Der Beginn einer deutsch-amerikanischen Freundschaft: Der Frankfurt-Chicago Austausch

von Daniel Sittmann

Am 5. April 1948 landete eine Gruppe von sechs Professoren der Universität Chicago auf dem Frankfurter Rhein-Main Flughafen, um ein Semester an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main zu lehren. Mit der Ankunft der Professorengruppe begann gleichzeitig der erste offizielle Universitätsaustausch zwischen einer deutschen und einer amerikanischen Hochschule nach dem Krieg. Heute gehören Professoren- und vor allem Studentenaustausche zu einem ganz normalen Hochschulbetrieb.

Der vorliegende Beitrag untersucht, wie der Austausch zwischen den Universitäten zustande kam, wer an ihm teilnahm und welche Bedeutung er für das Wiederanknüpfen akademischer Verbindungen zwischen Deutschland und den USA und für die Wiederaufnahme von Kontakten und Beziehungen Westdeutschlands zum Ausland hatte. Im Mittelpunkt steht dabei nicht nur der Professorenaustausch, sondern insbesondere die Bedeutung und die Vorteile für die damaligen Frankfurter Studenten, die nicht nur als Hörer von den amerikanischen Gastprofessoren profitierten, sondern auch selbst mit Aufenthalten in Chicago an dem Austausch teilnahmen.

Informationen zur Veranstaltung

Dozentin: PD Dr. Barbara Wolbring
Veranstaltungsart: Seminar
Semester: WiSe 2011/12
Fachbereich / Institut: Philosophie und Geschichtswissenschaften (FB 08), Historisches Seminar
Studentische Beiträge: Displaced Persons an der Uni | Frankfurt-Chicago-Austausch | Rotkreuz-Studentengruppe

Darüber hinaus werden Ziele und Intentionen der Initiatoren dargelegt und nach der Bedeutung für die einzelnen Teilnehmer und für die wissenschaftliche und gesellschaftliche Verbindung zwischen Deutschland und den USA gefragt. Ausgehend von den amerikanischen Bemühungen das tief verletzte Selbstwertgefühl der „anständigen Deutschen“ [Anm. 1] zu heben, sollen die Kontaktaufnahme Anfang 1948 und die Entwicklung des Austausches dargestellt werden.

In einem ersten Schritt wird der Fokus auf den amerikanischen Einfluss auf das deutsche Bildungswesen und die Wiederaufnahme des universitären Betriebs geworfen. Im Anschluss werden die Entwicklungen der deutsch-amerikanischen Austausch-Beziehungen beschrieben und der erste dauerhaft organisierte Austausch von Professoren und Studenten zwischen der Goethe-Universität Frankfurt am Main und der Universität Chicago (Illinois, Vereinigte Staaten von Amerika) untersucht.

1. Ziele der Besatzungsmacht USA

Nach der Kapitulation Deutschlands und dem Ende des Nationalsozialismus am 8. Mai 1945 kam es unter den alliierten Besatzungsmächten zu nachhaltigen Veränderungen in Deutschland. „Eines der Kardinalprobleme der ersten Nachkriegsjahre war [...] der immense Mangel an internationaler Erfahrung: die deutsche Hochschule war schon nach 1918 durch eine jahrelange, von den internationalen Wissenschaftsorganisationen als Straf- und Sühnemaßnahmen verhängte ‚Quarantäne‘, und, nach einem knappen Jahrzehnt der gegenseitigen Öffnung, seit 1939 total international isoliert.“ [Anm. 2]

Es galt Deutschland wieder aufzubauen, altes und nationalsozialistisches Gedankengut auszumerzen und das Ansehen der Bevölkerung und des Landes wieder herzustellen. Um die Reintegration deutscher Hochschulen in das internationale Leben zu unterstützen und den Studierenden einen möglichst ausgewogenen Blickwinkel zu ermöglichen half die Militärregierung nicht nur beim Wiederaufbau, sondern vor allem auch bei der Beschaffung von neuem Lehr-und Lernmaterial. Die finanzielle Hilfe des Office of Military Government for Germany (OMGUS) (später High Commission of Germany (HICOG)), und amerikanischer Stiftungen, wie der Rockefeller- und Ford Foundation waren ausschlaggebend für die positive Entwicklung. Ohne die Unterstützung der Ford Foundation wäre zum Beispiel auch der Austausch zwischen der Goethe-Universität und der University of Chicago nicht möglich gewesen.

Das Ziel der amerikanischen Besatzungsmacht war es primär Deutschland zu entnazifizieren, zu entmilitarisieren, zu entflechten, zu demokratisieren und zu reorientieren. Außerdem war die USA sehr an einem wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas und Westdeutschlands interessiert. Natürlich stand auch  die Wahrung ihrer eigenen Sicherheit im Vordergrund.

„[Die Amerikaner] wollten den Sozialismus verhindern, dem Kommunismus zuvorkommen, das Geld des amerikanischen Steuerzahlers sparen, französische Pläne zur Zerstückelung Deutschlands vereiteln und die Sowjetunion in Mitteleuropa in Schranken halten.“ [Anm. 3] Die Re-education, die Umwandlung der geistigen und kulturellen Werte des Volkes sollte dabei die Rückführung Deutschlands in die Kulturgemeinschaft demokratischer Nationen unterstützen. [Anm. 4]

Nationalsozialistische Schulbücher und Lehrer sollten von allen Schulen und Universitäten entfernt werden und durch freiheitliche Bücher und Lehrer ersetzt werden. Presse und Rundfunk waren des Weiteren dazu verpflichtet, Tatsachen-Informationen zu liefern, die Falschheit der Nazi-Doktrin herauszustellen und ein Fundament für demokratisches Denken und Handeln zu legen. [Anm. 5] Der amerikanischen Militärregierung war es besonders wichtig, der deutschen Bevölkerung das Verstehen und Erlernen demokratischer Verhaltensweisen beizubringen.

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2. Austauschprogramme – Kontakte in die USA

Nach Jahren der geistigen Isolierung und der durch die Nationalsozialisten eingeleiteten Abkapselungspolitik, wollte die amerikanische Militärregierung die Eingliederung Deutschlands in den Kreis demokratischer Nationen, langsam aber sicher in Angriff nehmen. Ein wichtiger Schritt in diesem Zusammenhang war zunächst die Schließung der Kontaktlücke zum Ausland, die durch die zwölfjährige nationalsozialistische Herrschaft entstanden war. [Anm. 6]

Deutschen Politikern, Professoren, Gewerkschaftlern und Studenten sollte es wieder möglich sein ins Ausland zu reisen und Studienaufenthalte fernab von Deutschland zu absolvieren. Bereits 1946, nachdem die meisten Hochschulen in der amerikanischen Zone wiedereröffnet waren, waren erste Bestrebungen auf Seiten der amerikanischen Regierung zu erkennen, sich einen detaillierten Einblick in den Stand des deutschen Erziehungs- und Bildungswesens zu verschaffen. Für diese Zwecke lud General Lucius D. Clay im Spätsommer 1946 die United States Education Mission to Germany zu einem dreißigtägigen Besuch ein, die von George F. Zook geleitet wurde und deshalb auch als Zook-Komission bekannt war. Der Bericht der Zook-Kommission stellte eine Bestandsaufnahme der von der amerikanischen Militärregierung im Bildungswesen geleisteten Arbeit dar und gab Empfehlungen für die zukünftige Gestaltung der Umerziehungspolitik. In Folge dessen führte der damalige Hochschuloffizier der Militärregierung Edward Y. Hartshorne auch die ersten von insgesamt drei Marburger Hochschulgesprächen ein. [Anm. 7]

Einen deutsch-amerikanischen Professorenaustausch hatte es bereits zwischen 1904 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zwischen der Harvard- und Columbia Universität und der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität gegeben. Im Jahr 1930 schlossen sich der Akademische Austauschdienst (gegründet 1923/24), die Alexander von Humboldt-Stiftung (gegründet 1925) und die Deutsche Akademische Auslandsstelle des Verbandes der deutschen Hochschulen (gegründet 1927) zum Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) zusammen. Finanziert wurden die bis dahin vergebenen Stipendien durch private Organisationen, wie z.B. das American Friends Service Committee, den Weltkirchenrat, durch das National Catholic Council for Education oder durch die Rockefeller Foundation. [Anm. 8]

Die Wiederaufnahme des akademischen Austausches mit den USA war für die Entwicklung des westdeutschen Universitäts- und Wissenschaftsbetriebs von großer Bedeutung, denn „die unmittelbare Konfrontation mit der amerikanischen Demokratie, Kultur und Gesellschaft sowie der Kontakt mit dem amerikanischen Universitäts- und Wissenschaftssystem hinterließ bei der überwiegenden Mehrheit der deutschen Austauschteilnehmer einen nachhaltigen Eindruck.“ [Anm. 9]

Studenten die für einen Austausch berücksichtigt werden wollten, mussten eine positive Bilanz im Hinblick auf vergangene und aktuelle politische Aktivitäten haben, also keine Verbindung zu den Nationalsozialisten aufweisen, über ausreichende Englischkenntnisse verfügen und die Bereitschaft zur Rückkehr nach Deutschland haben. Akademische Leistungen spielten in der frühen Phase des Austausches eine eher sekundäre Rolle bei der Auswahl der Studenten. Die zahlreichen staatlichen und privaten Initiativen zum Wiederaufbau der deutschen Universitäten wie die der Ford- oder Rockefeller Foundation unterstützten nicht nur den rein materiellen Wiederaufbau durch Bücherspenden oder den Bau von Bibliotheken, Instituten und Studentenwohnheimen, sondern sie spielten auch ein große Rolle bei der Finanzierung von Gastprofessuren amerikanischer Wissenschaftler an deutschen Hochschulen.

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3. Der Chicago-Austausch

Ein gutes Beispiel für die Bemühungen der Amerikaner den akademischen Austausch und die Verbindungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten wieder in Gang zu bringen ist der Austausch der Johann-Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt mit der University of Chicago.

In der Aprilsitzung des Kuratoriums im Jahre 1948 berichtete der damalige Rektor der Goethe-Universität, Walter Hallstein, erstmals offiziell, dass es der Frankfurter Universität dank amerikanischer Vermittlung gelungen sei, ein offizielles Austauschprogramm mit der Universität Chicago einzurichten. [Anm. 10] Da die University of Chicago als eine der angesehensten Universitäten der USA auch Kontakt zu anderen Universitäten aufnahm, war man in Frankfurt zunächst jedoch etwas skeptisch, ob einer dauerhaften wissenschaftlichen Verbindung. Auch in Chicago gab es heftige Diskussionen über die Wahl der deutschen „Partneruniversität“. Der Chicagoer Professor Robert J. Havighurst zum Beispiel, sah die Universität Frankfurt als ein gewagtes Unternehmen, fügte aber hinzu, dass es sich vielleicht langfristig auch am Meisten lohnen könnte. Die Zentrale Lage Frankfurts und die Aussicht die wirtschaftliche und möglicherweise politische Hauptstadt Westdeutschlands zu werden, stimmte Havighurst besonders positiv. [Anm. 11]

Einen weiteren Grund für die Wahl der Universität spielte auch die Tatsache, dass sich der Hauptsitz der amerikanischen Militärverwaltung zu dem Zeitpunkt ebenfalls in Frankfurt befand. Wie viel den Offiziellen der Universität Chicago tatsächlich an diesem Projekt lag, zeigte sich dann bereits im Mai 1948. Anlässlich der Hundertjahrfeier der Nationalversammlung traf man sich am 18. Mai 1948 in der Frankfurter Paulskirche, und auch der Kanzler der Universität Chicago, Dr. Robert Maynard Hutchins war zu diesem speziellen Anlass angereist. In seiner Ansprache erklärte er:

„Ich nehme freudig die Gelegenheit wahr, heute die echte Anteilnahme auszusprechen, welche die Universität Chicago sowohl als ich selbst dieser wichtigen Feier entgegenbringen. Wir gedenken heute einer der bedeutsamen Ereignisse der Neuzeit, dessen Nachwirkungen in der ganzen Welt und selbst in meiner entlegenen Heimat spürbar gewesen sind. Die Feier findet statt unter den Auspizien derjenigen Universität, welche die Universität Chicago ausgewählt hat, um ihren Wunsch kund zu tun, nach Kräften an der Wiedereinführung Deutschlands in das geistige Leben der Welt mitzuwirken. Die Anwesenheit von Vertretern der Universität Chicago bezeugt heute beredter als alles, was ich sagen könnte, den ersten Wunsch unseres Lehrkörpers, die Verbindung mit deutschem Geist und deutscher Kultur wiederherzustellen. Das geschieht nicht nur im Interesse Deutschlands, sondern auch in dem unseres eigenen Landes, ja im Interesse des tätigen Geistes der gesamten Welt.“ [Anm. 12]

Zum Sommersemester 1948 reiste die erste Gruppe von Professoren aus Chicago nach Frankfurt, um dort Vorlesungen und Seminare abzuhalten, und damit sowohl die wissenschaftlichen Verbindungen in Gang zu bringen, als auch gesellschaftliche Verbindungen zu knüpfen. Gleichzeitig arbeitete man auch an einer Reihe von Forschungsprojekten im Rahmen des „Chicago-Frankfurt Inter-University Project“. [Anm. 13] Am 5. April 1948 landeten die Gäste aus Chicago am Rhein-Main Flughafen in Frankfurt. Empfangen wurden die Professoren Everett Hughes (Soziologie), Elder Olsen (American Poetry), Wilhelm Pauck (Theologie), Louis Thurstone (Psychologie), Paul A. Weiss (Biologie) und Roger Oake unter anderem von Kurt A. Felix, Pro-Rektor der Universität Frankfurt und den beiden Offiziellen der Militärregierung Hessens Henry A. Wann und Howard Becker.

Deutschen Professoren war eine Reise in die USA erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich. Für das Wintersemester 1948/49 war vorgesehen die ursprüngliche Aufenthaltsdauer von Professor Pauck, der in der Zwischenzeit zum Dekan der Gruppe avancierte, und Professor Oake, von einem Semester um ein Weiteres zu verlängern. Hinzu kamen die Kollegen Ernst W. Puttkammer (Rechtswissenschaften), Peter P.H. Bruyn, Ferdinand Schevill (Geschichte), Helen L. Koch (Hauswirtschaftslehre und Psychologie) und Charles Hartshorne (Philosophie), ein Verwandter des ersten hessischen Universitätsoffiziers. [Anm. 14]

Darüber hinaus gelang es, einen der renommiertesten Schriftsteller der USA, Thornton Wilder, für Veranstaltungen im Wintersemester 1948/49 zu gewinnen. Während des Wintersemesters bekräftigte Dekan Pauck seine Absicht, ab dem Sommersemester 1949 auch deutsche Professoren nach Chicago zu senden. Am 18.12.1948 trug er sein Vorhaben dann auch dem Rektor vor. [Anm. 15] Bereits im März 1949 konnten die ersten Frankfurter Professoren (Prof. Dr. phil. Karl Reinhardt (Philologie) und Dr. phil. nat.Willy Hartner (Naturwissenschaften)) nach Chicago reisen. [Anm. 16] Schon zu diesem Zeitpunkt war jedoch klar, dass es beide Seiten ohne die finanzielle Unterstützung der Ford-Foundation schwer gehabt hätten den Austausch durchzuführen und ihn am Leben zu halten.

Trotz anfänglicher Schwierigkeiten - die Vorlesungen der amerikanischen Professoren waren zunächst schlecht besucht - kam der Austausch doch ziemlich schnell ins Rollen. „Im Verlauf des Austausches entstand allmählich auf deutscher Seite ein besseres Verständnis amerikanischer Absichten und Auffassungen sowie umgekehrt unter den Gästen ein Gefühl für die deutschen Sorgen und Schwierigkeiten.“ [Anm. 17]

Die Verantwortlichen auf beiden Seiten des Atlantiks sahen der Entwicklung mit Freude zu und auch mit der Arbeit des inzwischen gegründeten Ausschusses, der Vertreter an beiden Universitäten hatte, war man sehr zufrieden. So wurde im Jahre 1951 ein offizielles Übereinkommen zwischen den beiden Hochschulen unterzeichnet, in dem zu lesen war:

„Die Zusammenarbeit zwischen der University of Chicago und der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M. in der Zeit von 1948-1951 hat ein überzeugendes Beispiel dafür geliefert, dass die Idee realisierbar und fruchtbringend ist. Es erscheint daher als folgerichtig, dass diese vorläufige und lockere Beziehung durch eine dauernde und feste Verbindung ersetzt wird.“ [Anm. 18]

Zuvor erklärte die Präambel:

„In Erkenntnis der Einheit und Weltverbundenheit der Wissenschaft, als Bekenntnis zu dem Geist überfachlicher und überstaatlicher Zusammenarbeit, und in dem Bestreben diesem Gebiete durch die Tat Ausdruck zu verleihen, beschließen die University of Chicago und die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M., eine dauernde Interessengemeinschaft zu bilden, welche den Zusammenschluss beider als ebenbürtiger Partner zu freiwilliger  Gemeinschaftsarbeit ermöglichen und fördern soll.“ [Anm. 19]

Die Zusammenarbeit sollte alle Gebiete der Forschung und Lehre umfassen. Beide Universitäten waren fortan verpflichtet, die für die Verwirklichung des Programms notwendigen Verwaltungsmaßnahmen möglichst zu vereinfachen. Darüber hinaus sollten allen Teilnehmern, also Lehrkräften, Hilfskräften und Studenten, im Rahmen der bestehenden Gesetze auf beiden Seiten dieselben Lehr-, Forschungs- und Lernfreiheiten dargelegt werden.

In einem Bericht über die Entwicklung des Austausches schrieb Rektor Max Horkheimer: „Die enge Verbindung zwischen den Universitäten Chicago und Frankfurt a.M. seit dem Jahre 1946 hat nunmehr auch die Studenten veranlasst, aus eigener Initiative ein Austauschprogramm zu organisieren.“ [Anm. 20] Unter der Mithilfe des amerikanischen Studenten Clive Grey, der bereits vor dem offiziellen Start des Studentenaustausch an der Goethe-Universität studiert hatte und als fortgeschrittener Student seine Professoren aus Chicago nach Frankfurt begleitete [Anm. 21], wurde unmittelbar auch ein Austauschkomitee auf Frankfurter Seite gegründet. In einem Aktenvermerk vom 23.1.1952 hieß es weiter: „Herr Gliss und Herr Grey vom Auslandsreferat des Allgemeinen Studenten-Ausschusses unterrichteten Magnifizenz [Horkheimer] über die Bestrebung des AStA und der Studentenvereinigung, einen studentischen Chicago-Austausch in die Wege zu leiten.“ [Anm. 22]

Im Zuge der Vorbereitungen sollten Frankfurter Studenten mit der SCOFE (Student Commity of Frankfurt Exchange) Kontakt aufnehmen. Im Idealfall sollten dazu zwei Frankfurter Studenten nach Chicago reisen, um dort beim Ausschuss mitzuwirken und Fragen der Unterkunft und Verpflegung zu klären. Das Ziel dieser Aktion war es möglichst bald einen dauerhaften und umfangreichen Studentenaustausch zwischen Chicago und Frankfurt aufzunehmen. In Chicago seien ausreichende Stipendien vorhanden, jedoch fehle es von Frankfurter Seite noch an Geldmitteln um die Überfahrten der Studenten zu finanzieren.

Horkheimer war von der Idee des Austausches begeistert und fügte dem Vermerk hinzu, dass die Absichten der Studenten mit allen Mitteln unterstützt werden müssen, und erwähnte die Möglichkeit, die HICOG oder die Ford-Foundation um finanzielle Unterstützung zu bitten. Geld aus den Frankfurter Mitteln sei für den Studentenaustausch nicht vorhanden, da die Mittel schon nicht für die vorgesehenen Forschungsprojekte ausreichen würden. In einem Schreiben vom 4. Juni 1952 versicherte Sander Levin (Präsident des „Student Governments“ der Universität Chicago) Rektor Horkheimer, dass den Frankfurter Studenten die Studiengebühren an der Universität Chicago erlassen würden und sie darüber hinaus für Verpflegung und Unterkunft der Studenten aufkämen. [Anm. 23]

Zu einem späteren Zeitpunkt konkretisierten sich die Angaben nochmals, es kristallisierte sich heraus, dass die Frankfurter Studenten in einer „Fraternity“ oder einem International House untergebracht würden und an fünf Tagen in der Woche Mittag- und Abendessen erstattet bekämen. Den Studenten sollte außerdem die Möglichkeit gegeben werden ein paar Stunden die Woche in einer universitären Einrichtung zu arbeiten, um für zusätzlich auftretende Kosten aufkommen zu können. [Anm. 24] Im Gegenzug sollten auch den Studenten aus Chicago die Studiengebühren erlassen werden. Des Weiteren wurde ihnen ebenfalls zweimal täglich eine kostenlose Mahlzeit in der Universitätsmensa zugesichert. Da sich die Studentenwohnheime noch im Bau befanden, sollten die ersten Studenten aus Chicago vorübergehend bei Familien wohnen. Die dafür anfallenden Kosten wurden aus dem gemeinsamen „Chicago Exchange Fund“ bezahlt. [Anm. 25]

Die Auswahl der Stipendiaten wurde von einem speziellen Komitee durchgeführt, welches sowohl in Frankfurt als auch in Chicago aus Mitgliedern der Administration, der Fakultäten und der Studentenschaft bestand. Die Mitglieder des „Chicago Exchange Committee“ in Frankfurt waren zu jener Zeit: Rektor Horkheimer und die Professoren Coing, Felix, Hartner, Rajwsky und Sauermann. Das „Frankfurt Exchange Committee“ in Chicago bestand aus Vize-Präsident Harrison und den Professoren Pauck, Harris, Weiss, Kraeling und Redfield.

Die ersten beiden Studenten, die das Frankfurter Komitee auswählte, setzten sich gegen zehn weitere Bewerber durch und erhielten das Privileg die Goethe-Universität im Wintersemester 1952/53 in Chicago zu vertreten und an der University of Chicago zu studieren. [Anm. 26] Probleme gab es nach wie vor bei der Finanzierung der Überfahrt der Studenten. Abhilfe verschaffte dort das eine oder andere Mal, wie bei den zwei Frankfurter Studenten die zum Wintersemester 1953/54 nach Chicago reisten, ein „Travel-only-grant“ der Fulbright Kommission. [Anm. 27] Nachdem zunächst lediglich jeweils ein Student aus Chicago in Frankfurt war, trafen im Sommer 1953 drei Studenten aus Chicago in Frankfurt ein.

Sowohl den Studenten- als auch den Professoren-Austausch mit Chicago führte man so noch einige Jahre fort. Auch die entstandenen Freundschaften wurden noch eine zeitlang gepflegt, so erkundigte sich zum Beispiel Clive Grey nach seiner Rückkehr in die USA immer wieder nach dem Befinden seiner Freunde in Frankfurt. Leider ging aus den Akten jedoch nicht hervor, wann und warum die Verbindungen abbrachen. Vereinzelte Blätter lassen aber erahnen, dass die Finanzierung der Reise auch in den Folgejahren ein großes Problem blieb. Einige Zeitungsartikel deuteten allerdings darauf hin, dass es bis Ende der 1950er Jahre noch regelmäßig zu Hochschultagungen im Rahmen von „Chicago-Seminaren“ kam, bei denen Professoren beider Universitäten über allgemeine Themen diskutierten. [Anm. 28]

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4. Zusammenfassung

Wie man heute sehen kann, waren die Umerziehungsmaßnahmen der Amerikaner weitestgehend erfolgreich. Deutschland wurde wieder aufgebaut und demokratisiert, hat seine internationalen Kontakte wieder aufnehmen und weiter ausbauen sowie sein internationales Ansehen verbessern können. Das Hochschulsystem konnte wiederbelebt und ausgebaut werden und die Universitäten öffneten abermals ihre Pforten. 

Durch die Unterzeichnung des Fulbright-Abkommens [Anm. 29] durch Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem Hohen Kommissar John Jay McCloy am 18. Juli 1952, wurde der deutsch-amerikanische Austausch weiterhin gestärkt und zusätzliche finanzielle Unterstützung zugesichert. [Anm. 30] Viele Verbindungen, wie die der Universitäten Frankfurt und Chicago wurden aufgebaut und zahlreiche Partnerschaften abgeschlossen. Die angestrebten Ziele der USA im Bereich des akademischen Austausches nach 1945 wurden also weitestgehend erreicht. Der Kontakt mit dem amerikanischen Universitäts- und Wissenschaftssystem konnte wieder aufgenommen und ausgebaut werden. Darüber hinaus entstanden zahlreiche Freundschaften und die Deutsch-Amerikanischen Beziehungen blühten auf.

Abschließend stellt sich jedoch die Frage, weshalb der Kontakt, wie in unserem speziellen Fall, zwischen der Universität Chicago und der Universität Frankfurt abgebrochen ist. Warum gibt es den Austausch heute nicht mehr? Warum wurde eine freundschaftliche und respektvolle Beziehung, die sich gerade zu Beginn rasant entwickelte, aufgegeben? Wurde das Projekt, mit der erfolgreichen Reintegration der Universität Frankfurt und der Stabilisierung der Verhältnisse in Frankfurt und Deutschland, als erledigt angesehen? Wurde das Programm nach dem allmählichen Abtreten der Protagonisten der „Stunde Null“ schlichtweg vernachlässigt? Leider konnte mir meine Recherche diese Ergebnisse nicht liefern, da auch die Akten des Universitätsarchivs zeitlich eingeschränkt sind. Somit blieben einige Fragen unbeantwortet und einige neue kamen hinzu.

Dennoch kann zusammenfassend festgehalten werden, dass sich im Deutschland der Nachkriegszeit einiges bewegte. Insbesondere  hinsichtlich der Hochschulpolitik, den Auslandsbeziehungen und den Austauschprogrammen, wie am Beispiel des „Chicago-Austauschs“ zu sehen ist, entstanden Freundschaften und akademische sowie wissenschaftliche Verbindungen. Auch den Studenten wurde es in der Nachkriegszeit wieder ermöglicht Einblicke in den Universitären-Alltag und das Leben im Ausland zu bekommen. Wichtig ist auch, dass durch diese Bemühungen ein Grundstein für die heute guten Beziehungen zu den USA gelegt wurde, und sich viele Partnerschaften entwickelten.

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Anhang: Bilder vom Besuch der Chicagoer Professoren in Frankfurt 1948

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1 Vgl. Notker Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule. 1914-1950, Neuwied / Frankfurt am Main 1989, S. 742.

2 Waldemar Krönig / Klaus-Dieter Müller, Nachkriegssemester: Studium in Kriegs- und Nachkriegszeit, Stuttgart 1990, S.239.

3 John Gimbel, Amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland 1945-1949, Frankfurt: 1971 , S.13.

4 Vgl. Karl-Ernst Bungenstab, Umerziehung zur Demokratie? Re-education-Politik im Bildungswesen der US-Zone 1945-1949, Düsseldorf 1970, S.18.

5 Vgl. Ebd, S. 46.

6 Vgl. Ebd, S. 140.

7 In den Marburger Hochschulgesprächen ging es um Fragen des Verhältnisses zwischen Professoren und Studenten, der studentischen Betreuung, der politischen Bildung und der Wiederaufnahme akademischer Beziehungen mit den USA.

8 Vgl. Bungenstab, Umerziehung, S. 142.

9 Stefan Paulus, Vorbild USA? Amerikanisierung von Universität und Wissenschaft in Westdeutschland 1945-1976, München 2010, S. 275.

10 Hammerstein, Universität Frankfurt, S. 742

11 Vgl. Konstantin von Freytag-Loringhoven, Erziehung im Kollegienhaus: Reformbestrebungen an den deutschen Universitäten der amerikanischen Besatzungszone 1945-1960, Stuttgart 2012, S. 405.

12 Frankfurter Universitätsreden, Heft 1, 1948, S. 25.

13 Siehe dazu UAF Abt. 1 Nr. 242, darin Brief von Rektor Horkheimer an seine Kollegen vom 31. Juli 1951, Blatt 6.

14 Die Chicagoer Sieben, in: Frankfurter Neue Presse vom 26.10.1948.

15 UAF Abt. 50 Nr. 2355, darin Vermerk des Universitätskuratorium vom 21.12.1948, Blatt 28.

16 Deutsche Professoren lehren in Chicago, in: Frankfurter Neue Presse vom 24.3.1949.

17 Hammerstein, Universität Frankfurt, S. 744.

18 UAF Abt.1 Nr. 242, Blatt 87.

19 Ebd.

20 UAF Abt. 31 Nr. 5, Blatt 134.

21 Vgl. Chicagoer Professoren lesen, in: Frankfurter Neue Presse vom 14.10.1948.

22 UAF Abt. 31 Nr. 5, Blatt 141.

23 UAF Abt. 31 Nr. 5, Blatt 137.

24 UAF Abt. 50 Nr. 2355, Blatt 50.

25 UAF Abt. 31 Nr. 5, Blatt 135.

26 UAF Abt. 31 Nr. 5, darin Brief von Rektor Horkheimer an Prof. Robert M. Strozier (Dean of Students) v. 19.7.52, Blatt 124.

27 UAF Abt. 50 Nr. 2355, Blatt 56.

28 Das Ziel des Studenten: „Chicago-Seminar an der Universität“, in: Neue Presse v. 3.7.1957; Universitätsideale: „Hochschultagung in Frankfurt“, in: Neue Presse v. 10.7.1957.

29 Der „Fulbright-Act“, am 1. Juli 1946 von US-Präsident Harry S. Truman unterzeichnet, sah die Einrichtung eines weltweiten Austauschprogramms vor, das durch den Verkauf von überschüssigen Kriegsmaterial finanziert werden sollte.

30 Vgl. Karl-Heinz Füssl, Zwischen Eliteförderung und Erziehungsreform: Deutsch-amerikanische Austauschprogramme, in: Detlef Junker (Hg.), Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945-1990. Bd. 1, Stuttgart und München 2001, S. 623-633, hier S. 626.

Daniel Sittmann, Der Beginn einer deutsch-amerikanischen Freundschaft: Der Frankfurt-Chicago Austausch, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 25.10.2013, URL: http://use.uni-frankfurt.de/studieren-nachkriegszeit/sittmann/.

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