Erfahrungsbericht: Transkriptionen von Tonaufnahmen

von Lars Stockmann

 

Eine Textquelle ist unkomplizierter zitierbar, in einer digitalen Version ist sie leicht zu durchsuchen und mit wenigen Abstrichen in Hinblick auf die Sprache online auch in wenigen Sekunden übersetzt. Es spricht also einiges dafür, gerade in der Geschichtswissenschaft mit Texten zu arbeiten. Und dennoch stellt der Ton als vergleichsweise sehr neue Quellenart eine Bereicherung dar. Ton vermittelt die Emotionen des Sprechers. Während dem Zuhörer einer Tonaufnahme eine zittrige Stimme oder Stottern auffallen und in die Bewertung der Quelle mit einfließen können, bleiben die nicht durch Worte, sondern Stimme übermittelten Inhalte dem Leser eines Textes meist vorenthalten. Selbiges gilt für Zuschauerreaktionen, Hintergrundgeräusche und vieles mehr.

Abhängig vom Forschungsbereich bieten beide Medien Vor- und Nachteile, manchmal ist aber auch schlichtweg nur eine der beiden Quellenarten vorhanden, wie bei der Rede, die Ernst Krieck am 22. März 1933 auf dem Frankfurter Römerberg gehalten hat und von welcher nur das Tondokument vorhanden ist. An dieser Stelle möchten wir Ihnen kurz einen Einblick in den Prozess der Transkription und in die Erfahrungen, die wir dabei machen durften, geben.

Eine Transkription versucht, zwischen Ton- und Textdokument eine Brücke zu schlagen und die jeweiligen Vor- und Nachteile auszugleichen. Sie ist kein reiner Fließtext, sondern versucht möglichst getreu in dem Tondokument Enthaltenes mitsamt Versprechern, Pausen und Publikumsreaktionen zu verschriftlichen. In der vorliegenden Transkription wurde, der besseren Lesbarkeit wegen, an Stellen, an denen bei einem Fließtext ein Komma stehen würde, auch tatsächlich ein Komma gewählt. An anderen Stellen wird mit „(.)“ auf eine kürzere Pause, mit „(..)“ auf eine längere Pause des Redners hingewiesen. Für Tonstellen, bei welchen das gesprochene Wort nicht klar identifizierbar ist, wurde „(?)“ als Platzhalter gewählt. Auf weitere Kennzeichnungen für Lautstärke oder Tonhöhe wurde verzichtet. Eine Transkription ist also immer eine Reduktion und der Transkribierende entscheidet, welche Informationen er für wichtig hält. Im Rahmen des Projektes entstand eine Transkription der Rede.

Sound-icon

Quelle: By Crystal SVG icon set (Derivative work from Silsor's versio) [LGPL (http://www.gnu.org/licenses/lgpl.html)], via Wikimedia Commons

Applaus

Verzichtet man auf Tonhöhe und Betonungen, stellt das einfache Wort keine große Herausforderung dar. Anders verhält es sich jedoch mit den Abschnitten des Tones, die eine Transkription von einem Fließtext unterscheiden. Wie stellt man beispielsweise Applaus dar? Genügt es „Applaus“ zu schreiben? Hören Sie in die folgenden Tonausschnitte kurz rein und entscheiden Sie selbst:

Applaus

Beispiel 1

Applaus

Beispiel 2

Wo hört Beschreiben auf und fängt Interpretation an? Ist jeder Zwischenruf während des Applauses wichtig? Möchte ich eine Aussage über die Publikumsreaktion treffen, stellt sich auch die Frage, wie sich die „Applauskultur“ über die Jahre verändert hat. Wie hörte sich Applaus damals an? Eine wichtige Erkenntnis, die auch jedem bewusst sein muss, der zu einem Text greift, welcher gesprochenes Wort wiedergibt, ob als Manuskript, Transkript oder Artikel: Es ist eine Interpretation.

Erstellung einer Transkription

Die Tonaufnahme der Rede auf dem Römerberg ist etwas länger als 18 Minuten. Trotz Programme wie expressscribe, welche die Tonaufnahme langsamer abspielen und das Zurückspringen um einige Sekunden einfacher gestalten, muss man jede Passage öfter anhören, einige unklare Sätze gar mehr als zehn Mal wiederholen. So benötigten wir zum Transkribieren mehr als zwei Stunden reiner Abspielzeit. Beim Transkribieren machten wir durch die ständigen Wiederholungen und die kurzen Sequenzen, teilweise nur einige Wörter eines Satzes, die Erfahrung, dass wir wesentlich stärker auf die Details der Rede achteten. Wir fragten uns, wieso bestimmte Wörter gewählt wurden, hörten kleine Zwischenrufe, wurden aufmerksam auf Besonderheiten des Redners bei der Betonung oder sich wiederholenden Formulierungen. Gleichzeitig beobachteten wir ein eigenes emotionales Eintauchen. Fällt es damit auf der einen Seite schwerer, eine für den Historiker wichtige Neutralität zu wahren, bedeutet es andererseits eine neue Sichtweise auf die Rede.

Zum Schluss möchten wir Sie zu einem Experiment auffordern: Schauen Sie nächsten Sonntag den „Tatort“ doch einmal ohne Ton, dafür mit Untertiteln. Hier wird nicht nur das gesprochene Wort verschriftlicht, auch die Geräusche werden „erklärt“. Schauen Sie danach in der ARD Mediathek das Original mit Ton und stellen Sie fest, wie die gleiche Szene andere Emotionen und Eindrücke wecken kann und wie schwer es ist, diese Emotionen und Eindrücke durch Worte zu übermitteln. Sie werden feststellen, dass der Ton, welcher erst seit etwa 1860 durch Aufzeichnungen auch als Quelle vorhanden ist, ein ganz neues Forschungsfeld eröffnet.

Lars Stockmann, Erfahrungsbericht: Transkriptionen von Tonaufnahmen, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 14.08.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/ton/stockmann/.

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