Analyse der Rede vom 22. März 1933 auf dem Frankfurter Römerberg

von Saraj Vainstain

 

Zu einer Rede gehört einiges mehr als der Text der Rede. Historiker des 20. Jahrhunderts haben sich bei der Redeanalyse auf diesen beschränkt. Will man jedoch eine Rede vollständig verstehen, dann gehört sehr viel mehr dazu. Der Redner selbst ist entscheidend, der Redeanlass, der Redeort, um nur einige zu nennen. Im Folgenden wird darauf eingegangen, welche Aspekte für die Analyse einer Rede von Belang sind. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Ton. Was gewinnen wir durch den technischen Fortschritt und somit die Überlieferung des Tons dazu? Welchen Mehrwert hat eine Tonaufnahme bei der Analyse im Vergleich zu der Textfassung einer Rede? Geschehen wird dies am Beispiel der Rede, die Ernst Krieck am 22. März 1933 im Rahmen einer Veranstaltung des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ auf dem Frankfurter Römerberg gehalten hat.

Zunächst muss festgehalten werden, was an einer Rede wichtig zu analysieren ist:

  • Wer spricht? - Redner -
  • Wann wird gesprochen? - Zeitpunkt der Rede -
  • Wo wird gesprochen? - Ort der Rede -
  • Warum wird gesprochen? - Redeanlass -
  • Zu wem wird gesprochen? - Adressat -
  • Was wird gesprochen? - Aufbau und Argumentstruktur der Rede -
  • Wie wird gesprochen? - Stimmlage, Mimik, Gestik -
  • Wie reagieren die Zuschauer? - Wirkung der Rede

Da die ersten Punkte in der Einführung der vorliegenden Präsentation beleuchtet werden, wird sich dieser Beitrag vor allem auf die letzten drei Punkte beschränken. Dabei betrifft der erste Punkt vor allem den Text der Rede. Für die beiden darauffolgenden Punkte ist der Ton besonders entscheidend.

Wie eine Rede beim Zuschauer wirkt, ist meist direkt an den Reaktionen ablesbar und lässt sich nur anhand des Originaltons vermuten. Zwar gibt es zahllose Versuche, Zuschauerreaktionen mit zu transkribieren und somit in die Textfassung aufzunehmen, dennoch ist es schwer, menschliche Äußerungen, die keine klaren Worte beinhalten, angemessen wiederzugeben. Weiterhin ist auch die Druckfassung einer Rede absichtsvoll gestaltet, wenn diese für ein breites Publikum herausgegeben wurde. Wurde eine Rede irgendwo veröffentlicht, wurden manchmal an argumentatorisch entscheidenden Punkten Zuschauerreaktionen eingefügt, die es in Wahrheit möglicherweise so nicht gegeben hat. Und selbst wenn man dem Autor einer Textfassung Neutralität unterstellt, ist es unmöglich, manche Dinge in die Transkription aufzunehmen, wie zum Beispiel Hintergrundmusik oder Unterschiede in der Stimme. Führt man sich dies vor Augen, wird es schnell klar, weshalb ein sogenannter O-Ton sehr viel sicherere Evidenz über die Wirkung einer Rede liefert, als das eine Textfassung je vermag.

Frankfurter Altstadt, Blick zum Rönmer, um 1920
Frankfurter Altstadt, Blick zum Rönmer, um 1920 [Quelle: Wikimedia Commons]

Was den zweiten Punkt betrifft, so lässt sich anhand einer Rundfunkaufnahme natürlich nur die Stimme bzw. die Sprechart des Redners analysieren, nicht aber Mimik und Gestik, dies wäre nur über eine Film- oder Fernsehaufnahme möglich. Dennoch spielt es eine große Rolle, wie ein Redner seinen Text vorträgt. Schwache Argumente können durch einen guten Vortrag wettgemacht werden, was über eine Textfassung nicht möglich ist. Auch an dieser Stelle gibt uns der Ton entscheidende Hinweise für die Analyse einer Rede. Betrachten wir also im folgenden Aufbau und Argumentationsstruktur, Stimme und Sprechart sowie die Zuschauerreaktionen der oben genannten Rede etwas genauer.

Textfassung

Bei der hier untersuchten Rede handelt es sich um eine politische Rede. Diese ist gekennzeichnet dadurch, dass sie monologisch geführt wird und zum Zweck hat, jemanden für seine Anschauung zu gewinnen und politische Macht zu erlangen bzw. zu bewahren. In diesem Beispiel tritt der erste Aspekt definitiv mehr hervor.

Jede Rede hat nicht nur einen Anlass, zu dem sie gehalten wird, wie in diesem Fall die Wahlen am 5. März 1933 und der „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933, sondern auch einen Zweck, der häufig über das, was sprachlich ausdrücklich gesagt wird, hinausgeht. Man will mit dieser Rede etwas erreichen.

Beim Zweck der Rede kann man durchaus von einem Appell an alle deutschen Künstler, Literaten und Wissenschaftler sprechen. Es geht Ernst Krieck darum, ihr Schaffen in den Dienst einer politischen Idee zu stellen (Vgl. hierzu die Transkription der Rede, besonders den rot markierten Abschnitt „Hinter der Front … dem Volk zu dienen“).

Dazu stellt er zunächst der dunklen Vergangenheit Deutschlands eine glorreiche Zukunft gegenüber, welche nur durch ein Zusammenspiel des ganzen Volkes erreicht werden kann. Er bezieht sich mehrmals auf die vorangegangen Wahlen, die den Weg frei gemacht hätten für eine „Revolution der Kultur“. Auch hierbei greift er wieder auf die Vergangenheit zurück, indem er sich auf das geistige Erbe Deutschlands (z.B. Goethe und Schiller) bezieht, das es nun fortzusetzen gilt.

Zuletzt wendet er ein Prinzip der Affektlehre an. Dieses besagt, dass nicht nur sachlogische Argumentation, sondern auch das Erregen von Emotionen zu Einstellungsänderungen führt. Krieck erinnert an die vielen gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs und appelliert daran, dass ihr Opfer nicht umsonst gewesen sein darf. Er setzt dieses emotionale Thema gezielt ein, da man damit rechnen kann, dass zu diesem Zeitpunkt nahezu jeder Hörer ein Familienmitglied oder einen Bekannten verloren hat. So versucht er die Zuhörer von seinem Gedankengang zu überzeugen (Vgl. hierzu die Transkription der Rede, besonders den violett markierten Abschnitt „Unter uns ist der heldische Lebenssinn wieder erwacht … geschaffen für alle Zukunft“).

Sprachlich sind vor allem einige Besonderheiten hervorzuheben. Ernst Krieck verwendet besonders viele Personal- und Possessivpronomina der 1. Person Plural (wir, uns). Dies soll Nähe zwischen ihm und dem Publikum herstellen und zu einer geschlossenen Solidarität gegenüber ihm und seinen Gedanken führen. Er bezieht sich selbst in die Gruppe der Zuhörer mit ein und suggeriert somit ein Handeln auf der gleichen Ebene. Ebenso verhindert er so, dass sich jemand nicht angesprochen fühlt. Das führt dazu, dass sich jeder in der Verantwortung fühlen muss, etwas zum „Erfolg Deutschlands“ beizutragen und dass sich niemand herausnehmen kann.

Rhetorisch arbeitet er hauptsächlich mit Wiederholungen (Vgl. hierzu die Transkription der Rede, besonders den orange markierten Abschnitt „Wo ist in diesem Augenblick … Größe dieser Stunde“) und Signal- bzw. Appellwörtern. Besonders häufig spricht er vom deutschen Volk, der Volksgemeinschaft, dem Völkischen usw. Volk wird hier als Appellwort verwendet und hat denselben Effekt wie „wir“ und „uns“. Außerdem verwendet Krieck einen besonders auffälligen Terminus, der den Nationalsozialismus noch entscheidend prägen wird: „Deutschland erwache“ (Vgl. hierzu die Transkription der Rede, besonders den grün markierten Abschnitt „Es wird auf dem Gebiete … Kultur erwachen.“). Dieser Ausruf hat seinen Ursprung in einem Gedicht von Dietrich Eckart von 1919 („Sturm! Sturm! Sturm!“) und wurde von den Nationalsozialisten übernommen und instrumentalisiert.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Ernst Krieck seine Rede argumentatorisch logisch aufgebaut hat und die Sprache gezielt einsetzt, um die Zuhörer von sich zu überzeugen. Doch wie oben schon erklärt, ist es mit dem Text allein nicht getan. Zu einer guten Rede gehört auch ein gelungener Vortrag und das meint die Kunst, die Stimme und den Inhalt in Einklang zu bringen. Dabei spielen viele verschiedene Aspekte eine Rolle. Lautstärke, Tonlage, Rhythmus und Betonung sind wichtige Bestandteile für eine erfolgreiche Rede. Eine Rede auf diese Aspekte hin zu analysieren ist natürlich um einiges schwerer, da sie weniger greifbar sind. Die Tonlage eines Redners lässt sich sehr schwer schwarz auf weiß beschreiben und noch viel weniger in Zahlen darstellen. Wo man beim Text noch Wörter, Phrasen oder rhetorische Figuren zählen kann, begibt man sich bei der Tonanalyse auf ein etwas „schwammigeres“ Feld. Es ist nun die Aufgabe der Historiker, sich damit zu beschäftigen, da dieses Feld bisher viel zu sehr vernachlässigt wurde.

Tonquelle

Ein wichtiges Indiz ist dabei die erste Begegnung mit der Quelle. Beim ersten Hören kann man selbst in gewisser Weise spüren, wie die Rede auf einen wirkt und sich dann näher damit beschäftigen, warum sie so wirkt. Es ist immer sinnvoll, solche Eindrücke als Notizen niederzuschreiben und später seine Analyse damit abzugleichen.

Die Aufnahme der Rede von Ernst Krieck ist in guter Tonqualität erhalten. Man kann seine Stimme klar und deutlich hören. Das liegt vor allem auch daran, dass es eine kulturpolitische Kundgebung im Freien ist. Der Ton hat dadurch deutlich weniger Störgeräusche als in einer Halle. Ernst Krieck spricht mit fester, lauter und tiefer Stimme. Sie wirkt kräftig und es entsteht der Eindruck, dass er weiß, wovon er spricht. Man darf nicht vergessen, wie wichtig dieser eher unscheinbare Aspekt für den Erfolg einer Rede ist. Mit unsicherer Fistelstimme vorgetragen, wirken Argumente nicht annähernd so überzeugend, wie dies bei Ernst Krieck der Fall ist.

Der Rhythmus seiner Ansprache entspricht dem typischen Rhythmus, wie wir es von den Reden Hitlers kennen. Er verwendet denselben leicht abgehackten Redestil wie dieser. Prägnante Wörter werden deutlich betont. Somit lenkt er die Aufmerksamkeit besonders auf wichtige Aspekte seiner Rede.

Wie weiter oben bereits analysiert, sind Signal- und Appellwörter ein wichtiger Bestandteil seiner Redekunst. Dieser Effekt wird durch die starke Überbetonung noch verstärkt, die Wörter kommen fast knallend aus seinem Mund. Das hat zur Folge, dass sie einem lange im Kopf bleiben und man sich anhand solcher Signalwörter die ganze Argumentation seinerseits wieder ins Gedächtnis rufen kann.

Ebenso laut und knallend werden Satzanfänge gesprochen. Auf einen heutigen Hörer hat es den Eindruck, als hätte Krieck es sich zum Ziel gesetzt, zu Beginn eines jeden Satzes das Publikum allein durch seine Stimme aus einem Tiefschlaf zu wecken und zu erschrecken. Vermutlich soll diese Sprechtechnik die Aufmerksamkeitsspanne hoch halten und für Abwechslung in der etwas monotonen Sprechweise führen.

Besonders interessant ist die Stelle, an der Krieck das erste Mal das Luther-Wort zitiert (Vgl. hierzu die Transkription der Rede, besonders den hautfarben markierten Abschnitt „Unermüdlich hat unser Führer … fest gegründet ist“) und den Tonausschnitt seiner Rede am Römerberg. Er verfällt an dieser Stelle in eine Art Singsang, der die Worte schon fast wie ein Lied klingen lässt. Auch das dient der besseren Einprägsamkeit. So sorgt er gezielt dafür, dass die Menschen sich an diese Idee besonders erinnern und sie auch reproduzieren können.

Zuletzt verwendet er noch ein „stimmliches Stilmittel“, indem er gewisse „Parolen“ besonders stark betont und auch stimmlich als Parolen kennzeichnet. Dies geschieht zum Beispiel ganz am Ende der Rede, bei den Worten: „Heil der deutschen Jugend. Heil dem deutschen Volk. Heil dem Dritten Reich und seinen Führern.“ Seine Art die Worte auszusprechen lädt dazu ein, einzustimmen in den Parolen-Ausruf und mit zu sprechen. Diese Taktik findet man nicht nur am Ende der Rede, sondern auch an ein bis zwei weiteren Stellen der Ansprache, an denen Ernst Krieck versucht die Zuhörer mit solchen Parolen mitzureißen und zur Partizipation zu bewegen (Vgl. hierzu die Transkription der Rede, besonders den hautfarben markierten Abschnitt „Und dem und der deutschen Jugend … fest gegründet ist“). Auch das gemeinsame Mitsprechen führt zu einer größeren Identifikation mit der Idee der Gemeinschaft. In der sprachlichen Analyse weiter oben wurde bereits aufgezeigt, wie eindeutig Krieck versucht, dieses Gemeinschaftsgefühl auch durch seine Wortwahl zu erzeugen. Man kann also deutlich erkennen, dass es ihm gelungen ist, Wortwahl und Vortragsart in Einklang zu bringen und in den Dienst desselben Zwecks zu stellen.

Saraj Vainstain, Analyse der Rede vom 22. März 1933 auf dem Frankfurter Römerberg, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 14.08.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/ton/vainstain/.

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