der der NSDAP ablehnend gegenüber stand und 1934 wegen politischer Unzuverlässigkeit vom Schuldienst vorzeitig entlassen wurde, weigerte sich Josef Kunz stets, in die NSDAP und deren Parteiorgane einzutreten. (Till: Hofheimer Biografien, S. 93) Wegen mangelnder Loyalität zum Nationalsozialismus blieb er auch bis 1939 Studienassessor ohne Verbeamtung und ohne feste Anstellung. Er wurde insgesamt 25 Mal versetzt und war Lehrer in Frankfurt, Schmalkalden, Fulda, Rothenburg, Wiesbaden, Eschwege, Geisenheim und Bad Wildungen. Mit dem 'Wanderleben' als Lehrer setzte er seine wissenschaftlichen Studien fort und arbeitete ergänzend auf dem Gebiet der französischen Literatur in erster Linie über Julien Green und Paul Claudel. 1937 wird der französische Unterricht an den höheren Schulen von den Nationalsozialisten verboten. Kunz konnte so nicht mehr ausreichend unterrichten. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, arbeitete er neben seinen Studien als Organist und Chorleiter in verschiedenen katholischen Kirchengemeinden in Frankfurt. Seine wissenschaftlichen Arbeiten gerieten jedoch bald ins Stocken. Er hatte weder das nötige Geld für französische Literatur noch war es ihm möglich, weiterhin Literatur aus Frankreich zu beziehen. Kunz erhielt den Rat – wie Notker Hammerstein ausführt – Deutsch als Hauptfach zu studieren. Wer ihm diesen Rat gab, geht aus der Studie Hammersteins nicht hervor. Kunz beginnt sich für Hölderlin zu interessieren, studiert intensiv das 18. Jahrhundert; die Klassik und die Romantik wecken sein Interesse und 1937 nimmt er wieder ein Studium auf: er studiert Germanistik bei Franz Schultz, Julius Schwietering und Max Kommerell. Zu Kommerell pflegte er ein freundschaftliches Verhältnis. Im November 1938 legte er die Ergänzungsprüfung für das Staatsexamen in Deutsch als Hauptfach ab. Wegen mangelnder Aussichten auf eine Verbeamtung und wegen seiner anhaltenden Ablehnung der Nationalsozialisten studierte er weiter in Frankfurt: neben der Germanistik jetzt auch wieder Romanistik, Philosophie und Klassische Philologie. 

Promotion und Habilitation

Politische Schwierigkeiten bekam Kunz 1940 und wurde deshalb an das Musische Gymnasium in Frankfurt versetzt. Dennoch promovierte er im selben Jahr bei Franz Schultz mit einer Arbeit über „Clements Brentanos 'Godwi'. Ein Beitrag zur Erkenntnis des Lebensgefühls der Frühromantik“. Es bleibt lediglich bei dem Vorschlag von Schulz, sich auch bei ihm zu habilitieren: Ein Gestapobeauftragter teilt Kunz mündlich mit, dass der Versuch sich zu habilitieren zwecklos sei. Er schreibt in seinem Lebenslauf, dass in den letzten Jahren die Angriffe von Seiten der offiziellen Parteistellen und der Gestapo erneut einsetzten und ihn in schwerste Gefahr brachten. (Personalakte Josef Kunz, Nr. 307) Worin genau diese Gefahr bestand, geht aus den Personalakten der Universität nicht hervor. Dennoch wurde er 1940 wegen eines Herzleidens vom Kriegsdienst zurückgestellt. Im März 1944 setzten die amerikanischen Luftangriffe auf Frankfurt ein und die Eltern Peter und Berta Kunz, wie Josef Kunz schreibt, verloren ihr Haus und ihr gesamtes Vermögen. Sie ziehen nach Hofheim zurück. Kunz selbst verlor bei dem Brand des Wohnhauses seine gesamte Bibliothek. Das Musische Gymnasium, an dem er noch immer tätig war, erlitt schwerste Bombenschäden und zog daraufhin in eine Ausweichstelle nach Untermarchtal. Dort beginnt Kunz, weil sich das Kriegsende abzeichnet, mit der Arbeit an seiner Habilitation. 

Privatdozent an der Universität Frankfurt 

Nach dem Ende des Krieges setzte eine Flut von Habilitationen an der Goethe-Universität ein. Zumeist von Privatdozenten, die aus politischen oder ideologischen Gründen zur Zeit der Nationalsozialisten nicht zugelassen wurden. Auch Josef Kunz habilitierte sich 1946 bei Franz Schultz mit einer Arbeit über die Novellendichtung von Eichendorff als Höhepunkt und Krise der Spätromantik und erhielt die Lehrerlaubnis für „Germanische Philologie, insbesondere Neuere Deutsche Literatur“. Sein späterer Schüler Jörg Jochen Berns nennt sie „die erste wertend-interpretierende Studie zur Spätromantik“. (Berns: Prof. Josef Kunz 75 Jahre alt) Die Situation an der Goethe-Universität war zu der Zeit äußerst prekär. Es herrschte gravierender Mangel an Lehrkräften und „die Heranbildung eines Hochschullehrer-Nachwuchses [war] die oberste Sorge der Fakultäten und der Fachvertreter“. (Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, S. 13) Für die Universität und das Institut für Neuere Deutsche Philologie erwies sich die Habilitation von Kunz als Glücksfall. Von der Spruchkammer wurde er als „nicht betroffen“ eingestuft, da er keine Beziehungen zu nationalsozialistischen Organisationen unterhielt. Er erhält eine besoldete Privatdozentur, hält im Juni 1947 seine Antrittsvorlesung „Das Generationsproblem in Gottfried Kellers 'Das Fähnlein der sieben Aufrechten'“ und hält seine ersten Vorlesungen und Seminare im Wintersemester 1947. Kunz war beliebt bei den Studierenden: Berichte von überfüllten Hörsälen und Seminaren bestätigen das. Die Bandbreite seiner angebotenen Seminare ist groß. Sie umfasste Veranstaltungen über die Gattungen Drama, Prosa und Lyrik und richtete sich wohl in erster Linie an Studierende der ersten Semester. Somit war er mit dem hohen Andrang an die Universität direkt konfrontiert. Dieser gibt auch ein typisches Bild der Nachkriegssituation an der Universität in Frankfurt wider. So soll Kunz oft kurzerhand und außerplanmäßig Einführungsveranstaltungen gehalten haben. In einem Brief an Kunz äußerte sich Harald Keller, Professor für Kunstgeschichte, wie folgt: „Hinterher werden sie von Fragen durchlöchert, die sie ohnehin nicht beantworten können.“ (Personalakte Josef Kunz, Nr. 307) Das Fach Germanistik ist in den frühen Jahren nach dem Krieg vollkommen überlaufen. 

Außerordentliche und ordentliche Professur in Frankfurt

Mit der Gesundheit des Ordinarius für Neuere deutsche Literaturgeschichte, Franz Schultz, stand es 1948 nicht zum besten. Im Wintersemester 1950 ist er bereits verstorben und der Lehrstuhl vakant. Bis zur Neubesetzung soll Kunz als Privatdozent die Aufgaben von Schultz übernehmen und den Lehrstuhl vertreten. Als mit Kurt May ein Nachfolger gefunden ist, wird Kunz im Juni 1951 zum persönlichen Extraordinarius für deutsche Philologie und im November zum außerordentlichen Professor ernannt. Auch nach seinem Weggang aus Frankfurt wird Kunz bis 1973 Veranstaltungen im Rahmen der Internationalen Ferienkurse halten. (Anonym: Ferienkurse der Universität) 1959 wurde Kunz zum ordentlichen Professor ernannt. Sein Ruf nach Marburg als Vertretung des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturgeschichte im November 1959 steht in keinem direkten Zusammenhang zu seiner Ernennung zum ordentlichen Professor in Frankfurt im Mai 1959. Ob dadurch seine Wegberufung verhindert werden sollte, kann hier nicht entschieden werden. Zeitlich geht die Ernennung dem Angebot aus Marburg voraus. Im Sommersemester 1960 gab Kunz seine letzten Veranstaltungen als ordentlicher Professor in Frankfurt. Bis zur Berufung seines Nachfolgers wurde die Stelle von ihm vertreten.

 

Empfohlene Zitierweise

Tobias Chriske: Josef Kunz – ein Grenzgänger auf Wanderschaft. In: Frankfurter Literaturwissenschaftler 1914-1945, hg. von Frank Estelmann und Bernd Zegowitz. 2014. Onlinefassung. URL: http://use.uni-frankfurt.de/literaturwissenschaftler/kunz/chriske.


Titelseite und Schmutztitel "Dialog. Literatur und Literaturwissenschaft im Zeichen deutsch-französischer Begegnung. Festgabe für Josef Kunz"; Bild: Privat Tobias Chriske


Literatur

[Anonym]: Ferienkurse der Universität, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (25. Mai 1959, 23. Mai 1964 und 13. April 1973)

Berns, Jörg Jochen: Prof. Josef Kunz 75 Jahre alt. Zentrales Anliegen: die deutsch-französische Aussöhnung durch Begegnung, in: Marburger Universitäts-Zeitung Nr. 127, 9. April 1981

Kunz, Josef: „Auf der Grenze“. Dankesrede beim Empfang des Kulturpreises, Hofheim 1980 (24.5.1981), Till Archiv, Archiv der Stadt Hofheim am Taunus, Sig, 11.10

Personalakte Josef Kunz, Philosophische Fakultät, UAF, Abt. 134, Nr. 307

Hammerstein, Notker: Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Nachkriegszeit und Bundesrepublik 1945-1972, Bd. 2., Göttingen 2012

Rösch, Ewald: Laudatio auf den Preisträger, Herrn Prof. Dr. Dr. Josef Kunz. Anlässlich der Verleihung des Kulturpreises der Stadt Hofheim am Taunus am 24. Mai 1981, in: Archiv der Stadt Hofheim am Taunus, Sig. 10.10

Russ, Bruno: Joseph Kunz † Dichtung als Möglichkeit, sich selbst zu erkennen. Zum Tode des Literaturwissenschaftlers, in: Wiesbadener Kurier (27. August 1990)

Till, Heinz: Hofheimer Biografien, hg. vom Magistrat der Stadt Hofheim am Taunus und dem Stadtarchiv/Stadtmuseum unter Leitung von Roswitha Schlecker, Hofheim am Taunus 2008