Logo Frankfurter Literaturwissenschaftler 1914-1945

Erhard Lommatzsch

...der Fall Denis de Rougemont

Für Erhard Lommatzsch war im ‚Dritten Reich’ die Stelle des außerplanmäßigen Lektors für Französisch ein größeres organisatorisches Problem (vgl. ausführlicher Estelmann/Müller 2008). Nach der Vakanz des Postens 1935 einigte sich die Fakultät zunächst auf einen jungen Kandidaten, Jean Carrive, der Lommatzsch aus Frankreich empfohlen worden war. Diese Kandidatur scheiterte jedoch am Widerstand Karl Eptings, eines promovierten Romanisten, Nationalsozialisten und Leiters der Zweigstelle des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Paris (vgl. Hausmann 2000: 413-415 und 540-552).

Epting schlug Anfang 1935 den Schweizer Literaten und Kulturphilosophen Denis de Rougemont für den Posten vor. „Denis de Rougemont“, schrieb er im September 1935 an Walter Platzhoff, den Rektor der Universität Frankfurt, sei „für den Posten eines Lektors geeignet – auch in sprachlich-sachlicher Hinsicht“. „Wir bekommen in ihm“, fuhr er pointiert fort, „einen Vertreter desjenigen jungen Frankreich nach Deutschland, das für die deutsch-französischen Beziehungen in der Zukunft von grösster Bedeutung sein wird.“ (1)

Rougemont gehörte der Bewegung des Personalismus an. Gegen Faschismus und Kommunismus suchte diese einen dritten Weg, der nicht über die in den 1930er Jahren in Frankreich bei vielen Intellektuellen als verblasst geltende Liberaldemokratie führen sollte (vgl. Ackermann 1996 und Campiche 1999.) Rougemont war kein Faschist – er war Föderalist und interessierte sich für die Bekennende Kirche Karl Barths. Doch suchte er nach alternativen ideologischen Orientierungen zu denen, die in Frankreich die späte Dritte Republik anbot, und war wohl deshalb für das nationalsozialistischem Deutschland interessant.

Epting setzte seinen Kandidaten schließlich gegen den ausdrücklichen Widerstand Lommatzschs durch. In einem Brief an den Rektor der Universität Frankfurt, Platzhoff, beklagte Lommatzsch die Einmischung von Epting, betonte, es liege gar keine Gewähr dafür vor, dass Rougemont, sicherlich ein anerkannter Autor, „der sehr viel bescheideneren elementaren Aufgabe eines französischen Sprachlehrers mit Befriedigung nachkommen würde“(2). Platzhoff meldete an das zuständige Ministerium in Berlin diese Bedenken. Berlin stellte jedoch Rougemont mit Wirkung vom 1. Oktober 1935 ein.

Rougemont trat seinen Dienst in Frankfurt an, gab landeskundlich orientierte Sprachkurse, vollendete sein 1936 publiziertes Werk Penser avec les mains, verließ Deutschland dann aber im Juni 1936 mit dem lapidaren Hinweis auf sein zu kleines Gehalt wieder (3). 1938 publizierte er den Journal d’Allemagne, der seine Erfahrungen aus der Frankfurter Zeit zum Gegenstand hat. Dieses Werk stellt die wohl wichtigste Quelle für den Alltag im Romanischen Seminar der Frankfurter Universität unter dem Nationalsozialismus dar, da Rougemont darin wiederholt die Mentalität und, wie er schreibt, die „verdrängten Gedanken“ (Rougemont 2011: 16) seiner Kollegen beschreibt. (Frank Estelmann)

 

 

Literatur

Bruno Ackermann: Denis de Rougemont. Une biographie intellectuelle. Bd. 1: De la révolte à l’engagement. L’intellectuel responsable. Genève 1996.

Christian Campiche: Denis de Rougemont. Le séducteur de l’Occident. Chêne-Bourg 1999.

Frank Estelmann/Olaf Müller: „Angepaßter Alltag in der Frankfurter Germanistik und Romanistik: Franz Schultz und Erhard Lommatzsch im Nationalsozialismus“. In: Jörn Kobes/Jan-Otmar Hesse (Hg.): Frankfurter Wissenschaftler zwischen 1933 und 1945. Göttingen 2008, S. 33-59.

Frank-Rutger Hausmann: ‚Vom Strudel der Ereignisse verschlungen’. Deutsche Romanistik im ‚Dritten Reich’. (Analecta Romanica, H. 61.) Frankfurt am Main 2000.

Denis de Rougemont: Journal aus Deutschland 1935-1936. Berlin 2001.

Friedrich Wolfzettel: Kulturelle Krise und mythisches Schreiben bei Denis de Rougemont. In: Martine Boyer-Weinmann/Frank Estelmann/Olaf Müller (Hg.): Das Münchener Abkommen und die Intellektuellen. Literatur und Exil in Frankreich zwischen Krise und Krieg. Tübingen 2008, S. 243-255.

Universitätsarchiv der Universität Frankfurt am Main.

 

 

Endnoten

(1) Karl Epting an Rektor Walter Platzhoff, Brief vom 13. September 1935. In: UAF, Akten des Rektors (Personalakte Denis de Rougemont), Abt. 1, Nr. 1637, Bl. 4.

(2) Handschriftlicher Brief Lommatzschs an den Rektor der Universität Frankfurt, vom 25. Februar 1935. In: ebd., Bl. 1.

(3) Handschriftlicher Brief Denis de Rougemonts an den Dekan der Philosophischen Fakultät (Eingangsstempel 30. Juni 1936). In: ebd., Bl. 7.
 


Zur Person: Denis de Rougemont (1906-1985) war als Schweizer Staatsbürger Anfang der 1930er Jahre nach Paris umgesiedelt, wo er mit den späteren Nationalsozialisten Otto Abetz und Karl Epting bekannt wurde, die ihn auf die Lektorenstelle in Frankfurt hieven sollten. Nach seiner Zeit am Main kehrte er nach Paris zurück, wo er neben dem Journal d'Allemagne (= Tagebuch aus Deutschland) und Penser avec les mains (= Mit den Händen denken) auch sein Hauptwerk, L'amour et l'Occident (= Die Liebe und das Abendland), publizierte (1939). Die darin entwickelte These einer Homologie des ritterlichen Krieges und der höfischen Liebe, die am Anfang eines Diskurses um die Leidenschaft steht, dem es von Beginn an eigentlich um Entpersönlichung in Krieg und Tod geht, ist umstritten (vgl. Wolfzettel 2008). Dennoch muss das Werk zu den einflussreichen kulturgeschichtlichen Studien des 20. Jahrhunderts gezählt werden. Es verschaffte dem Autor jedenfalls internationales Ansehen. Rougemont schloss sich bei Kriegsausbruch dem intellektuellen Widerstand gegen den Nationalsozialismus an und emigrierte in die USA. Er gehörte nach dem Krieg zu den Vordenkern der europäischen Einigung.
 


Bild oben: Rougemonts handschriftliche Widmung des Werks Journal d'un intellectuel en chômage (1937) an das Romanische Seminar der Universität Frankfurt (Bild: Frank Estelmann).