Einleitung
von Pascal Balló
„Keine andere Stadt ist seit Jahrhunderten von Stiftern, Stiftungen und Mäzenen so nachhaltig geformt worden.“ [Anm. 1]
Mit diesen Worten eröffnete der Frankfurter Oberbürgermeister Andreas von Schoeler seine Rede zur „Woche Frankfurter Stiftungen“ am 04.09.1994. Frankfurt kann unbestreitbar auf eine jahrhundertealte Stiftungstradition zurückblicken. [Anm. 2] Die älteste Stiftung stammt aus dem 8. Jahrhundert und auch wenn diese nicht dem heutigen Stiftungsverständnis entspricht, kann sie anhand vorhandener Quellen nachweislich belegt werden. [Anm. 3] Der wohl bekannteste und bedeutendste neuzeitliche Stifter war der Frankfurter Arzt Johann Christian Senckenberg. [Anm. 4] Mit seiner 1763 gegründeten Dr. Senckenbergische Stiftung strebte er „zum Besten des Vaterlandes in Verbesserung des Medizinalwesens und Versorgung armer Kranker“ [Anm. 5]. Auf Grundlage der Dr. Senckenbergischen Stiftung wurde u. a. 1817 die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft und 1824 der Physikalische Verein gegründet. Die Dr. Senckenbergische Stiftung, die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft und der Physikalische Verein bildeten – mit anderen Instituten und Stiftungen – die Grundlage der späteren Stiftungsuniversität. [Anm. 6]
Dass Frankfurt eine solch beeindruckende Stiftungstradition vorweisen kann, überrascht nicht [Anm. 7]: durch seinen starken Wirtschaftsstandort, sein Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum und hierbei besonders sein starkes jüdisches Wirtschaftsbürgertum, konnten die Bürger der Stadt Frankfurt ökonomisch in die Lage versetzt werden, zahlreiche Stiftungen zu errichten.
Der 1892 ernannte Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes nutzte diese Voraussetzungen, um eine Universität in Frankfurt zu gründen. Er arbeitete sukzessive daran, die in Frankfurt vorhandenen Institute, die von den dort ansässigen Bürgern gegründet und finanziert wurden, geographisch und institutionell zusammenzufassen. Auf von Frankfurter Bürgern neu zu begründende Institute nahm Adickes Einfluss, wenn sie nicht sogar auf sein Betreiben gegründet wurden, um diese der späteren Universität anschließen zu können. Nach komplizierten und langwierigen Verhandlungen sowohl zwischen der Stadt, dem Staat und den privaten Stiftungen als auch im Preußischen Abgeordnetenhaus und in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, wurde am 28.09.1912 ein Stiftungsvertrag geschlossen. [Anm. 8]
Im Rahmen dieses Stiftungsvertrages, der nur in marginalen Veränderungen die genehmigte Universitätssatzung darstellte, wurde der Stiftungsuniversität weitgehende Verwaltungsautonomie gewährt, die seinerzeit im Kaiserreich einmalig war. Darüber hinaus sollten auch Juden an der Universität lehren dürfen. [Anm. 9] Um diesen Grundsatz einzuhalten, wurden den Stiftungen und den Stiftern Mitbestimmungsrechte auf den Berufungsmodus der Lehrstühle eingeräumt. Darüber hinaus wurde den selbständigen Stiftungen das Recht konzediert, die Besetzung ihrer gestifteten Lehrstühle mitzubestimmen, sodass zumindest keine Lehrstuhlbesetzung ohne Zustimmung des Stifters oder des Stiftungsvorstands erfolgen konnte. [Anm. 10] Doch zur finanziellen Deckung der Universitätsgründung, der laufenden Kosten des Universitätsbetriebes und für etwaige einmalige Zahlungen, bspw. für die Errichtung neuer Hörsäle, reichten die finanziellen Mittel der Stiftungsvertragsunterzeichner nicht aus. Zur Begleichung dieser Kosten mussten weitere Stiftungen oder Schenkungen aus der Frankfurter Bürgerschaft akquiriert werden, da der Staat im Vorfeld deutlich erklärt hatte, keinen pekuniären Beitrag leisten zu wollen und die Kommune – neben ihrem Beitrag für die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften – ausschließlich die städtisch-medizinischen Anstalten subventionieren konnte und wollte. In der Tat konnten die restlichen finanziellen Mittel durch Spenden des Frankfurter Wirtschaftsbürgertums, das seine Zuwendungen an Bedingungen knüpfte, sichergestellt werden. Die Deckung dieser Summe wäre jedoch ohne das jüdische Frankfurter Wirtschaftsbürgertum, das den Großteil dieser Summe beglich, nicht möglich gewesen. Zum Wintersemester 1914/15 konnte der Universitätsbetrieb trotz Ausbruch des Ersten Weltkrieges eröffnet werden.
Die Stiftungsuniversität stellte den Kulminationspunkt der Stiftungstradition und des Frankfurter Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum im Allgemeinen sowie der des jüdischen Frankfurter Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums [Anm. 11] im Speziellen dar. [Anm. 12]
Vor diesem historischen Hintergrund setzt sich die vorliegende Arbeit mit dem Gründungsprozess der Universität Frankfurt am Main auseinander. Dies erfolgt unter besonderer Berücksichtigung der Frankfurter Stiftungstradition, des (jüdischen) Frankfurter Bürgertums und der Stadtgeschichte.
[1] Zitiert nach Rebentisch, Mäzenatentum, S. 13f.
[2] Der letzte und allgemein gehaltene Stiftungsüberblick ist von Bruno Müller 1958 erstellt und von Hans-Otto Schembs 2006 überarbeitet und fortgesetzt worden. Vgl. hierzu Müller, Stiftungen. Hinsichtlich der umfangreichen jüdischen Stiftungen ist auf Lustiger, Jüdische Stiftungen zu verweisen.
[3] Vgl. Müller, Stiftungen, S. 19.
[4] Vgl. hierzu Bary, Senckenberg. Des Weiteren sei an dieser Stelle auf das Personenregister im Anhang A verwiesen, das die in dieser Arbeit genannten Persönlichkeiten biographisch kurz skizziert. Die in Kapitel 4.3.1 und 4.3.2 erwähnten Stifter werden jedoch nicht im Personenregister aufgeführt. Stattdessen sei auf die beiden Tabellen und das Stifterregister im Anhang C verwiesen.
[5] Zitiert nach Bary, Geschichte, S. 38. Außerdem sei auf das Stiftungenregister im Anhang B verwiesen, das die erwähnten Stiftungen näher vorstellt.
[6] Zur Dr. Senckenbergische Stiftung und der Universitätsgründung, vgl. Bary, Geschichte, S. 236-256. Zum Physikalischen Verein und der Universitätsgründung, vgl. Fricke, Physikalischer Verein, S. 145-149.
[7] Vgl. Roth, Jüdische Stiftungsaktivitäten, S. 161.
[8] Vgl. Heilbrunn, Gründung, S. 88ff; vgl. auch Kluke, Stiftungsuniversität, S. 66ff.
[9] Trotz des Emanzipationsprozesses der Juden im damaligen Deutschland wird im Rahmen dieser Arbeit von den „Juden“ und nicht von den „deutschen Juden“ die Rede sein. Vgl. Zimmermann, Juden, Vorwort, V. Vgl. ebenso den Titel bei Volkov, Juden in Deutschland.
[10] Vgl. Kluke, Stiftungsuniversität, S. 89; vgl. auch Heilbrunn, Gründung, S. 185.
[11] Andrea Hopp hat in ihrer Dissertation herausgearbeitet, dass zwischen nichtjüdischem und jüdischem Bürgertum unterschieden werden muss, da das jüdische Bürgertum – vor allem wegen des latenten, aber auch ostentativ ausgelebten, Antisemitismus – Eigenschaften aufwiesen, die bei ihrem nichtjüdischen Pendant nicht zu finden waren. Vgl. Andrea Hopp, Jüdisches Bürgertum, S. 297-301.
[12] Vgl. Kraus, Jüdisches Mäzenatentum, S. 45; vgl. auch Lowenstein, Der jüdische Anteil, S. 327; vgl. auch Schiller, Stiftungen, S. 176.
Pascal Balló, Einleitung [Teilabschnitt aus: Pascal Balló, Die Gründung der Universität Frankfurt und ihre Stifter jüdischer Herkunft], in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 15.08.2014, URL: http://use.uni-frankfurt.de/36stifter/ballo/einleitung/.