Logo Frankfurter Literaturwissenschaftler 1914-1945

Wilhelm Emrich


Wilhelm Emrich wurde am 29. November 1909 in Nieder-Jeutz bei Diedenhofen (heute Thionville in Lothringen) geboren. Seine Eltern waren Friedrich Emrich, Reichsbahnobersekretär, und Helene Emrich, geb. Becker. Emrich zog sich in seinem zweiten Lebensjahr durch eine Kinderlähmung eine Gehbehinderung zu. Er besuchte die Volksschule in Straßburg (Elsaß) und die Oberrealschule in Mainz. 1934 wurde Emrich Blockleiter der NSDAP, ein Jahr später offizielles Mitglied der Partei und im Jahre 1941 zum Zellenleiter der NSDAP ernannt. Von 1942 bis 1944 war er Referent der Abteilung Schrifttum des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda in Berlin und besuchte nebenbei den Vorbereitungsdienst an den Staatlichen Studienseminaren in Leipzig und Berlin. 1944 legte Emrich das Pädagogische Staatsexamen für das höhere Lehramt in Berlin ab. Im Herbst 1945 wurde er für acht Monate aus politischen Gründen (NS-Vorwürfe) inhaftiert. Nach seiner Entnazifizierung 1948 in Hünefeld arbeitete er von 1948 bis 1952 an verschiedenen deutschen Schulen als Studienassessor. Mit seiner ersten Ehefrau Lina Helene Emrich, geborene Hinderks (1902-1993), hatte er einen Sohn, Hinderk Meiners Emrich (*1943). 1977 heiratete Wilhelm Emrich seine zweite Ehefrau Waltraut Hildegard, geborene Schmidt (1911-1979). Emrich war Baptist. Er starb am 7. August 1998 in Berlin.

1929-1933Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Frankfurt
1933Promotion in Frankfurt am Main mit der Arbeit „Paulus als literarische Figur“ bei Franz Schultz (bis Anfang 1933 betreut von Martin Sommerfeld)
1934-1938 Lektor der Akademie zur Wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums, Deutsche Akademie München in Kragujevac (Serbien), Dupnitza (Bulgarien) und Agram / Zagreb (Kroatien)
1935Wissenschaftliches Staatsexamen für das höhere Lehramt an der Universität Frankfurt am Main
1938-1941Habilitationsstipendium des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung
1941der erste Habilitationsversuch in Frankfurt am Main mit der Arbeit „Entstehung und Wesen der Bild- und Problemschichten in Goethes Faust II“ wird durch die Philosophische Fakultät abgelehnt
 1944erfolgreiche Habilitation in Berlin mit der Arbeit „Die Symbolik von Faust II. Sinn und Vorformen“
1949

 

Venia Legendi (Lehrberechtigung) für Deutsche Philologie an der Universität Göttingen

1952-1953 wissenschaftlicher Assistent an der Universität Göttingen
1953-1956 außerordentlicher Professor für Neuere deutsche Philologie an der Universität Köln
1956-1959 Professor für Neuere Deutsche Philologie an der Universität Köln
1959-1978 ordentlicher Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin
1961Max-Kade-Professor an der Princeton-Universität in Princeton (New Jersey / USA)
1963/1967Gastvorlesungen an amerikanischen Universitäten

Monographien und Sammelbände

  • Paulus im Drama. Berlin / Leipzig 1934 (= Stoff- und Motivgeschichte der deutschen Literatur, Bd. 13)
  • Die Symbolik von Faust II. Sinn und Vorformen. Berlin 1943 (2. durchges. Aufl. Frankfurt am Main/Bonn 1957; 3. Aufl. 1964)
  • Franz Kafka. Frankfurt am Main / Bonn 1957 / 58 (7. Aufl. 1970)
  • Protest und Verheißung. Studien zur klassischen und modernen Dichtung. Frankfurt am Main 1960 (3. durchges. Aufl. 1968)
  • Geist und Widergeist. Wahrheit und Lüge in der Literatur. Studien. Frankfurt am Main 1965
  • Polemik. Streitschriften, Pressefehden und kritische Essays um Prinzipien, Methoden und Maßstäbe der Literaturkritik. Frankfurt am Main 1968
  • Poetische Wirklichkeit. Studien zur Klassik und Moderne. Wiesbaden 1979
  • Deutsche Literatur der Barockzeit. Königstein im Taunus 1981

Artikel

  • Thomas Mann spricht. Ein kritischer Beitrag zur Krise des Bürgertums. In: Buch- und Kunstrevue, hg. von Franz Goldstein. Gratisbeilage der Wirtschaftskorrespondenz für Polen. Kattowitz 10.01.1931
  • Vom Beruf des Schriftstellers in unserer Zeit. In: Buch- und Kunstrevue, hg. von Franz Goldstein. Gratisbeilage der Wirtschaftskorrespondenz für Polen. Kattowitz Juli 1931
  • Politische Jugend? In: Buch- und Kunstrevue, hg. von Franz Goldstein. Gratisbeilage der Wirtschaftskorrespondenz für Polen. Kattowitz 23.02.1932
  • Verratene Jugend. In: Buch- und Kunstrevue, hg. von Franz Goldstein. Gratisbeilage der Wirtschaftskorrespondenz für Polen. Kattowitz 10.12.1932
  • Grabbe oder der Bürger als Genie. // Zur Genealogie des Jugendstils. // Richard Dehmels Traumnovellen. // Mythos des 19. Jahrhunderts. Zu Thomas Manns „Leiden und Größe Richard Wagners. Gesammelt erschienen als Reflexionen 1933 / 34 U. d. T.  Ladenhüter. In: Zeugnisse. Theodor W. Adorno zum 60. Geburtstag, hg. von Max Horkheimer. Frankfurt am Main 1963, S. 213-224
  • Geschichte und Existenz. Besprechung des Buches von Kurt Adolf Mautz. Die Philosophie Max Stirners im Gegensatz zum Hegelschen Idealismus. Berlin 1936. Erschienen in: Geistige Arbeit. Nr.2. 20.01.1937
  • Begriff und Symbolik der „Urgeschichte“ in der romantischen Dichtung. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Jg. 20. 1942, S. 273-304
  • Der Einbruch des Judentums in das wissenschaftliche und fachliche Denken. Aufsatz in: Das Deutsche Fachschriftentum. 1943, Heft 4 / 6, S. 1-3
  • Literatur-Revolution 1910-1925. In: Protest und Verheißung. Studien zur klassischen und modernen Dichtung, hg. von Wilhelm Emrich. Frankfurt am Main 1960, S. 135-147
  • Der Terror des Mythischen im technischen Zeitalter. In: Sprache im technischen Zeitalter, hg. von Walter Höllerer, Nr. 4, 1962, S. 320-327
  • Dichterischer und politischer Mythos. Ihre wechselseitigen Verblendungen. In: Akzente. Jg. 10. 1963, S. 191-210
  • Avantgarde des Mittelmaßes. In: Die Welt der Literatur, Jg. 1, Nr. 5. Hamburg 14.05.1964
  • Warum mündige Menschen so rar sind. In: Die Welt der Literatur. Jg. 1, Nr. 17. Hamburg 29.10.1964
  • Kunst contra Ideologie. In: Die Welt der Literatur. Jg. 1, Nr. 19. Hamburg 26.11.1964
  • Im Irrenhaus der Weltgeschichte, o. J. [ca. 1965]. In: Wir erlebten das Ende der Weimarer Republik. Zeitgenossen berichten, hg. von Rolf Italiaander. Düsseldorf 1982, S. 39-40

Herausgeberschaften

  • Arno Holz. Werke, hg. von Wilhelm Emrich und Anita Holz. 7 Bde. Neuwied / Berlin 1961-1964
  • Carl Sternheim. Das Gesamtwerk, hg. von Wilhelm Emrich. Ab Band 8 unter Mitarbeit von Martin Linke. 10 Bde. Neuwied / Berlin 1963-1976
  • Ricarda Huch. Gesammelte Werke, hg. von Wilhelm Emrich. Unter Mitarbeit von Bernd Balzer. 11 Bde. Köln / Berlin 1966-1974

Wilhelm Emrich hat nicht an der Universität Frankfurt gelehrt.

Portrait von Wilhelm Emrich (1935)

Wilhelm Emrich (1935); Aufriss aus: "Wir erlebten das Ende der Weimarer Republik. Zeitgenossen berichten." Hrsg. Rolf Italiaander. Düsseldorf 1982, S. 39

Ein Liebhaber der Extreme

Ein Spezialist der Klassik genauso wie der Moderne, nie um eine extreme, polarisierende Meinung verlegen und immer auf der Suche nach nicht weniger als dem inneren Wesen und den übergreifenden Prinzipien literarischer Werke – das war Wilhelm Emrich. Dabei suchte er sich selten politisch neutrale Themen aus, sondern positionierte sich mit Vorliebe als Verfechter der Meinungsfreiheit, der modernen Literatur und moderner wissenschaftlicher Ansätze. Alles deutete auf eine linksintellektuelle Vorzeigekarriere hin. Umso mehr irritiert da der Umstand, dass seine Haltung während der Zeit des Nationalsozialismus’ mit diesem freigeistlichen Engagement überhaupt nicht zusammenpasst. Eine literaturwissenschaftliche Persönlichkeitsspaltung im Dienste des akademischen Karrierestrebens – kein Einzelfall und doch in all seiner extremen Widersprüchlichkeit einzigartig.
 

…Studienzeit – Promotion – erstes politisches Engagement

Von 1929 bis 1933 studierte Wilhelm Emrich an der Frankfurter Universität Germanistik, Geschichte und Philosophie. Sein Interesse galt dabei vor allem den damals noch jungen linksintellektuellen Lichtgestalten Theodor W. Adorno, Paul Tillich und Martin Sommerfeld, bei dem Emrich seine Dissertation schrieb. Als dieser 1933 emigrierte, wurde die Arbeit von Franz Schultz betreut. Politisch stand Emrich links: Er war ein führendes Mitglied der Roten Studentengruppe und der linkssozialen SAP.  [Weiterlesen]
  

…Karriere im Nationalsozialismus

Erstaunlich ist, dass Emrich trotz seiner engagierten linkspolitischen Ausrichtung im Studium und trotz seiner wissenschaftlichen Prägung durch die junge Frankfurter Schule im Jahr 1938 ein Habilitationsstipendium durch das Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung gewährt bekam.  [Weiterlesen]
 

…„Der Urfreund“ – ein Schlüsselroman

1996 geriet Wilhelm Emrichs Ruf als weltoffener Kenner der literarischen Moderne und ehemaliger begeisterter Schüler der ersten Stunde der jungen Frankfurter Schule heftig ins Schwanken. Sein ehemaliger Studienfreund Kurt Mautz veröffentlichte den Roman „Der Urfreund“. Für Kenner wird schnell ersichtlich, welche Biographien sich hinter den Hauptfiguren Friedrich Kreifeld und Ernst Ronge verbergen. [Weiterlesen]
 
   

Im Blick der Nachwelt

„Wir waren damals dem Hakenkreuz und auch einander gegenüber sieben Aufrechte, und wir sind alle (außer Cunz) noch immer am Leben: das ist vielleicht das Erstaunlichste an der Sache. Offenbar stimmt es doch nicht unbedingt, daß man in ihr umkommt, wenn man sich in Gefahr begibt.“ [Weiterlesen]

Essay

Emrichs antisemitischer Essay „Der Einbruch des Judentums in das wissenschaftliche und fachliche Denken“ und die Folgen

von Barbara Hölscher

Seit der Veröffentlichung des Schlüsselromans „Der Urfreund“ von Kurt Mautz im Jahre 1996 schlug die daraus resultierende Wiederentdeckung von Emrichs antisemitischem Essay „Der Einbruch des Judentums in das wissenschaftliche und fachliche Denken“ von 1943 hohe Wellen. [Weiterlesen]

  

Das Porträt von Wilhelm Emrich wurde zusammengestellt von Barbara Hölscher