Die Arbeit mit Gipsabgüssen

Michelle Frost

Die Arbeit mit Gipsabgüssen hatte schon immer einige Vorteile für Archäologen gegenüber moderneren Reproduktionsmethoden. An erster Stelle  sei hier die Fotografie angeführt.

Was die Arbeit mit Gipsabgüssen zu leisten vermag, konnte Hans Schrader in seinem 1924 erschienenen Buch „Phidias“ zeigen. Er beschäftigt sich darin mit den Werken des athenischen Künstlers Phidias sowie seines Umkreises. Im Besonderen bezieht er die Bildhauer Paionios, Alkamenes und Kallimachos mit ein. Schrader versucht durch Vergleiche von ausgewählten Objekten diese den einzelnen Bildhauern, insbesondere Phidias, zuzuordnen.

In der Einleitung schreibt Schrader, dass es in Frankfurt sein Ziel gewesen sei „in einem neugeschaffenen Universitätsinstitut […] zahlreiche Gipsabgüsse des hohen Stils aufzustellen“ (S.9). Die in dem Buch dargelegten Untersuchungen seien ein Resultat dieses Bemühens .

„Phidias sein Verhältnis zu seinen Schülern und Mitarbeitern, aber auch zu unabhängigen strebenden Altersgenossen, wie Paionios einer war, Art und Grenzen seiner Kunst – das waren die Fragen, die sich aufdrängten, ihnen sind die folgenden Seiten gewidmet.“ (S.11). Dass Schrader  seine stilistischen Vergleiche mit Hilfe von Gipsabgüssen betrieb, zeigt die Wichtigkeit dieses Mediums für die kunsthistorische Arbeitsweise der klassischen Archäologie, die sich im Laufe des 19. Jhs. zu einer Leitwissenschaft entwickelte.

In dem Buch sind insgesamt 38 verschiedene Gipsabgüsse, auch in Detailaufnahmen und in verschiedenen Perspektiven, abgebildet. Am häufigsten in Bildern vertreten und somit für Schrader offenbar Schlüsselwerke sind die „Kore Albani“ in der Villa Albani in Rom, die „Aphrodite“ aus Fréjus im Pariser Louvre und „die junge Frau (A)“ aus dem Westgiebel des Zeustempels in Olympia.

Der Archäologe Ludwig Curtius bespricht  im 1925 erschienenen  ersten Band der altertumswissenschaftlichen Rezensionszeitschrift „Gnomon“ Schraders Buch , wobei er keineswegs immer der gleichen Meinung wie der Autor ist.  Curtius widerspricht  einigen Schrader’schen Thesen entschieden. Dabei erwähnt er als Entstehungsort dieser Thesen die Frankfurter Gipsabgusssammlung in einer leicht ironisch klingenden Weise: „So reißt uns die Entdeckerfreude des Verfasser mit sich fort, als würden wir feierlich mit eingeweiht in die Geheimnisse, die die einsame Arbeit an den Abgüssen des kleinen Frankfurter Universitätsmuseums dem seherischen Forscher enthüllte.“ (S.9)

Die signifikantesten Vorteile der Gipsabgüsse hat Nikolaus Himmelmann 1989 in seinem Essay „Ein Plädoyer für Gipsabgüsse“ dargelegt. Zunächst kritisiert er die Fotografie als Reproduktionsmedium für dreidimensionale Kunstwerke, denn diese sei nicht objektiv und könne Skulpturen nicht räumlich getreu wiedergeben. So werde bei „Photographien von antiken Skulpturen […] die plastische Dimension […] häufig genug bis zur Unkenntlichkeit verschleiert“ (S.185). Neben der Verfälschung der Größe der Objekte sei ein weiteres Problem die Verfälschung der Proportionen. Zudem biete die Fotografie immer eine höhere Wahrscheinlichkeit zur Fehlinterpretation, da durch Perspektive und andere fotografische Mittel die Stimmung des Betrachters gelenkt werden könne.

All diese Probleme treten Himmelmann zufolge bei der Betrachtung eines Gipsabgusses nicht auf. Dieser sei im Gegensatz zur Fotografie nahezu objektiv. Es ergäben sich beim Betrachten als Vorteile der vollständige Eindruck der körperhaften Räumlichkeit des Objektes selbst sowie seiner Wirkung im Raum. Man könne das Objekt umschreiten und aus allen möglichen Blickwinkeln betrachten. Dadurch sei  der Blick  nicht wie bei einer Fotografie einseitig gerichtet.

Neben der Fähigkeit einer objektiveren Wiedergabe  böten Gipsabgüsse auch die Möglichkeit, Skulpturenteile oder Skulpturengruppen wieder zu vereinen, deren Originale auf verschiedene Museen verstreut seien, z.B. können Abgüsse von Kopfrepliken an Abgüssen von kopflosen Statuenrepliken anprobiert werden. Weiterhin können Abgüsse originaler Fragmente in Abgüsse komplett erhaltener Statuenkopien eingepasst werden, um den Grad der Abweichung einer Kopie vom Original zu bestimmen. Nach Himmelmann können Gipsabgüsse auch noch in anderer Weise dabei helfen ein nicht mehr erhaltenes Original zu erschließen: Hierbei werden Gipsabgüsse aller erhaltenen Kopien desselben verlorenen Originals zusammengebracht und verglichen, um durch Übereinstimmungen der Kopien diejenige auszumachen, die wahrscheinlich am nächsten an das Original herankommt. 

So sei schließlich zu sagen, dass „die historische Form, [...] durch den Abguß weit besser verdeutlicht werden kann als durch die vollkommenste Photographie“ (S.198)

Literatur: L. Curtius, Gnomon 1, 1925, 9; N. Himmelmann, Herrscher und Athlet. Die Bronzen vom Quirinal, Ausstellungskatalog Akademisches Kunstmuseum Bonn (Mailand 1989) 185–198; H. Schrader, Phidias (Frankfurt 1924).

Die Frankfurter Gipsabgußsammlung (Foto: Archäologisches Institut der Goethe-Universität Frankfurt a.M.)

Michelle Frost, Die Arbeit mit Gipsabgüssen, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 11.03.2015, URL: https://use.uni-frankfurt.de/objekt-kulturgeschichte/frost/.

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