Siddur-Fragmente zu Yom Kippur Qaṭan

bearbeitet von Horst Kuhli

Fundort der Geniza Synagoge der Gemeinde Wohra
Inventarnummer 3 und 4
Umfang Doppelseitig bedrucktes Doppelblatt (Blatt mit vertikalem Mittelfalz) und 1 zur Abrisskante des Doppelblatts profilkonformes und somit passendes weiteres Fragment, das die Seite nach oben vervollständigt (ebenfalls doppelseitig bedruckt). Papierformat: Kleinoktav.
Erhaltungszustand Gutes Papier, altersgemäß gebräunt. Doppelblatt mit zentraler Vertikalfaltung. Links und rechts des Mittelfalzes große zentrale Lakune über drei Viertel der Blattbreite und kleine Randlakune (hier nur geringer Textverlust). Lakunen sind bei Faltung kongruent. Zentrallakune betrifft 7, teilweise 8 Zeilen des hebräischen Textes.
Sprache(n) Hebräisch in Quadratschrift mit Vokalisation in tiberianischer Punktation mit neuhochdeutscher Übersetzung in Frakturschrift. Quadratschrift des hebräischen Textes in gut geschnittener und regelmäßiger Fassung (d.h. mit passgenau gesetzten und gut eingespannten Lettern). Auch im deutschen Text randscharfe Lettern in gutem Schnitt und akuratem Guss und kein Flattersatz.
Autor / Herausgeber, Schreiber Autor unbekannt. Herausgeber vermutlich Wolf Heidenheim in Rödelheim.
Jahr Unbekannt, doch dem Druck und Papier nach Ende des 19. Jhdts. Da der deutsche Text Schreibweise und Lautstand vor der Orthographiereform von 1901 widerspiegelt (z.B.: "Muth"), ist dieses Jahr der terminus ante quem (oder kurz danach, als sich konservative Setzer und Drucker für einige wenige Jahre möglicherweise noch nicht umgestellt hatten).
Ort Unbekannt, mutmaßlich Rödelheim.

Beschreibung und Einordnung

Die Fragmente enthalten Gebete (sliḥot = Bußgebete) zu Yom Kippur qaṭan (Kleiner Versöhnungstag), d.h. zu den Fasttagen vor dem neuen Mond bzw. dem Monatsanfang (Rosh ḥodesh) nach dem jüdischen Mondkalender. Diese Begehung ist erst in der frühen Neuzeit aufgekommen. Seitdem wird das Yom-Kippur-Fasten jeweils am 29. Tag des jüdischen Monats begangen (außer im Nissan, im Tishri und beim Zusammenfallen des Datums mit dem Ḥanukka-Fest).

Die zu Yom Kippur qaṭan gehörigen Gebete (sliḥot) finden sich in Siddurim. Um solche Texte handelt es sich auch bei den vorliegenden Fragmenten, in denen es inhaltlich um Zerknirschung (contritio), Artikulation des Sündenbewusstseins und Sündenbekenntnis (confessio) vor Gott als dem "Herrn der Welt" geht.

Die Seiten sind in der Kopfzeile links bzw. recht paginiert (481, 482 bzw. 487,488). Sie gehören somit derselben Lage an, wobei die Zwischenblätter verloren gegangen sind. Die Seiten stammen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus einem Siddur Sefat Emet, und zwar aus der Heidenheim-Druckerei in Rödelheim, da dieser die Texte zu Yom Kippur qaṭan enthält, und zwar im hintersten Bereich, der in einer in meinem Besitz befindlichen Ausgabe näherungsweise den in den Fragmenten genannten Seitenzahlen entspricht. Intensive Online-Recherchen (Bayerische Staatsbibl., Israelische Nationalbibl., HebrewBooks.org, UB Ffm) haben jedoch nicht zu einem Digitalisat geführt, das mit den Fragmenten drucktechnisch gleich ist. Ebenso blieben Direktuntersuchungen der Siddurim in der UB Ffm sowie im Seminar für Judaistik Ffm ergebnislos.

Auffällig sind die vorliegenden Fragmente allenfalls dadurch, dass die deutsche Übersetzung nicht im Paralleldruck seitlich neben dem hebräischen Original steht, sondern jeweils im unteren Drittel der Seite, also unterhalb des hebräischen Textes.

Horst Kuhli, Siddur-Fragmente zu Yom Kippur Qatan, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 30.04.2014, URL: use.uni-frankfurt.de/geniza/fragmente/kuhli-siddur.

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Foto(s): Horst Kuhli