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Martin Sommerfeld

...Methodik der universitären Schriften

Die methodische Herangehensweise Martin Sommerfelds ist in den meisten seiner im universitären Kontext veröffentlichten Schriften ähnlich, es lässt sich ein Grundprinzip ausmachen, dass hier zunächst anhand der Dissertation „Friedrich Nicolai und der Sturm und Drang“ dargestellt werden soll.

In seiner Dissertation beschreibt und analysiert Sommerfeld das Verhältnis des Aufklärers Nicolai zum Sturm und Drang. Zunächst legt er das literarische, ästhetische und theoretische Programm Nicolais dar und geht dann auf seine Beziehungen zu anderen Dichtern, besonders zu jenen der kon­trären Geisteshaltung des Sturm und Drang ein. Nicolais „Kampf gegen den Sturm und Drang“ richtete sich insbesondere gegen Klopstock und gegen den jungen Goethe, sein Verhältnis zum Sturm und Drang sei geprägt durch den Kampf zweier Generationen und zugleich den „Kampf zweier Weltanschauungen“, wobei der Sturm und Drang als Teil der „Geniebewegung“ begriffen wird, die vom Sturm und Drang bis zur Romantik reicht.(1)

Thematisiert wird auch die gewandelte Rezeption Nicolais, der zunächst einen enormen Einfluss auf die „literarische Produktion und Kritik“ hatte und hoch geschätzt, dann jedoch verachtet wurde und heutzutage geringgeschätzt wird: Er komme als „Quelle wie als Gegenstand“ der For­schung in Betracht.(2) Die eigentliche Position Nicolais sei uneindeutig und zum Teil widersprüchlich.

Die Arbeit soll einen Versuch der „systematische[n] Analyse der geistigen Organisation Nicolais“(3) darstellen und nimmt daher in Teilen stark die Form einer Charakterisierung Nicolais an, einer Beschreibung seiner Persönlichkeit, woraus dann seine Haltungen und Schriften begründet werden.

Auch in seiner Habilitation „Hebbel und Goethe“ versucht Sommerfeld nicht nur eine literarische, sondern auch eine Charakterstudie der beiden Autoren vorzulegen und Hebbels Verhältnis zu Goethe und dessen Entwicklung biographisch-psychologisch zu analysieren. Seiner Meinung nach kann „das objektive Verhältnis Hebbels zu Goethe […] nur auf Grund des subjektiven Entwicklungsprozesses erörtert werden; der literarhistorischen Auswertung hat die Untersuchung der psychologischen Motive und der geistigen und künstlerischen Bedingungen voranzugehen, die in der Erfassung Goethes durch Hebbel wirksam waren; nur von hier aus können die Maßstäbe für die Untersuchung des objektiv gestellten Problems gewonnen werden.“(4)

In der Vorbemerkung zu seinem bereits im Exil erschienenen Sammelband „Goethe in Umwelt und Folgezeit“ schreibt Sommerfeld, er habe Goethe als „geschichtliche Erscheinung“ darstellen wollen und sich in den „Geist der Betrachtung“ dieses großen Mannes begeben.(5)

Aus heutiger Sicht wirkt eine solche biographisch orientierte Interpretation, eine Einfühlung in den Charakter eines Dichters vor der Analyse seines Werkes, sicher eher befremdlich. Martin Sommerfeld war jedoch der Ansicht, dass die historischen und persönlichen Hintergründe eines Autors für die Interpretation seiner literarischen Schriften nicht nur hilfreich, sondern notwendig seien.

Endnoten

(1) Martin Sommerfeld: Friedrich Nicolai und der Sturm und Drang. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Aufklärung. Mit einem Anhang: Briefe aus Nicolais Nachlaß. Halle/Saale 1921, S. 6.

(2) Sommerfeld: Nicolai, S. 3.

(3) Sommerfeld: Nicolai, S. 5.

(4) Martin Sommerfeld: Hebbel und Goethe. Studien zur Geschichte des deutschen Klassizismus im 19. Jahrhundert, Bonn 1923, S. 15.

(5) Martin Sommerfeld: Goethe in Umwelt und Folgezeit. Gesammelte Studien von Dr. Martin Sommerfeld, ehem. Professor an der Universität Frankfurt am Main, Professor an der New York University. Leiden 1935, S. 7.