Bilder auf weißgrundigen Lekythen

Christine Weidlich

Die Bilder auf den weißgrundigen Lekythen liefern wichtige Hinweise auf ihre Verwendung am Grab sowie auf Grabkult und Grabpflege allgemein. Den antiken Betrachtern war Bedeutung dieser Bilder natürlich noch bekannt, doch ist in der modernen Forschung ein gewisser Spielraum in ihrer Interpretation vorhanden, und viele Fragen können nicht sicher beantwortet werden.

Die Vasenbilder tragen meist Szenen aus dem Frauengemach eines Hauses oder Darstellungen von Personen an einem Grab. Die sogenannten Frauengemachsszenen zeigen in der Regel eine höhergestellte Frau mit einer weiteren Frau, die einen geringeren Rang im Haushalt einnimmt. Beide unterscheiden sich in Kleidung, Haartracht und Haltung. Die Höhergestellte kann häufig durch einen Mantel und ein Gewand aus dünnerem Stoff (Chiton) oder dadurch, dass sie sitzt, identifiziert werden.  Die Rangniedere trägt dagegen ein Gewand aus dickerem Stoff (Peplos), das sich besser für körperliche Arbeit eignet. Sie kann außerdem einen Korb tragen, in welchem Utensilien für die Grabkult wie Stoffbinden (Taenien), Kränze oder Ölgefäße (Lekythen oder Alabastra) zum Grab transportiert wurden. Es kann nicht eindeutig bestimmt werden, ob diese Frau eine Dienerin oder eine Verwandte der Höhergestellten ist. Dass diese Szenen im Haus spielen wird dadurch deutlich, dass verschiedene Gegenstände wie Spiegel, Haarbeutel und Gefäße an den nicht sichtbaren Wänden hängen und Sitzmöbel vorhanden sind.

Außer den Frauengemachsszenen finden sich noch Darstellungen eines Kriegerabschieds auf den Lekythen. Dort tritt eine Frau (Ehefrau, Mutter oder Schwester?) einem Mann am Grab gegenüber. Der Mann wird durch Rüstung, Waffen und athletischen Körperbau als Krieger gekennzeichnet. Die Frau reicht ihm auf einigen Bildern seinen Helm oder eine Schale zur Trankspende an die Götter als Bitte um eine gute Reise. Das Grab wird dabei durch eine Stele (eine Art Grabstein) repräsentiert, die mit Binden und Kränzen geschmückt sein kann.

Bei beiden Szenen stellt sich die Frage, ob die Hauptpersonen (höhergestellte Frau oder Krieger) als verstorben anzusehen sind. Die Bilder mit Frauen in ihrem Gemach können aufgrund der Gegenstände als Aufbruch zum Grab, um der Pflicht des Grabkultes nachzukommen, gewertet werden. Gleichzeitig erhält der Betrachter durch Utensilien des Badens und Kleidens Hinweise darauf, dass die Hauptperson sich wie eine Braut zum endgültigen Verlassens des Hauses bereit macht. Wenn sie so zum Friedhof aufbricht, wird sie als "Braut des Hades", also als Verstorbene charakterisiert. Dagegen liegt der Fall bei dem Kriegerabschied am Grab anders: Das Grab lässt in diesem Zusammenhang erkennen, dass es sich nicht um den Abschied von einem Lebenden handelt. Vielmehr ist der Krieger hier vermutlich als ein Erinnerungsbild der letzten Begegnung zwischen Frau und Krieger zu sehen, bevor dieser in den Krieg zog und dort wahrscheinlich sein Leben verlor. Es ist aber ebenfalls denkbar, dass sich in diesen Bildern eine Vorstellung von einer Wiederbegegnung mit der Seele eines Verstorbenen am Grab manifestiert. Neben den Frauengemachsszenen und dem Kriegerabschied gibt es aber noch viele Bilder, die beide Themen in einem Bild vermischen.

Szene im Frauengemach (Grafik: Jessica Pulver)
Szene Kriegerabschied am Grab (Grafik: Jessica Pulver)
Kriegerabschied auf einer Lekythos aus der Sammlung der Klassischen Archäologie Frankfurt(Foto: Michelle Frost)