Logo Frankfurter Literaturwissenschaftler 1914-1945

Ernst Erich Noth

  • Germanist, der seine Dissertation zur Literatur der Weimarer Republik an der Universität Frankfurt 1933 aufgrund der Machtergreifung der Nationalsozialisten nicht mehr verteidigen konnte
  • war 1933-1941 in Frankreich und 1942-1945 in den USA ein publizistisch und politisch wirksamer Vertreter des deutschen Exils
  • machte nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA als literaturwissenschaftlicher Komparatist akademische Karriere
  • die Universität Frankfurt verlieh ihm im Jahr 1971 die Doktorwürde und ernannte ihn nach einer Zeit, in der er als Gastprofessor tätig war, 1974 zum Honorar-Professor
  • Promovierte bei Franz Schultz und Hans Naumann // Studierte bei Martin Sommerfeld und Max Kommerell
  • An der Universität Frankfurt zeitgleich mit Wilhelm Emrich, Matthias Friedwagner, Helmut A. Hatzfeld, Arnold Hirsch, Leo Löwenthal, Erhard Lommatzsch und Hellmuth Petriconi

Ernst Erich Noth wurde am 25.2.1909 mit dem bürgerlichen Namen Paul-Albert Krantz als Sohn Elisabeth Steegemanns in Berlin geboren. Den Namen gab ihm sein Stiefvater, der Musiker Karl-Heinz Krantz. Noth, evangelischer Konfession, war während der Studienzeit an der Universität Frankfurt am Main (1929-1933) für die Frankfurter Zeitung als Jounalist tätig. 1931 veröffentlichte er den an den literarischen Normen der Neuen Sachlichkeit orientierten Sozialroman Die Mietskaserne, der sein bekanntestes literarisches Werk bleiben wird. Zudem engagierte er sich in der Roten Studentengruppe, der Sozialistischen Arbeiterpartei und in der Eisernen Front. 1933 musste er nach Frankreich emigieren, während seine Schriften in Deutschland verboten und verbrannt wurden. Im französischen Exil war Noth in vielfältiger Weise publizistisch tätig, z.B. als Redaktionsmitglied der Cahiers du Sud. Auch politisch blieb er aktiv, z.B. 1939/40 als Verfasser von Flugblättern u.ä. Propagandamaterial für das französische Informationsministerium gegen die deutschen Truppen. 1940 ging er in den Untergrund. 1941 folgte die Emigration in die USA, wo er 1942 Leiter der deutschsprachigen Kurzwellensendungen der National Broadcasting Company (NBC) wurde. 1944/45 verrichtete er bei der U.S.  Naval Reserve seinen Kriegsdienst. 1948 wurde er in die USA eingebürgert. Noth siedelte 1963 nach Frankreich über und re-emigrierte schließlich 1971 in die Bundesrepublik Deutschland. Er starb am 15.1.1983 in Bensheim an der Bergstraße.

1929-1933 Studium der Germanistik, Philosophie, Geschichte, Soziologie und Psychologie an der Universität Frankfurt am Main
1933 Das Promotionsverfahren (ursprünglich betreut durch Hans Naumann und Franz Schultz) kann in Frankfurt wegen Noths Emigration und seiner anschließenden Relegation von der Universität Frankfurt am Main nicht durchgeführt werden. In seiner Studentenakte findet sich der Vermerk, dass Noth vom Akademischen Senat am 27. Juli 1933 wegen Betätigung im kommunistischen Sinne vom weiteren Studium ausgeschlossen worden sei. Sein Abgangszeugnis datiert auf den 2. November 1933
1949-1959 Professor of Modern Languages and Comparative Literature an der University of Oklahoma in Norman
1959-1963 Professor of Modern Languages an der Marquette University in Milwaukee, Wisconsin
1964-1966Gastprofessor an der Université de Provence Aix-Marseille und am Institute for American Universities in Aix-en-Provence (Frankreich)
1969-1970 Gastprofessor an der Université Paris III
1971 Das Promotionsverfahren an der Universität Frankfurt am Main wird nach beinahe 40 Jahren wieder aufgenommen. Promotion mit der Dissertation: "Die Gestalt des jungen Menschen im deutschen Roman der Nachkriegszeit"
1971-1973 Gastprofessor am Deutschen Seminar der Universität Frankfurt am Main
1974-1980 Honorar-Professor an der Universität Frankfurt am Main

Akademische und essayistische Schriften

  • Die Gestalt des jungen Menschen im deutschen Roman der Nachkriegszeit. Inaugural-Disseration vorgelegt von Paul Krantz (d.i. Ernst Erich Noth), Frankfurt am Main 1933 (Erstausgabe Bensheim an der Bergstraße 2001)
  • La tragédie de la jeunesse allemande. Paris 1934
  • Sang viennois, in: Europe 136 (April 1934), S. 573-584
  • La littérature et la société allemande dans la période d'après-guerre, in: Europe 137 (Juli 1934), S. 436-444
  • Expérience nationaliste, in: Europe 141 (Sept. 1934), S. 67-80
  • Le quatrième reich, in: Europe 145 (Jan. 1935), S. 113-119
  • Les soldats du Marais par Wolfgang Langhoff, in: Cahiers du Sud 177 (Nov. 1935), S. 780-784
  • L'Ascétisme dans la jeunesse présente [Discours fait à Pontigny. Troisième décade été 1935, übers. von G. Bianquis], in: Cahiers du Sud 179 (Jan. 1936), S. 5-17
  • Carl von Ossietzky. Prix Nobel, in: Cahiers du Sud 190 (Jan. 1937), S. 39-41
  • L'homme contre le partisan. Paris 1938
  • Les pseudo-religions politiques, in: La Vie Intellectuelle (25. Juni 1938), S. 367-382
  • Deux romanciers allemands devant la guerre. Hans Carossa et Arnold Zweig, in: Vendredi  144 (Aug. 1938), S. 5
  • La Guerre pourrie. La plus petite France. New York 1942 / Montréal 1942
  • Ponts sur le Rhin. New York 1947 (in englischer Übersetzung 1948)
  • Georges Bernanos 1888-1948 [Nachruf], in: Books Abroad (Winter 1949), S. 19-24
  • The Prophetism of G. Bernanos, in: Yale French Studies 4 (1950), S. 105-119
  • André Gide, in: Books Abroad XXV,2 (Frühling 1951), S. 105-108
  • The Struggle for Gide's Soul, in: Yale French Studies 7 (1951), S. 12-20
  • In der vermeintlichen Hochburg des Liberalismus. Wie man im Frankfurt der dreißiger Jahre studierte [Auszug aus den "Erinnerungen eines Deutschen"], FAZ vom 20. Nov. 1971
  • Die Exilsituation in Frankreich, in: Die deutsche Exilliteratur 1933-1945, hg. von Manfred Durzak. Stuttgart 1973, S. 73-88

Romane

  • Die Mietskaserne. Roman junger Menschen. Frankfurt am Main 1931 (u.a. übersetzt 1934 ins Englische und 1935 ins Französische)
  • Der Einzelgänger. Zürich 1936 (übersetzt 1936 ins Französische)
  • La voie barrée. Paris 1937 (rückübersetzt ins Deutsche von Ernst Erich Noth, Frauenfeld 1982)

Autobiographische Schriften

  • Erinnerungen eines Deutschen · Die deutschen Jahre. (Erste vollständige Ausgabe nach dem Originalmanuskript), hg. von Lothar Glotzbach. Frankfurt am Main 2009
  • Erinnerungen eines Deutschen · Die französischen Jahre. (Erste vollständige Ausgabe nach dem Originalmanuskript), hg. von Lothar Glotzbach. Frankfurt am Main 2011
WiSe 1972/73

Roman einer Zeitenwende: Theodor Fontane „Der Stechlin“

Deutsche Exilliteratur in den Vereinigten Staaten

Literaturwissenschaft als Gesellschaftswissenschaft (Kolloquium)

SoSe 1973

Der europäische Roman des 19. Jahrhunderts

Der Berlin-Roman

Literaturwissenschaft als Gesellschaftswissenschaft (Kolloquium)

WiSe 1973/74

Die Österreich-Romane Joseph Roths, Robert Musils und Heimito von Doderers

Die Chansons, Moritaten und Bänkellieder der „Zwanziger Jahre“ (Brecht, Tucholsky, Mehring, Kästner u.a.)

Probleme der Exilforschung (Kolloquium)

SoSe 1974

Werke und Wege deutscher Exilautoren 1933-1945

Heinrich Manns Henri Quatre-Romane

Probleme der Exilforschung II (Kolloquium)

WiSe 1974/75

Werke und Wege deutscher Exilautoren II

Goethes „Wilhelm Meister“-Romane

Memoirenliteratur deutscher Exilautoren

Doktorandenkolloquium

SoSe 1975

„Einzelgängertum“ und „Gesellschaft“ in Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“

Die Romane der „Neuen Sachlichkeit“

Hermann Brochs Exilroman „Der Tod des Vergil“

Doktorandenkolloquium

WiSe 1975/76

Fontanes Roman einer Zeitenwende: „Der Stechlin“

Thomas Manns Ideologieroman „Der Zauberberg“

Goethes „Faust“

SoSe 1976

Goethes Erstroman „Die Leiden des jungen Werthers“

Thomas Manns Künstlernovellen „Tonio Kröger“, „Tristan“ und „Tod in Venedig“

Probleme der „Faust“-Deutung

Kolloquium für Doktoranden und Magister-Kandidaten

WiSe 1976/77

Generationsrevolte und Gesellschaftsprotest in Schillers „Empörer“-Drama „Die Räuber“

Heinrich Manns Wilhelminische Romansatiren „Prof. Unrat“, „Der Untertan“

Kolloquium für Doktoranden und Magister-Kandidaten

SoSe 1977

Goethes „Novellen“-Roman „Die Wahlverwandtschaften“

Der deutsche Schulroman seit 1900

Politik und Literatur. Am Beispiel Exilschrifttum

Kolloquium für Doktoranden und Magister-Kandidaten

WiSe 1977/78

Das bürgerliche Trauerspiel: Die Beispiele „Emilia Galotti“ und „Kabale und Liebe“

Alfred Döblins Großstadtroman „Berlin Alexanderplatz“

„Doktor Faustus“: Thomas Manns „deutsche Weheklag“ aus dem Exil

Kolloquium für Doktoranden und Magister-Kandidaten

SoSe 1978

„Frau Jenny Treibel“. Fontanes Roman einer Berlin-Bourgeoise des Wilhelminismus

Werther und die Folgen. Thomas Manns „Lotte in Weimar“

Das Bild des Exils und des Emigranten in drei Exilromanen (K. Mann „Der Vulkan“, L. Feuchtwanger „Exil“, H. Sahl „Die Wenigen und die Vielen“)

Kolloquium für Doktoranden und Magister-Kandidaten

WiSe 1978/79

Goethes Popularepos „Hermann und Dorothea“

Thomas Manns „Dekadenz“-Roman „Buddenbrooks“

Weltzeugnis und Selbstverklärung: Goethe - Dichtung und Wahrheit

Kolloquium für Doktoranden und Magister-Kandidaten

SoSe 1979

Goethe im Sturm und Drang

Kleists „Michael Kohlhaas“

Faust in der Weltliteratur

Kolloquium für Doktoranden und Magister-Kandidaten

WiSe 1979/80

Deutsche Schriftsteller im Exil (1933 bis heute) (Vorlesung)

Begleitveranstaltung zur Vorlesung

Kolloquium für Doktoranden und Magister-Kandidaten

SoSe 1980

Deutsche Schriftsteller im Exil II (Vorlesung)

Begleitveranstaltung zur Vorlesung

Kolloquium für Doktoranden und Magister-Kandidaten

Ernst Erich Noth; Bildnachweis für den Aufriss: glotzi-Verlag

Späte Anerkennung: die Migrationen Ernst Erich Noths von Frankfurt nach Frankfurt

Ernst Erich Noth gehört zu den wenig bekannten Literaturwissenschaftlern aus Frankfurt. Die Machtergreifung der Nazis hinderte ihn an der beinahe abgeschlossenen Promotion beim Germanisten Franz Schultz. Karriere machte er im Ausland: zuerst in Frankreich als regelmäßiger Beiträger wichtiger Literaturzeitschriften, danach in den USA, wo er nach dem Zweiten Weltkrieg Professuren für germanistische und vergleichende Literaturwissenschaft erhielt. Noths Beispiel zeigt beispielhaft die Möglichkeiten, die die Universität Frankfurt mit dem Weggang der Emigranten 1933 verpasste. Noth arbeitete in seiner Dissertation zur Literatur der Weimarer Republik, also zu einem zeitgenössischen Thema, an dem er ein vergleichbar engagiertes Interesse hegte, wie dies spätere Studentengenerationen in den 1960er und 1970er Jahren taten. Er sah, wie wir heute, im Ersten Weltkrieg die Ursünde des 20. Jahrhunderts und erkannte sehr früh, nämlich bereits Anfang der 1930er Jahre, dass der Nationalsozialismus dabei war, den "Kampf" um die Jugend des Landes gegen die progressiven Kräfte der Weimarer Republik zu gewinnen. Das Generationenmodell, mit dem heute das Aufkommen des Nationalsozialismus als Konsequenz des Ersten Weltkriegs analysiert wird, hatte er ebenfalls bereits so deutlich vor Augen, dass er seine Doktorarbeit daran anlehnte. Als ihm endlich die verdiente Doktorwürde von der Universität Frankfurt mit bald 40jähriger Verspätung verliehen wurde, war dies für ihn sicherlich eine persönliche Genugtuung. Die Universität Frankfurt, die ihn endlich 1971 als einen der ihren anerkannte, gewann mit ihm einen Vertreter des deutschen Exils in Frankreich und den USA, der mit vielen Autoren, über die er in den Seminaren der 1970er Jahre mit Frankfurter Studierenden diskutierte, noch persönlich bekannt gewesen war. In einer Zeit, in der in der Bundesrepublik die Exilliteratur als Forschungsgegenstand eine immer größere Rolle spielte, war der ehemalige Exilant Noth nun höchst willkommen.
 

...„Steglitzer Schülertragödie“

Die Steglitzer Schülertragödie war Anlass zu einem der größten Sensationsprozesse in der Weimarer Republik. Noth war – damals noch unter dem Namen Paul-Albert Krantz – in diesen Mordfall verwickelt. Im ersten Teil seiner Autobiographie, den Erinnerungen eines Deutschen, beginnt die Schilderung des Falls mit folgenden Worten: „Dies Kapitel sollte ein anderer als ich schreiben. In eigener Sache ist kein selbstvereidigter Angeklagter schlechthin glaubwürdig, meinte er es noch so ehrlich.“ [Weiterlesen]
 

...die germanistischen Lehrer

In seiner Autobiographie erinnert sich Noth an sein Germanistik-Studium in Frankfurt bzw. seine literaturwissenschaftlichen Lehrer. Neben den Ordinarien Hans Naumann und Franz Schultz waren das Martin Sommerfeld und Max Kommerell. [Weiterlesen]
 

..."Jup und Adolf" – eine Exilschrift

"Jup und Adolf" ist eine in aktueller Absicht geschriebene satirische Abwandlung des Kinderbuches Max und Moritz von Wilhelm Busch, die 1943 von Ernst-Erich Noth in New York als Radiobeitrag für die NBC verfasst wurde. [Weiterlesen]

 

 

Blicke von außen

Ernst-Erich Noth hat sich in seinen Memoiren in aller Ausführlichkeit selbst zu seinem Werk geäußert. Zu ihm, seiner schriftstellerischen Tätigkeit und seinem akademischen Werdegang gibt es aber auch eine größere Anzahl von Porträts, Beiträgen zu Sammelbänden und Zeitschriftenartikeln anderer Autoren, die die Lektüre lohnen. [Weiterlesen]

Essay

Ernst Erich Noth – Studienzeit in Frankfurt
von Luise Mieder

„Akademische Gründe waren für meine Wahl Frankfurts als Universitätsstadt nicht unmittelbar ausschlaggebend gewesen. Allerdings hätte ich es in dieser Hinsicht woanders kaum besser treffen können“. [Weiterlesen]

 

 

Das Porträt von Ernst Erich Noth wurde erstellt von Nadine Beheim, Ismihan Boyoglu, Frank Estelmann, Luise Mieder, Carmen Tanzer und Bernd Zegowitz