Schlussbetrachtung

von Pascal Balló

Der erste Teil der Arbeit hat aufgezeigt, dass die Gründung einer Stiftungsuniversität, ganz gleich wie gestaltet, ohne den stadtgeschichtlichen Kontext und das daraus resultierende bürgerliche Mäzenatentum undenkbar gewesen wäre. Die beispiellose Verwaltungsautonomie und Mitbestimmungsrechte der Stiftungen und der Stifter wären allerdings ohne die Stiftungstradition, das liberale Bürgertum und insbesondere ohne das jüdische Bürgertum ebenso undenkbar.

Der starke wirtschaftliche Standort Frankfurts und sein damit einhergehendes finanzpotentes Bürgertum ermöglichten ein Mäzenatentum, das eine Stiftungstradition hervorbrachte, die seinesgleichen suchte. [Anm. 1] Die hieraus entstandenen (wissenschaftlichen) Stiftungen stellten die Grundvoraussetzung für die Universitätsgründung dar.

Die politische Unabhängigkeit der Stadt Frankfurt prägte die Frankfurter Bürgerschaft, aber auch die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, die dadurch ein Selbstbewusstsein entwickelte, das in den Verhandlungen zur Universitätsgründung deutlich wurde. Der alte Stiftungstypus hatte sich zwar sukzessive gewandelt, sodass nun die Frankfurter Bürger bei Stiftungsgründungen mit der Stadtobrigkeit kooperierten. Gleichwohl ist festzuhalten, dass die Frankfurter Bürger, aber auch die Stadtverordnetenversammlung, die Stiftungen vor dem Staat und somit vor preußischen Einflüssen, zu wahren versuchten. Das Selbstbewusstsein der Stadt und der Frankfurter Bürgerschaft sowie das Stiftungsverständnis spielten bei den Verhandlungen mit dem Kultusministerium eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Das jüdische Frankfurter Bürgertum war – ebenso wie das Frankfurter nichtjüdische Bürgertum – von der Stiftungstradition und der politischen sowie wirtschaftlichen Bedeutung der ehemals Freien (Reichs-) Stadt geprägt. Die dem Judentum inhärente Stiftungsbereitschaft, die Zedaka, wurde dadurch sicherlich nochmals verstärkt. Von weiterer Bedeutung für die Entwicklung des jüdischen Frankfurter Bürgertums war der etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzende Emanzipationsprozess, der ihnen sukzessive die volle Gleichberechtigung zusprach. Gleichzeitig assimilierten sich auch die in Frankfurt lebenden Juden, die – je weiter der Emanzipationsprozess voranschritt – eine immer wichtigere Rolle in Frankfurt spielten. Die Verbürgerlichung der Frankfurter Juden erhöhte wiederum die Stiftungsbereitschaft, bedingten doch Mäzenaten- und Bürgertum einander. Die gleichzeitige latente Ablehnung der aufsteigenden Juden durch die Mehrheitsgesellschaft erhöhte die ohnehin schon großzügige Stiftungsbereitschaft. Denn die Kompensation dieser Ablehnung suchte die Minderheit in Gründungen weiterer Stiftungen oder Schenkungen für die Allgemeinheit.

Das spezifische Anliegen des jüdischen Frankfurter Bürgertums muss somit einerseits vor dem allgemeinen stadtgeschichtlichen Hintergrund betrachtet werden. Andererseits muss der zeithistorische Kontext der Juden in Frankfurt ebenso berücksichtigt werden. Die Forderung, dass auch jüdische Professoren an der Universität lehren durften, konnte angesichts der im übrigen Deutschland geübten Praxis nicht ausschließlich über § 4 des Stiftungsvertrages gewährleistet werden. Daher musste den jüdischen Stiftern zumindest derartige Mitbestimmungsrechte konzediert werden, die die Wahrung dieses Grundsatzes ausreichend ermöglichten. Die geforderten Mitbestimmungsrechte wurden dann eben in dem liberalen Umfeld, der Stiftungstradition und der Geschichte der Stadt Frankfurt begünstigt. Zumal bei diesen Verhandlungen auch nicht wenige Juden beteiligt waren. Die Fortschrittliche Volkspartei, die Hauptunterstützerin des Universitätsprojektes, hatte bezeichnenderweise auch viele jüdische Stadtverordnete. [Anm. 2] Es muss zudem auf die jüdischen Vertreter der privaten Stiftungen hingewiesen werden, wie bspw. auf Merton, der das Institut für Gemeinwohl gründete und die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften mitbegründete. Des Weiteren ist noch auf den Vorsitzenden des Physikalischen Vereins Gans zu verweisen, der die Verhandlungen maßgeblich mitgestaltete. Auch von Weinberg, Mitinhaber der Cassella-Werke, war Mitglied des Physikalischen Vereins und forcierte ebenso die Verhandlungen zwischen Verein und der Magistrat.

Die in der historischen Wissenschaft, aber auch im dritten Kapitel und in Kapitel 4.2 dieser Arbeit, erforschten plausiblen Vermutungen über einen Zusammenhang der jüdischen Stifter und der freien und liberalen Konstituierung der Stiftungsuniversität konnten anhand der Stifterliste von 1911-1914 bestätigt werden.

Neben der institutionellen und finanziellen Ermöglichung der Stiftungsuniversität durch das jüdische Frankfurter Bürgertum wäre auch die freie und liberale Konstituierung der Frankfurter Universität ohne ebenjenes Wirtschaftsbürgertum nicht denkbar gewesen. Die Stifter zwischen 1911 und 1914, die über die künftige Gestaltung der Stiftungsuniversität unterrichtet waren, waren zu 55% jüdischer Herkunft. Ein Anteil, der den allgemeinen Stiftungsanteil der deutschen Juden bei weitem übertraf. [Anm. 3] Gleichzeitig stellten diese jüdischen Stifter 66,1% der Gesamtsumme. Demzufolge kann angenommen werden, dass die jüdischen Stifter, da die künftige Gestaltung der Universität seit Februar 1911 bekannt war, ausdrücklich und ausschließlich für eine freie und liberale sich konstituierende Universität stifteten. Diese These wird nochmals verstärkt, wenn berücksichtigt wird, dass die Stiftungen und Schenkungen fast alle 1912 und 1913 gegründet bzw. zur Verfügung gestellt wurden. [Anm. 4] Denn im März 1912 als die Stadtverordnetenversammlung den ausgehandelten Stiftungsvertrag in seinen wesentlichen Zügen billigte und eine Annahme in Aussicht stellte, war die rechtliche Ausformung der Universität – samt der Mitbestimmungsrechte –  konkreter als bei Veröffentlichung der Denkschrift vom Februar 1911. Dass die Gleichberechtigung der jüdischen Dozenten und daher auch die geforderten Mitbestimmungsrechte bei der Berufung der Dozenten mittels des Kuratoriums und auf ihre der Universität zur Verfügung gestellten Lehrstühle eine wesentliche Forderung der Frankfurter Juden war, wird neben den zahlreichen jüdischen Stiftern und deren Kapital durch das Ehepaar Oppenheim, Schiff sowie von Rothschild und von Goldschmidt-Rothschild, aber auch durch Flersheim, Gans und die Speyers, weiterhin unterstrichen. Erstere drei Stifter bezogen sich bei Fixierung ihrer Stiftungssatzung ausdrücklich auf die im Stiftungsvertrag vom 23.03.1912 festgelegten §§ 4, 9 und 11. Diese Paragraphen behandelten die Gleichberechtigung der Juden sowie die Mitbestimmungsrechte der Stiftungen und Stifter in Bezug auf das Berufungsrecht und auf die zur Verfügung gestellten Lehrstühle.

Das Ehepaar Speyer bestimmte die Verhandlungen zur Universitätsgründung mit, war doch die Einsetzung des Kapitals nur bei Wahrung der konfessionellen Gleichberechtigung und Mitbestimmungsrechte des Stiftungsvorstandes in der Universität einsetzbar.

Während Flersheim die Gleichberechtigung der Juden gewahrt wissen wollte, ließ sich Gans zwei Sitze im Großen Rat der künftigen Universität schriftlich fixieren  – wohl um den Grundsatz der Gleichberechtigung mitbestimmen zu können.

Ferner konnte nachgewiesen werden, dass ohne das Frankfurter Wirtschaftsbürgertum die Realisierung der Universitätsgründung nicht möglich gewesen wäre. Hierbei wiederum ist auf das jüdische Wirtschaftsbürgertum zu verweisen, das mehr als 50% der Gesamtsumme stemmte. Des Weiteren kann durchaus von „dem“ Frankfurter Wirtschaftsbürgertum die Rede sein, wohnten doch 83,3% der Stifter in Frankfurt und stellten 89,1% der Gesamtsumme. Auch in Hinblick auf die jüdischen Stifter kann letztlich von „dem“ jüdischen Frankfurter Wirtschaftsbürgertum gesprochen werden, da 75,6% von ihnen in Frankfurt wohnten und 86,1% der jüdischen Gesamtsumme finanzierten.

Darüber hinaus stellten die jüdischen Stifter zwischen 1911 und 1914 hinsichtlich ihrer Religiosität ein Spiegelbild der Frankfurter Verhältnisse im Kleinen dar. Die in der Forschung dargelegten Feststellungen hinsichtlich der Zedaka konnten an Merton und Schiff aufgezeigt werden. Es gibt angesichts der dürftigen Quellenlage über das Frankfurter Judentum im ausgehenden 19. Jahrhundert keine Statistik, die die Anzahl der Konvertiten in Frankfurt darstellt. Es wäre sicherlich interessant gewesen, ob es hinsichtlich der geleisteten Stiftungen und Schenkungen zwischen den konvertierten sowie den nichtkonvertierten Juden signifikante Unterschiede gab. Es kann jedoch festgehalten werden, dass sowohl für konvertierte als auch für nichtkonvertierte Juden ihre jüdische Herkunft maßgeblich für ihre hohe Stiftungsbereitschaft war. Zudem ist ein Zusammenhang zwischen ihrer jüdischen Herkunft und ihrer erheblichen Stiftungs- und Schenkungsbeteiligung für die freie und liberale Stiftungsuniversität festzustellen.

Die vorliegenden Ergebnisse der Arbeit lassen keinen Zweifel mehr: das jüdische Frankfurter Wirtschaftsbürgertum stiftete und schenkte gewaltige Summen für die zu begründende Universität, da diese sich als eine freie und liberale Hochschule konstituieren sollte. Die in Frankfurt gegründete freie und liberale Stiftungsuniversität wäre daher ohne das jüdische Frankfurter Wirtschaftsbürgertum nicht realisierbar gewesen.

Die in Frankfurt vorliegenden Voraussetzungen, die Stiftungstradition, die ehemals politische Unabhängigkeit, das liberale Bürgertum und das jüdische Bürgertum samt deren Emanzipationsprozess mit all deren Folgen legen darüber hinaus die Vermutung nahe, dass eine solche freie und liberale Stiftungsuniversität im damaligen Deutschland ausschließlich in Frankfurt hätte gegründet werden können. [Anm. 5]

[1] Frankfurt ist charakteristischerweise die einzige Stadt Deutschlands, die ein Stiftungsbuch führt. Vgl. www.faz.net/aktuell/rhein-main/goldenes-buch-der-stiftungen-gross-durch-die-kraft-der-buerger-11768913.html

[2] Vgl. Kluke, Stiftungsuniversität, S. 77.

[3] Im Übrigen war er auch höher als der allgemeine Stiftungsanteil der Berliner Juden, der bei 38% lag.

[4] Ausgenommen Karl Herxheimer, Georg und Franziska Speyer und Julius Wertheimber. Vgl. Tabelle 1 dieser Arbeit.

[5] Einzig Hamburg konnte zu dieser Zeit ähnliche Strukturen, mit einem analogen Bürgertum und jüdischen Wirtschaftsbürgertum vorweisen. Auch hier wurde versucht, eine Universität mithilfe des Bürgertums zu errichten. Doch scheiterte dies. Vgl. hierzu Roth, Jüdische Stiftungsaktivitäten, S.162-164, S. 171-178. Für einen allgemeinen Überblick über die Juden in Hamburg im 19. Jahrhundert, vgl. Krohn, Juden in Hamburg

Pascal Balló, Schlussbetrachtung [Teilabschnitt aus: Pascal Balló, Die Gründung der Universität Frankfurt und ihre Stifter jüdischer Herkunft], in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 15.08.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/36stifter/ballo/schlussbetrachtung/.

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