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Warum Hellmuth Petriconi Blasco Ibáñez' "Los cuatro jinetes del Apocalipsis" als Hetzroman bezeichnete. Ein Essay über die Habilschrift Petriconis

von Bianca Biermann

„Wollen wir mit […] dem antideutschen Hetzroman ‚Los cuatro jinetes del Apocalipsis’ (1916) auch das  bei weitem schlechteste [Werk] erwähnen.“ (Petriconi 1926: 107)

 

Mit seiner Habilschrift „Über die spanische Literatur der Gegenwart seit 1870“ (1926) begann die Karriere des Hispanisten Hellmuth Petriconi am romanischen Seminar der Universität Frankfurt. Vorher hatte der gebürtige Hamburger, Sohn eines peruanischen Vaters italienischer Abstammung, mehrere Universitäten besucht und 1922 an der Universität Würzburg mit „summa cum laude“ in den romanischen Philologien, Philosophie und deutscher Literatur promoviert. Seine Habilitation wurde zumindest am Ende von Matthias Friedwagner betreut, was als ungewöhnlich angesehen werden kann, da Friedwagner selbst nicht als Spezialist für die spanische Literatur, über die er praktisch nicht publiziert hatte, gelten konnte. Dennoch war Friedwagner entscheidend gewesen für die Etablierung einer Hispanistik in der Frühphase der Universität Frankfurt, auch und gerade dadurch, dass er Petriconi an den Main holte. In der Zeit zwischen 1926 bis 1933 war Petriconi im Grunde alleine zuständig für die Lehre im Bereich der spanischen Literaturwissenschaft und die Fremdsprachenausbildung des Spanischen der Frankfurter Studierenden.

Das einleitende Zitat (siehe oben) stammt aus Petriconis Habilschrift, die vor der Veröffentlichung den Titel „Die spanische Literatur in ihren Beziehungen zur deutschen und französischen“ trug und in der Petriconi auch seine komparatistische Methodik des Vergleichens verschiedener Literaturen darlegt. In der Arbeit befasst sich Petriconi jedoch hauptsächlich mit der jüngeren spanischsprachigen Literatur, darunter auch mit zeitgenössischen Autoren wie Vicente Blasco Ibáñez, dessen Roman Los cuatro jinetes del Apocalipsis, der 1916 erschienen war, in der Folge im Zentrum des Interesses stehen soll.

Blasco Ibáñez konnte als einer derjenigen Autoren gelten, die sich schon früh durch ihr politisches Interesse ausgezeichnet hatte ­– er war beispielsweise Mitglied in der Republikanischen Partei Spaniens. Auch hatten ihn seine politischen Ansichten mehrfach ins Exil gezwungen. Der vom Ersten Weltkrieg handelnde Roman Los cuatro jinetes del Apocalipsis nun gehört zu den bekannten politischen Büchern des Autors. Dieser Roman wurde nicht nur innerhalb Europas wahrgenommen – mit ihm feierte Blasco Ibañez insbesondere in den USA große Erfolge.

Wie zu erwarten, charakterisiert Petriconi Blasco Ibañez zunächst als literarischen Vertreter des Naturalismus, der dank diesem Autor Einzug in Spanien gefunden habe, wenn auch „in nicht ganz erfreulicher Weise“ (Petriconi 1926: 106). Denn Blasco Ibáñez, eine Art Ideenplagiator, nehme nur Anregungen anderer auf, sei ein „skrupelloser literarischer Freibeuter“, dem es an Originalität fehle (Petriconi 1926: 107). Petriconi kritisiert daraufhin vor allem Los cuatro jinetes del Apocalipsis, und zwar auf polemische Weise:

„Man glaube nicht, dass die gemeine Tendenz hier unser Urteil beeinflusst, das Werk ist, wie auch die neutrale spanische Kritik, dermaßen dumm und miserabel, daß der ästhetische Ärger die Entrüstung vom Standpunkt des Deutschen fast überwiegt.“ (Petriconi 1926: 107)

Es stellt sich freilich sogleich die Frage, was eine solche harsche Kritik veranlasst hat. Die beiden bereits angeführten Zitate aus der Habilschrift Petriconis geben erste Hinweise darauf: in Frage steht die Darstellung des Ersten Weltkriegs, die vom deutschen Standpunkt aus ebenso ärgerlich sei wie vom ästhetischen Standpunkt aus. Nun ist leicht zu zeigen, dass der Roman tatsächlich ‚anti-deutsch’ konzipiert ist und in Handlungsverlauf, Figurenporträts und Erzählerkommentaren deutlich Partei für das republikanische Frankreich nimmt, so wie es der Autor im Vorwort des Romans auch erläutert.

Los cuatro jinetes del Apocalipsis handelt, knapp resümiert, von einer Art multikulturellen Familie, die ihren Ursprung in Argentinien hat. Marcelo Desnoyers verlässt im Jahre 1870 Frankreich um dem Krieg zu entgehen und geht nach Argentinien. Dort beginnt er, für den Großgrundbesitzer Julio Madariaga zu arbeiten, dessen älteste Tochter er später heiratet. Neben Marcelo arbeitet auch der Deutsche Karl von Hartrott für Madariaga; von Hartrott verliebt sich in Madariagas jüngste Tochter, die er ebenfalls heiratet. Nach dem Tod des Großgrundbesitzers erben Marcelo und seine Familie einen Teil des Besitzes, den sie verkaufen und nach Frankreich gehen. Hartrott und seine Familie sind bereits nach Deutschland zurückgekehrt. Den herannahenden Krieg vor Augen, vertreten die beiden Familien nun verschiedene Ansichten und Lebensstile, die im Roman deutlich in Gegensatz zueinander gesetzt werden und immer dann besonders scharf auftreten, wenn man sich gegenseitig besucht. Während die Desnoyers in Frankreich einen Krieg für unwahrscheinlich halten und ihn auch nicht für wünschenswert erachten, da er apokalyptische Ausmaße anzunehmen droht, wünschen sich die deutschen Verwandten geradezu einen Krieg, der es erlauben werde, die Welt unter die Vorherrschaft der Deutschen zu stellen. Im Krieg selbst kommt dann der Sohn Marcelos, Julio, langsam zur Gewissheit, dass er sich für die französische Sache gegen die barbarischen deutschen ‚Horden’ auch mit seinem Leben einsetzen muss, meldet sich daraufhin auch freiwillig zum Dienst an der Waffe. Auf dem Höhepunkt der Handlung trifft er schließlich nach zahlreichen Erlebnissen der Grausamkeit des Krieges beim Kampf auf einen der Söhne der Familie von Hartrott. Beide fallen an der Front.

Im Vorwort Al Lector erzählt Blasco Ibánez von einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Poincaré, der ihn darum gebeten habe, einen Roman über die Kriegshandlungen aus der Sicht Frankreichs zu schreiben. Diese Bitte folgend, war Blasco Ibáñez selbst an die Front gereist, um dort die Auswirkungen und die Begleiterscheinungen des Krieges, wie den Hunger, zu beobachten und beschreiben zu lernen. Diese Erfahrungen bildeten auch tatsächlich das Fundament der frankophilen Perspektive, die der spanische Autor in Los cuatro jinetes del Apocalisis auf den Krieg warf; „aus seiner Feindschaft zur imperialistischen Politik des Deutschen Reichs“ machte er „kein Hehl“ (Karimi 2014: 1232).

Trotz des offenkundigen Soldaritätsaufruf mit den Franzosen, der offenbar gerade in den USA vernommen worden war, beschränkt sich der Roman nicht auf eine Darstellung des Ersten Weltkriegs. Schon die erzählte Zeit beginnt wesentlich früher, nämlich mit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870, und auch einige Handlungsstränge, wie die Schilderungen der argentinischen Provinz oder die sentimental erzählten Liebesgeschichten der Protagonisten, sind einigermaßen autonom von den geschilderten Kriegshandlungen zu lesen. Doch die Verarbeitung des militärischen Konflikts zwischen den französischen Republikanern und den europäischen Monarchien, repräsentiert durch den deutschen Kaiser und seine ‚apokalyptischen’ Truppen, stehen eindeutig im Vordergrund. Sie bestimmten die Erzählungen des Familienkonflikts, die Suche nach den Kriegsschuldigen und die Porträts der moralisch aufrechten Figuren. Insofern ist schon recht deutlich, dass Blasco Ibáñez seine Darstellung der deutschen Mentalität des 20. Jahrhunderts und ihrer Kultur recht überspitzt formuliert hat und sich in seiner Kritik auch von einer Ablehnung der zeitgenössischen Deutschen hat leiten lassen.

Dies macht schon der symbolträchtige Romantitel deutlich: Los cuatro jinetes del Apocalipsis (dt. Die vier Reiter der Apokalypse). Im Roman selbst wird zweimal Bezug auf den Titel genommen, im ersten Fall im Sinne einer Kritik an den imperialistischen Deutschen:

„–...Y cuando dentro de unas horas salga el sol, el mundo verá correr por sus campos los cuatro jinetes enemigos de los hombres...Ya piafan sus caballos malignos con la imparciencia de la carrera; ya sus jinetes de desgracia se conciertan y cruzan las últimas palabras antes de saltar sobre la silla.
– ¿Qué jinetes son esos?-preguntó Argensola.
– Los que preceen a la Bestia.
[...]
¿Y qué bestia era aquella? [...]
– La del Apocalipsis.“ (Blasco Ibánez 1919: 153)

Die ‚apokalyptischen Reiter’ sind also die Menschen, die es der ‚Bestie’ Deutschland ermöglichen, ihr Vorhaben der Vorherrschaft über die gesamte Welt in die Tat umzusetzen. Sie bringen den Gegnern des Krieges nur Tod und Verderben. Genau dies ist die Einsicht, die Marcelo als Stellvertreter der Perspektive des Lesers am Grab seines gefallenen Sohnes Julio Desnoyers schließlich hat: die apokalyptischen Reiter sind Realität und haben nur Trauer, Tod und Verderben für die Menschheit gebracht (Blasco Ibáñez 1919: 402). Diese Metaphporik weiterschreibend, wird im Roman ein Bild des kaltblütigen und skrupellosen Deutschen geschaffen, der distanziert und unmenschlich agiert, sich sich durch seine Neigung zum Größenwahn, Habgier und Gier nach Macht charakterisieren lässt, und der entsprechend glaubt, die Weltherrschaft verdient zu haben. Dem entgegen stehen die Franzosen als zivilisiertes Volk, das von den republikanischen Prinzipien wie der Gleichheit aller Menschen überzeugt ist und für diese zu kämpfen bereit ist.

Dies wird in verschiedenen Romanpassagen deutlich gemacht. Die Deutschen erscheinen etwa als in Kasten aufgeteilte Gesellschaft, die auf archaischen Ehrprinzipien basiert: “Todas las extravagancias del escalafón social alemán, que discurre incesantemente títulos nuevos para satisfacer la sed de honores  de un pueblo dividido en castas, eran enumeradas con delectación por la antigua ‘romanica’.” (Blasco Ibánez 1919: 76). Professor Julius von Hartrott fühlt sich im deutschen Streben nach Weltmacht durch die bloße militärische Kraft der deutschen Armeen bestätigt und sieht in der möglichen ‘Germanisierung’ ein Glück für die Welt: “Era justo que dominase al mundo, ya que ella sola dispone de la fuerza. Esta 'germanización tentacular' resultaría de inmensos beneficios para los hombres. La tierra iba a ser feliz bajo la dominación de un pueblo nacido para amo. El Estado alemán, potencia 'tentacular' eclipsaría con su gloria a los más ilustres Imperios del pasado y del presente. Gott mit uns  (Dios es con nosotros).” (Blasco Ibáñez 1919: 116) Für Julius von Hartrott sind die deutschen ‘höhere Wesen’, die anderen Völkern überlegen seien: “Nosotros no tenemos amigos. Todos nos miran con recelo, como á seres peligrosos, porque somos los más inteligentes, los más activos, y resultamos superiores á los demás...Pero ya que no nos aman, que nos teman.” (Blasco Ibáñez 1919: 118) Kurz: der Erfolg der Deutschen, wie sie selbst ihn sehen, ist darin zu suchen, dass sie ihr Volk, Blut und Rasse über das Allgemeinwohl gestellt haben (Karimi 2014: 1242). Der arisch begründete Rassismus, der ebenfalls von Professor Hartrott vorgetragen wird und der Disqualifizierung der deutschen Figuren im Roman dient, ist in diesem Zusammenhang besonderer Erwähnung wert:

“El germano […] era el único heredero de los primitivos arios. Todos los otros pueblos, especialmente los del Sur de Europa, llamados “latinos”, pertenecían a una humanidad degenerada. [...]” (Blasco Ibáñez 1919: 114)

An der zentralen Figur des Professors von Hartrott sichtbar, gab Blasco Ibáñez den Intellektuellen, insbesondere den deutschen Professoren, einen großen Teil der Schuld am Krieg. Es waren insbesondere die kriegsbegeisterten deutschen Akademiker und Intellektuellen, die in ihrem blinden und unaufgeklärten Nationalismus, und dem Rassenwahn verfallen (vgl. Karimi 2014: 1246), Europa in den Krieg führten. Diese schematische, negative Darstellung der Deutschen und vielleicht auch insbesondere die der deutschen Akademiker haben vielleicht die harsche Kritik Petriconis an Los cuatro jinetes del Apocalipsis motiviert. Dennoch ist es aus heutiger Sicht natürlich bemerkenswert, wie Blasco Ibañez gerade durch die im Kontext des Ersten Weltkriegs wohl überzeichnete Darstellung der Deutschen, die dem Glauben an die eigene rassische Dominanz verfallen sind, den Nationalsozialismus antizipiert hat (vgl. Karimi 2014: 1244).

Empfohlene Zitierweise

Biermann, Bianca: Warum Hellmuth Petriconi Blasco Ibáñez' "Los cuatro jinetes del Apocalipsis" als Hetzroman bezeichnete. Ein Essay über Petriconis Habilschrift. In: Frankfurter Literaturwissenschaftler 1914-1945, hg. von Frank Estelmann und Bernd Zegowitz. 2014. Onlinefassung. URL: http://use.uni-frankfurt.de/literaturwissenschaftler/petriconi/biermann.


Literatur

Petriconi, Hellmuth: Die spanische Literatur der Gegenwart seit 1870. Wiesbaden 1926

Blasco Ibáñez, Vicente: Los cuatro jinetes del Apocalipsis. Valencia 1919

Karimi, Kian-Harald: ”Drum Deutscher öffne dieses Buch". Feind- und Freundbilder in Vicente Blasco Ibáñez‘ Los cuatro jinetes del Apocalipsis (1916). In: Seybert, Gislinde / Stauder, Thomas (Hg.): Heroisches Elend: Der Erste Weltkrieg im intellektuellen, literarischen und bildnerischen Gedächtnis der europäischen Kulturen. Frankfurt am Main 2014, S. 1227-1257