Die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der Tonaufnahmen

von Eva Schmidt

 

Fast jeder kennt es. Man sitzt abends vor dem Fernseher und schaut zufällig eine Dokumentation, eine Reportage oder einen Spielfilm über ein historisches Ereignis. Es werden Szenen nachgestellt, Historiker interviewt, Schauplätze gezeigt und auch nicht selten originale Tonaufnahmen eingespielt. Gerade diese Tonaufnahmen verleihen dem Gezeigten einen Hauch von Authentizität. Welchen Weg Tonaufnahmen, besonders jene aus der Zeit vor und während des Zweiten Weltkriegs, hinter sich haben, bevor sie ins Ohr des Zuhörers gelangen, erfährt dieser meist nicht. Doch nicht nur der Ton erzählt eine Geschichte, auch der erhaltene Tonträger selbst hat eine Historie, die es sich zu betrachten lohnt.

Erst seit Mai 1929 hatten die Funkhäuser die Möglichkeit, durch die neue Tonaufzeichnungstechnik von ihren Rundfunksendungen Aufnahmen anzufertigen. Diese Aufnahmen wurden zunächst auf Wachsplatten, die wiederverwendet werden konnten, oder auf Schellackplatten aufgezeichnet. Die Schellackplatten, auch Schwarzplatten genannt, zeichneten sich durch eine längere Haltbarkeit aus, waren aber im Unterschied zu den Wachsplatten in ihrer Herstellung aufwändiger. Der Ton war nicht mehr mit der Sendung über den Äther unwiderruflich verloren, von nun an konnte er wieder und wieder gehört und auch erneut gesendet werden. Die Rundfunkgesellschaften begannen Schallarchive anzulegen und der Ton konnte als historisches Zeugnis konserviert werden.

 

Die Archivierung von Tonaufnahmen im Dritten Reich

Der deutsche Rundfunk stand seit März 1933 unter Aufsicht des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. Dieses sorgte mit Hilfe der Aufzeichnungs- und Bearbeitungstechniken dafür, dass dem Regime nichts Ungelegenes ausgestrahlt wurde. Lediglich bei der Übertragung von offiziellen Veranstaltungen, die zuvor durch die Nationalsozialisten bis ins kleinste Detail durchorganisiert wurden, kam es noch zu Direktübertragungen. Diese sollten die Zuhörer in ganz Deutschland am jeweiligen Übertragungsgeschehen teilhaben lassen und so ein Gefühl des Dazugehörens vermitteln, das die Gemeinschaft stärken sollte. Fast alle diese Übertragungen wurden gleichzeitig von den entsprechenden Reichsendern oder der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft (RRG) aufgezeichnet. Die Aufzeichnungen wurden nicht vorrangig aus Gebrauchsgründen angefertigt. Vielmehr stellte ihr historischer Wert für die Nationalsozialisten, allen voran Goebbels, das Zentrum des Interesses dar. Die Aufzeichnungen sollten dazu dienen, die Perspektive der nachfolgenden Historikergenerationen zu lenken und gleichzeitig die ursprüngliche nationalsozialistische Ideologie zu konservieren. Diese Konservierung sollte späteren freien Auslegungen oder Verfälschungen entgegenwirken. Man war der Ansicht, dass es sich bei Tonaufnahmen um eine objektive und exakte Wiedergabe von Geschehnissen handle. Bei dieser Überlegung ließen die Nationalsozialisten außer Acht, dass die Fragestellung an eine bestimmte Quelle von der jeweiligen Zeit abhängig ist, sich somit im Laufe der Jahre verändern und für verschiedene Interpretations- und Argumentationsmöglichkeiten eine Grundlage bilden kann.

 

Aus dem Archiv in die Welt

Wie bereits erwähnt, hatten die regionalen Reichssender sowie die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft Schallarchive eingerichtet. Das Zentralarchiv der RRG befand sich in Berlin. Trotz des Zweiten Weltkrieges blieben bis 1942 alle Archivbestände in ihren jeweiligen Archiven. Erst ab Mai begann man die Archivbestände ihrer Bedeutung nach schrittweise in Sicherheit zu bringen. Tausende von Tonträgern wurden nach Leipzig, Breslau, Graz oder auch in Salzbergwerke gebracht, um vor Bombenangriffen geschützt zu sein. Die übrigen Bestände blieben bei den Funkhäusern, da sie noch weiterhin für Sendungen benötigt wurden. Nach Kriegsende wurden die Tondokumente, die in den westlichen Salzbergwerken gelagert worden waren sowie diejenigen, die in den Funkhäusern in Hamburg und Köln geblieben waren, von den britischen Truppen beschlagnahmt und nach London ins Archiv der BBC gebracht. Die im Berliner Funkhaus verbliebenen Tonaufnahmen wurden mit dem Umzug des unter sowjetischer Kontrolle stehenden Berliner Rundfunks 1952 in den Ostteil der Stadt mitgenommen.

Aus der Welt zurück nach Frankfurt

Das 1952 in Frankfurt gegründete Deutsche Rundfunkarchiv versuchte von Beginn an, die Archivbestände der RRG zu rekonstruieren, um sie dann für Rundfunk und Forschung zugänglich zu machen. 1956 bekam das DRA die ersten Kopien von den insgesamt ca. 9000 Platten, die von der BBC in London verwahrt wurden, und weitere folgten. Mit der Wende 1989 übernahm das DRA die Archivbestände des Hörfunks und Fernsehens der DDR, die auch die RRG-Aufnahmen enthielten, die 1952 nach Ostberlin verlagert worden waren. Diese Tonaufnahmen kamen nach Frankfurt, während die DDR-Überlieferung in Berlin blieb.

Auszug aus: „Schallaufnahmen der Reichs-Rundfunk GmbH von Ende 1929 bis Anfang 1936“, Berlin 1936, S. 358.
Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main

Zwei Reden Ernst Kriecks – Eine Überlieferungsgeschichte

Im Bestand des DRA finden sich auch zwei Tondokumente, die mit dem ehemaligen Rektor der Goethe-Universität Ernst Krieck in Verbindung stehen. Es handelt sich bei diesen um die Aufnahme einer Rede Kriecks auf einer Kundgebung des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ auf dem Frankfurter Römerberg am 22. März 1933 und um eine Aufnahme seiner Rede im Rahmen der Rektoratsübergabe am 23. Mai 1933.

Das Besondere an den Aufnahmen der Römerbergkundgebung und der Rektoratsrede Kriecks ist nicht nur die Tatsache, dass sie uns heute noch erhalten sind. Im DRA finden sich für den Zeitraum von 1929 bis 1945 keine weiteren Reden anderer Rektoren der Frankfurter Universität. Auch die Rektoratsrede Martin Heideggers vom 27. Mai 1933 ist nicht enthalten. Noch erstaunlicher ist es, dass die Aufnahmen von den Reden Kriecks überhaupt angefertigt und archiviert wurden. Warum gerade die beiden Reden Kriecks aufgezeichnet wurden, ist genauso unklar wie auch der Grund für ihre Archivierung. Es handelt sich bei der Rektoratsrede um eine Rundfunkaufnahme, die von der RRG angefertigt und archiviert wurde. Die Feierlichkeiten und die Rede seien auf Anordnung von Goebbels vom Deutschlandsender, dem Sender des Südfunks und dem Südwestfunk übertragen worden. Die Rektoratsübergabe an Krieck stellte einen Umbruch in der Universitätsgeschichte dar und sollte eine neue Zeit nach den Vorstellungen der Nationalsozialisten einläuten. Damit dem Ereignis aus diesem Grund genug Aufmerksamkeit widerfuhr, scheinen diese neuen propagandistischen Ausmaße der Inszenierung der Übergabe erfolgt zu sein.

Das DRA in Frankfurt erhielt von der BBC Kopien der beiden Tondokumente, die sich unter den archivierten Aufnahmen der RRG in London befanden. Vergleicht man die Angaben der im DRA überlieferten Reden Kriecks mit den Angaben im Katalog „Schallaufnahmen der Reichs-Rundfunk G.m.b.H.“, so stellt man bei den Angaben zur Römerbergrede keinen Unterschied fest. Anders verhält es sich mit der Rektoratsrede. Im Katalog der RRG hat die Rektoratsübergabe die Plattennummern Ffm 1113 bis Ffm 1124 und es liegt eine kurze Übersicht über die zu hörende Aufnahme bei. Bei der überlieferten Aufnahme der Rektoratsrede, die dem DRA vorliegt, stellt man fest, dass die letzten Minuten der Aufnahme, die laut Übersicht das Singen des Horst-Wessel-Lieds und die Absage durch Heinz Werner wiedergeben, fehlen. Auch die Zeitangaben unterscheiden sich. Die Rede ist im RRG-Katalog auf zwei zeitliche Angaben aufgeteilt, nämlich einmal mit 37 Minuten und 56 Sekunden und der Schluss nochmal mit einer Minute und 21 Sekunden. Die überlieferte Rede im DRA hat insgesamt nur eine Dauer von 37 Minuten und 46 Sekunden. Das Vorspiel aus Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“, das laut Katalog der RRG auf der Platte Ffm 1113 zu hören wäre, fehlt ebenfalls bei der Aufnahme des DRA. Der Liste mit den Angaben über die Tonaufnahmen, die in London vorliegen, ist zu entnehmen, dass die Platte der BBC nicht vorliegt.

Warum es diese Unterschiede zwischen den angefertigten Kopien des DRA und dem Bestand in London gibt, ist unklar. Es zeigt jedoch, dass die überlieferten Tonaufnahmen keine Selbstverständlichkeit sind und durch die Wirren des Zweiten Weltkriegs, der Nachkriegszeit und den damit verbundenen wechselnden Standorten eine eigene Geschichte zu erzählen haben.

Eva Schmidt, Die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der Tonaufnahmen, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 14.08.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/ton/schmidt/.

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