Steuerte die Konzernleitung der IG-Farben Hitlers Aufstieg entgegen? Anmerkungen zu Peter Hayes Industry and Ideology

von Philipp Schweizer

Politische Voraussetzungen für das Schreiben von Geschichte

„Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“
(Max Horkheimer) [Anm. 1]

Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass in der Bundesrepublik Deutschland ein kapitalistisches Wirtschaftssystem herrscht, wie auch in einem Großteil weiterer Länder dieser Erde. Was aber eine kapitalistische Ökonomie ausmacht und ob diese „gut“ oder „schlecht“ ist, darüber gibt es politischen Streit. Für die Verfechter und Verteidiger des Kapitalismus ist Freiheit ein primäres Kriterium. Für sie ist Freiheit Kapitalismus. Sie bestreiten, dass der deutsche Faschismus, wie auch andere faschistische Diktaturen, eine kapitalistische Wirtschaft hatten. Damit im Zusammenhang steht die Auffassung, dass die Kapitalisten und insbesondere die Großkapitalisten, weder für den Aufstieg Hitlers, noch für die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges verantwortlich sind. [Anm. 2]

In seiner Analyse und Kritik des Kapitals hat Karl Marx das Privateigentum an den Produktionsmitteln als einen Grundpfeiler der kapitalistischen Produktionsweise benannt. Dieser Grundpfeiler wurde, mit der Ausnahme jüdischen Eigentums, in der Zeit des Faschismus nicht angerührt. Vor allem in der kommunistischen Bewegung wurde der Faschismus deshalb, ausgehend zunächst vom italienischen Beispiel, als eine Form bürgerlicher Herrschaft im Kapitalismus analysiert. 1935 kulminierte diese Arbeit in der Faschismusdefinition der Kommunistischen Internationale, wonach der Faschismus an der Macht, „die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ sei. [Anm. 3]

Informationen zur Veranstaltung

Blick auf das IG-Hochhaus

Dozent: Dr. des. Markus Häfner
Veranstaltungsart: Übung
Semester: SoSe 2014
Fachbereich / Institut: Philosophie und Geschichtswissenschaften (FB 08), Historisches Seminar

Beide Positionen können entgegengesetzter nicht sein. Während die eine Faschismus und Kapitalismus für unvereinbar hält, geht die andere davon aus, dass der Kapitalismus die faschistische Gefahr immer schon in sich birgt und dass der Faschismus eine Form des Kapitalismus sei. Das Schreiben von Geschichte, vor allem der Geschichte des Faschismus, ist also unweigerlich mit einer politischen Positionierung, ob beabsichtigt oder nicht, verbunden. Das heißt nicht, dass Objektivität unmöglich ist, sondern, dass eine ihrer Voraussetzung das Bewusstsein über den politischen Charakter von Geschichtsschreibung ist.

Peter Hayes Argumentation

Zentral für Hayes Argument, die Konzernleitung der IG Farben (KLIG) habe dem Aufstieg Hitlers entgegen gewirkt, ist seine aus der Retrospektive interpretierte Firmenmentalität der IG Farben. Diese bestehe demnach aus vier Hauptmerkmalen. Erstens die Orientierung auf langfristige, vorausschauende Entscheidungen anstatt kurzsichtiger Orientierung auf Profit und Dividende. Zweitens die Neigung zur Dezentralisierung innerhalb von Forschung und Entwicklung im Gegensatz zur Zentralisierung in der Hand eines „starken Mannes“. Drittens die Sicht, dass Forschung ihren eigenen Gesetzen folgt und daher ohne Rücksicht auf staatspolitischen Nutzen betrieben werden sollte. Und Viertens die Sicht, dass es geschäftliche Verpflichtung eines Konzerns ist, ein „geordnetes, berechenbares ökonomisches und politisches Umfeld aufrechtzuerhalten“ [Anm. 4] und sich um politischen Frieden zwischen den Staaten zu bemühen.

Hayes sieht den Niederschlag der Firmenmentalität während der Weimarer Republik in verschiedenen Punkten gegeben. Die IG Farben sei der mächtigste industrielle Befürworter der Anerkennung der Weimarer Republik gewesen und habe sich stets um eine friedliche Revision des Versailler Vertrages bemüht. Die IG Farben waren auf der politischen Linie Stresemanns und die schärfsten industriellen Gegner Hugenbergs und der Nationalisten. [Anm. 5] Trotz der sich mit der beginnenden Wirtschaftskrise rasant ändernden Verhältnisse hatte man seit 1929 an der Weimarer Demokratie festgehalten. [Anm. 6] Erst als die NS-Regierung zustande gekommen war, habe die IG Farben angefangen, die Nationalsozialisten zögerlich zu unterstützen. Aus all dem schließt Hayes, dass die IG Farben dem Aufstieg Hitlers entgegengewirkt hätte.

Kritik an Peter Hayes Argumentation

Peter Hayes zeichnet ein Bild der IG Farben, das sich nicht aufrechterhalten lässt. Entgegen seiner Darstellung lässt sich zeigen, dass der Konzern dem Aufstieg Hitlers nicht entgegen wirkte und dass die Strategie der IG Farben ein demokratiefeindliches und kriegerisches Kalkül einschloss.

Richtig ist, dass die IG Farben, im Gegensatz zur Schwerindustrie, lange an der Weimarer Republik festhielt. Der Grund für dieses Festhalten war aber nicht, wie Hayes meint, das Bedürfnis nach einem ‚geordneten, berechenbaren ökonomischen und politischen Umfeld‘. Vielmehr war entscheidend, dass der Konzern in allen Regierungen der Weimarer Republik seine Interessen erfolgreich durchsetzen konnte. Die IG Farben trat auch deshalb ‚liberaler‘ auf, weil sie eine andere Lohnpolitik betreiben konnte als die Schwerindustrie. Dadurch hatte man es weit weniger mit Arbeitskämpfen zu tun, als andere Wirtschaftssektoren. Trotzdem verfolgte die IG Farben Ziele wie Lohnkürzungen, Streikverbot und Ausdehnung der Arbeitszeit, allerdings stufenweise und nicht per Gesetz um die Arbeiterschaft nicht noch mehr zu radikalisieren.

Von entscheidender Bedeutung für die Rolle der IG Farben bei der Wegbereitung für eine Diktatur und letztendlich eine großen Krieg, war ihr Programm zur Herstellung synthetischen Benzins. Dabei ging es darum, von ausländischen Rohölimporten unabhängig zu werden, weil Deutschland selbst über keine nennenswerten Ölvorkommen verfügte. Diese Autarkiebestrebung, die sich auch in der Herstellung synthetischen Gummis zeigte, lässt sich aber nur im Kontext konkreter Kriegsplanungen plausibilisieren. Aus dem Ersten Weltkrieg hatte die deutsche Elite gelernt, dass die Rohstoffabhängigkeit vom Ausland für Deutschland eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einem Sieg darstellte. Und schon im Ersten Weltkrieg war es die IG Farben Vorgängerin BASF gewesen, die durch die Herstellung synthetischen Stickstoffs ein vorzeitiges Ende des Krieges verhindert hatte – der kaiserlichen Armee wäre nämlich schon 1915 schlicht die Munition ausgegangen. Hayes bewertet das Verhalten des Konzerns in dieser Frage ganz anders.

Einem Treffen von zwei Vorstandsmitgliedern mit Hitler im Sommer 1932, bei dem es um genau jenes Hydrierungsprojekt ging, misst Hayes nur eine untergeordnete Bedeutung bei. Bei diesem Treffen ging es allerdings darum Hitler davon zu überzeugen, dieses Projekt zu unterstützen, sofern er eine Regierung führen würde, oder an einer beteiligt wäre. Heinrich Bütefisch, der für die Benzinsynthese zuständige Werksleiter von Leuna, erinnerte sich mitten im Krieg 1943 an dieses Treffen:

„Wir fuhren zurück in dem stolzen Bewußtsein, einen tiefen Blick in den Zusammenhang des großen geschichtlichen Werdens getan und von dem kommenden Führer des ganzen deutschen Volkes bestätigt erhalten zu haben, daß unser Ziel richtig und unsere Arbeit von größter Bedeutung war.“ [Anm. 7]

Hitler wusste schon 1932, dass ein Krieg ohne chemische Ersatzstoffe nicht durchführbar, geschweige denn zu gewinnen wäre. Er sagte bei diesem Treffen:

„Die Wirtschaft in einem Deutschland, das politisch unabhängig bleiben will, ist heute ohne Öl nicht denkbar. Der deutsche Treibstoff muß daher selbst unter Opfern verwirklicht werden. Es besteht daher für die Kohlenhydrierung eine zwingende Notwendigkeit, weiter zu arbeiten.“ [Anm. 8]

Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die IG Farben dem Aufstieg der NSDAP nicht entgegenwirkte. Zwar beförderten sie ihn aktiv erst sehr spät, spätestens ab 1933 dafür aber sehr intensiv, zum Beispiel durch die größte Einzelspende von 400.000 RM. Auch die Jahre 1933-35/36 der NS-Diktatur müssen zum Aufstieg der NSDAP hinzugenommen werden, während derer die Macht des Systems keineswegs gesichert war. Es war gerade diese Friedhofsruhe, die die Nazisozialisten im gesellschaftlichen Leben verbreiteten (Zerschlagung der Gewerkschaften und jeglicher Opposition), welche die besten Bedingungen für ein „geordnetes, berechenbares ökonomisches und politisches Umfeld“ [Anm. 9] boten.

1 Horkheimer, Max: Die Juden und Europa, in: Zeitschrift für Sozialforschung/Studies in Philosophy and Social Science 8 (1939), S. 115–137, hier S. 115.

2 Vgl. Turner, Henry Ashby Jr.: Faschismus und Kapitalismus in Deutschland. Studien zum Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Wirtschaft. Göttingen 1972.

3 Dimitroff, Georgi: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus. Bericht auf dem VII. Weltkongreß der kommunistischen Internationale. In: Ausgewählte Schriften. Band 2. Berlin 1958, 523ff., online ebenfalls unter: http://www.mlwerke.de/gd/gd_001.htm.

4 Hayes, Peter: Industrie und Ideologie. Die IG Farben in der Zeit des Nationalsozialismus. Zeitschrift für Unternehmensgeschichte / Journal of Business History 32 (1987), 124–136, hier S. 127.

5 Ebd., S. 127f.

6 Ebd., S. 128.

7 Angabe fehlt..

8 Zit. nach Plumpe, Gottfried: Die IG-Farbenindustrie-AG. Wirtschaft, Technik und Politik 1904-1945 (= Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 37). Berlin 1990, S. 541.

9 Hayes (1987), S. 127.

Philipp Schweizer, Steuerte die Konzernleitung der IG-Farben Hitlers Aufstieg entgegen? Anmerkungen zu Peter Hayes Industry and Ideology, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 14.10.2014, URL: https://use.uni-frankfurt.de/igf/schweizer/.

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