Thesen und Aufbau der Arbeit

von Pascal Balló

Es werden in dieser Arbeit zwei Thesen aufgestellt, die die Grundlage der jeweiligen Kapitel darstellen. Wie bereits angedeutet, ist die Universitätsgründung im stadtgeschichtlichen Kontext – der Stiftungstradition, des (jüdischen) Frankfurter Bürgertums und der Geschichte der ehemals Freien (Reichs-) Stadt – zu betrachten. Denn das Stiftungswesen in Frankfurt, und somit auch die Gründung der Stiftungsuniversität, wäre ohne ein ausgeprägtes Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum und ohne den wirtschaftlichen Charakter Frankfurts, das ein Handelszentrum in Deutschland und in Europa darstellte, undenkbar gewesen. Diese Faktoren bildeten somit das Grundgerüst, welches eine aus den Mitteln der Frankfurter Bürgerschaft gegründete Stiftungsuniversität ohne staatliche Subventionen erst ermöglichte. Der Wunsch nach weitgehender Verwaltungsautonomie der Stiftungsuniversität, die sich die Stadt, die Frankfurter Stiftungen und die Stifter vom Staat schließlich auch erstreiten konnten, ist angesichts des historischen Bewusstseins der Stadt Frankfurt – resultierend aus der jahrhundertealten Unabhängigkeit der ehemals Freien (Reichs-) Stadt Frankfurt – und seines liberalen Bürgertums, insbesondere des jüdischen Bürgertums, nicht verwunderlich. [Anm. 1]

Diese These wird im ersten Teil der Arbeit eingehend behandelt. Hierbei gilt es den stadtgeschichtlichen Kontext herauszuarbeiten, der die Gründung der Stiftungsuniversität ermöglichte.

Im Anschluss daran steht der Gründungsprozess im Mittelpunkt, um einerseits die noch zu nennenden beiden Stiftungsstrukturen deutlich zu machen. Andererseits soll die Bedeutung des stadtgeschichtlichen Kontextes im Rahmen des Gründungsprozesses hervorgehoben werden. Der Gründungsprozess lässt sich in zwei Phasen einteilen: Die erste Phase ist von 1895-1909 zu datieren, denn im Jahr 1895 setzte Adickes den Magistrat vorsichtig über seine Absichten in Kenntnis, eine Universität in Frankfurt zu gründen. [Anm. 2] Fortan arbeitete er an der geographischen und institutionellen Zusammenlegung der schon bestehenden und der neu zu begründenden Stiftungen. Die zweite Phase beginnt mit dem Tod der jüdischen Bankierswitwe Franziska Speyer 1909, wodurch die Universitätspläne auf eine finanzielle Grundlage gestellt wurden, die Adickes veranlasste, an die Öffentlichkeit zu treten und die offiziellen Verhandlungen mit dem Kultusministerium, der Stadtverordnetenversammlung und den Stiftungen sowie den Stiftern einzuleiten. Im Fokus dieser Darstellung stehen jedoch ausschließlich die Verhandlungen in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung sowie zwischen der Stadtgemeinde und dem Kultusministerium. [Anm. 3] Darüber hinaus sollen diejenigen öffentlichen Debatten behandelt werden, in denen über die Mitbestimmungsrechte der Stadt sowie der Stiftungen und um die Forderung der Gleichberechtigung durch das jüdische Frankfurter Bürgertum diskutiert wurde. Im Zuge dieser Schilderung wird die Bedeutung des stadtgeschichtlichen Kontextes offensichtlich.

Zu den sich zusammenschließenden Instituten, die die erste Stiftungsstruktur darstellen, flossen die Schenkungen und Stiftungen weiterer Frankfurter Bürger, mit denen sich das dritte Kapitel beschäftigt. Die weiteren Stiftungen und Schenkungen einzelner Frankfurter Bürger, die die zweite Stiftungsstruktur darstellen, sind vor allem von Juden gestellt worden. In der historischen Forschung ist es daher unumstritten, dass die Gründung der Stiftungsuniversität in Frankfurt erst durch das dort ansässige jüdische Wirtschaftsbürgertum ermöglicht wurde. [Anm. 4] Über den Zusammenhang zwischen freier und liberaler Gestaltung der Universität und den finanziellen Aufwendungen durch das jüdische Frankfurter Wirtschaftsbürgertum wurden in der Forschung bislang nur Vermutungen angestellt. [Anm. 5] Diese Forschungslücke will die vorliegende Arbeit schließen. Deshalb lautet die These:

Die freie und liberale Konstituierung der Stiftungsuniversität ist dem jüdischen Frankfurter Wirtschaftsbürgertum zu verdanken. [Anm. 6]

Entscheidend für die Verifizierung der These ist der Untersuchungszeitraum: Ab welchem Zeitpunkt kann davon ausgegangen werden, dass das jüdische Frankfurter Wirtschaftsbürgertum ausdrücklich für eine freie und liberale sich konstituierende Universität stiftete? Im Zeitpunkt des Todes von Franziska Speyer 1909 waren die Pläne Adickes‘ schon so weit gediehen und durch das Speyer’sche Geld auf eine Grundlage gestellt, auf der sich der Oberbürgermeister wagte, die Bevölkerung von seinen Plänen zu unterrichten. Am 14.12.1909 unterrichtete er den Frankfurter Generalanzeiger und die Kleine Presse, die die entsprechenden Artikel veröffentlichten. In keinem der veröffentlichten Zeitungsartikel wird jedoch auf den geplanten Universitätscharakter hingewiesen. [Anm. 7] Dieser wurde erst am 05.03.1910 in einem Treffen Adickes mit den betreffenden Stiftungen grob skizziert, so dass sich erste konkrete Anhaltspunkte hinsichtlich der späteren freien und liberalen Konstituierung der Universität finden. Zu dieser Unterredung, die zwischen Adickes, der Dr. Senckenbergische Stiftung, der Senckenbergische Naturforschenden Gesellschaft, dem Physikalischen Verein, der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften und der Georg und Franziska Speyer-Studienstiftung stattfand, gibt es ein kurzes Protokoll. [Anm. 8] Es heißt dort: „Die Universität soll auf denselben Grundlagen voraussetzungsloser freier Forschung und Lehre errichtet werden, wie die übrigen Preußischen Universitäten, insbesondere dürfen weder konfessionelle oder politische Richtung von Einfluß sein.[Anm. 9]

Bei der Besetzung der Lehrstühle sollte dem Verwaltungsausschuss, in dem u. a. Vertreter der Stiftungen sitzen sollten, Mitbestimmungsrechte gewährt werden. Des Weiteren sollte den Stiftungsvorständen Einflussmöglichkeiten auf die Berufung der Dozenten ihrer zur Verfügung gestellten Institute eingeräumt werden. [Anm. 10] Adickes versandte diese Denkschrift am 06.03.1910 „an einen kleinen Kreis von Interessenten[Anm. 11]. Es ist anzunehmen, dass die Stifter zwischen dem 06.03.1910 bis zur staatlichen Genehmigung der Universität am 10.06.1914 über die geplante freie und liberale Gestaltung der Universität unterrichtet waren, doch ist dies letztlich nicht valide gesichert. Letzte diesbezügliche Zweifel werden mit der im Februar 1911 veröffentlichten Denkschrift genommen, in der die spätere freie und liberale Konstituierung der Stiftungsuniversität ausführlich dargelegt wird. [Anm. 12] Der Untersuchungszeitraum muss demnach die Zeitspanne vom Februar 1911 bis zur staatlichen Genehmigung der Universität 1914 umfassen. Denn die Stifter vor Februar 1911 konnten schlichtweg nicht wissen, wie die zukünftige Universität rechtlich strukturiert sein würde. [Anm. 13] Die Stifter nach 1914 haben zwar ebenso für eine freie und liberale Universität gestiftet, aber da sich die vorliegende Arbeit mit der Gründung der Universität beschäftigt, sind ebenjene Stifter irrelevant.

Weiterhin war es notwendig vier Kriterien aufzustellen, anhand derer die Stifterliste von 1911-1914 untersucht werden sollte. Dem ersten Kriterium entsprechend sollten die Stifter einen – wie auch immer gearteten – Bezug zur Stadt Frankfurt haben. Mit „Bezug zu Frankfurt“ soll gemeint sein, ob bspw. einer der Stifter in Frankfurt geboren wurde oder seine Ausbildung in der Stadt absolvierte.

Für das zweite Kriterium ist es unabdingbar zu klären, was unter „jüdisch“ zu verstehen ist. Angesichts des Emanzipationsprozesses der Juden im 19. Jahrhundert wurden die Stifter auf ihre „jüdische Herkunft“ untersucht. Der Emanzipationsprozess der Juden und die daraus resultierende Bezeichnung „jüdische Herkunft“ soll im zweiten Kapitel dieser Arbeit begründet werden.

Für das dritte Kriterium ist die Recherche hinsichtlich des Berufes der jeweiligen Stifter notwendig. Dieses Kriterium ist insofern relevant, um die Stifter dem Bildungs- oder dem Wirtschaftsbürgertum zuordnen zu können. [Anm. 14]

Für das vierte und letzte Kriterium sind der Stiftungs- oder Schenkungszeitpunkt sowie die Höhe der Summe relevant. Der Zeitpunkt ist eminent, da dadurch der Zusammenhang zwischen freier und liberaler sich konstituierender Universität und dem jüdischen Frankfurter Wirtschaftsbürgertum deutlich werden soll. Die Summe hingegen ist für die Festsetzung des finanziellen Anteils der jüdischen Stifter obligatorisch.

Die Zuwendungen des jüdischen Frankfurter Wirtschaftsbürgertums für die Stiftungsuniversität sollen als ein Tauschgeschäft von ökonomischen in kulturelles und soziales Kapital verstanden werden. Daher soll vor der Untersuchung der Stifterliste von 1911-1914 das Tauschgeschäft durch das Bourdieu’sche Verständnis von ökonomischem in kulturelles und soziales Kapital soziologisch begründet werden. Das sich daran anschließende Unterkapitel, das den zeithistorischen Kontext der Juden in Frankfurt thematisiert, wird deutlich machen, dass die soziologische Begründung des Tauschgeschäftes auf die historischen Umstände der Juden in Frankfurt zutreffend ist.

[1] Die von den Frankfurter Bürgern gegründeten „Stiftungen“ stellten wissenschaftliche Institute dar und können somit auch zu Recht als „Institute“ bezeichnet werden. Im Rahmen dieser wird jedoch in der Regel von den „Stiftungen“ die Rede sein, um die Frankfurter Stiftungstradition hervorzuheben.

[2] Vgl. Adickes, Persönliche Erinnerungen, S. 21-25.

[3] Die Verhandlungen im Preußischen Abgeordneten- und Herrenhaus hingegen waren für die Realisierung der Frankfurter Universitätsgründung nicht allzu bedeutend, da die Zustimmung der beiden Parlamentskammern nicht notwendig war. Vielmehr war die Überzeugung des preußischen Kultusministers von ausschlaggebender Bedeutung, weil die Universität gemäß des Allgemeinen Preußischen Landrechts begründet werden sollte. Vgl. Kluke, Stiftungsuniversität, S. 86f. Dem Allgemeinen Preußischen Landrecht zufolge war für die Gründung der Universität Frankfurt am Main die Genehmigung des preußischen Königs ausreichend. Vgl. hierzu Wachsmuth, Gründung, Anlage 33, S. 230-236.

[4] Vgl. statt vieler Kluke, Stiftungsuniversität, S. 52.

[5] Vermutungen hierzu haben angestellt, u.a. Kraus, Jüdisches Mäzenatentum, S. 46. Vgl. auch Notker Hammerstein, Zur Geschichte, hier S. 125.

[6] Mit „frei“ ist die (weitgehende) Autonomie der Universität gemeint. Vgl. Roth, ‚Der Toten Nachruhm‘, S. 124 Anmerkung 39. Der „liberale“ Charakter manifestierte sich insbesondere in § 1 und § 4 des Stiftungsvertrages. Demnach sollte die Lehre „frei von Einseitigkeiten und unabhängig von Parteien“ (§ 1) sein und „eine Bindung in bezug auf das religiöse Bekenntnis des zu berufenden Professors wird bei keinem Lehrstuhl stattfinden“ (§ 4). Der liberale Charakter hing in gewisser Weise von der (weitgehenden) Autonomie der Universität ab. Denn eine von Preußen organisierte Universität hätte sicherlich in der Regel keine Juden – das zeigte sich an den übrigen preußischen Universitäten – lehren lassen und darüber hinaus wäre auch keine unabhängige Lehre garantiert gewesen. Zu diesem Ergebnis kam schon der Soziologe Max Weber in einem am 26.06.1911 veröffentlichen Zeitungsartikel, in dem er deshalb den Frankfurtern „die Aufnahme bestimmter Klauseln in das Stiftungsstatut der Universität“ riet, „um dem schädigenden Einfluß der preußischen Kultusbürokratie nicht schutzlos preisgegeben zu sein und gewisse Mitwirkungsrechte bei der Berufungsfrage, über die sonst letztinstanzlich der Minister bzw. der König allein zu entscheiden hätte, zu wahren.“ Der Historiker Andreas Hansert schließt sich dem Befund Max Webers an. Vgl. hierzu Hansert, Bürgerkultur, S. 126-129. Zum Verhältnis zwischen Staat und Universität im (ausgehenden) 19. Jahrhundert, vgl. Gall, Rolle, S. 9-28.

[7] Vgl. Frankfurter Generalanzeiger: Universität Frankfurt (Die Einrichtung von drei Fakultäten geplant), 15.12.1909, Nr. 293, S. 1; vgl. Kleine Presse: Frankfurt wird Universität. Die Speyerschen Stiftungen. – Die Vorteile einer Universität. – Finanzielle Bedenken, 15.12.1909, Nr. 293, S. 3; vgl. auch Frankfurter Volksstimme: Frankfurt als Universität, 16.12.1909, Nr. 293.

[8] Vgl. Wachsmuth, Gründung, Anlage 23, S. 165f.

[9] Zitiert nach ebd., Anlage 23, S. 165.

[10] Vgl. ebd., Anlage 23, S. 166.

[11] Ebd., S. 65. Diese „vorläufigen Gedanken betreffs Errichtung und Verfassung einer Universität und Handelshochschule in Frankfurt a. M. (Denkschrift)“ sind bei ebd., Anlage 24, S. 167f, abgedruckt.

[12] Die Denkschrift ist bei ebd., Anlage 27, S. 171-191 zu finden. Vertragsunterzeichner waren: Der Magistrat (der Stadt Frankfurt), die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften, die Georg und Franziska Speyer’sche Studienstiftung, die Carl Christian Jügel-Stiftung, das Theodor Stern’sche medizinische Institut, das Neurologische Institut, das Institut für Gemeinwohl, die Dr. Senckenbergische Stiftung, die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft, der Physikalische Verein und das Carolinum.

[13] Ausgenommen solch bedeutende Personen wie bspw. Leo Gans, Wilhelm Merton und Arthur von Weinberg, die im ständigen Kontakt mit Adickes standen. Zu Gans und von Weinberg, vgl. Groening, Leo Gans, S. 63ff. Zu Merton, vgl. Roth, Wilhelm MertonS. 127ff.

[14] Für die Verschriftlichung dieser Arbeit und der Überprüfung der aufgestellten These ist es ausreichend, an den in Deutschland gebräuchlichen Bürgertums-Begriff für das 19. Jahrhundert anzuknüpfen. Demnach ist zwischen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum zu unterscheiden. Zum Wirtschaftsbürgertum werden in der Regel Kaufleute, Fabrikanten und Bankiers, Kapitalbesitzer, Unternehmer und ihre leitenden Angestellten“ gezählt. Zum Bildungsbürgertum gehören üblicherweise „Ärzte, Rechtsanwälte und anderen Freien Berufe, die Gymnasiallehrer und Professoren, die Richter und höheren Verwaltungsbeamten, dann auch Naturwissenschaftler, Diplom-Ingenieure und qualifizierte Experten anderer Art“. Der Adel, Klerus und die Unterschicht im Gesamten werden indes nicht zum Bürgertum gezählt. Vgl. Kocka, Bürger als Mäzene, S. 32f. Vgl. auch Kocka/Frey, Einleitung, S. 9.

Pascal Balló, Thesen und Aufbau der Arbeit [Teilabschnitt aus: Pascal Balló, Die Gründung der Universität Frankfurt und ihre Stifter jüdischer Herkunft], in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 15.08.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/36stifter/ballo/einleitung/thesen/.

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