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Julius Petersen

Im Blick der Nachwelt

Alle früheren Einzelarbeiten weisen auf das späte Ganze hin. Da sind vor allem sorgfältige Klassikerausgaben zu erwähnen, also das Gebiet, auf das die philosophische Zunft ihre Arbeit und Arbeitsehre gründet und an dem die strenge kritische Zucht sich zuerst bewährt. Die Auslegung der Texte, bei der sich Feinsinn, Tiefe und Geschmack erproben, wird besonders an Lessing, Schiller und Goethe geübt. Daneben erscheint Theodor Fontane als bevorzugt, vermutlich doch, weil ein verwandter Zug von zartem Gefühl für leiseste Lebensschwingungen zu ihm hintrieb. [...] Zu den grundsätzlichen Fragen der Literaturwissenschaften streben Studien hin über Dichtungsgattungen, Dichtertypen, literarische Generationen. Die Betrachtung ist überall geleitet von gegenwartsnahen Fragestellungen, von gewaltigen Kenntnissen unterbaut, ins Weite führend, nach den Höhen weisend.

Spranger Eduard: Gedenkworte auf Julius Petersen, in: Julius Petersen zum Gedächtnis, Leipzig o.J., S. 9-19

 


Petersen war Philologe, das ist die Mitte seines Schaffens. Von Schillers Säkular-Ausgabe 1905 bis zum Fontane-Lepelschen Briefwechsel 1940 war er über ein Menschenalter als Herausgeber tätig. Das, was er hier leistete, wäre bereits die Erfüllung einer Lebensarbeit gewesen und hätte genügt, ihm einen Platz in der Geschichte unserer Wissenschaft zu sichern. Andere mochten das als Fron empfinden, ihm war es selbstverständliche Pflicht des Literarhistorikers, die höchsten Tugenden des Philologen – Kritik und Interpretation – in den Dienst der Betreuung des Dichters zu stellen.

Schmidt, Wieland: Gedenkworte auf Julius Petersen, in: Julius Petersen zum Gedächtnis, Leipzig o.J., S. 23-31

 


Kurz vor seinem Tode legte Petersen eine Art Systematik der deutschen Literaturwissenschaft vor, darin er frühere Versuche über Methoden, wie sie beim Betrieb der Literaturwissenschaft auf unseren Hochschulen angewendet werden, teils zusammenfasste, teils breiter ausführte. Kritiklose Stoffhuberei und feiges Ausweichen vor jeder Stellungnahme zu den meist nur oberflächlich abgetasteten Problemen kennzeichnen dies Buch. Mit Haut und Haar hatte sich sein Verfasser dem Unfug der sogenannten „Rassenseelenforschung“ verschrieben und behandelte allen schauderhaften Aberwitz wie Offenbarungen einer für die Literaturergründung fruchtbarsten Wissenschaft. Es ist nicht etwa Ironie, wenn er hier feststellt, „das rassische Bild Goethes“ gewähre „keine ungemischte Freude“, denn Goethe scheine „kein rein nordischer Mensch gewesen zu sein“! Wahrlich, auf einen noch tiefern Tiefpunkt der Selbstaufgabe und Selbstverhöhnung als in diesem Buche konnte die deutsche Wissenschaft von der Dichtung nicht hinabsinken.

Fränkel, Jonas: Verratene Wissenschaft. Ein nichtgedruckter Nekrolog (1941), in: Ders.: Dichtung und Wissenschaft, Heidelberg 1954, S. 256-264