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Friedrich Ohly an der University of Chicago

von Juliane Schmidt

Friedrich Ohly wurde im Jahr 1954 durch einen Sonderbeschluss des hessischen Ministers für Erziehung und Volksbildung aufgrund eines positiven Gutachtens zum außerplanmäßigen Professor der Goethe-Universität ernannt, nachdem bereits 1953 eigens für ihn eine Diätendozentur geschaffen worden war. Diese sollte ihm nach seiner Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft eine solide wirtschaftliche Basis geben. Doch das Geld reichte nicht aus.

Obwohl Ohly als Beamter ein durchschnittliches Gehalt erhielt, war es trotz allem zu gering, um eine fünfköpfige Familie zu ernähren. Aus dem Brief eines Universitätskollegen vom April 1954 geht hervor, dass die ersten finanziellen Probleme bereits zu Beginn der Frankfurter Zeit auftraten. 1955 kam sein viertes Kind zur Welt. 1956 trat er dann eine Gastdozentur an: Vom 1. Oktober bis zum 15. Dezember 1956 war Ohly Gastprofessor in Chicago. Wegen einer schweren Erkrankung seiner Frau musste er die Vereinigten Staaten aber schon früher als geplant verlassen.

Germanistik in den USA

Frank Trommler erläutert in seiner Studie "Germanistik in den USA", dass die amerikanischen Universitäten in den 1940er Jahren verstärkt Germanisten suchten. Dieses Interesse imponierte nicht nur Friedrich Ohly, sondern auch anderen deutschen Literatur-, Sprach- und Kulturwissenschaftlern wie Julius Schwietering – Ohlys Doktorvater –, der ebenfalls an der University of Chicago lehrte. Beide wurden dort mit dem Titel eines Ehrendoktors ausgezeichnet.

Der Lehrplan der Philologischen Institute in Amerika forderte zunehmend lateinische und französische Kenntnisse. Forschungsziel war ein Verständnis von gesamteuropäischen Zusammenhängen, besonders in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Literatur. In den Fächern deutsche Philologie, Kulturgeschichte und vergleichende Literaturwissenschaft stand die deutsche bzw. mitteleuropäische Geschichte im Zentrum der Forschung. Das wichtigste Institut an der University of Chicago aber war das theologische (Devinity School). Ohlys Seminare "Bibeldichtung" und "Vom Heiland bis ins 12. Jahrhundert“ aus dem Frankfurter Wintersemester 1955/56 entsprachen genau dem in Chicago geforderten Lehrprofil.

Obwohl Ohly nur zwei Monate an der University of Chicago verbrachte, hinterließ er erkennbare Spuren an der Divinity School. Vorträge zu Ohlys Forschungen fanden dort zuletzt im Herbstsemester 2011 statt. Nach der Webseite des Seminars „Medieval Biblical Exegesis I“ von Rachel Fulton Brown gehört sein „Sensus Spiritualis“ zur Grundliteratur. Ohlys Arbeit wurde von Kenneth J. Northcott ins Englische übersetzt und ist 2004 bei „The University of Chicago Press Books“ erschienen. In der amerikanischen Buchbeschreibung wird Friedrich Ohly als Wissenschaftler so beschrieben: Seine Forschungen zu mittelalterlichen Figuren seien die weit verbreitetsten und einflussreichsten seines Faches.

Empfohlene Zitierweise

Juliane Schmidt: Friedrich Ohly geht nach Amerika an die University of Chicago. In: Frankfurter Literaturwissenschaftler 1914-1945, hg. von Frank Estelmann und Bernd Zegowitz. 2014. Onlinefassung. URL: http://use.uni-frankfurt.de/literaturwissenschaftler/ohly/schmidt.


Literatur

Krohn, Claus-Dieter (Hg.): Exil und Remigration. München 1991

Schildt, Axel: Reise zurück aus der Zukunft. Beiträge von intellektuellen USA-Remigranten zur atlantischen Allianz, zum westdeutschen Amerikabild und zu "Amerikanisierung" in den fünfziger Jahren. In: Exilforschung 9 (1991), S. 25-45

Trommler, Frank: Germanistik in den USA. Wiesbaden 1989