UAF (Universitätsarchiv Frankfurt) Abt. 854 Nr. 570 HALLSTEIN, Walter

Walter Hallstein: Zur Person

Als Walter Hallstein im November 1945 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Frankfurt zurückkehrte, war er einer der wenigen Hochschullehrer, die als unbelastet galten. Auch deshalb wurde er im Frühjahr 1946 zum Rektor gewählt. Seine Laufbahn hatte er in Weimarer Zeit begonnen und während des Dritten Reiches fortgesetzt. In den 1920er Jahren hatte er am Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Berlin geforscht und dort gemeinsam mit Kollegen gearbeitet, die später wegen ihrer jüdischen Herkunft emigrieren mussten. Hallstein wurde 1929 Professor in Rostock, wo er die Machtergreifung und Gleichschaltung der Universitäten sowie die Vertreibung von Gelehrten mit jüdischen Wurzeln erlebte. Gleichwohl konnte er seine Karriere auch während des Dritten Reiches bruchlos fortsetzen. 1941 wurde Hallstein nach Frankfurt berufen, wo er zunächst bis zu seiner Einberufung in die Wehrmacht 1944 Privatrecht und Handelsrecht lehrte. In Frankreich kam er in amerikanische Gefangenschaft. Seine Rückkehr nach Frankfurt 1945 stellte sich bald als eine Zwischenstation heraus. Nach zwei Jahren ging er zunächst 1948/49 als Gastprofessor in die USA, nach seiner Rückkehr holte ihn Bundeskanzler Konrad Adenauer nach Bonn: zunächst leitete er die Schuman-Plan Verhandlungen, die zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl führten, war Staatssekretär für Außenpolitik im Bundeskanzleramt, und wurde dann 1957 erster Kommissionspräsident der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.

Im Seminar diente die Person Walter Hallsteins als Ausgangspunkt, von dem aus die Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte der Weimarer Republik, des Dritten Reiches und der Nachkriegszeit zunächst anhand von zentraler Einführungsliteratur erarbeitet wurden. Auf dieser Grundlage haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eigene Forschungsprojekte entwickelt, die in verschiedene Richtungen führen konnten. Nah an der Person blieb Christoph Markus Kleinfelder, der ein im Nachlass erhaltenes Vorlesungsmanuskript vom Sommersemester 1933 daraufhin befragte, wie Hallstein sich zur Ideologie des NS und zur schnell etablierten Diktatur verhielt. Mareike Luft untersuchte die von Hallstein im amerikanischen Kriegsgefangenenlager Camp Como aufgebaute Lageruniversität und widmete sich damit der Transitionsphase von der Diktatur in die Demokratie. Juliette Heinikel entfernte sich am weitesten von der Person Hallsteins. Sie hat die Arbeit der Zulassungsausschüsse analysiert, die über Auswahl und Aufnahme der Studierenden entschieden. An diesem Beispiel hat sie danach gefragt, wie die Bestimmungen der amerikanischen Militärregierung an der Frankfurter Universität umgesetzt wurden.

Literatur:

Notker Hammerstein: Die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von der Stif-tungsuniversität zur staatlichen Hochschule. Bd. I 1914 - 1950. Neuwied 1989.

Michael Maaser: »Restlose Reinigung von den Schlacken des liberalistischen Geistes«. Die Universität Frankfurt im Dritten Reich: Kein aktiver Widerstand der Professoren, in: Forschung Frankfurt 22 (2004), S. 46–50.

Notker Hammerstein: Walter Hallstein. Mitbegründer und Verfechter einer demokratischen Universitätslandschaft in der Bundesrepublik, in: Forschung Frankfurt 19 (2001), S. 65–67.

Friedrich Kübler: Walter Hallstein (1901 - 1982), in: Bernhard Diestelkamp (Hg.): Juristen an der Uni-versität Frankfurt am Main. Baden-Baden 1989, S. 268–281.

Wilfried Loth (Hg.): Walter Hallstein, der vergessene Europäer? (Europäische Schriften des Instituts für Europäische Politik 73). Bonn 1995.

Ingrid Piela: Walter Hallstein - Jurist und gestaltender Europapolitiker der ersten Stunde. Politische und institutionelle Visionen des ersten Präsidenten der EWG-Kommission (1958-1967). Berlin 2012.

Matthias Schönwald: Walter Hallstein. Ein überzeugter Europäer (Mensch - Zeit - Geschichte). Stuttgart 2017.

Barbara Wolbring: »Erziehung zu unablässiger Kritik und verantwortlichem Nach-Denken der über-kommenen Gedanken«. Neubeginn nach Diktatur und Krieg – Rektor Walter Hallstein und sein Plädoyer für eine freie Universität. 32, 2014, H. 2, S. 143-147, in: Forschung Frankfurt 32 (2012), S. 143–147.