Der IG Farben-Prozess: Der IG-Vorstand vor Gericht

von Isabelle Kaufer

Im Jahr 1947 begann im Rahmen der Nürnberger Prozesse der sechste von insgesamt zwölf sogenannten „Nachfolgeprozessen“. Im Fall „United States vs. Carl Krauch et. al.“ waren neben dem Aufsichtsratsvorsitzenden und Hauptangeklagten Carl Krauch 23 weitere IG Farben-Manager in fünf verschiedenen Punkte angeklagt [Anm. 1]. Im Juli des darauffolgenden Jahres kam das Gericht schließlich zu seinem Urteil: Elf Angeklagte wurden freigesprochen, die restlichen mit Gefängnisstrafen von eineinhalb bis acht Jahren verurteilt, wobei alle bereits 1951 wieder auf freiem Fuß sein sollten [Anm. 2]. Selbst der stellvertretende Chefankläger Josiah DuBois empfand die Strafen im Nachhinein als äußerst kurz [Anm. 3]. Anlässlich der Milde des Urteils und der zahlreichen Freisprüche ist die Frage nach den einzelnen Anklagepunkten, ihrem Hintergrund und ihrer Rechtfertigung von Interesse. Welche Vergehen in der Vergangenheit des Konzerns waren ausschlaggebend für die Anklage im Rahmen der Nürnberger Prozesse? Und in welchen Punkten erfolgten Freiheitsstrafen, in welchen wiederum Freisprüche?

Die I.G. Farbenindustrie AG hatte sich seinerzeit zu einem der größten Chemieunternehmen weltweit entwickelt und pflegte ab 1933, vor allem durch die vertragliche Regelung der Produktion von synthetischem Benzin, enge Verbindungen zur NSDAP. Zudem waren bis 1937 nahezu alle Vorstandsvorsitzenden Mitglieder der NSDAP. Die Rolle der IG Farben im nationalsozialistischen Regime ist umstritten, was sich zuletzt auch im recht erfolglosen Ausgang der IG Farben-Prozesse äußerte. Einerseits sicherte die Beziehung zur NSDAP das Bestehen des Unternehmens und machte den Vorstand somit als Unterstützer des Regimes zu Mitschuldigen. Allerdings kann keineswegs von einer Mitgestaltung der nationalsozialistischen Politik die Rede sein. Vielmehr erkannte das Unternehmen, dass ein Widersetzen gegen Hitlers Wirtschaftspolitik über kurz oder lang unmöglich sein würde und so beugte man sich, natürlich auch in eigenem finanziellem Interesse, dem Druck [Anm. 4].

Nichtsdestotrotz machte sich die IG Farben besonders in der Beschäftigung von Zwangsarbeitern schuldig. Bei der Frage nach dem Standort eines neuen Buna-Werkes war die Nähe zu Auschwitz ausschlaggebend, da man dort auf Häftlingsarbeit zurückgreifen konnte. 1941 war die IG Farben schließlich das erste Unternehmen, das mit dem Lager Monowitz ein eigenes Häftlings- und Zwangsarbeiterlager betrieb [Anm. 5]. Gegen Ende des Krieges bestand von 330.000 Mitarbeitern rund die Hälfte aus Zwangsarbeitern, etwa 30.000 von ihnen sollen zwischen 1941 und 1944 zu Tode gekommen sein [Anm. 6].

Informationen zur Veranstaltung

Blick auf das IG-Hochhaus

Dozent: Dr. des. Markus Häfner
Veranstaltungsart: Übung
Semester: SoSe 2014
Fachbereich / Institut: Philosophie und Geschichtswissenschaften (FB 08), Historisches Seminar

Das Unternehmen verbuchte zur Zeit des Nationalsozialismus einen unvergleichbaren Aufstieg, seine Gewinne waren im Jahr 1943 fünfmal so hoch wie zehn Jahre zuvor. Dieser finanzielle Erfolg war nicht zuletzt auch auf Aktienpakete zurückzuführen, die die IG bei mehreren, u.a. durch die Arisierung in den besetzten Ländern beschlagnahmten Unternehmen besaß [Anm. 7]. Dadurch, und mit dem Betrieb des unternehmenseigenen Lagers in Polen, profitierte die IG von und beteiligte sich an der Plünderung von Ländern wie Österreich, der Tschechoslowakei, Polen, Norwegen, Frankreich und der Sowjetunion [Anm. 8].

Die Anklage gegen die IG Farben-Mitglieder setzte sich schließlich aus den folgenden fünf Punkten zusammen: „Planung, Vorbereitung, Beginn und Führung von Angriffskriegen“, „Plünderung und Raub in den annektierten und besetzten Ländern“, „Teilnahme am Sklavenarbeitsprogramm und an der Genozidpolitik der NS-Diktatur“, „Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen“ und „Planung zur Verschwörung gegen den Frieden“ [Anm. 9]. Dabei nahm das Militärgericht vor allem Bezug auf die oben beschriebenen Verstrickungen der IG mit dem NS-Regime. Letztendlich befand es aber keinen der Angeklagten in den Punkten „Planung, Vorbereitung, Beginn und Führung von Angriffskriegen“, „Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen“ und „Planung zur Verschwörung gegen den Frieden“ für schuldig. Der erste Anklagepunkt erschien dabei recht fragwürdig. Die Anklage führte aus, die Herstellung synthetischer Produkte habe den Krieg überhaupt erst ermöglicht. [Anm. 10] Zwar unterstütze das Unternehmen mit seinen Produkten den Krieg, nahm dadurch aber keineswegs eine aktive Rolle in der Kriegsführung ein.

Mit der „Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen“ war genauer die SS gemeint; die Mitgliedschaft IG-Vorstandsmitglieder beschränkte sich aber „nur“ auf die NSDAP. Auch die im letzten Punkt aufgeführte „Verschwörung“ war wohl eine eher unglücklich gewählte Bezeichnung für die mutmaßlichen Verbrechen des Unternehmens [Anm. 11].

Freiheitsstrafen wurden hingegen in jenen Anklagepunkten gesprochen, die sich auf die Plünderung, Ausbeutung und Teilnahme am Sklavenarbeitsprogramm bezogen. Hierbei war vor allem das IG-Werk Monowitz ausschlaggebend. In dem zweiten Anklagepunkt, „Plünderung und Raub in den annektierten und besetzten Ländern“, befand das Gericht Hermann Schmitz, Georg von Schnitzler, Fritz ter Meer, Ernst Bürgin, Paul Häfliger, Max Ilgner, Heinrich Oster und Hans Kugler für schuldig, sprach aber nur relativ kurze Gefängnisstrafen von durchschnittlich zwei Jahren aus. Angesichts zahlreicher Fakten, wie die Umwandlung der österreichischen Pulverfabrik Skoda Wetzler oder der Kauf vieler polnischer Chemiefabriken, war die Schuld der IG in diesem Punkt nahezu unumstritten [Anm. 12].

Bezüglich der Sklaverei und des Massenmords wurden Otto Ambros, Heinrich Bütefisch, Walter Dürrfeld, Carl Krauch und ebenfalls Fritz ter Meer zu etwas längeren Haftstrafen verurteilt [Anm. 13]. Die Anklage erkannte vor allem die Schuld Carl Krauchs, der als Generalbevollmächtigter für Sonderfragen der chemischen Industrie und Produktion eine zentrale Rolle in Zwangsarbeiterproblematik spielte, als äußerst schwerwiegend an.

Zusammenfassend zeigt sich, dass obwohl die Verstrickung des Unternehmens in die nationalsozialistischen Verbrechen vom Militärgericht erkannt wurde, dem Prozess angesichts der verhältnismäßig hohen Anzahl an Freisprüchen, der im Vergleich zu anderen Urteilen der Nürnberger Prozesse äußerst milden Urteile und der Tatsache, dass alle Angeklagten bereits 1951 entlassen wurden, in der Vergangenheit wohl zurecht Versagen angelastet. Peter Hayes schreibt dieses Versagen vor allem den Anklägern zu. Sie stammten überwiegend aus dem Antikartellamt (Antitrust Division) und hätten dadurch ihre Anklage zu sehr auf eine zweifelhafte Interessenidentität zwischen Unternehmen und Regime aufgebaut. Anstatt einer kollektiven Anklage, deren Formulierung teilweise schlichtweg nicht auf die Unternehmensstruktur angepasst war, hätte eine Betrachtung individueller Verantwortung eher zu einem befriedigenden Ausgang des Prozesses geführt. 

1 Vgl. Records of the United States Nuremberg war crimes trial, United States of America v. Carl Krauch et al. (case VI), August 14, 1947 – July 30, 1948, in: National Archives Microfilm Publications, URL: www.profit-over-life.org/international/deutsch/rolls.php; (eingesehen am 28.08.2014).

2 Vgl. Hayes, Peter: IG-Farben und der IG-Farben-Prozeß: Zur Verwicklung eines Großkonzerns in die nationalsozialistischen Verbrechen, in: Auschwitz: Geschichte, Rezeption und Wirkung, hg. v. Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main 1996, S. 99-121, hier S. 116.

3 Osterloh, Jörg: „Diese Angeklagten sind die Hauptkriegsverbrecher.“ Die KPD/SED und die Nürnberger Industriellen-Prozesse 1947/48, in: NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit, hg. v. Jörg Osterloh / Clemens Vollnhals, Göttingen 2011, S. 107-130, hier S. 122.

4 Vgl. Hayes: IG-Farben und der IG-Farben-Prozeß, S. 99-121, hier S. 103ff.

5 Vgl. Weinke, Annette: Die Nürnberger Prozesse, München 2006.

6 Vgl. Hayes: IG-Farben und der IG-Farben-Prozeß, S. 99-121, hier S. 99.

7 Vgl. ebd.

8 Vgl. Records of the United States Nuremberg war crimes trial, United States of America v. Carl Krauch et al. (case VI), August 14, 1947 – July 30, 1948, in: National Archives Microfilm Publications, URL: www.profit-over-life.org/international/deutsch/rolls.php; (eingesehen am 28.08.2014).

9 Die Anklage im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben, in:  Wollheim Memorial, URL: www.wollheim-memorial.de/de/die_anklage_im_nuernberger_prozess_gegen_ig_farben;( eingesehen am: 28.08.2014).

10 Vgl. Hörner, Stefan: Profit oder Moral. Strukturen zwischen I.G. Farbenindustrie AG und Nationalsozialismus, Bremen 2012, S. 353.

11 Vgl. Hörner: Profit oder Moral, S. 354.

12 Vgl. ebd.

13 Vgl. Records of the United States Nuremberg war crimes trial, United States of America v. Carl Krauch et al. (case VI), August 14, 1947 – July 30, 1948, in: National Archives Microfilm Publications, URL: www.profit-over-life.org/international/deutsch/rolls.php; (eingesehen am 28.08.2014).

Isabelle Kaufer, Der IG Farben-Prozess: Der IG-Vorstand vor Gericht, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 14.10.2014, URL: https://use.uni-frankfurt.de/igf/kaufer/.

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