Der Ton als Zugang zur Geschichte der Goethe-Universität im Dritten Reich

Informationen zur Veranstaltung

Dozentin: Dr. Muriel Favre
Veranstaltungsart: Übung
Semester: WiSe 2013/14
Fachbereich / Institut: Philosophie und Geschichtswissenschaften (FB 08), Historisches Seminar

Das Thema

von Dr. Muriel Favre

Für die Geschichte der Goethe-Universität ist er ein wichtiger Mann: Ernst Krieck, 1882 geboren, 1947 in Internierungshaft gestorben, erster NS-Rektor der Universität, erster NS-Universitätsrektor überhaupt. Dank der Arbeiten von Historikern und Pädagogen (Notker Hammerstein, Gerda Stuchlik und Benjamin Ortmeyer) sind Kriecks Leben und Werk als gut erforscht anzusehen. Hervorgehoben seien hier nur seine Berufung auf den Lehrstuhl für Pädagogik der Goethe-Universität am 25. April 1933 und seine Wahl zum Rektor am 26. April, welcher am 23. Mai eine öffentliche Amtsübernahme im Frankfurter Opernhaus folgte, sowie schließlich sein Wechsel nach Heidelberg auf den Lehrstuhl für Philosophie und Pädagogik zum 1. April 1934.

Weitgehend unbekannt dürfte indessen sein, dass von Ernst Krieck zwei Originaltonaufnahmen überliefert worden sind. Die erste Rede hielt Krieck am 22. März 1933 auf dem Frankfurter Römerberg im Rahmen einer Kundgebung des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ (Gau Hessen-Nassau), bei der zweiten handelt es sich um die Rede zur Rektoratsübergabe vom 23. Mai 1933.

Beide Reden wurden von der Frankfurter Sendegesellschaft, der Südwestdeutschen Rundfunk GmbH, live übertragen, parallel zur Ausstrahlung mitgeschnitten und dann auch archiviert. Die Tondokumente befinden sich heute im Deutschen Rundfunkarchiv Frankfurt am Main. Sie werden in der Hörfunkdatenbank der ARD unter den Archivnummern K000735074 bzw. K000735117 nachgewiesen und sind 18’22 und 37’46 lang.

Die „Rektoratsrede“ vom 23. Mai 1933 wurde noch im selben Jahr in der Reihe „Frankfurter akademische Reden“ unter dem Titel „Die Erneuerung der Universität“ veröffentlicht und ist seitdem in dieser Form zugänglich. Anders verhält es sich mit der Rede vom 22. März 1933. Von ihr existieren offensichtlich weder eine Druckfassung noch irgendeine inhaltliche Wiedergabe wie zum Beispiel in der Presse. Ein Urteil über die Bedeutung dieser Rede sei den Spezialisten überlassen. Schön wäre es allerdings, wenn die vorliegende Präsentation ein Dokument zur Verfügung stellte, von dessen Existenz bisher niemand gewusst hatte.

Muriel Favre, Das Thema, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 14.08.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/ton/.

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Methodisches Vorgehen im Umgang mit historischen Tondokumenten

von Dr. Muriel Favre

Die Freude, zwei von der Forschung bisher außer Acht gelassene Tondokumente wiederentdeckt zu haben, wich schnell einer tiefen Ernüchterung: Wie sollte man diese Tondokumente handhaben? Klänge und Töne sind omnipräsente Elemente unserer sinnlichen Umwelt. Meist fehlt jedoch in der traditionell auf schriftliche Quellen fixierten historischen Forschung das Bewusstsein für die Relevanz der Akustik und des Hörsinns. Für die Geschichte des 20. Jahrhunderts heißt dies vor allem, dass Audioquellen, obwohl zahlreich vorhanden, in wissenschaftlichen Arbeiten nur wenig herangezogen werden. [Weiterlesen]

Die vorliegende Präsentation

von Dr. Muriel Favre

Alle Studentinnen und Studenten haben sich auf das Experiment eingelassen. Die Ergebnisse, die in der vorliegenden Präsentation dargestellt werden, wurden von jedem Einzelnen erarbeitet – wobei jedoch die Früchte des regen Austausches, den wir im Laufe des Semesters hatten, jedes Mal mit eingeflossen sein dürften. Aus diesem Grund muss die Präsentation letztlich als ein Kollektivwerk verstanden werden.

Zwei Tonausschnitte bieten Höreindrücke an. Wer sich für die vollständigen Reden interessiert, kann diese gerne lesen. Lars Stockmann hat die erste Rede transkribiert; für die zweite haben wir auf die zeitgenössische Druckfassung zurückgegriffen. Einen Einstieg in das Thema bietet Jan de Fijters Beitrag, der die Bedeutung von Tonquellen für die historische Forschung beleuchtet.

Alle anderen Beiträge gehen direkt auf Ernst Kriecks Reden ein. Bedriye Gürel schildert den allgemein-historischen Kontext und die Geschichte der Goethe-Universität bis 1933, Daniel Patzer befasst sich mit dem „Kampfbund für deutsche Kultur“ und den rundfunkhistorischen Kontext fasst Monica Denz zusammen. Eva Schmidt geht der Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der Tonaufnahmen nach. Saraj Vainstain setzt sich am Beispiel der Rede vom 22. März 1933 mit Inhalt und Ton auseinander. Lars Stockmann und Daniel Patzer machen schließlich in zwei Erfahrungsberichten auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die mit der Arbeit an historischen Tondokumenten verbunden sind, unterstreichen aber auch das Potenzial, das eine solche Arbeit birgt.

So sehr sich jeder von uns bemüht hat, sein Thema befriedigend zu behandeln: Weil Audioquellen erst jetzt als eigene Quellengattung entdeckt werden und die Geschichtswissenschaft auf diesem Gebiet demensprechend noch kaum Erfahrungen vorzuweisen hat, kann die vorliegende Präsentation nicht mehr als erste Ansätze liefern. Dies geschieht mit dem Wunsch, dass selbige Ansätze von künftigen Forschungsarbeiten aufgegriffen und weiterentwickelt werden mögen.

Muriel Favre, Die vorliegende Präsentation, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 14.08.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/ton/.

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Dokumente

Rede Ernst Kriecks auf einer Veranstaltung des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ (Gau Hessen-Nassau) auf dem Frankfurter Römerberg am 22. März 1933

Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main K000735074

Transkription der Rede
von Lars Stockmann

„Volksgenossen! Jahrhunderte schauen herab auf diese Stu (.) diese Tage deutscher Sonnenwende, deutscher Schicksalswende. Fast über Verstehen (?) groß ist die Stunde. Mit aller Wucht ist sie uns aber in unser Bewusstsein gekommen, aus der unvergesslichen Rede, die gestern (.) der Kanzler des Dritten Reiches am Grabe Friedrichs des Großen gesprochen hat. Er hat mit dieser Rede einen neuen Abschnitt deutscher Geschichte (.), deutscher Volkwerdung eingeleitet. Wir haben eine Schwelle überschritten. Der März 1933 wird ewig leben im Gedenken des deutschen Volkes.“ [vollständige Transkription lesen]

Rede Ernst Kriecks zur Rektoratsübergabe am 23. Mai 1933 im Frankfurter Opernhaus

Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main K000735117

Text der Rede

„Volksgenossen! Erlauben Sie mir auch an dieser Stelle die schlichte Anrede, die nicht hoch und nieder unterscheidet, die nicht nach Ansehen und Lebensstellung Anschau hält, sondern alle zusammenfaßt in der Einheit des Volkes der Arbeit, wie wir es am 1. Mai, am Tage der nationalen Arbeit“, allesamt besiegelt haben. Erneut wollen wir mit diesem Festtag der Johann Wolfgang Goethe-Universität bekunden, daß wir uns als Universität in das breite Volkstum, in das völkische Geschehen und Schicksal mitten hineinstellen zur Arbeits- und Kampffront mit allen Volksgenossen.“ [vollständige Druckfassung lesen]

Beiträge

Heart sound 110bpm

Warum sind Tondokumente ein wichtiger Zugang zur Geschichte?
von Jan de Fijter

Ohne genaue Kenntnis seiner Vergangenheit fehlt dem Menschen etwas Wesentliches in seinem Selbstverständnis. Die Erforschung seiner eigenen Geschichte ist also unabdingbar, wenn der Mensch sich selbst begreifen möchte. Daher nimmt die Beschäftigung mit der Geschichte in den Etats der westlichen Zivilisationen eine bedeutende Position ein. Der Zugang zum Studium der Geschichte erfolgt im Wesentlichen über Text- und Bildquellen. Dass auditive Quellen bisher fast völlig ausgeblendet wurden, ist umso bemerkenswerter, wenn man die Tatsache bedenkt, dass der noch werdende Mensch die Welt im Mutterleib zuerst über das Ohr wahrnimmt. [Weiterlesen]

Bundesarchiv Bild 183-R24765, Prof. Dr. Ernst Krieck

Ernst Krieck und die Johann Wolfgang Goethe-Universität
von Bedriye Gürel

Ernst Krieck (*6. Juni 1882; † 19. März 1947) besuchte von 1898 bis 1900 das Lehrerseminar in Karlsruhe und unterrichtete danach als Lehrer im Volksschuldienst. Schon sehr früh beschäftigte er sich mit literarisch-philosophischen Studien, nahm jedoch Distanz zu idealistisch-humanistischen, individualistisch-liberalen sowie materialistischen Denk- und Bildungstraditionen. Seine Arbeit bestimmte die Suche nach weltanschaulicher Neuorientierung und Leitbildern für Kultur, Nation und Gesellschaft. [Weiterlesen]

Goethe-Universität 1920er Jahre

Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main bis 1933
von Bedriye Gürel

Die Gründung der Goethe-Universität am 10. Juni 1914 war geprägt von dem Gedanken, eine unabhängige Lehranstalt ins Leben zu rufen. Bevor die Universität gegründet wurde, hatten Frankfurter Bürger im 18. und 19. Jahrhundert mehrere medizinische und naturwissenschaftliche Forschungsstätten ins Leben gerufen. Die Hochschule wurde als erste Stiftungsuniversität Deutschlands gegründet. [Weiterlesen]

Bundesarchiv Bild 146-1969-067-10, Alfred Rosenberg

Kampfbund für deutsche Kultur
von Daniel Patzer

Über die Gründung des Kampfbundes für deutsche Kultur wurde bereits auf dem dritten Reichsparteitag der NSDAP im August 1927 diskutiert. Um die „geistig Schaffenden“ für die Partei zu gewinnen, sollte eine Nationalsozialistische Wissenschaftliche Gesellschaft gegründet werden. Ziel war es, das Bild der NSDAP als „putschistische Radau und Krawallpartei“ (Jürgen Gimmel) zu beseitigen. [Weiterlesen]

Brief Ernst Kriecks vom 27. Mai 1933 [Quelle: Goethe-Universität Frankfurt am Main, Universitätsarchiv]

Die Goethe-Universität Frankfurt setzt bei der Rektoratsübergabe an Ernst Krieck auf die Wirkungsmacht des Rundfunks
von Monica Denz

Wie in zahlreichen anderen institutionellen (Bildungs-)Bereichen des sich etablierenden nationalsozialistischen Staates sollte die Gleichschaltung der Universität Frankfurt durch einen propagandistischen Amtsakt, die feierliche Amtseinführung des neu eingesetzten Rektors Prof. Dr. Ernst Krieck, demonstriert werden. Mit der Amtsübergabe des scheidenden Rektors Wilhelm Gerloff an Ernst Krieck am 23. Mai 1933 wurden ideologische nationalsozialistische Akzente gesetzt. [Weiterlesen]

Die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der Tonaufnahmen
von Eva Schmidt

Fast jeder kennt es. Man sitzt abends vor dem Fernseher und schaut zufällig eine Dokumentation, eine Reportage oder einen Spielfilm über ein historisches Ereignis. Es werden Szenen nachgestellt, Historiker interviewt, Schauplätze gezeigt und auch nicht selten originale Tonaufnahmen eingespielt. Gerade diese Tonaufnahmen verleihen dem Gezeigten einen Hauch von Authentizität. Welchen Weg Tonaufnahmen, besonders jene aus der Zeit vor und während des Zweiten Weltkriegs, hinter sich haben, bevor sie ins Ohr des Zuhörers gelangen, erfährt dieser meist nicht. Doch nicht nur der Ton erzählt eine Geschichte, auch der erhaltene Tonträger selbst hat eine Historie, die es sich zu betrachten lohnt. [Weiterlesen]

Frankfurter Altstadt, Blick zum Rönmer, um 1920

Analyse der Rede vom 22. März 1933 auf dem Frankfurter Römerberg
von Saraj Vainstain

Zu einer Rede gehört einiges mehr als der Text der Rede. Historiker des 20. Jahrhunderts haben sich bei der Redeanalyse auf diesen beschränkt. Will man jedoch eine Rede vollständig verstehen, dann gehört sehr viel mehr dazu. Der Redner selbst ist entscheidend, der Redeanlass, der Redeort, um nur einige zu nennen. Im Folgenden wird darauf eingegangen, welche Aspekte für die Analyse einer Rede von Belang sind. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Ton. Was gewinnen wir durch den technischen Fortschritt und somit die Überlieferung des Tons dazu? Welchen Mehrwert hat eine Tonaufnahme bei der Analyse im Vergleich zu der Textfassung einer Rede? Geschehen wird dies am Beispiel der Rede, die Ernst Krieck am 22. März 1933 im Rahmen einer Veranstaltung des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ auf dem Frankfurter Römerberg gehalten hat. [Weiterlesen]

Sound-icon

Erfahrungsbericht: Transkriptionen von Tonaufnahmen
von Lars Stockmann

Eine Textquelle ist unkomplizierter zitierbar, in einer digitalen Version ist sie leicht zu durchsuchen und mit wenigen Abstrichen in Hinblick auf die Sprache online auch in wenigen Sekunden übersetzt. Es spricht also einiges dafür, gerade in der Geschichtswissenschaft mit Texten zu arbeiten. Und dennoch stellt der Ton als vergleichsweise sehr neue Quellenart eine Bereicherung dar. Ton vermittelt die Emotionen des Sprechers. Während dem Zuhörer einer Tonaufnahme eine zittrige Stimme oder Stottern auffallen und in die Bewertung der Quelle mit einfließen können, bleiben die nicht durch Worte, sondern Stimme übermittelten Inhalte dem Leser eines Textes meist vorenthalten. Selbiges gilt für Zuschauerreaktionen, Hintergrundgeräusche und vieles mehr. [Weiterlesen]

Sound template

Erfahrungsbericht: Umgang mit historischen Tondokumenten
von Daniel Patzer

Beim Lesen der Modulbeschreibung dieses Moduls, zu Anfang des Semesters, konnte ich mir noch nicht sehr viel darunter vorstellen. Ich dachte mir, sich das Ganze anzuhören könnte sehr interessant werden, um später im Unterricht auch Tonaufnahmen als Medium für Quellen einsetzen zu können. Zu dieser Zeit wusste ich noch nicht, dass die Arbeit mit Tonquellen, gleich den schriftlichen oder bildlichen Quellen, einer Interpretation bedarf, die eigenen Regeln folgt. Für mich waren Tonaufnahmen lediglich eine Möglichkeit, den Schülerinnen und Schülern durch Abwechslung den Unterricht ein wenig angenehmer zu bereiten. Durch die intensive Arbeit mit Tonquellen wurden mir die Möglichkeiten, aber auch die Schwierigkeiten dieses Mediums erst bewusst. [Weiterlesen]

Nachweise

Bildnachweise

Bild 1: By A2569875 (Own work) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons
Bild 2: Bundesarchiv, Bild 183-R24765 / CC-BY-SA [CC-BY-SA-3.0-de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons
Bild 3: Goethe-Universität Frankfurt [Public domain], via Wikimedia Commons
Bild 4: Bundesarchiv, Bild 146-1969-067-10 / CC-BY-SA [CC-BY-SA-3.0-de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Common
Bild 5: Brief Ernst Kriecks an den Intendanten der Südwestdeutschen Rundfunk GmbH, Walter Bemeulburg, vom 27. Mai 1933, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Universitätsarchiv
Bild 6: Auszug aus: „Schallaufnahmen der Reichs-Rundfunk GmbH von Ende 1929 bis Anfang 1936“, Berlin 1936, S. 358, Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main.
Bild 7: Wikimedia Commons
Bild 8: By Crystal SVG icon set (Derivative work from Silsor's versio) [LGPL (http://www.gnu.org/licenses/lgpl.html)], via Wikimedia Commons
Bild 9: By Oxygen Team ([1]) [GPL (http://www.gnu.org/licenses/gpl.html)], via Wikimedia Commons, via Wikimedia Commons

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