Die Gründung der Universität Frankfurt und ihre Stifter jüdischer Herkunft

von Pascal Balló

Zusammenfassung [Anm. 1]

Die Gründungsgeschichte der Frankfurter Universität ist einzigartig, weil sie nicht auf Initiative des preußischen Staates, sondern auf Initiative Frankfurter Bürger errichtet wurde. Hierbei wiederum ist vor allem das ideelle und finanzielle Engagement jüdischer Frankfurter Bürger hervorzuheben, ohne die wohl seinerzeit keine Universität hätte gegründet werden können. Dieser Konstituierungsprozess hatte zur Folge, dass die Frankfurter Hochschule die erste und einzige freie, liberale und tolerante Universität im Kaiserreich war. Mit „frei“ ist die weitestgehende Verwaltungsautonomie der Universität gemeint. Der „liberale“ Charakter manifestierte sich u. a. in § 1 des Stiftungsvertrages. Demnach sollte die Lehre „frei von Einseitigkeiten und unabhängig von Parteien“ (§ 1) sein. [Anm. 2]

Mit „tolerant“ ist die konfessionsneutrale Besetzung der Lehrstühle gemeint. Zwar durften Juden an den preußischen Universität de jure lehren und zu Professoren berufen werden, doch de facto geschah dies fast nie. Der Rechtswissenschaftler Rudolf von Gneist veranschaulichte dies, indem er von der „Umkehrung der Verfassung durch die Verwaltung“ [Anm. 3] sprach. Der liberale und tolerante Charakter hing zudem von der weitgehenden Verwaltungsautonomie der Universität ab. Denn wie es sich an den übrigen Universitäten im Kaiserreich zeigte, hätten an einer von Preußen organisierten Universität sicherlich keine Juden lehren dürfen und darüber hinaus wäre auch keine (links-)liberale Lehre garantiert gewesen. Über den Zusammenhang zwischen freier, liberaler und toleranter Konstituierung der Universität und jüdischem Frankfurter Bürgertum [Anm. 4] sind in der historischen Forschung bislang nur Vermutungen angestellt worden.

In der Examensarbeit konnte die These belegt werden, dass die freie, liberale und tolerante Konstituierung der Universität auf das ideelle und finanzielle Engagement der jüdischen Frankfurter Bürger zurückzuführen ist. Entscheidend für die Verifizierung der These war der Untersuchungszeitraum: Es stellte sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt davon ausgegangen werden kann, dass das jüdische Frankfurter Bürgertum ausdrücklich für eine freie, liberale und tolerante sich konstituierende Universität stiftete.

Der damalige Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes veröffentlichte im Februar 1911 eine Denkschrift, in der die Idee einer freien, liberalen und toleranten Stiftungsuniversität ausführlich dargelegt wird. [Anm. 5] In Folge dieser Denkschrift intensivierten sich die Bemühungen und Stiftungen für eine Frankfurter Universität auf Basis dieser drei Säulen. Der Untersuchungszeitraum muss demnach die Zeitspanne vom Februar 1911 bis zur staatlichen Genehmigung der Universität 1914 umfassen. Denn die Stifter vor Februar 1911 konnten nicht wissen, wie die zukünftige Universität rechtlich strukturiert sein würde. [Anm. 6]

Für den relevanten Zeitraum (Februar 1911 und Juni 1914) gab es insgesamt 60 Stifter. Von diesen 60 Stiftern waren 36 (= 60 Prozent) jüdischer Herkunft. Dieser Stifteranteil des jüdischen Frankfurter Bürgertums für die Universitätsgründung übersteigt den Anteil der Juden an der Frankfurter Bevölkerung und bei sonstigen Stiftungsaktivitäten bei weitem. [Anm. 7] Auch ein Vergleich mit der Beteiligung der Juden an den naturwissenschaftlichen Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft verdeutlicht die rege Stiftungs- und Schenkungsbeteiligung der Frankfurter Juden. [Anm. 8]

Von der Gesamtstiftungssumme in Höhe von 8.972.000 Mark für die Universitätsgründung stellten die jüdischen Frankfurter Bürger 6.115.000 Mark (= 68 Prozent).

Diese Zahlen unterstreichen die These, dass die jüdischen Frankfurter Bürger speziell für die Universitätsgründung stifteten, weil sie frei, liberal und tolerant werden sollte. Diese These wird wiederum insbesondere durch die aufgestellten Bedingungen von Robert Flersheim, Leo Gans, Moritz und Katharina Oppenheim, Mathilde von Rothschild und Max von Goldschmidt-Rothschild, (Georg und) Franziska Speyer sowie Jacob Schiff unterstrichen. Die Begründung dieser Universitätsstiftungen wurde eindeutig unter die Prämisse gestellt, dass bei der Lehrstuhlbesetzung konfessionelle und religiöse Gesichtspunkte keine Rolle spielen dürften. [Anm. 9] Zudem wurde ausdrücklich auf einen Vertretungssitz im Großen Rat und Kuratorium insistiert. [Anm. 10] Ferner wurde ebenso – wohl um sich für etwaige jüdische Professuren einzusetzen – die Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Kuratoriums bei den Lehrstuhlbesetzungen als Bedingung gestellt.

Darüber hinaus wollten Schiff und das Oppenheim-Ehepaar den Grundsatz der
tatsächlichen Gleichberechtigung zumindest an ihrem zur Verfügung gestellten Lehrstuhl vermutlich insofern wahren, als § 5 der Stiftungssatzung (ihrer Universitätsstiftungen) die jüdische Konfession der drei Vorstandsvorsitzenden als Voraussetzung vorgab. [Anm. 11]

Die Arbeit hat demzufolge den Zusammenhang zwischen freier, liberaler und toleranter Konstituierung der Universität und ideellen sowie insbesondere finanziellem Engagement der jüdischen Frankfurter Bürger nachweisen können. Zudem stellt die Arbeit die Grundlage für die am 9. April 2014 eröffnete Ausstellung „36 Stifter für eine Idee“ dar, die im Rahmen der Feierlichkeiten anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Goethe-Universität an die Leistungen der jüdischen Stifter für die Universitätsgründung erinnert.

Die vollständige Arbeit wird Ende Juli auf use.uni-frankfurt.de zu finden sein.

Anmerkungen

[1] Trotz des Emanzipationsprozesses wird im Folgenden – des besseren Leseflusses wegen – in der Regel von jüdischen Stiftern (und nicht von Stiftern jüdischer Herkunft) die Rede sein. Ferner wird auch von „den“ Juden und nicht von „den“ deutschen Juden gesprochen. Vgl. Moshe Zimmermann: Die deutschen Juden 1914-1945 München 1997, Vorwort, V. Vgl. ebenso den Titel bei Shulamit Volkov: Die Juden in Deutschland 1780-1918, 2., verbesserte Auflage München 2000.

[2] §1 der universitären Stiftungssatzung. Die Stiftungssatzung ist abgedruckt bei Richard Wachsmuth: Die Gründung der Universität Frankfurt, 1929, Anhang 35, S. 237.

[3] Zitiert nach Volkov: Juden in Deutschland, S. 55.

[4] Die Historikerin Andrea Hopp hat in ihrer Dissertation herausgearbeitet, dass zwischen nichtjüdischem und jüdischem Bürgertum unterschieden werden muss. Vgl. Andrea Hopp: Jüdisches Bürgertum in Frankfurt am Main im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1997, bes. S. 297-301.

[5] Die Denkschrift ist bei Wachsmuth: Gründung, Anlage 27, S. 171-191, zu finden.

[6] Ausgenommen solch bedeutende Personen wie bspw. Leo Gans, Wilhelm Merton oder Arthur von Weinberg, die im ständigen Kontakt mit Adickes standen.

[7] Der Stiftungsanteil der Juden in Frankfurt lag bei 29,5%, vgl. hierzu Wolfgang Klötzer: Über das Stiften – Zum Beispiel Frankfurt am Main. In: Bernhard Kirchgässner/ Hans-Peter Becht (Hrsg.): Stadt und Mäzenatentum, Sigmaringen, S. 15-30, hier S. 25; vgl. auch Hans-Otto Schembs: Jüdische Mäzene und Stifter in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 2007, S.24.

[8] Steven Lowenstein zufolge kamen „mindestens 25 der 89 Gründungsmitglieder der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (die die Errichtung der Institute förderte) aus jüdischen Familien“, was einem 28%igen Anteil entsprechen würde. Vgl. Steven Lowenstein: Der jüdische Anteil an der deutschen Kultur. In: Michael Meyer (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Dritter Band 1871-1918, München 1997, S. 302-332, hier S. 328.

[9] Ausgenommen die Leo Gans-Stiftung.

[10] Ausgenommen die Robert Flersheim-Stiftung, die Oppenheim’sche und Schiff’sche Universitätsstiftung.

[11] Vgl. hierzu § 5 der Stiftungssatzung im IfS: Magistratsakten, S, 1.663 bzw. Magistratsakten, S, 1.662.