Warum wählten die Amerikaner das IG Farben-Hochhaus als ihr Hauptquartier?

von Elzbieta Hartkopf

Das IG Farben-Hochhaus wurde am 29. März 1945 von Oberstleutnant Howard D. Criswell, dem ersten amerikanischen Militärkommandanten der Stadt Frankfurt, beschlagnahmt. Dort wurde zuerst ein provisorischer Stab der amerikanischen Militärregierung installiert, der ab Mai 1945 zum Hauptquartier der Allied Expeditionary Forces (SHAEF) und ab Juli 1945 zur obersten amerikanischen Kommandobehörde US Forces European Theater (USFET) umgewandelt wurde [Anm. 1]. Es stellt sich die Frage, warum die US-Streitkräfte im März 1945 das IG Farben-Gebäude in Frankfurt am Main zu ihrem Hauptquartier machten.

Die Amerikaner wollten zunächst möglichst schnell ein geeignetes Quartier zu finden, das funktionell und entsprechend groß war. Diese Aufgabe war nicht leicht, wenn man die Zerstörung Frankfurts bedenkt [Anm. 2]. Criswell wählte das Hauptverwaltungsgebäude der Metallgesellschaft an der Bockenheimer Anlage als Hauptquartier aus. Bereits am 30. März übersiedelte jedoch ein Teil der Militärregierung in das IG Farben-Haus. Hermann W. Lumme, damaliger Direktor der Metallgesellschaft, soll die Amerikaner überredet haben, das Gebäude der Metallgesellschaft zu verlassen [Anm. 3].

Für das IG Farben-Haus als militärisches US-Hauptquartier sprach die strategische Lage des Gebäudes im Herzen Europas - gut angeschlossen an Wasserwege, Luft-, Straßen- und Schienennetzwerk - und der seltene Zustand im zerstörten Nachkriegsdeutschland: ein unbeschädigtes Großgebäude. Werner Bendix stellt aufgrund der Auskunft von Wolfgang Metternich fest [Anm. 4], dass die Bomberstaffeln der Alliierten den Befehl von General Eisenhower erhalten hatten, das Bürohaus bei den Bombardements auszusparen, weil dort zentrale Einrichtungen der Amerikaner untergebracht werden sollten [Anm. 5]. Dieser Spur gehen auch Heike Drummer und Jutta Zwilling nach, wenn sie bejahen: „Offenkundig zählte es ebenso wenig wie die Farbwerke Hoechst zu den Zielen alliierter Luftangriffe.“ [Anm. 6]

Informationen zur Veranstaltung

Blick auf das IG-Hochhaus

Dozent: Dr. des. Markus Häfner
Veranstaltungsart: Übung
Semester: SoSe 2014
Fachbereich / Institut: Philosophie und Geschichtswissenschaften (FB 08), Historisches Seminar

Die Erinnerungen einiger ehemaliger US-Soldaten unterstützen diese “story”. Brock Carr, HQ ASE-Europe 1952-54, schreibt: “As the story went, the pilots were told to level Frankfurt, except for this particular building, because it was planned to be the new European Command Headquarters. They were told that it would be a Court Martial Offense if they damaged it. Sure enough, one poor pilot's bombs "skip bombed" and took out a small corner of the building -- and he was court-martialed, or so the story goes.” [Anm. 7]

Charles Kirkpatrick ist jedoch der Meinung, dass obwohl man unter den Offizieren gerne von „precision bombing“ sprach, die Praxis je nach Wetterverhältnissen weit vom exakten Zielen entfernt war [Anm. 8]. Hierzu half auch nicht die Anwendung des H2X-Radars. Zwar sollte der Radar den Flugzeugen ermöglichen, ihre Ziele selbst bei schlechtem Wetter zu finden, jedoch lassen die hohe Störanfälligkeit der Geräte und die geringe Auflösung der Radarbilder ihre Zielgenauigkeit sehr in Frage stellen [Anm. 9]. Der Heidelberger Historiker Walter Mühlhausen scheint am meisten zu überzeugen, wenn er behauptet, dass die starken Flakstellungen rund um die Hauptverwaltung des größten deutschen Industrieunternehmens ein möglicher Grund für die Unversehrtheit waren [Anm. 10]. Dafür spricht auch die Lage des Gebäudes – auf einem Hügel, nördlich, etwas abseits der Stadt. Von dort hatte man einen guten Beobachtungsposten auf die niedriger gelegene Stadt, und zwar insbesondere dann, wenn die Sicht wegen der Asche und des Rauchs sehr begrenzt war [Anm. 11].

Das IG Farben-Haus entsprach wegen seiner Lage, seinem Volumen und der Tatsache, dass es vom Bombenkrieg unversehrt geblieben war, als einziges Gebäude den amerikanischen Vorstellungen für ein Militärhauptquartier, und zwar wie Kirkpatrik betont nicht nur im völlig zerbombten Frankfurt, sondern es war „eines der wenigen intakt gebliebenen großen Bauten im westlichen Teil Deutschlands“ [Anm. 12] gewesen. Dazu war es noch ein ganz besonderes Gebäude in den Augen der Amerikaner – es war der Hauptsitz des weltmächtigen Chemiekartells IG Farben, das zuvor mit ihnen, dann aber später auch mit der Hitler-Regierung Geschäfte machte. US-Standard Oil (New Jersey) mit John D. Rockefeller Jr. als Hauptaktionär hatte mit der IG Farben Kartellvereinbarungen bezüglich der Kautschukkrise im November 1929 getroffen [Anm. 13]. Erst die Regelung des Zivilverfahrens 1942 zwang die Standard Oil zum Abbruch aller Beziehungen mit der IG Farben und zur Vergabe von Lizenzen aus den Patenten. Seitdem betrachteten die Amerikaner die IG Farben als „die Speerspitze des Wirtschaftskriegs der Nazis“ [Anm. 14]. Als die IG Farben im November 1945 von dem Alliierten Kontrollrat beschlagnahmt wurde, ging es hautsächlich darum, dass sich das Kartell laut des Gesetzes Nr. 9 „in hervorragendem Maße mit dem Ausbau und der Erhaltung des deutschen Kriegspotenzials befasst“ [Anm. 15] habe. Deshalb war es der amerikanischen Militärregierung ideologisch wichtig, gerade dieses Gebäude, das nach 1945 zum „Sinnbild für die Verbindung von Industrie und Politik im Nationalsozialismus“ [Anm. 16] wurde, zum US-Hauptquartier zu machen [Anm. 17].

Zusammenfassend muss man betonen, dass SHAEF wegen der Aufgabe der militärischen Kontrolle durchaus an Richtlinien für die Nachkriegszeit interessiert war und diesbezüglich seit 1944 Planungen anstellte [Anm. 18]. Obwohl es den Amerikanern klar war, „Permanent occupation of Germany by the Allies, and particularly by the United States, is inconceivable“ [Anm. 19], residierte die US-Militärregierung fünfzig Jahre im IG Farben-Hochhaus in Frankfurt. In dieser Zeit wurden dort wichtige Entscheidungen getroffen, die nicht nur die US-Besatzungszone, sondern auch den politischen Charakter Deutschlands grundsätzlich geprägt haben.

1 Walter Mühlhausen: Der Poelzig-Bau in Frankfurt am Main. Von der Schaltzentrale industrieller Macht zum Sitz der amerikanischen Militärregierung, in: Hessen: Geschichte und Politik, hg. v. Bernd Heidenreich / Klaus Böhme (Schriften zur politischen Landeskunde Hessens 5), Stuttgart 2000, S. 376–388; hier S. 381.

2 Insgesamt wurden etwa 90.000 der 177.600 Wohnungen im Stadtgebiet sowie fast alle öffentlichen Bauten, Schulen, Kirchen und Krankenhäuser zerstört. Vgl. Tobias Picard: Frankfurt am Main im Luftkrieg, in: https://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/1812/ (am 21.07.2014). Als die Amerikaner Frankfurt am 29. März 1945 besetzten, sagte General George Patton über den Zustand der Stadt: „noch eine Steinwüste.“ Zit. nach: James S. Corum: Die amerikanische Bombenoffensive gegen Frankfurt am Main 1943-1945, in: Michael Fleiter (Hg.): Heimat Front: Frankfurt am Main im Luftkrieg, Frankfurt am Main 2013, S. 289-302, hier: S. 289.

3 Hermann W. Lumme: Will America be lost…? Military Gouvernement-Ecke Reuterweg, in: MG-Information. Zeitschrift für die Mitarbeiter im Bereich der Metallgesellschaft AG, 16 (1981), S. 70. Dazu vgl. Rebecca Boehling: Die politischen Lageberichte des Frankfurter Oberbürgermeisters Klaus Blaum an die amerikanische Militärregierung 1945/1946, in: AFGK 59 (1985), S. 485-537.

4 Wolfgang Metternich, Leiter des ehemaligen Hoechst Archivs (www.histocom.de), behauptet, dass die Alliierten bezüglich des Hauptquartiers bei einem Treffen in Frankfurt-Höchst im Sommer 1995 entsprechende Angaben machten. Vgl. „Keine Bomben auf Hoechst“, FAZ vom 18.07.1995.

5 Werner Bendix: Die Hauptstadt des Wirtschaftswunders Frankfurt am Main 1945-1956. (Studien zur Frankfurter Geschichte 49), Frankfurt am Main 2002, S. 37.

6 Heike Drummer und Jutta Zwilling: Von der Grüneburg zum Campus Westend. Die Geschichte des IG Farben-Hauses [Begleitbuch zur Dauerausstellung]. Hg. v. Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main 2007, S. 96.

7 http://www.usarmygermany.com/Sont.htm?http&&&www.usarmygermany.com/units/asa%20europe/usareur_asae.htm (am 18.06.2014).

8 Charles Kirkpatrick: Das I.G. Farben Gebäude als Sitz der Amerikaner. 1945-1995, in: Werner Meißner, Dieter Rebentisch und Wilfried Wang (Hg.): Der Poelzig-Bau. Vom I.-G.-Farben-Haus zur Goethe-Universität, Frankfurt am Main 1999, S. 104–120; hier S. 106.

9 „Die 56 Bomber, die Wiesbaden bombardiert hatten, waren vollständig auf Radar angewiesen, und offensichtlich trafen die meisten Bomben nur offene Felder ein paar Kilometer außerhalb der Stadt.“ Aus: James S. Corum: Die amerikanische Bombenoffensive gegen Frankfurt am Main 1943-1945, in: Michael Fleiter, (2013), S. 289-302, hier S. 299.

10 Mühlhausen (2000), S. 381. Dazu vgl. Thomas Bauer: „Terror in Quelle Siegfried 5“ – Luftschutz und Luftkrieg in Frankfurt am Main 1933-1945, in: Michael Fleiter (2013), S. 27-47.

11 Die Erinnerungen an die Bombenangriffe: „Die Hitze war unerträglich und wir gingen nach dem IG-Hochhaus, das freisteht, um etwas Luft schnappen zu können.“ Aus: Armin Schmidt: Frankfurt im Feuersturm. Die Geschichte der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Frankfurt (Main) 1984, S. 142.

12 Kirkpatrick (1999), S. 106.

13 Joseph Borkin: Die unheilige Allianz der IG Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich. Frankfurt am Main 1979, S. 75-100.

14 Anm. Nr. 100 bei Borkin (1979), S. 89.

15 Zit. nach: Mühlhausen (2000), S. 383.

16 Ders., S. 379.

17 Ob es der US-Regierung auch um die Sicherung von historisch wichtigen Dokumenten der Beziehung von Standard Oil zu Hitler-Deutschland ging, kann hier nicht belegt werden. Auch die Frage, ob hiermit die US-Regierung Patente und Verfahren der chemischen Industrie für eigene Zwecke sichern wollte, lässt sich anhand der für diese Arbeit zugänglichen Quellen nicht nachweisen.

18 Es geht um die erste Direktive Eisenhowers vom April 1944 (CCS 551), in: Wilfried Mausbach: Zwischen Morgenthau und Marshall. Das wirtschaftliche Deutschlandkonzept der USA 1944-1947 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 30). Düsseldorf 1996. Dort insbesondere das Kapitel: Die wirtschaftlichen Deutschlandplanungen der USA 1941-1944, S. 38.

19 Objective of the United States Government in the Occupation of Germany (Fassung vom 12. Juli 1945), in: Potsdam Papers, vol. I. Doc. No. 349, S. 500-503. Zit. nach: Karl-Ernst Bungenstab: Umerziehung zur Demokratie? Re-education-Politik im Bildungswesen der US-Zone 1945-49, Düsseldorf 1970, S. 175.

Elzbieta Hartkopf, Warum wählten die Amerikaner das IG Farben-Hochhaus als ihr Hauptquartier?, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 12.08.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/igf/hartkopf/.

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