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Julius Schwietering

Im Blick der Nachwelt

Sein Vorgehen war nicht direkt didaktisch, sondern exemplarisch, da es, ohne theoretische Manifestation, seine Grundsätze in der Anwendung verbarg, sie eher beiläufig als betont erhellte, wohl auch in manchmal unwirscher Wendung gegen andre Haltung. Vom Boden positivistischer, Beschreibung als Erklärung nehmender Forschung tat er den Schritt zur geistesgeschichtlichen Deutung’, nicht ohne strenge Verwahrung dagegen, daß um ihn ‚geschichtsphilosophische Spekulation in skrupelloser Analogieübertragung wahre Orgien feierte’, um der literaturgeschichtlichen Forschung gegenüber aller ‚verkappten Gesetzeswissenschaft’ den Charakter ‚reiner Ereigniswissenschaft’ zu wahren.

Ohly, Friedrich: Julius Schwietering, in: Julius Schwietering. Philologische Schriften, hg. von Friedrich Ohly und Max Wehrli, München 1969, S. I-XXV, hier S. XI


Sein Werk war bahnbrechend, von höchst geläutertem Gewicht. Überzeigt vom esoterischen Charakter echter Wissenschaft, hat er es nicht auf breite Wirkung angelegt. Um so spürbarer bleibt die ergriffene Intensität des Umgangs mit Gegenständen von höchstem dichterischem Wert. Unerbittlich und entschieden stand er für erkannte Wahrheit, für die Wahrung bester Forschertradition und ihres Ethos. Sein Rang schloß ein Verletzlichkeit. Getäuschte menschliche Erwatung ließ ihn leiden, in einem Maß, daß er zu schroffer Abkehr Zuflucht nahm. Betroffenste Empörung packte ihn, wo schuldhaft-ehrfurchtslos das Menschliche und Geistige befleckt war.

Ohly, Friedrich: Julius Schwietering ✝, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 92 (1963), S. 1-7

 


Mochte er mit mir nun aufgeräumt irgendwo in Frankfurt oder in London in heller Freude durch die Stadt schlendern: ohne das geringste Aufheben, in schöner und vornehmer Plauderform breitete er sein reiches Wissen aus, bescheiden, zuvorkommend, liebenswürdig, humorvoll, selbstsicher und souverän. […] Als Literarhistoriker ging es ihm darum, die eigenständige Form und schöpferische Selbstständigkeit des Mittelalters zu erweisen, nach den geistigen Kräften zu fragen, um aus konkreter Vertrautheit mit Kunstgeschichte, Theologie, Liturgie und insbesondere der Mystik mittelalterliche Dichtung immer tiefer aus der Frömmigkeitshaltung jener Zeit zu begreifen. […] Die allem Regionalen und rein Nationalen abgewandte Geschlossenheit des mittelalterlichen Weltbildes kam ganz seinem eigenen Wesen entgegen. Er war von Natur aus und in seiner geistigen Haltung bei aller angestammten Liebe zur Heimat Europäer, Westeuropäer, Weltbürger. Hieraus erklärte sich seine Abneigung und sein Mißtrauen gegenüber jeder Germanenromantik.

Norman, Frederick: Julius Schwietering (1884-1962), in: Euphorion 57 (1963), S. 1-3

Grab von Julius Schwietering auf dem Frankfurter Hauptfriedhof (Foto: Anne Bihan)