Die Synthese von Zweck- und Kunstform: Das IG Farben-Haus - Arbeitsstätte oder Machtzentrum?

von Jana Müller

Sachlich, neutral, antiillusionistisch- monumental? Die pulsierenden Großstädte der 1920er Jahre wurden zu Schauplätzen der größtmöglichen Extreme. In den Ballungszentren nahmen einerseits die finanziell Begünstigten die sich entfaltende kulturelle Blüte in allen Dimensionen wahr, andererseits litt ein großer Teil der Bevölkerung unter Armut. [Anm. 1] Während dieser turbulenten Phase entwickelten sich auch bezüglich der Baukunst neue Tendenzen. So wurde der Historismus, dessen Charakteristikum insbesondere das Zitieren traditioneller Architekturstile darstellte, von der aufkommenden funktionalistischen Strömung herausgefordert. Diese propagierte ausdrücklich eine Unterwerfung der Form unter die Funktion, forderte Sachlichkeit und die Abwendung von den Zierformen und dem Repräsentationsbedürfnis des Historismus. [Anm. 2]

Innerhalb dieser Disparitäten vollendete Hans Poelzig 1931 den Bau des IG Farben-Hauses im Auftrag des IG Farben-Konzerns in Frankfurt am Main. Dieses galt noch bis in die 1950er Jahre als modernstes Bürogebäude Europas. [Anm. 3] Dennoch: War das IG Farben-Haus wirklich radikal modern? Der modernen Strömung des Funktionalismus in seiner Radikalität konnte sich Poelzig bekanntermaßen nie gänzlich verschreiben. [Anm. 4] Inwieweit stellte das IGF demnach einerseits ein Industriebauwerk im Verständnis des Funktionalismus dar und trägt andererseits Züge eines monumentalen Kunst-und Repräsentationsgebäudes? Inwiefern zeigt sich also im Poelzig-Bau die Synthese von Zweck-und Kunstform? Wie schaffte es Poelzig darüber hinaus, den Anspruch des Konzerns, ein imposantes Machtzentrum zu schaffen, mit den notwendigen und zweckmäßigen Modalitäten eines Bürohauses zu vereinen? Dies gilt es im Folgenden anhand der jeweiligen Architekturmerkmale zu ermitteln, welche das Gebäude aufweist.

In Bezug auf die Pluralität der vorherrschenden Bautendenzen ist zunächst zu sagen, dass der eklektizistische Stil des Historismus in erster Linie von Vertretern des konservativ-gehobenen Mittelstandes verfochten wurde. Im Mittelpunkt dieser historisierenden Stile stand die gestalterische Tätigkeit, die Kunstform an sich. Für das Großbürgertum stellte sie die beste Möglichkeit dar, ihrem Selbstdarstellungsbedürfnis Ausdruck zu verleihen. Somit wurde die Kunst in diesem Sinne zu einer Repräsentations-und Monumentalform. Man verwandte hierbei vor allem traditionelle Materialien wie Ziegel, Holz sowie Werkstein und bediente sich monostilistisch oder pluralistisch an Motivzitaten aus Antike und Mittelalter. [Anm. 5] Hierbei sollte die Funktion der Form folgen. [Anm. 6] Oftmals entsprach deshalb auch der Baustil dem späteren Verwendungszweck des Gebäudes nicht optimal.

Informationen zur Veranstaltung

Blick auf das IG-Hochhaus

Dozent: Dr. des. Markus Häfner
Veranstaltungsart: Übung
Semester: SoSe 2014
Fachbereich / Institut: Philosophie und Geschichtswissenschaften (FB 08), Historisches Seminar

Im Gegensatz dazu plädierten die Funktionalisten für die größtmögliche Zweckmäßigkeit eines Bauwerkes, entsprechend seiner späteren Funktion. [Anm. 7] Materialien wie Glas, Beton und Stahl fanden Einzug in die Baukunst. So setzten die Funktionalisten vorrangig die Stahlskelettkonstruktion nach amerikanischem Vorbild ein. Diese ermöglichte eine erhöhte Flexibilität der Raumaufteilung und gleichzeitig eine nahezu komplette Verglasung des Gebäudes. Man forderte darüber hinaus eine deutliche Reduktion auf geometrische Formen. [Anm. 8] Überdies sprachen sich die Funktionalisten für eine egalitäre Geisteshaltung aus. Folglich forderten sie, dass anhand des Bauwerkes keine sozialen Unterschiede mehr sichtbar sein sollten. [Anm. 9] Bezüglich der Architektur eines Büro- oder Verwaltungsgebäudes bedeutete dies, dass diese sich in größtmöglicher Weise an der späteren Funktion des Zweckbaus orientierten sollte, nicht an dem Repräsentationsbedürfnis der Auftraggeber. Somit sollte stattdessen das Erreichen optimaler Lichtverhältnisse und äußerster Flexibilität der Raumeinteilung die Richtlinie der Architektur sein. Die Form musste hierbei hinter die Funktion zurücktreten. [Anm. 10] Der Schwerpunkt der Architektur lag demnach nicht mehr auf der gestalterischen Tätigkeit des Künstlers.

Auch Poelzig argumentierte in einer Schrift von 1922, dass der Zweckbau aus seinem absoluten Kern heraus ohne jegliche dekorativen Elemente geschaffen werden müsse. Er sei nicht für die Ewigkeit gebaut und könne deshalb auch die meisterhafte Monumentalität der für die Ewigkeit geformten Bauwerke nicht erreichen. Poelzig plädierte deshalb für die Anwendung der technisch und wirtschaftlich ertragreichsten Bauweise und erachtete zugleich die Funktionserfüllung als wichtigste zu erbringende Leistung. [Anm. 11]

Zunächst scheint auch der IG Farben-Bau der funktionalistischen Argumentationslinie Poelzigs zu entsprechen. Das Stahlskelettgerüst bestimmt das gesamte Gebäude in seinem Aufbau. [Anm. 12] So wird der aus geometrischen Kuben geformte Bau von Bändern identischer Fenster rhythmisch umlaufen. Dies ermöglicht im gesamten Gebäude den größtmöglichen Lichteinfall. Darüber hinaus verweisen einheitliche Büroräume auf das Egalitätsprinzip der Funktionalisten. Zusätzlich zeugen Paternoster, Schiebefenster und gebogene Glasscheiben von Modernität und Dynamik. Keine Ornamentik stört das funktionalistische Erscheinungsbild des Zweckbaus [Anm. 13]- und doch: Das im Abendlicht schimmernde Travertinsteingebäude erschließt sich dem Beobachter nicht vollkommen rational. Sein Äußeres verweist diesen (unterbewusst) auf antike sowie klassizistische Vorbilder und lässt die Funktion des Gebäudes als Bürobau kurzzeitig vergessen. [Anm. 14] Dies ist durchaus kein Zufall.

Poelzig erhielt mit dem IG Farben-Gebäude den Auftrag einen überzeitlichen Monumentalbau zu schaffen. Dieser sollte dem Geltungsbedürfnis der IG Farbenfusion entsprechen. [Anm. 15] Dementsprechend war Poelzig auferlegt, den Anspruch seiner Auftraggeber adäquat umsetzten: So bot ihm zunächst das Bau-Areal sehr große Freiheit bezüglich der Konstruktion, da das IG Farben-Haus nicht städtebaulich eingegliedert werden musste. Es war Poelzig deshalb möglich, auf der kleinen Anhöhe die ‚neue‘ Stadtkrone Frankfurts zu errichten. Diese hob sich damals - anders als in der heutigen Skyline Frankfurts - noch deutlich von den übrigen Westend-Villen ab. [Anm. 16] Der für die Außenfassade verwendete Cannstatter Travertin verleiht dem IGF zusätzlich eine Nuance von Unvergänglichkeit und Eleganz. Des Weiteren ist der Sockel des Gebäudes leicht geböscht, die äußersten Querbauten akzentuiert und die Höhe der Stockwerke nimmt nach oben hin ab. Dies hat eine subtile, aber effektive Steigerung der Wucht und Massivität des Baus zur Folge. Da im obersten Stockwerk auf ein Fensterband verzichtet wurde, ergibt sich zusammen mit dem Sockel eine Umrahmung des Gebäudes. Diese unterstreicht zusätzlich die Monumentalität der Konstruktion. [Anm. 17] Gleichzeitig erinnern die vier dünnen Säulen des Portikus an antike und neoklassizistische Vorbilder. [Anm. 18] Hierbei ist zu sagen, dass der herrschaftliche Eingangsbereich entgegen dem funktionalistischen Gleichheitsprinzip lediglich den Gästen des Konzerns vorbehalten war. Bedienstete nahmen die Seiteneingänge. [Anm. 19]

Aber nicht nur in Bezug auf die Fassade und Außengestaltung stellt das Gebäude einen Inbegriff majestätischer Architektur dar, sondern auch aufgrund der Innengestaltung. Poelzig kreierte mit dem Haupteingang, dem Kasino und dem Haupttreppengebäude ein Gegenstück zu der sonst sachlichen Einrichtung des Baus. So ziert ein expressionistisches Zick-Zack Muster aus Marmor die Wände der Eingangshalle und eine zweigliedrige, spiegelsymmetrische Treppenführung erinnert an jene einer barocken Residenz. [Anm. 20] Die schimmernde Blattaluminiumdecke, die von Poelzig ursprünglich als Marmormosaikdecke geplant wurde [Anm. 21], steigert zusätzlich den majestätischen Ausdruck des Inneren. [Anm. 22] Das Kasino, welches man durch die großen Fensterflächen der halbkreisförmigen Rotunde erkennen kann, erinnert darüber hinaus an eine klassizistische Sommerresidenz. [Anm. 23] Was stellt das IGF nun folglich dar? Einen Zweckbau im Stil des Funktionalismus- oder eine Kunstform, durch die sich die Machthaber des Konzerns ein Denkmal gesetzt haben?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das IGF eine Mischform der verschiedenen Strömungen darstellt. Poelzig ließ sich zu Lebzeiten nie auf einen bestimmten Architekturstil festsetzen. [Anm. 24] So baute er expressionistisch-monumental, aber auch funktionalistisch. Zwar sprach sich Poelzig dafür aus, dem Zweckbau an sich keine Monumentalität zu verleihen, dennoch musste er bezüglich des IGF dem Selbstdarstellungsbedürfnis seiner Auftraggeber nachkommen. [Anm. 25] Gleichzeitig hätten diese eine Einbuße der Funktion zugunsten der optimalen Auslebung der Kunst wohl nicht akzeptiert. Dementsprechend sah sich Poelzig in der misslichen Lage, einen monumentalen Funktionsbau errichten zu müssen. Dennoch zwang er dem Stahlgerüst hierbei kein allzu schweres Stilkostüm auf. Der einzige Schmuck des Gebäudes bleibt sein elegantes, überzeitlich wirkendes Material. Indem er moderne und pathetische Formeln kombinierte, gelang es dem Architekten, in seinem Bauwerk eine funktionale Arbeitsstätte mit dem geforderten imposanten Machtzentrum zu fusionieren. Demnach verherrlicht das Gebäude gleichzeitig die Masse und befriedigt den Machthunger einiger Unternehmer. [Anm. 26] Es will nicht nur kurzlebiger Zweckbau sein, sondern auch Kunstform - auf ewig.

Abschließend bleibt demnach zu sagen, dass Poelzig viel zu sehr Künstler war, als dass er sich den funktionalistischen Grundsätzen hätte gänzlich unterordnen können- er baute in seinem eignen Stil: Nicht zwingend eklektizistisch, aber monumental. 

1 Vgl. Lauer, Heike: Leben in Neuer Sachlichkeit. Zur Aneignung der Siedlung Römerstadt in Frankfurt am Main (= Schriftreihe des Instituts für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Frankfurt am Main 31), Frankfurt a.M. 1990, S. 14.

2 Vgl. ebd., S. 18f.

3 Vgl. Heike, Drummer/Zwilling, Jutta: Von der Grüneburg zum Campus Westend. Die Geschichte des IG Farben- Hauses. Begleitbuch zur Dauerausstellung, hg. v. Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M. 2007, S. 40.

4 Vgl. Schirren, Matthias: “Stoffwechsel“-Werke und Worte Hans Poelzigs im Lichte einer biochemischen Metapher, in: Werner, Meißner/Dieter, Rebentisch/Wilfried, Wang (Hrsg.): Der Poelzig-Bau. Vom I.G. Farben-Haus zur Goethe-Universität, Frankfurt a.M. 1999, S.13-36, hier S. 26.

5 Z.B. aus Barock, Rokoko, Gotik, Klassik.

6 Vgl. Lauer: Sachlichkeit (1990), S. 17.

7 Vgl. ebd., S. 19f.

8 Vgl. Lindemann, Gottfried/Boekhoff, Hermann (Hrsg.): Lexikon der Kunststile, Bd.2: Vom Barock bis zur pop-Art, Braunschweig 1970, S.155, 157f.

9 Vgl. Lauer: Sachlichkeit (1990), S. 30.

10 Vgl. ebd., S. 19f.

11 Vgl. Poelzig, Hans: Vom Bauen unserer Zeit (1922), in: Julius Posener (Hrsg.): Gesammelte Schriften und Werke. Hans Poelzig (=Schriftreihe der Akademie der Künste Bd.6), Berlin 1970, S.170-187, hier S. 173.

12 Vgl. Bartetzko, Dieter: Fest auf den Schultern der Vorfahren- Zur Rolle des Pathos wider die Zeit in Hans Poelzigs Architektur, in: Werner, Meißner/Dieter, Rebentisch/Wilfried, Wang (Hrsg.): Der Poelzig-Bau. Vom I.G. Farben-Haus zur Goethe-Universität, Frankfurt a.M. 1999, S.60-68, hier S. 65.

13 Vgl. Bartetzko, Dieter: Zwischen Freiheit und Bindung- Die versteinernde Moderne in Hans Poelzigs IG- Farben-Gebäude, in: Matthias, Schirren (Hrsg.): Hans Poelzig. Die Pläne und Zeichnungen aus dem ehemaligen Verkehrs- und Baumuseum in Berlin, Berlin 1989, S.25-32, hier S. 26.

14 Vgl. Bartetzko: Freiheit (1989), S. 27.

15 Vgl. Cachola Schmal, Peter/Voigt, Wolfgang: Immer eine große Linie. Das Verwaltungsgebäude der I.G. Farbenindustrie in Frankfurt am Main und andere Verwaltungsbauten, in: Wolfgang, Pehnt/Matthias, Schirren (Hrsg.): Hans Poelzig 1869- 1936. Architekt, Lehrer, Künstler, München 2007, S.112-125, hier S.12.

16 Vgl. ebd., S. 124.

17 Vgl. Bartetzko: Freiheit (1989), S. 27.

18 Vgl. ebd.

19 Vgl. Cachola Schmal/Voigt: Linie (2007), S. 124.

20 Vgl. Bartetzko: Freiheit (1989), S. 29.

21 Die Auftraggeber forderten dies. Zusätzlich verlangten sie, dass das Gebäude noch weiter hinten auf die Anhöhe rückten sollte.

22 Vgl. Cachola Schmal, Peter: Der Kunde ist König- Zum Einfluss des Bauherrn IG. Farbenindustrie AG auf die Entstehung der >>Grüneburg<<, in: Werner, Meißner/Dieter, Rebentisch/Wilfried, Wang (Hrsg.): Der Poelzig-Bau. Vom I.G. Farben-Haus zur Goethe-Universität, Frankfurt a.M. 1999, S. 47-59, hier S. 54.

23 Vgl. Bartetzko: Freiheit (1989), S.27.

24 Vgl. ebd., S. 26.

25 Vgl. Poelzig, Hans: Der neuzeitliche Fabrikbau (1911), in: Julius Posener (Hrsg.): Gesammelte Schriften und Werke. Hans Poelzig (=Schriftreihe der Akademie der Künste Bd.6), Berlin 1970, S. 38-45, hier S. 42.

26 Vgl. Bartetzko: Freiheit (1989), S. 26.

Jana Müller, Die Synthese von Zweck-und Kunstform: Das IG Farben- Haus- Arbeitsstätte oder Machtzentrum?, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 14.10.2014, URL: https://use.uni-frankfurt.de/igf/mueller/.

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