Anteil der Konvertiten

von Pascal Balló

Die vorliegende Konvertiten-Struktur stimmt mit den in der Forschung festgestellten Ergebnissen überein. [Anm. 1] Demnach waren auch die jüdischen Stifter 1911-1914 religiös ausdifferenziert. Was für Rückschlüsse können aus der Stiftungsmotivation konvertierter und nichtkonvertierter Juden gezogen werden? Sicher ist, dass wohl alle jüdischen Stifter die Benachteiligung jüdischer Dozenten an der künftigen Universität überwunden haben wollten. Auch diejenigen Juden, die schon stark assimiliert waren, dürften hierin ein wesentliches Interesse gehabt haben, besannen sich doch viele Juden angesichts des latenten Antisemitismus auf ihre jüdische Herkunft. [Anm. 2]

Der Anteil der Konvertiten von 1911-1914
Schaubild 5: Der Anteil der Konvertiten von 1911-1914 (Grafik Balló)

Angesichts der schwierigen Quellenlage bzgl. der Frankfurter Juden kann eine Verbindung zwischen religiöser oder kultureller Zedaka und der Stiftungsmotivation nicht immer rekonstruiert werden, da über viele Frankfurter Juden schlichtweg fast keine Quellen o. ä. überliefert sind. [Anm. 3] Daher werden solche Überlegungen an Merton, einem konvertierten Juden, und Schiff, der zeitlebens an seinem Judentum festhielt, angestellt. Beide sind umfassend erforscht worden. [Anm. 4]

Merton, Mitbegründer und Vorsitzender der weltweit operierenden Metallgesellschaft AG, wurde als William Moses, Sohn eines Juden aus England und einer Jüdin aus Deutschland am 14.05.1848 in Frankfurt am Main geboren. [Anm. 5] Er schlug von 1876 an den konsequenten Weg zur Assimilation ein. Diese Assimilationsbereitschaft manifestierte sich in der Eindeutschung seines Vornamens „William“ in „Wilhelm“ und gipfelte in der Konversion (1899) zum Protestantismus. [Anm. 6] Zudem wurde er im selben Jahr deutscher Staatsangehöriger. [Anm. 7] Es ist durchaus möglich, dass Mertons Assimilation durch die subtile Ablehnung bürgerlicher Kreise gehemmt wurde, weswegen er sich wiederum für die Belange der jüdischen Minderheit einsetzte. [Anm. 8] So hatte er sich zeitlebens mit der Lage der Juden im wilhelminischen Deutschland auseinandergesetzt und darauf hingearbeitet, dass die Vorbehalte von Nichtjuden gegenüber Juden, aber auch umgekehrt, abgebaut werden. Die Behandlung der Juden in der deutschen Armee während des Ersten Weltkriegs, vor allem aber die Judenzählung 1916, kritisierte er scharf, da er hierin eine Initiative der Antisemiten erblickte. [Anm. 9]

Darüber hinaus war Merton ein bedeutender Philanthrop, der unzählige Stiftungen gründete. Die Gründung dieser zahlreichen Stiftungen begründete er gegenüber dem Professor für Nationalökonomie Lujo Brentano damit, dass „seine Religion ihn verpflichte, ein Zehntel seines Einkommens den Armen zu widmen. Sein Einkommen, aber sei so groß, daß ihm dies zu wenig erscheine.[Anm. 10] In Anbetracht seiner schon erwähnten Konversion kann von religiösen Gründen nach 1899, der Zedaka, nicht mehr die Rede sein. Vielmehr ist anzunehmen, dass er die Stiftung finanzieller Mittel nach seiner Konversion auch aus einer säkularisiert-kulturellen Zedaka heraus tätigte. Seine jüdische Herkunft war demzufolge für seine weitreichende Philanthropie von Bedeutung. Es kann daher angenommen werden, dass viele konvertierte Juden ebenso aus einer säkularisiert-kulturellen Zedaka stifteten.

Schiff, führender Banker neben John Pierpont Morgan in den USA, wurde am 10.01.1847 als fünftes Kind von Moses und Clara Schiff, in Frankfurt am Main geboren. Er wuchs in einem streng jüdisch-orthodoxen Haushalt auf und hielt sein Leben lang am orthodoxen Judentum fest. Bei seiner Auswanderung im Jahr 1865 in die Vereinigten Staaten von Amerika achtete er bei der Stellensuche darauf, dass seine Arbeit mit seiner strengen religiösen Lebensweise konform ging. [Anm. 11]

Bei seinen geschäftlichen Tätigkeiten stellte Schiff nie den Profit über die Belange der Juden in aller Welt. Als 1905 zwischen Japan und Russland der Krieg ausbrach, war er maßgeblich an der japanischen Kriegsfinanzierung beteiligt. [Anm. 12] Diese massive Beteiligung erklärt sich aus der tiefen Abneigung Schiffs gegenüber Russland, das die dort lebenden Juden diskriminierte. [Anm. 13]

Auch im gesellschaftspolitischen Bereich setze er sich für die Belange der amerikanischen Juden, aber auch für die jüdischen Einwanderer, ein. Dieses Engagement mündete 1906 in der Mitbegründung des American Jewish Committee, um die Interessen zu bündeln und bessere Lobbyarbeit leisten zu können. [Anm. 14]

Selbst die Zukunft seiner Kinder wollte er im Sinne seiner strengen jüdisch-orthodoxen Lebensweise beeinflussen. Demzufolge verpflichtete er diese testamentarisch dazu, ausschließlich einen Juden zu heiraten. Bei Missachtung seiner testamentarischen Bestimmungen sollten sie enterbt werden. [Anm. 15]

Schiff war darüber hinaus ein bemerkenswerter Philanthrop, der unglaubliche Summen für wohltätige Zwecke bereit gestellt hat. [Anm. 16] Da er nach den strengen jüdisch-orthodoxen Regeln lebte, kann somit ganz klar ein Zusammenhang zwischen seinen vielfältigen philanthropischen Tätigkeiten und der religiösen Zedaka gezogen werden. [Anm. 17] Die großzügigen Stiftungen und Schenkungen, die Schiff auch aus religiösen Gründen tätigte, könnten daher für die nichtkonvertierten Stifter ebenfalls angenommen werden.

Anmerkungen

[1] Vgl. hierzu Arnsberg, Frankfurter Juden. Bd. III, S. 9; vgl. auch Hammerstein, Goethe-Universität, S. 22.

[2] Vgl. hierzu Hopp, Jüdisches Bürgertum, S. 298.

[3] Vgl. ebd., S. 12f; vgl. auch Kluke, Stiftungsuniversität, S. 53.

[4] Zu Merton, vgl. Achinger, Merton, 1965; vgl. Roth, Wilhelm Merton, 2010. Zu Jacob Schiff, vgl. Birmingham, In unseren Kreisen; Arnsberg, Jacob H. Schiff; Adler, Jacob H. Schiff. Allerdings sind die beiden Biographien-Bände mit Vorsicht zu genießen, da Adler von Schiff bezahlt wurde und daher eine äußerst unkritische Biographie verfasste. Vgl. hierzu Birmingham, In unseren Kreisen, S. 174.

[5] Im Jahr 1856 genehmigte der Frankfurter Senat dem Vater seinen Nachnamen Moses in Merton zu ändern. Vgl. Roth, Merton, S. 22f. Über die Kindheit Mertons können im Übrigen – angesichts der spärlichen Quellen – oft nur Mutmaßungen angestellt werden. Vgl. Achinger, Merton, S. 17f.

[6] Die Konversion scheint Merton nicht aus opportunistischen Gründen vollzogen zu haben. So schreibt Achinger: „Die religiöse Erziehung wurde im Hause von Wilhelm Merton sehr ernstgenommen; auch Richard hat gelegentlich davon gesprochen, daß er ein sehr guter Konfirmand gewesen sei.“ Vgl. Achinger, Richard Merton, S. 22.

[7] Auch die Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit scheint aus Überzeugung angenommen worden zu sein. Merton versuchte sich zum Ende seines Lebens an einer Autobiographie, wovon einige kurze Aufzeichnungen erhalten blieben. In dieser kurzen Selbstbetrachtung schrieb er auch über seine Staatsangehörigkeit und wessen Nation, ob der englischen oder deutschen, er sich zugehörig fühlte. Er macht in der besagten kurzen Autobiographie explizit deutlich, dass er nicht nur qua Staatsangehörigkeit, sondern auch „mit seinem Sinnen und Trachten ein Deutscher geworden“ sei, der „dazu gekommen ist, auch politische Dinge unwillkürlich vom deutschen Standpunkt aus zu betrachten.“ Vgl. Achinger, Wilhelm Merton, S. 308.

[8] Zur Assimilation des Frankfurter jüdischen Bürgertums und deren Rückbesinnung auf ihre jüdische Identität, vgl. Hopp, Jüdisches Bürgertum, S. 298.

[9] Vgl. Roth, Wilhelm Merton, S. 157; vgl. ebenso Achinger, Wilhelm Merton, S. 324.

[10] Zitiert nach Soziales Museum Frankfurt am Main, Wilhelm Merton, S. 64f.

[11] Sein Vater, der ihn in die USA an seinen amerikanischen Cousin vermitteln wollte, schrieb bezeichnenderweise: „(…) Ich möchte gern von Dir hören, ob ihn vielleicht Dein Schwager, wenn ich meine Zustimmung gebe, zu sich nehmen würde und ob er weiterhin das Leben eines rechtgläubigen Juden führen könnte, woran mit sehr viel liegt.“ Zitiert nach Birmingham, In unseren Kreisen, S. 157.

[12] Vgl. Arnsberg, Jakob H. Schiff, S. 28.

[13] So erklärte er 1905: „Solange Rußland seine Juden so behandelt, wie es jetzt geschieht, wird sich meine Firma an keiner russischen Anleihe beteiligen und das nicht nur zu meinen Lebzeiten.“ Vgl. ebd., S. 29.

[14] Vgl. Birmingham, In unseren Kreisen, S. 316.

[15] Vgl. Arnsberg, Jakob H. Schiff, S. 23.

[16] Arnsberg zufolge, soll er zwischen 100 und 400 Millionen Mark für wohltätige Zwecke gespendet haben. Vgl. ebd., S. 24 bzw. S. 6. Birmingham schätzt zwischen 50 bis 100 Millionen Dollar. Vgl. hierzu Birmingham, In unseren Kreisen, S. 315.

[17] Vgl. Arnsberg, Jakob H. Schiff, S. 20.

Pascal Balló, Anteil der Konvertiten [Teilabschnitt aus: Pascal Balló, Die Gründung der Universität Frankfurt und ihre Stifter jüdischer Herkunft], in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 15.08.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/36stifter/ballo/stifter/konvertiten/.

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