Frankfurter Stiftungstradition und (jüdisches) Bürgertum

von Pascal Balló

Groß wurde Frankfurt durch die Kraft der Bürger, die Geist und Gut gemeinem Wohle weihten, und weiter wird es wachsen, wenn wie einst die besten Bürger mit zum Aufbau wirken.[Anm. 1]

Die Präambel des Frankfurter Goldenen Buches nimmt Bezug auf die in Frankfurt über Jahrhunderte gegründeten Stiftungen. Das Charakteristikum dieser Stiftungen war die sorgfältige Wahrung der Unabhängigkeit von der Stadtobrigkeit. Dieser Stiftungstypus ist insbesondere im 18. Jahrhundert bis ca. zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu beobachten. Stellvertretend können bspw. die Dr. Senckenbergische Stiftung, die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft oder der Physikalische Verein genannt werden. Dieses Stiftungsverständnis wandelte sich im Laufe der Zeit. Es entstand ein neuer Stiftungstypus, der sich etwa um die Jahrhundertwende konstituierte. Viele der gegründeten Stiftungen arbeiteten nun mit den städtischen Behörden zusammen. [Anm. 2] Für ein solch neues Stiftungsverständnis standen vor allem die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften, die Carl Christian Jügel-Stiftung und die Stiftungsuniversität. [Anm. 3]

Es ließen sich an dieser Stelle zahlreiche und bedeutende Stiftungen Frankfurter Bürger nennen, um die Stiftungstradition weiter hervorzuheben. Doch wäre das nicht weiter- und zielführend. Vielmehr stellt sich die Frage, warum Frankfurt durch „die Kraft der Bürger“ eine solch beeindruckende und jahrhundertealte Stiftungstradition vorweisen kann.

Erst einmal ist festzuhalten, dass „die Stadtgemeinde (…) der zentrale Ort des bürgerlichen Mäzenatentums[Anm. 4] war. Roth konkretisiert den Begriff „Stadtgemeinde“, indem er zwei Voraussetzungen nennt, die für ein „bürgerliches Mäzenatentum[Anm. 5] unerlässlich waren: Demnach entstand Mäzenatentum vor allem in Handelsstädten, die über „ausgeprägte Vereins- und Stiftungsstrukturen, die unter anderem vielfältigen wissenschaftlichen Zwecken dienten“ verfügten und „deren Bürgertum von wohlhabenden Kaufleuten und Bankiers bestimmt wurde“. [Anm. 6] Jürgen Kocka und Manuel Frey konkretisieren den Begriff „bürgerliches Mäzenatentum“, indem sie einerseits einen engen Zusammenhang zwischen Bürger- und Mäzenatentum betonen. Andererseits heben sie hervor, dass „bürgerliches Mäzenatentum“ nur durch ein Zusammenwirken zwischen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum entstehen konnte. Darüber hinaus spielte der „innere Zusammenhalt“ der Bürgerschaft bei der Entwicklung von bürgerlichem Mäzenatentum eine nicht zu unterschätzende Rolle, denn je weniger dieses ausgeprägt war, desto seltener entwickelte sich ein „bürgerliches Mäzenatentum“. [Anm. 7]

In diesem Zusammenhang ist es speziell für Frankfurt angebracht, auf sein starkes jüdisches Bürgertum hinzuweisen. Im Zuge des Emanzipationsprozesses der Juden bildete sich beginnend Mitte des 19. Jahrhunderts ein erfolgreiches jüdisches Wirtschaftsbürgertum. [Anm. 8] Zwar wurden die Frankfurter Juden rechtlich und sozial in die nichtjüdische Mehrheit integriert, doch wurden sie nach wie vor oftmals diskriminiert oder bekamen auf subtile Weise die Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft zu spüren. [Anm. 9] Diese fehlende Akzeptanz versuchte das jüdische Frankfurter Bürgertum u. a. durch zahlreiche Stiftungen zu mindern. [Anm. 10] Der Wunsch der Frankfurter Juden nach Anerkennung ist – wie an späterer Stelle noch dargelegt werden soll – bei Betrachtung des jüdischen Mäzenatentums, und somit bei dem Gründungsprozess der Stiftungsuniversität,  relevant und sich immer wieder zu vergegenwärtigen.

Werden die wissenschaftlich-historischen Befunde von Roth sowie von Kocka und Frey für Frankfurt und sein Bürgertum zum Maßstab genommen, ist zu konstatieren, dass die Handels- und Finanzstadt Frankfurt für (bürgerliches) Mäzenatentum prädestiniert war. Durch die geographische Lage entwickelte sich die Stadt zu einem bedeutenden Wirtschafts- und Finanzort im damaligen Deutschland und Europa. [Anm. 11] Neben der günstigen geographischen Lage verstand es die Stadtgemeinde, sich den veränderten politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen und somit seine politische und wirtschaftliche Bedeutung zu wahren und auszubauen. Durch die Unabhängigkeit der Stadt entwickelte sich dann auch ein Zusammenhalt der Bürgerschaft. [Anm. 12] Nach dem kurzen Intermezzo des Fürsten Karl von Dalberg und seines Primitialstaates von 1806-1815 knüpfte die Frankfurter Bürgerschaft an seine Unabhängigkeit 1815 wieder an. Fortan firmierte Frankfurt als „Freie Stadt“. Darüber hinaus tagte der Bundestag des Deutschen Bundes in Frankfurt.

Vor diesem historischen Hintergrund ist die Zwangseingliederung der Freien Stadt in das preußische Königreich als einschneidende Zäsur zu verstehen: „Frankfurt, die alte Krönungsstadt, der Sitz der beiden Reichsmessen, welche die Stadt zu dem Haupt-Handels-, Bank- und Börsenplatz seit dem Ausgang des Mittelalters im westlichen und südlichen Deutschland schufen, Frankfurt, der Sitz des Hohen Bundestages von 1817-1866, Frankfurt, ein souveräner Staat, der dem Kaiser gegenüber genau so unabhängig war, wie der König von Preußen oder der Landgraf von Kassel und das in der Zeit des Deutschen Bundes ein souveräner Staat war, wie das Kaiserreich Österreich oder das Königreich Württemberg, bis es im Jahre 1866 von Bismarck zu einer Preussischen Kreisstadt degradiert wurde. Diese Bedeutung schuf naturgemäß bei den Frankfurtern Bürgern ein ganz anderes politisches Selbstbewußtsein, als es etwa ein Untertan des benachbarten Kurfürsten von Hessen hatte, und auf diesem Frankfurter bürgerlichem Selbstbewußtsein beruhte auch das Selbstbewußtsein der Frankfurter Juden. [Anm. 13] Der Verlust der Unabhängigkeit war ein Schock für die Frankfurter Bürger, von denen nicht wenige auswanderten oder sich zumindest um eine andere Staatsbürgerschaft bemühten, um wenigstens dem preußischen Militärdienst zu entgehen.

Im Zuge dieser einschneidenden Zäsur wurden in Frankfurt Stimmen laut, die den Verlust der Selbständigkeit durch die Gründung einer Universität oder zumindest durch die Verlegung der Marburger oder Gießener Universität kompensieren wollten. [Anm. 14] Auch die maßgeblichen preußischen Zeitungen unterstützten eine solche Errichtung publizistisch mit der Begründung, dies fördere die Integration Frankfurts in das preußische Königreich. In diesem Zusammenhang verwiesen die Zeitungen auf das gelungene Beispiel Bonn. In Frankfurt hingegen wurde immer Wert darauf gelegt, eine freie Universität zu gründen, die unabhängig von dem preußischen Staat sein sollte. [Anm. 15] Die Idee konnte letztlich nicht umgesetzt werden, denn die Stadtgemeinde war u. a. mit den administrativen Folgen des Verlustes der Unabhängigkeit beschäftigt. Ferner waren die finanziellen Mittel für ein solch aufwendiges Projekt nicht vorhanden. [Anm. 16]

Anmerkungen

[1] Präambel des Frankfurter Goldenen Buchs der Stiftungen. Zitiert nach Klötzer, Über das Stiften, S. 30.

[2] Hansert bezeichnet das als eine „Symbiose zwischen städtischer und mäzenatischer Aktivität“. Vgl. hierzu Hansert, Bürgerkultur, S. 121; vgl. auch Manuel Frey, Macht und Moral, S. 90.

[3] Vgl. Hansert, Bürgerkultur, S. 120ff.

[4] Frey, Macht und Moral, S. 19.

[5] Zur Begriffsgenese des „Mäzenatentums“, vgl. Frey, Moral des Schenkens, S. 11-29. Die Frage, ab welchem finanziellen Beitrag von Mäzenatentum die Rede sein kann, ist in der historischen Forschung nicht allgemeinverbindlich beantwortet worden. Vgl. Kocka, Bürger als Mäzene, S. 37.

[6] Roth, Jüdische Stiftungsaktivitäten, S. 161.

[7] Vgl. Kocka/Frey, Einleitung, S. 10 und 13. Vgl. auch Gaehtgens, Vorwort, S. 9. Selbstverständlich soll das nicht bedeuten, dass  alle Bürger Mäzen waren. Vgl. hierzu Kocka, Bürger als Mäzene, S. 37.

[8] Vgl. Roth, Stadt und Bürgertum, S. 517; vgl. auch Hopp, Jüdisches Bürgertum, S. 298.

[9] Dietz Bering beschreibt diese Ablehnung wie folgt: „Wenn auch der Homo novus im alten Rom Machtmittel und Leistungen aufzuweisen hatte, die ihn dem alten Adel gleichstellten, so hatte die Ab-urbe-condita-Aristokratie doch Mittel und Wege, dem neu Hinzugekommenen zu bedeuten, daß er eigentlich fremd und durchaus minderen Range im Kreise derer war, die sich durch ein Anciennitätspathos gegen Hochkömmlinge borniert hatten.“ Vgl. Bering, Antisemitische Namenpolemik, S. 311.

[10] Ausführlicher wird die Stiftungsmotivation der Juden in Frankfurt in den Abschnitten Die Universitätsgründung und ihre jüdischen Stifter und Die Stifter von 1911 bis 1914 behandelt.

[11] Vgl. Rebentisch, Mäzenatentum, S. 12.

[12] Vgl. R. Heilbrunn, Die Emanzipation, S. 9.

[13] Ebd., S. 9. Auch Georg Heuberger konstatiert: „Die Frankfurter Juden waren trotz jahrhundertelanger Bedrängnis sehr stark in ihrer Stadt verwurzelt.“ Vgl. Heuberger, Jüdisches Mäzenatentum, S. 69.

[14] Die Idee eine Universität in Frankfurt zu begründen, kann über die Jahrhunderte hinweg nachgezeichnet werden. 1384 lässt sich die Idee einer Frankfurter Hochschulgründung anhand überlieferter Quellen erstmals rekonstruieren. Die Idee einer Universitätsgründung wurde dann auch im Laufe der Zeit immer wieder öffentlich diskutiert, doch aus vielerlei Gründen nie umgesetzt. Vgl. hierzu das nach wie vor gültige Standardwerk von Jung, Frankfurter Hochschulpläne.

[15] Vgl. Kluke, Stiftungsuniversität, S. 30f.

[16] Vgl. Jung, Frankfurter Hochschulpläne, S. 120.

Pascal Balló, Frankfurter Stiftungstradition und (jüdisches) Bürgertum [Teilabschnitt aus: Pascal Balló, Die Gründung der Universität Frankfurt und ihre Stifter jüdischer Herkunft], in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 15.08.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/36stifter/ballo/stiftungstradition/.

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